Bildung, Freizeit, Soziales

Der Krieg ist vorbei – aber die Schule muss warten

Ein halbes Jahr oder sogar mehr als ein ganzes Jahr Ferien. Ein Traum für Schülerinnen und Schüler? 1945 war es ein Alptraum wie so vieles andere, was das Ende des Zweiten Weltkrieges mit sich brachte.

Nach der Zerstörung Würzburgs keine Schule mehr in Güntersleben

Am Abend des 16. März 1945 wurde Würzburg durch einen 20-minütigen Luftangriff in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Tags darauf wurden die kleinen Patienten der Universitätskinderklinik, wie im Evakuierungsplan vorgesehen, nach Güntersleben verlegt, abgeholt bei Schneetreiben von Pferdegespannen mit offenen Leiterwägen. Untergebracht wurden die halberfrorenen Kinder in behelfsmäßig hergerichteten Krankenstationen in den Schulsälen im heutigen Kolpinghaus und in der Kinderbewahranstalt an der Langgasse sowie im Gasthaus zum Hirschen. Der Schulunterricht, der trotz der Ausfälle beim Lehrpersonal durch Fronteinsätze und dem zeitweiligen Mangel an Heizmaterial bis dahin leidlich aufrechterhalten werden konnte, musste bis auf Weiteres eingestellt werden.

Wiederaufnahme des Unterrichts für wenige Klassen, mit wenigen Lehrern und zu wenigen Klassenzimmern

Im Oktober 1945 wurde die Kinderklinik nach Würzburg zurückverlegt. Erst jetzt konnte überhaupt wieder an eine Aufnahme des Schulbetriebs gedacht werden, allerdings nur in eingeschränktem Umfang. Einer der beiden großen Lehrsäle im Kolpinghaus hatte im April, als Güntersleben mehrmals unter Artilleriebeschuss lag, einen Volltreffer bekommen und war vorerst nicht benutzbar. Ausweichmöglichkeiten gab es nicht, weil alle Räumlichkeiten durch Flüchtlinge, Evakuierte und Ausgebombte aus Würzburg und anderen Regionen ohnehin überbelegt waren. Außerdem fehlten die Lehrer. Der frühere Schulleiter war gefallen, andere Lehrkräfte waren als frühere NSDAP-Parteimitglieder dienstentlassen und mussten sich erst Entnazifizierungsverfahren unterziehen.

Am 22. Oktober 1945 begann für die Jahrgangsstufen 1 – 4 wieder der Unterricht. Mit 221 Kindern und zwei Lehrkräften, die beide erst durch die Kriegsereignisse nach Güntersleben gekommen waren: Betty Kaiser war schon im März vor den Fliegerangriffen auf Würzburg mit ihrer Familie zu ihrer Schwester Maria Dümler nach Güntersleben gezogen. Diese war ebenfalls Lehrerin und bis zur Einstellung des Unterrichts hier im Dienst gestanden. Ludwig Mainka war nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft mit seiner aus Oberschlesien geflüchteten Familie im Sommer 1945 auf Umwegen eher zufällig in Güntersleben untergekommen.

Nachdem der zweite Lehrsaal im Kolpinghaus wieder hergestellt war, konnte auch für die 5. Jahrgangsstufe am 1. Dezember 1945 der Unterricht wieder beginnen. Als weitere Lehrkraft wurde Elisabeth Mainka (später verh. Genzel), die Tochter von Ludwig Mainka, eingestellt. Sie hatte noch in den letzten Kriegsmonaten ihre Lehrerausbildung absolvieren können.

Endlich wieder Schule für alle

Erst im Mai 1946 war dann wieder für alle 8 Jahrgangsstufen Unterricht möglich. Zum gleichen Zeitpunkt war der Schule in Güntersleben acht Jahre nach dem 1938 angeordneten „Abbau der klösterlichen Lehrkräfte“, wie es in der Sprache der Nationalsozialisten hieß, mit M. Pilar Sträußl wieder eine Ordensfrau als Lehrerin zugewiesen worden. Sie blieb allerdings nur wenige Monate, bevor ihr für längere Zeit Schwester Elfriede Strümpfler folgte.

380 Schülerinnen und Schüler besuchten nach Wiederaufnahme des Vollbetriebs die Schule in Güntersleben und es sollten in der Folgezeit in der Spitze sogar 394 werden. Zu einem nicht geringen Teil kamen sie aus den Familien, die als Evakuierte, Flüchtlinge oder Vertriebene im Dorf Aufnahme gefunden hatten. Im Nachhinein lässt sich kaum ermessen, welche Belastung das für die zunächst nur vier Lehrkräfte gewesen sein muss. Als Unterrichtsräume hatten sie nur die vier gleichen Lehrsäle – drei im Kolpinghaus und einer über der Kinderbewahranstalt -, die schon vor dem Krieg für die damals 250 Schulkinder als unzureichend angesehen wurden. Für die nächsten Jahre war daher sogenannter Wechselunterricht angesagt, bei dem ein Teil der Schülerinnen und Schüler am Vormittag und der andere Teil am Nachmittag Unterricht hatte. Die Schulzimmer waren also von 7 Uhr bis 17 oder 18 Uhr, nur unterbrochen durch die Mittagspause, belegt und die gleiche Zeit standen der Lehrer und die Lehrerinnen vor ihren Klassen.

Acht Lehrkräfte und vier Klassenzimmer

Zumindest personell entspannte sich seit Anfang 1947 die Situation allmählich. Mit Maria Dümler im Februar 1947 und Alfons Mayer im Mai 1948 wurden zwei erfahrene Lehrer wieder in den Dienst an ihrer früheren Schule eingestellt, nachdem ihre Entnazifizierungsverfahren abgeschlossen waren. Mit häufiger wechselnden weiteren Lehrkräften waren seit Mai 1948 jetzt acht Lehrerinnen und Lehrer im Einsatz. Da diesen aber nach wie vor nur vier Lehrsäle zur Verfügung standen, musste weiterhin für die verschiedenen Klassen der Unterricht im Wechsel am Vormittag oder am Nachmittag abgehalten werden.

Zum Ende des Jahres 1948 schied die Lehrerin Betty Kaiser, die als Lehrerin der ersten Stunde 1945 den Schulbetrieb wieder in Gang gebracht hatte, aus dem Dienst aus. Sie ging nicht aus freien Stücken, denn für ihre Familie mit drei Kindern hätte sie das Einkommen aus ihrer beruflichen Tätigkeit nach wie vor gut gebrauchen können. Da es aber mittlerweile wieder genügend Lehrerinnen und Lehrer gab, machte die Ministerialbürokratie von einer noch bis 1951 geltenden Regelung im Beamtenrecht Gebrauch, wonach verheiratete Frauen entlassen werden konnten, wenn ihre wirtschaftliche Lage gesichert war. Ausnahmen wurden, wie auch in diesem Fall, nur geduldet, wenn „Not am Mann“ war.

Im Januar 1949 wurde der aus Güntersleben gebürtige Hauptlehrer Gottfried Beck nach seiner Entlassung aus einem amerikanischen Internierungslager an der Schule seiner Heimatgemeinde neu eingestellt. Zweieinhalb Jahre später wurde ihm im August 1951 das Amt des Schulleiters übertragen.

Seit 1948 war durch die mittlerweile einsetzende Rückkehr von evakuierten Familien in ihre Heimatstadt Würzburg oder in ihre Herkunftsorte in anderen Regionen Westdeutschlands auch stetig die Zahl der Schülerinnen und Schüler gesunken. Im September 1949 betrug deren Zahl noch 290, was die Schulaufsicht zum Anlass nahm, eine Lehrerin ersatzlos auf eine andere Stelle zu versetzen. Im September 1950 wurde eine weitere Stelle gestrichen, so dass von da an nur noch sechs Lehrer in Güntersleben unterrichteten.

Ein neues Schulhaus und wieder Normalität

Auch für die nach wie vor drückende Raumnot kam ein Ende in Sicht. Im Mai 1950 war der Grundstein für den Neubau eines Schulhauses (heute das Haus der Generationen) gelegt worden. Ein mutiges Unternehmen, kaum zwei Jahre, nachdem durch die Währungsreform auch die Geldbestände der Gemeinde weitgehend entwertet worden waren. Im September 1951 wurde das Schulhaus als erster Neubau einer Schule im Landkreis Würzburg nach Kriegsende eingeweiht. Im nachfolgenden Oktober konnten die sechs Lehrerinnen und Lehrer in den sechs neuen Klassenzimmern den Unterricht für die (durch weitere Wegzüge nur noch) 265 Schülerinnen und Schüler aufnehmen. Kein Wechselunterricht mehr und alle Schüler in einem Haus. Die Nachkriegszeit war für die Schule in Güntersleben zu Ende.

09/2024

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Bild zeigt das Lehrerkollegium nach der Schuleinweihung (v.l.): Alfons Mayer, Ludwig Mainka, Maria Dümler, Schulleiter Gottfried Beck, Hildegard Hammer (Kästner), Alfons Kiesel.

Die Festhalle und ihre rekordverdächtige Baugeschichte

Nach mehr als 50 Jahren intensiver Nutzung wurde im Frühjahr 2024 die schon länger als notwendig angesehene Renovierung der Festhalle in Angriff genommen. Beim Maternusfest im September sollte die Halle wieder genutzt werden können. Wie es scheint, kann dieses bei der Beschlussfassung im Gemeinderat vorgegebene Ziel auch eingehalten werden, was nach aller Erfahrung bei öffentlichen Bauvorhaben heutzutage eher selten gelingt. Da lohnt ein Blick zurück auf den Bau der Festhalle im Jahr 1971. Vom Aushub der Fundamente bis zum ersten Fest in der Halle benötigte man damals nur 32 Arbeitstage.

Die Dreschhalle – sturmerprobt und plötzlich baufällig?

Wo heute die Festhalle steht, stand vorher eine Dreschhalle. Sie war 1938 von einer Dreschgenossenschaft gebaut worden, zu der sich vier ortsansässige Bauern zusammengetan hatten. 1948 kaufte die Gemeinde den Landwirten die Halle ab. Nach der Ernte im Sommer waren in der Halle immer mindestens eine und oft auch zwei Dreschmaschinen in Betrieb. Kleinbauern und Grundbesitzer, die nebenbei ein paar Äcker anbauten – und das waren die meisten Familien im Dorf – fuhren ihr abgeerntetes Getreide zur Halle, um es dreschen zu lassen. Anschließend kamen die Dreschmaschinen reihum auf den Höfen der Bauern zum Einsatz, die eine eigene Scheune zum Einlagern der Ernte hatten.

Im Frühsommer und nach der Dreschsaison wurde die Dreschhalle auch für Vereinsfeste genutzt. Die offene Halle, ein Holzständerbau mit einem Ziegeldach, wurde dabei oftmals mit Zeltplanen für größere Besucherzahlen erweitert. Dass sich unmittelbar daneben im heutigen Dürrbachpark die Trinkwasserquellen für den Ort befanden, wurde in Kauf genommen. Der Dreschbetrieb und die Festveranstaltungen ohne Sanitäreinrichtungen haben sicher dazu beigetragen, dass die Trinkwasserqualität bei den behördlichen Untersuchungen nahezu regelmäßig beanstandet wurde.

Die Dreschhalle selbst zeigte sich jeglichen Stürmen, welcher Art auch immer, gewachsen. Dazu gehörten groß gefeierte Vereinsjubiläen und Feuerwehrfeste. Verbürgt ist, dass einmal bei einem solchen über ein Festwochenende heute unvorstellbare 68 Hektoliter Bier durch die offenbar ausgedörrten Kehlen rannen. Im Wortsinne stürmisch war es auch, als 1968 während eines Feuerwehrfestes über die vollbesetzte Halle ein heftiges Unwetter niederging. Das verwässerte zwar das Bier in den Krügen mancher Gäste unter den angebauten Zeltdächern, richtete aber an der Halle selbst keinen erkennbaren Schaden an.

1968 war auch das Jahr, in dem zum letzten Mal in der Halle gedroschen wurde. Danach war die Zeit der Dreschmaschinen vorbei. Sie wurden abgelöst von den Mähdreschern, bei denen die Körner gleich auf dem Feld von den Halmen getrennt werden.

Keine drei Jahre, nachdem die Dreschhalle dem heftigen Unwetter getrotzt hatte, sollte sie auf einmal baufällig sein. Und das kam so.

Wie aus einem angekündigten Umbau ein Neubau wurde

Am Ende einer Gemeinderatssitzung am 21. Januar 1971 lud Bürgermeister Alfons Müller zu einer Besprechung wegen der „Herrichtung des Festplatzes und der Festhalle im Hinblick auf die bevorstehenden Vereinsfeste der Kolpingsfamilie und des TSV“ ein, wie im Sitzungsprotokoll zu lesen ist. Gemeint war das bevorstehende 20-jährige Stiftungsfest der Kolpingfamilie, das über ein Wochenende um den 12. Juni unter zahlreicher Beteiligung auswärtiger Vereine am Dreschplatz gefeiert werden sollte, und nachfolgend das Sommerfest des Sportvereins.

Bei der Besprechung am Sonntag nach der Gemeinderatssitzung verkündete der Bürgermeister zur nicht geringen Überraschung der Teilnehmer: Die Halle ist baufällig und kann für Feste so nicht mehr genutzt werden. Um nicht allzu sehr zu verschrecken, sprach er davon, dass ein „Umbau“ nötig sei. Nach einem statischen Gutachten über den Zustand der Halle fragte niemand. Es gab auch keines.

Am 19. April – weniger als zwei Monate vor dem ersten der beiden Feste – stand das Thema wieder auf der Tagesordnung des Gemeinderats. Laut Einladung sollte es erneut nur um einen „Um- und Erweiterungsbau der Dreschhalle“ gehen. Tatsächlich legte der Bürgermeister dem Gemeinderat einen Bauplan für einen kompletten Neubau vor. Noch in der gleichen Sitzung wurde darüber abgestimmt und der Neubau der Halle war beschlossen. So schnell ging das damals.

Der Bau beginnt

Gleich am nächsten Tag, am 20. April, steckte der Bürgermeister höchstpersönlich mit einigen Gemeinderäten und Helfern die Umrisse der Halle ab. Zwei Tage später rückte der ortsansässige Tiefbauunternehmer Reißer mit seinem Schieber an und legte die Dreschhalle ein, was ihm nach einer handschriftlichen Notiz des Bürgermeisters „großes Vergnügen bereitete“.

Am Samstag darauf – am 24. April und gerade noch sieben Wochen vor dem Kolpingfest – begannen die Bauarbeiten. Ohne eine Baufirma und ausschließlich mit freiwilligen Helfern. Die Gemeinde und die Vereine riefen zur Mitarbeit auf. Wenn der Bürgermeister darauf gesetzt hatte, dass der Termindruck viele Helfer mobilisieren würde, dann ging seine Rechnung voll auf. Abends und am Samstag wimmelte es auf der Baustelle von Maurern, Verputzern, Zimmerleuten und anderen Bauhandwerkern sowie Hilfskräften. Mancher wurde auch vom Bürgermeister persönlich am Samstag in der Früh aus dem Haus geklingelt. Denn Handys gab es noch keine und Telefone nur in wenigen Haushalten.

In der Funktion des Oberbauleiters sah sich der Bürgermeister. Die Bauleitung vor Ort übertrug er dem Gemeindediener Anton Öhrlein, besser bekannt als Polizeidiener.

Kaum dass begonnen war, beschloss der Gemeinderat, die Halle noch um ein paar Anbauten zu vergrößern. Als der Statiker, dem man die Pläne ohne ausdrücklichen Prüfauftrag vorher gezeigt hatte, davon erfuhr, teilte er schriftlich mit, dass er wegen der geänderten Ausführung jede Verantwortung für die Standsicherheit ablehne. Die Halle wurde ohne seine Freigabe gebaut – und steht heute noch. Auch dem Polizeidiener war der wilde Betrieb auf der Baustelle bald zu bunt geworden und so gab auch er dem Bürgermeister schriftlich, dass er nicht mehr gewillt sei, auf dieser Baustelle Verantwortung zu übernehmen.

Es passierte trotzdem kein ernsthafter Unfall. Überliefert ist nur ein größeres Malheur mit Unterhaltungswert: Als man den Türsturz über dem Haupteingang, der ein paar Tage vorher betoniert worden war, ausschalte, brach der schneller, als die Akteure schauen konnten, in sich zusammen. Die Ursache war schnell ermittelt: Der Sturz war spätabends betoniert worden, und da hatten die Helfer beim Herstellen des Betons – aus Unkenntnis oder wegen der schlechten Sicht – Kalk statt Zement in die Mischmaschine gefüllt.

Bauen ohne Baugenehmigung

In der Gemeinderatssitzung am 16. Mai, als die Außenmauern schon hochgezogen waren, teilte der Bürgermeister mit, dass es immer noch keine Baugenehmigung gab. Das Wasserwirtschaftsamt stelle sich quer wegen der Trinkwasserquellen direkt nebenan. Es verlangte eine verbindliche Erklärung, dass sich die Gemeinde ehestmöglich an die Fernwasserversorgung anschließen werde. Im Gemeinderat stieß diese eigentlich nachvollziehbare Forderung auf wenig Verständnis, was zu dem schon recht mutigen Beschluss führte: Auch ohne Baugenehmigung „muss unbedingt weitergebaut werden, um die Bauvollendung bis zum Kolpingfest zu gewährleisten.“

Das war dem Landratsamt dann doch zu viel. Mit Bescheid vom 21. Mai ordnete es schriftlich die Baueinstellung an. In Güntersleben interessierte das niemand. Es wurde ohne Unterbrechung weitergebaut. Und dann passierte das Gegenteil von dem, was man eigentlich erwarten musste. Am 27. Mai erteilte das Landratsamt, ohne besondere Auflagen, die Baugenehmigung. Das war zwei Tage, bevor der Dachstuhl aufgesetzt wurde. Immerhin war der dann kein Schwarzbau mehr.

Punktgenauer Zieleinlauf

Am 9. Juni war das Dach gedeckt und damit der Rohbau abgeschlossen. Es war der 32. Arbeitstag seit dem ersten Spatenstich (wenn es einen solchen gegeben hätte), ein Mittwoch. Am Donnerstag war Fronleichnam. Am Freitagabend wurde in der neuen Halle das erste Fass Bier angestochen und das Festwochenende zum Kolpingjubiläum eröffnet.

In den nächsten Wochen ging die Arbeit weiter, aber jetzt in etwas langsamerem Tempo. Die Wände und die Fassade wurden verputzt, die Türen eingebaut und einiges andere, was noch fehlte.

Als die Halle eine Woche nach dem Maternusfest im September 1971 eingeweiht wurde, konnte der Bürgermeister eine stolze und in vielerlei Hinsicht rekordverdächtige Bilanz vorlegen: 8.000 unentgeltliche Arbeitsstunden. 400 freiwillige Helfer und damit über die Hälfte aller arbeitsfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren im Dorf. Nur 100.000 DM Baukosten.

Auch der Landrat fand bei der Einweihung lobende Worte. Bei der festlichen Stimmung versagte er sich einen Hinweis darauf, wie schwer sich sein Amt damit tat, dem anfänglichen Schwarzbau doch noch den behördlichen Segen zu geben. Jeder verstand aber, was er meinte, als er „den spontanen Entschluss des Gemeinderats“ erwähnte.

06/2024

 

 

Bader – Krankenschwestern – Ärzte

Einrichtungen des Gesundheitswesens wie Arztpraxen, Apotheke, Pflegedienst, Physiopraxis sind wesentliche Bestandteile der Infrastruktur, auf die auch in Güntersleben keiner verzichten möchte. Dabei gibt es diese Dienste am Ort allesamt erst seit der zweiten Hälfte oder sogar erst seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts.

Die Bader

Die frühesten und für lange Zeit einzigen Heilkundigen, die uns im Dorf begegnen, waren die Bader. Sie gingen ihrem Gewerbe umherreisend nach, wie der bekannte Doktor Eisenbarth, oder waren auch für mehr oder weniger lange Zeit im Dorf ansässig. Die Berufsbezeichnung der Bader leitet sich von der Tätigkeit in den mittelalterlichen Badestuben der Städte ab. Sie waren zunächst Gehilfen bei der Körperpflege, vor allem beim Rasieren und Haareschneiden. Dazu kamen dann aber auch einfachere medizinische Verrichtungen wie die Behandlung von Verletzungen und Knochenbrüchen, Senkung von Bluthochdruck durch Aderlasse, Ausreißen schadhafter Zähne und schließlich auch die Leichenschau. Manche hatten eine rudimentäre Ausbildung, andere vertrauten auf ihre selbst erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen.

1629 erwirbt Bartholomäus Gering oder Gerig, mutmaßlich aus Thüringen oder Sachsen stammend, in Güntersleben das Bürgerrecht. In der Beurkundung wird er als „Baderhandwerker“ bezeichnet. Danach fehlen weitere Nachrichten über ihn. Er scheint also das Dorf bald wieder verlassen zu haben.

Anders als er ließ sich Stephan Lichtlein aus Rupprechtshausen nach seiner Eheschließung mit einer Günterslebener Bauerntochter hier dauerhaft nieder. Im Heiratseintrag von 1753 in der damals noch lateinisch abgefassten Pfarrmatrikel wird er als „chirurgus“ bezeichnet. Ein Hinweis darauf, dass er offenbar medizinische Kenntnisse hatte. In seinem Sterbeeintrag von 1798 steht „balneator“, der lateinische Begriff für Bader.

Allein von seiner Tätigkeit als Bader konnte im Dorf niemand leben. Die Bader waren daher üblicherweise Bauern, die sich nur nebenher der Körper- und Gesundheitspflege ihrer Mitbewohner widmeten. So auch Andreas Herbert, der einen größeren Bauernhof unten an der Zehntgasse hatte und nur einmal, 1857 bei der Geburtsanzeige einer Tochter, in einem amtlichen Buch als Bader erscheint.

Der letzte seiner Zunft war Valentin Kuhn (1836-1926). In allen amtlichen Einträgen lautet seine Berufsbezeichnung Bauer. Doch seine Zeitgenossen kannten ihn vor allem als Bader, bei dem sie Hilfe suchten, zumal zu seinen Lebzeiten nach wie vor ärztliche Hilfe nur aus Nachbarorten erreichbar war. Er war so populär, dass er für die Dorfbewohner allgemein der „Doktor Velt“ war. Die offenkundig respektvolle Titulierung ging auch auf seine Nachfolger und Hoferben, den Sohn „Doktersch Sepper“ und die Enkelin „Doktersch Tilla“ über.

Hebammen

Die zweite Berufsgruppe mit – auf ihre Tätigkeit bezogenen – medizinischen Kenntnissen waren im Dorf die Hebammen. Bei den gegenüber heute unvergleichlich größeren Risiken, mit denen eine Geburt für Mutter und Kind früher verbunden war, waren sie in abseits gelegenen Orten wie Güntersleben geradezu lebensnotwendig.

In den Geburtseinträgen der Pfarrei ist seit 1804 immer auch der Name der Hebamme angegeben, die es freilich schon lange vorher gegeben haben dürfte. Spätestens seit 1814 hatten die Hebammen in Güntersleben eine Ausbildung an der Hebammenschule in Würzburg und nahmen an Fortbildungen teil. Die Kosten dafür trug die Gemeinde. Ansonsten waren die Hebammen auf eigene Rechnung tätig und die längste Zeit auf die Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft derer angewiesen, die ihre Dienste in Anspruch nahmen. Bevor die Oberzeller Klosterschwestern die Krankenversorgung in Güntersleben übernahmen, konnte man sich auch Salben und Tabletten bei der Hebamme holen, die davon immer einen kleinen Vorrat hatte.

Spital und Pflegeheim – nicht für alle

Seit 1580 bestand in Würzburg das Juliusspital, errichtet von seinem Stifter und Namensgeber Fürstbischof Julius Echter für Kranke und Pflegebedürftige. Ganz einfach war es aber nicht, dort Aufnahme zu finden. Voraussetzung dafür war ein Antrag der Gemeinde, verbunden mit einem ausführlichen Gutachten, in dem sich der Ortsarmenrat zu den persönlichen Verhältnissen, zur Bedürftigkeit und vor allem auch zum Lebenswandel der Betreffenden äußern musste. So war zum Beispiel die Feststellung in einem Aufnahmegesuch von 1844, der 76-jährige Pflegebedürftige habe sein Vermögen „durch übermäßiges Zechen vergeudet und ist so durch eigene Schuld in Armut geraten“, wohl dafür ausschlaggebend, dass ihm kein Platz zugewiesen wurde. Gleiches dürfte ein Jahr später einer 74-jährigen Witwe widerfahren sein, der die Gemeinde bescheinigen musste, sie habe „früherhin ein zum standesgemäßigen Auskommen zureichendes Vermögen besessen, aber solches durch übermäßiges Zechen vergeudet.“

Wer keine pflegenden Angehörigen hatte und keine Aufnahme in ein Pflegestift fand, für den blieb dann oft nur das Armenhaus der Gemeinde. In dem seit 1850 zu diesem Zweck umgebauten früheren Hirtenhaus am Kuhhaug war auch ein Krankenzimmer eingerichtet. Mit der Versorgung betraute der Ortsarmenausschuss, wenn möglich, Mitbewohner im Armenhaus oder andere hilfsbereite Personen aus dem Dorf.

Die Krankenschwestern

Das Jahr 1907 brachte die medizinische Betreuung im Dorf einen großen Schritt nach vorne. Pfarrer Nikolaus Beck gelang es, das Kloster der Oberzeller Schwestern für die Einrichtung einer Sta­tion zur ambu­lanten Kran­­ken­­ver­sorgung in Güntersleben zu gewinnen.  Als örtlichen Trä­ger rief er im gleichen Jahr einen Krankenpflegeverein ins Leben. Dieser richtete das Ober­ge­schoss eines Anwesens in der Langgasse als Schwesternwohnung und Krankenstation ein. Das Haus, das heu­te nicht mehr steht, war dem Verein als private Stiftung für diesen Zweck zunächst zur Hälfte überlassen worden; 1950 wurde ihm auch die andere Hälfte übereignet.

Über 50 Jahre leisteten anfangs drei, später zwei Klosterschwe­stern mit großer Hingabe ihren Sama­riterdienst in der Gemein­de. Sie waren Tag und Nacht erreichbar, hatten in ihrer Station ein kleines Behandlungszimmer und suchten Kranke und Pflege­bedürftige zu Hause auf. Einen Eindruck vom Umfang und der Art ihres Einsatzes gibt eine Statistik des Di­öze­san­­caritas­ver­bandes von 1930. Dort heißt es über die Station in Güntersleben: „2 Die­ner­­innen von der hl. Kindheit Jesu betreuten 1930: 459 Kran­ke in 54 Tagespflegen, 101 Nacht­­wachen, dazu 5121 Besuche mit Dienstleistungen und 387 Verbände im Schwes­tern­haus.“

Wo für viele Leiden noch spezielle Medikamente fehlten, vertrauten die Krankenschwestern der Naturheilkunde. Sie legten Lehm- oder Quarkwickel an, kochten Tee und Heilwässer aus Heublumen, Brombeerblättern, Johanniskraut und verschafften Linderung durch Hilfsmittel ähnlicher Art.

1958 musste das Oberzeller Kloster aus Mangel an Nachwuchskräften die Krankenschwes­tern abberufen. In die Lücke traten die Franziskanerinnen aus dem Kloster Maria Stern in Augs­­burg. Sie be­treuten bereits seit 1873 die damals gegründete Kinderbewahranstalt in Gün­ters­leben und wa­ren mit jeweils einer Lehrerin im Schul­dienst tätig. Mit einer zusätzlich abgeord­neten Schwester übernah­men sie jetzt auch die Krankenbetreuung in Güntersleben. Der Kran­ken­pflegeverein stattete die Station der Sternschwestern im 1954 gebauten Kinder­garten an der Weinbergstraße mit den notwendigen zusätzlichen Einrichtungen aus. Die Mittel dafür brachte er durch den Verkauf des Anwesens in der Langgasse auf, das jetzt nicht mehr be­nö­tigt wurde.

Als sich 1963 auch die Sternschwestern nicht mehr in der Lage sahen, eine Krankenschwester für Güntersleben abzustellen, und anderweitiger Ersatz nicht zu bekommen war, löste sich der Krankenpflegeverein auf, weil er seinen satzungsgemäßen Aufgaben nicht mehr nachkommen konnte. Er war mit zu­letzt 380 Beitragszahlenden aus fast allen Familien der mitgliederstärkste Verein im Dorf.

Zehn Jahre war Güntersleben ohne Pflegedienst, bevor 1973 die Sozialstation des Paritätischen Wohlfahrtverbandes die ambulante Pflege übernahm. Ergänzt wurde das Angebot 2008 durch eine Tagespflegestätte der Caritas im Haus der Generationen.

Ärzte erst nur in den Nachbargemeinden

Wenn bisher von Ärzten keine Rede war, dann ist der Grund einfach: Bis nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Ärzte, die in Güntersleben ansässig waren. Da waren die umgebenden Dörfer schon viel früher dabei. Einem Bericht der Ortsarmenkommission aus dem Jahr 1806 ist zu entnehmen, dass man in einem dort angeführten Krankheitsfall nach einem „Chirurgen zu Rimpar“ auch noch einen „examinierten Chirurgen und Geburtshelfer zu Thüngersheim“ zu Rate gezogen habe.

Dass sich anders als hier in den umliegenden Dörfern Ärzte niederließen, erklärt sich zunächst damit, dass diese deutlich mehr – Thüngersheim zu Beginn des 19. Jahrhunderts sogar doppelt so viele – Einwohner zählten als Güntersleben. Zudem konnten Ärzte im Marktort Rimpar, in der Beamtengemeinde Veitshöchheim und im Weinort Thüngersheim auf eine zahlungskräftigere Klientel hoffen als bei den Kleinbauern in Güntersleben. Eine ärztliche Behandlung nahm man hier, solange man noch nicht krankenversichert war, nur im äußersten Notfall in Anspruch.

Wenn man unumgänglich einen Arzt in Güntersleben brauchte, musste man einen Boten in einen der Nachbarorte schicken. Seit 1900 gab es zwar ein Telefon in der Poststelle. Anrufe konnten von dort aber nur während der Dienststunden getätigt werden.

Am kürzesten war der Weg noch zu den Ärzten in Rimpar, die daher auch diejenigen waren, die in Güntersleben am weitaus häufigsten in Anspruch genommen wurden. Doch auch bis sie in dringenden Fällen bei den Patienten eintrafen, dauerte es. Denn bis gegen Ende des Ersten Weltkrieges legten sie die 4 Kilometer über Berg und Tal nach Güntersleben mit dem Fahrrad, auf einem Reitpferd oder in einer Kutsche zurück. Mit den Autos, die sie früher als irgendwer in Güntersleben besaßen, ging es dann doch schon etwas schneller.

Mit der Ausweitung des Versicherungsschutzes und damit folgend der größeren Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen kamen die Ärzte aus den Nachbargemeinden dann auch regelmäßig zu Behandlungstagen nach Güntersleben. Die Dorfgasthäuser waren ihre Anlaufstellen, beim einen die Krone in der Rimparer Straße (Bild), beim anderen der Schönbrunnen oben bei der Kirche. Dort konnte man den Wunsch nach einer Visite anmelden oder sich direkt zu einer Behandlung einfinden. Wollte man den ortsfremden Ärzten die Orientierung erleichtern, signalisierte man mit einem Handtuch, das man auf einem Stock aus dem Fenster hängte, dass man einen Besuch wünschte.

1947 richtete der aus dem Sudetenland stammende Dr. Ernst Haab die erste Hausarztpraxis in Güntersleben ein. Nach der Maternusapotheke im Jahr 1977 ließ sich 1982 auch der erste Zahnarzt hier nieder. Seitdem ist die medizinische Grundversorgung in Güntersleben auch vor Ort gewährleistet.

04/2024

 

Die mühsamen Anfänge der Sportbewegung in Güntersleben

 Politisch verdächtig und moralisch suspekt.

Friedrich Ludwig Jahn, der als Turnvater in die Geschichte eingegangen ist, richtete 1811 auf der Ber­liner Hasenheide den ersten öffentlichen Turnplatz ein. Von Berlin aus verbreitete sich die Turnerbewegung in Deutsch­land. 1846 wurde in Lohr der erste Turnverein in Unterfranken gegründet, 1848 entstand die Turngemeinde Würzburg.

Vereine wurden als neuartige Organisationsform argwöh­nisch von der staatlichen Obrigkeit beobachtet. Die bekannte Losung „frisch – fromm – fröhlich – frei“ klingt für uns heute viel harmloser, als sie damals wahrgenommen und auch ge­meint war. Spätestens als sich die Turner in den 1840er Jahren mancherorts mit den Frei­heits­be­wegungen verbündeten, sah man die Vereine als Tarnorganisationen von Demokraten und Patri­oten und damit als Ge­­fahr für die autoritär ausgerichtete Staatsführung. So wurde auch die TG Würzburg 1853 vorübergehend verboten, weil „sie de­struk­tive Ten­denzen verfolge, welche den gesetzlichen Grundlagen des Staates ent­legen sind.“

Den weiteren Siegeszug des Turnens, damals auch Leichtathletik, Schwimmen und Wandern umfassend, konnten diese staat­lichen Restriktionen nicht aufhalten. Der Vereinsgedanke fand immer mehr Anhän­ger. 1862 gab es schon 34 Turnvereine in Unterfranken. Turnen wurde Teil der Schulausbildung.

In Güntersleben können wir diese Entwicklung – mit einer zeitlichen Verzögerung von ein paar Jahrzehnten – auch nachvollziehen.

Turnen in der Schule

1874 lesen wir im Jahresbericht der Schule: „Schulturnen wurde wegen Mangel an Zeit nicht betrieben.“ Gemeint war nicht, dass der andere Unterrichtsstoff zu umfangreich war, sondern dass die Kinder zu Hause auf dem Hof und auf dem Feld gebraucht wurden. Erst fünf Jahre später wird 1879 berichtet, dass jetzt wöchentlich zwei Stunden Schulturnen stattfanden – aber nur in den höheren Klassen.

In den unteren Klassen dauerte es noch. 1885, also weitere 6 Jahre später, hatten diese dann auch Turnunterricht. Im Sommer eine halbe Stunde und im Winter eine viertel Stunde die Woche. Nachdem man damals noch keine Turnkleidung kannte, ging wenigstens nicht auch noch ein Teil dieser kargen Minuten für das Umziehen verloren.

1891 hielt der Distriktsschulinspektor (Vorgänger unseres Schulrats) in seinem Visitationsbericht über die unteren Schulklassen fest, dass er „die angeordnete Turnlehrprobe bald wieder abbrechen ließ, da nur ganz elementare Anfangsübungen vorgeführt wurden und da aus den widersprechenden Angaben der Lehrer geschlossen werden mußte, daß während des Sommersemesters gar nicht oder nur sehr wenig geturnt wurde. Die Turnstäbe stehen verrostet in einem Winkel eines Schulzimmers.“

Nach den Berichten der folgenden Jahre wurde der Turnunterricht weiter recht stiefmütterlich behandelt. Eine halbe Stunde in der Woche für die Großen wie für die Kleinen, mehr war nicht drin. Einen Sportplatz gab es nicht. Geturnt wurde auf dem Kirchplatz, damals noch der Schulhof. Im Winter durfte die Schule zum Turnen im Rathaus (heute Altes Rathaus) „ein kleines Zimmer“ nutzen. Vielleicht musste auch deshalb schon nach einer halben Stunde Schluss sein, weil sonst die Kinder womöglich erstickt wären.

Eigentlich hätte der Pfarrer, der als Lokalschulinspektor die Aufsicht über die Schule führte, für einen ordentlichen Turnunterricht sorgen müssen. Doch von dem war nichts zu erwarten. 1897 beteuerte er in einem Schreiben an seine vorgesetzte Dienststelle zwar, dass er gegen die Aufnahme des Turnunterrichts in den Stundenplan „durchaus nichts einzuwenden“ habe. Im gleichen Schreiben beanstandete er aber, dass der junge Lehrer Herbig, mit dem er ohnehin ständig im Clinch lag, den Stundenplan bereits abänderte und den Turnunterricht ansetzte, wogegen er „Verwahrung einlegen“ müsse. Turnen fand damals selbstverständlich getrennt nach Geschlechtern, also immer nur für einen Teil der Kinder statt. Dass sich die anderen während dieser Zeit ohne Aufsicht im Klassenzimmer aufhielten, wollte der Pfarrer „aus Gründen der sittlichen Zucht“ nicht dulden.

Das hatte zur Folge, dass das Turnen jetzt außerhalb der eigentlichen Unterrichtszeit stattfinden musste. Wenn die einen Kinder – Mädchen oder Jungen – schon nach Hause durften, kann man sich gut vorstellen, mit welcher Begeisterung die anderen noch die Turnübungen absolvierten. Ganz zu schweigen von den Eltern, von denen die wenigsten Verständnis dafür aufbrachten, dass ihre Kinder auf diese Weise von der häuslichen Arbeit abgehalten wurden.

Der vom Pfarrer gerüffelte junge Lehrer wollte das aber nicht auf sich beruhen lassen und schrieb an die Schulbehörde: Er müsse sich „wundern, warum der Herr Lokalschulinspektor sich gerade jetzt des Turnens so tatkräftig annimmt“, wo er bisher noch nie danach gefragt und außerdem einen Praktikanten zur Rede gestellt habe, weil der während der Unterrichtszeit Turnunterricht erteilt habe. Zudem habe der Herr Pfarrer Schüler, die den Übungen des neu gegründeten Turnvereins zusahen, „eigenhändig körperlich gezüchtigt“. Ob denn auf solche Weise Freude am Turnen geweckt werde?

Die Vorhaltungen des Lehrers waren offenbar zutreffend, denn sie blieben unwidersprochen. Aber er erhielt von der Schulbehörde einen Verweis „wegen ungeziemender Schreibweise und wegen Nichtbeachtung seiner dienstlichen Stellung gegenüber der Lokalschulinspektion“.

Der Turnverein

Die Turnbewegung war indessen auch außerhalb der Schule in Güntersleben angekommen. Zum Missfallen nicht nur des Pfarrers, sondern auch der konservativen Dorfobrigkeit.

1893 richteten einige junge Männer einen ersten Turnplatz ein. Ausgerechnet gegenüber der Schule – dem jetzigen Kolpinghaus – an der Weinbergstraße. Es mag Zufall gewe­sen sein, weil dort eben ein Grundstück zu bekommen war. Tatsächlich musste schon die Wahl die­ses Standortes als Provokation wirken, mit entsprechenden Reaktionen des Pfarrers, wie dargestellt.

Die jungen Männer in Güntersleben machten dann allerdings den gleichen Fehler, den 50 Jahre vorher die Turner bei der Gründung der ersten Vereine in Deutschland machten. Sie verbündeten sich mit den Kräften, die die hergebrachte Ordnung im Dorf aus den Angeln heben wollten. Und das konnte nicht gutgehen.

Die missglückte Fahnenweihe

1896 oder etwas später kam es zu einem Vorfall, von dem nur feststeht, dass es ihn tatsächlich gab. Die Version, die man in Sportlerkreisen erzählte, lautet so: Der Verein hatte sich eine Fahne gekauft. Die sollte eine Woche nach dem Sonntag geweiht werden, an dem herkömmlich die Wallfahrt nach Retzbach stattfand. Man wird wohl davon ausgehen können, dass das mit dem Pfarrer abgesprochen war, denn wer hätte sonst die Fahne weihen sollen. Wegen schlechten Wetters wurde dann aber die Wallfahrt um eine Woche auf den Sonntag verschoben, an dem die Fahnenweihe geplant war. Noch während die Wallfahrer unterwegs waren, machte sich eine Abordnung des Vereins, ebenfalls mit Musik, auf den Weg, um eine Delegation von Würzburger Turnern in Empfang zu nehmen. Dabei sei man unglücklicherweise den Wallfahrern begegnet, die aus Retzbach zurückkehrten. So die Darstellung nach einer späteren mündlichen Schilderung von jemand, der zum Zeitpunkt des Geschehens noch keine zehn Jahre alt war. Wie manches andere passt daran nicht so recht zusammen, wo man sich auf dem Weg nach Würzburg und dem nach Retzbach eigentlich in die Quere kommen soll.

Vom Pfarrer, dem die geplante Fahnenweihe ohnehin nicht behagte, gibt es immerhin schriftliche Aufzeichnungen. Ohne konkret den Turnverein zu nennen, schreibt er, dass an einem Bitttag, an dem wie seit jeher eine kirchliche Prozession stattfand, vom Gasthaus Schönbrunnen ein wilder Umzug ausging. Den geißelte er von der Kanzel mit den Worten, dass damit „die religiöse Überzeugung mit Füßen getreten und zum Gegenstand des Spottes gemacht“ werde. Ob er damit den gleichen Vorgang meinte, bleibt allerdings offen.

Wie dem auch war, der Verein war am Ende, noch bevor er recht ent­standen war. Auf dem Turnplatz brauchte sich keiner mehr sehen lassen. Die Fahne wurde verkauft, ehe sie in Dienst genommen war. Die Turner der 1890er Jahre hatten die politischen und gesellschaftlichen Kräfte­ver­hältnisse im Dorf völlig falsch eingeschätzt. Sie haben sich mit ihrem Aufbegehren gegen die bürger­liche Ordnung im Dorf übernommen. Unter den damaligen Gegeben­heiten konnten sie diese Ausein­andersetzung nicht gewinnen.

Die Turngemeinde von 1905

Aus Schaden wird man bekanntlich klug. Die Fehler ihrer Vorgänger beim ersten ge­scheiter­ten Ver­such einer Vereinsgründung wollten die jungen Männer, die 10 Jahre später einen neuen An­lauf machten, nicht wiederholen.

Sorgfältig darauf bedacht, jeden Anschein einer politischen Zielsetzung zu vermeiden, nah­men sie im Vorfeld Verbindung auf mit den bereits etablierten Turnvereinen in den Nachbar­ge­mein­den Veitshöchheim, Margetshöchheim, Zell und Unterdürrbach, um möglichst keine Fehler zu machen. Als dann am 20. Juni 1905 die Turngemeinde Güntersleben gegründet wurde, stand in der Satzung als Vereinsziel „die körperliche und geistige Ausbildung junger Leute durch Turn­übungen, Gesang und Vorträge.“ Weiter war bestimmt, dass die Mitglieder einen unbescholtenen Ruf und einen tadel­losen Lebenswandel haben mussten. Hohe An­sprüche, die Ängste und Vor­behalte im Dorf ausräumen sollten.

Wohl nicht nur aus Geldmangel verzichtete man zunächst auch auf eine Vereins­fah­ne. Der von vielen als ungeheuerlich empfundene Vorgang aus der Vergangenheit war noch zu gut in Erinnerung. Zudem hatten Vereinsfahnen damals noch eine viel größere Symbolkraft als heute. Die Fahne wurde getragen als Demonstration von Unabhängig­keit und Freiheit und hätte daher leicht als neuerliche Provokation verstanden werden können. So dauerte es bis 1923, ehe die Turngemeinde sich auch eine Fahne zulegte.

Aus der Turngemeinde von 1905, die sich im Dritten Reich wie andere Vereine auch auflösen musste, ging mit der Neugründung 1947 der Turn- und Sportverein hervor.

04/2024

 

 

Damit die Jugend im Sommer nicht alles vergesse

Wie soll das gehen? So fragten sich viele Eltern, als nach dem Ausbruch der Coronapandemie im Frühjahr 2020 ihre Kinder zeitweise nicht mehr in die Schule gehen konnten und zuhause betreut werden mussten.

Wie soll das gehen? Die Frage stellten viele Eltern auch früher schon, wie ein Blick in die Schulgeschichte von Güntersleben zeigt. Aber nicht, weil die Schule geschlossen war, sondern – im Gegenteil – weil ihnen ihre Kinder durch den Schulbesuch bei der häuslichen Arbeit fehlten.

Erst die Arbeit im Haus, im Stall und auf dem Feld. Und erst dann und soweit dafür noch Zeit blieb, der Schulunterricht. Noch Jahrhunderte nach Einrichtung der Schulen in den Dörfern war das die vorherrschende Meinung bei der Landbevölkerung. Es war ein langer und mühevoller Weg, bis sich allmählich die Einsicht und die Bereitschaft durchsetzte, dass ein regelmäßiger Unterrichtsbesuch notwendig und zum Besten der Kinder war. Die Pfarrer standen da meist ziemlich allein da. Von der Gemeindeobrigkeit konnten sie auch in Güntersleben über lange Zeit nur sehr eingeschränkt und oft nur widerwillig gewährte Unterstützung erwarten.

Zeit für die Schule nur im Winter

Noch bis nach 1700 war in Dörfern wie Güntersleben nur im Winterhalbjahr Unterricht. Im Sommer brauchten die Bauern ihre Kinder für die Feldarbeit und dachten nicht daran, sie für die Schule freizugeben. Erst ganz allmählich und sehr behutsam versuchte man den Unterricht weiter über das Jahr auszudehnen, „damit die Jugend im Sommer nicht alles vergesse, was sie im Winter gelernt“, wie der Fürstbischof 1701 schrieb. Aber auch 40 und 50 Jahre später mussten seine Nachfolger immer wieder von neuem dekretieren, dass in den Sommermonaten wenigstens eine oder zwei Stunden Schule am Tag gehalten wurde.

„Bequeme“ Unterrichtzeiten

Damit sich die Bauern – und das waren so gut wie alle im Dorf – damit anfreunden konnten, wurde es den einzelnen Ortschaften überlassen, dafür „bequeme Stunden“ festzulegen. Bequem nicht für die Schüler, sondern bequem in dem Sinne, dass der Arbeitsablauf auf dem elterlichen Hof möglichst wenig beeinträchtigt wurde. Daher begann die sogenannte Sommerschule von Mai bis Oktober in Güntersleben für die höheren Klassen früh um 5 Uhr und endete um 8 Uhr. Mit den unteren Klassen war man etwas gnädiger. Die mussten erst um 6 Uhr erscheinen und blieben bis 9 oder 10 Uhr. Im Winter durften alle etwas länger schlafen. Da begann der Unterricht um 7 Uhr (mit dem Gottesdienst). Das blieb so bis etwa 1870. Erst dann wurden die Unterrichtszeiten auch im Sommer für die Schüler etwas bequemer.

Säumige Schüler und nachlässige Eltern

Trotzdem blieb es ein zäher Kampf, die Schulpflichtigen halbwegs vollzählig in den Unterricht zu bringen. Es war ein Kampf mit den Schülern, aber kaum weniger mit den Eltern. Seit 1836 haben wir Jahresstatistiken, in denen detailliert festgehalten ist, wer wie oft fehlte. Da gibt es Schuljahre wie 1842/43 mit fast 500 unentschuldigten Fehltagen – bei nicht einmal 150 Schülern. Und das war längst nicht die Spitze. Es gab Jahre, da war die Zahl der Schulversäumnisse sogar doppelt so hoch.

Dabei hatte man schon 1819 in Güntersleben beschlossen, dass sich beim Läuten, das den Schulbeginn anzeigte, der Gemeindediener an der Schule einfinden sollte, „um die saumseligen Schulkinder vom Hause abzuholen und in die Schule zu führen“. Auf die Eltern konnte man sich da nicht unbedingt verlassen, heißt es doch in einem Protokoll von 1840: „Manche Familien unterstützen die Schule; viele Familienväter dagegen wirken garnicht mit.“

Vieles wichtiger als der Schulbesuch

Die Entschuldigungen der Eltern, soweit diese solche überhaupt für nötig erachteten, lassen an Einfallsreichtum nichts zu wünschen übrig.

Im April 1820 bat der Gemeindehirt, immerhin „geziemend“, da er seine 5 Kinder höchst nötig habe, ihm diese, „so oft und so lange er mit dem Gemeindevieh, also mit Kühen, Schweinen, Gänsen austreiben müsse, zu überlassen und von der Schulpflicht loszusprechen.“

Im Januar 1847 wurden Andreas Schubert und dessen Ehefrau wegen der Schulversäumnisse ihrer Kinder vor die Lokalschulkommission zitiert. Da sie der Vorladung nicht Folge leisteten, schickte man den Polizeidiener nach ihnen. Den Mann traf er zu Hause erst gar nicht an und die Frau beschied ihm, „sie könne aus Mangel der Kleidung nicht erscheinen.“ Der Polizeidiener musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Im Dezember 1860 erhielt der Polizeidiener den Auftrag, zwei säumige Geschwister zur Schule zu holen. Er traf sie zu Hause zwar an. Als er sie aber zum Mitgehen aufforderte, erhielt er vom Vater die Antwort: „Ich kann meine Kinder nicht zur Schule schicken, ich muß dreschen, wann ich ausgedroschen habe, werde ich sie schon wieder hineinschicken.“

Nach einem Eintrag im Schulprotokoll vom Mai 1867 entschuldigte ein Vater seine Tochter damit, dass er keine Schuhe für sie habe, dabei wurde diese „an anderen Tagen auf der Straße oder im Wald gesehen.“

Dabei setzte die Lokalschulkommission, die allmonatlich unter dem Vorsitz des Pfarrers zusammentrat, alle verfügbaren Zwangsmittel ein. Die älteren Schüler bekamen Geldstrafen, die der Ortsvorsteher eintreiben musste. Und wo man annahm, dass diese „voraussichtlich nicht zu exekutieren wären“, ging man dazu über, diese „durch Bestrafung resp. körperliche Züchtigung der betreffenden Schüler abzumachen“, wie es im Sitzungsprotokoll der Kommission vom Februar 1864 heißt.

Alle Mühe vergebens

Ein hoffnungsloser Fall war der 17-jährige Anton Spohr. Über den heißt es 1865, dass er zwar das Alter habe, aus der Sonntagsschule entlassen zu werden. Aber es sei verfügt worden, dass er diese noch einige Zeit besuchen müsse, „weil dessen Kenntnisse als ganz ungenügend sich erwiesen und derselbe sich nicht einmal die Mühe gegeben habe, eine Probeschrift zur Prüfung zu schreiben.“ Doch Anton Spohr dachte nicht daran, weiter zur Schule zu gehen. Er „wurde mehrmals verwarnt, vor die Schulverwaltung aufs Rathaus geladen, ließ vorsagen, er sei krank, obwohl er eine Stunde vorher vom Vorsteher und Ortsdiener auf der Straße gesehen worden war, erschien jedoch eine Stunde nachher, wurde wegen seines rohen Benehmens einige Stunden in der Schule eingesperrt, aber wieder ohne Erfolg.“ Man legte den Fall dem kgl. Bezirksamt vor, bat aber gleich, „keine Entschuldigung anzuneh­men, da der genannte Schüler behaupten wird, öfter auswärts zu arbeiten, was jedoch immer als unwahr sich erweist, da derselbe jeden Sonntag auf Straßen und in Wirtshäusern dahier zu sehen ist.“ Nachdem er weiterhin die Sonntagsschule nicht besuchte und auch noch an Fastnacht auf dem Tanzboden zu sehen war, brummte man ihm im März des folgenden Jahres erst noch einmal 3 Tage Arrest auf, musste sich dann aber eingestehen, dass alles nichts bewirkte. So stellte man Anton Spohr im April 1866 sein Entlassungszeugnis aus der Sonntagsschule aus. Abgeholt hat der es aber nicht. Deswegen liegt es noch heute im Pfarrarchiv und man kann nachlesen, dass Anton Spohr die Schule mit sehr geringem Fleiße besuchte, sich wenige Kenntnisse erwarb und ein sehr tadelhaftes Betragen pflegte. Die Noten waren entsprechend: Religion gering – Lesen hinlänglich – Deutsch schlecht – Schönschreiben hinlänglich – Rechtschreiben schlecht – Aufsätze hinlänglich – Rechnen schlecht – Gemeinnützige Kenntnisse schlecht. Schlussbemerkung: „Er besuchte Schule und Kirche sehr nachlässig, desto fleißiger aber das Wirtshaus.“ Danach verliert sich die Spur von Anton Spohr.

Geldstrafen und Arrest

Wie sollte man erwarten, dass die Kinder den Schulbesuch ernst nehmen, wenn den Eltern nichts daran gelegen war? Also nahm man auch die verschärft in die Pflicht. Es gab jede Menge Geldstrafen. Wurden die nicht gezahlt, ordnete das Bezirksamt an, das häusliche Mobiliar zu pfänden und zu versteigern. Bevor es so weit kam, zahlten dann doch die meisten. Wo nichts zu holen war, wie beim Schneidermeister Michael Päpst, erfolgte Anzeige an die Staatsanwaltschaft. Die war hier wie in anderen hartnäckigen Fällen nicht zimperlich. Mehr als ein halbes Dutzend Väter und auch Mütter mussten in den Jahren um 1870 Arreststrafen von ein bis drei Tagen in Würzburg absitzen, weil sie sich zu wenig um den Schulbesuch ihrer Kinder kümmerten.

Bevor die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, machte manchmal auch noch der Pfarrer in seiner Funktion als Lokalschulinspektor einen letzten Versuch. Beispiel dafür mag ein Protokolleintrag vom Dezember 1896 sein. Weil er der Krankmeldung eines Schülers durch dessen Eltern nicht traute, machte er sich selbst auf den Weg, „um sich von der Wahrheit der Angabe zu überzeugen und fand den Schüler pfeifend und arbeitend im Hause vor.“ Ob die daraufhin von ihm auferlegte Geldbuße die Eltern fortan zu mehr Ehrlichkeit bewegte, weiß man nicht.

Lieber ins Wirtshaus

Nach dem Ende ihrer Volksschulzeit mussten die heranwachsenden Jugendlichen, in aller Regel bis zum 18. Lebensjahr, noch die Sonntagsschule besuchen. Sie war die Vorläuferin der Berufsschulen, die erst nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt wurden; ihren Namen hatte sie, weil der Unterricht am Sonntag stattfand. Es kann nicht überraschen, dass es manche damit auch nicht allzu ernst nahmen. Vor allem die Wirtshäuser waren zu verlockend. Damit man ihn dort nicht antraf, ließ sich der 16-jährige Johann Zürrlein beim Hirschenwirt einen Maßkrug mit Bier einschenken und trug ihn nach Hause, wie das damals nicht so ungewöhnlich war. Pech für ihn war nur, dass er mit seinem Bierkrug auf der Straße gesehen wurde. „Derselbe erhielt Verwarnung nebst Verweis und wegen Wirtshausbesuches erhielt er 6 Stockhiebe.“ So nachzulesen im Schulsitzungsprotokoll vom 6. April 1913.

Im Krieg muss auch die Schule zurückstehen

Während des Kriegs musste man notgedrungen etwas nachsichtiger sein, wenn Kinder den Unterricht versäumten, weil ihre Väter abwesend waren und sie deren Arbeitskraft auf dem Hof ersetzen mussten. Als man im September 1917 feststellte, dass „eine größere Anzahl Kinder schon seit März und April dem Unterrichte ganz oder teilweise fern geblieben“ war, wurden die Eltern vorgeladen und auf die Pflicht hingewiesen, „die Kinder wenigstens an Regentagen und an Tagen, an denen die Arbeit nicht drängt, zur Schule zu schicken.“ Weil die Kinder nicht entschuldigt waren, erteilte man den Eltern pflichtgemäß immerhin eine Verwarnung. Auch in der verbleibenden Kriegszeit ging man mit eigentlich strafbaren Schulversäumnissen „wegen bestehender Notlage“ nachsichtig um und betrachtete diese als entschuldigt.

Wenn heute Schulkinder von ihren Eltern als vorgeblich krank entschuldigt werden, und das unmittelbar vor Ferienbeginn, dann nicht, weil sie zur Arbeit gebraucht würden, sondern weil man zur Vermeidung von Verkehrsstaus die Abreise in die Ferien vorziehen will. Jede Zeit hat eben ihre eigenen Prioritäten.

07/2022

 

 

 

 

Tadelhafter Lebenswandel und Dienstesnachlässigkeit

 In der Ausgabe vom 10. Februar 1838 erschien im Intelligenz-Blatt von Unterfranken und Aschaffenburg – so nannte sich damals das Amtsblatt der Regierung – unter den vermischten Anzeigen folgender Nachruf:

„Dem aus unserer Mitte geschiedenen, von der königlichen Regierung von hier nach Hersch­feld bei Neustadt versetzten II. Lehrer, Herrn Michael Schäfer, sagen wir ein herzliches Le­behoch, mit dem Wunsche, denselben wegen unserer weinenden Kinder und der Bildung des dahiesigen Musikchors bald wieder in unserer Mitte zu sehen.
Güntersleben, 1. Februar 1838.
Die dankbare ganze Gemeinde, zum Zeugen die unterzeichnete Gemeindeverwaltung: Sebastian Kettemann Vorsteher, Melchior Beck, Pfleger, Matern Pröstler, Lorenz, Keß, Georg Feser, Adam Christ.“

Wer bei den Unterzeichnern fehlte, war der Pfarrer. Dabei hätte der als Lokalschulinspektor eigentlich zuerst dazu gehört. Und dass der fehlte, hatte seinen Grund. Denn vier Wochen vorher hatte er dafür gesorgt, dass der Junglehrer kurzfristig abberufen wurde. Und zwar sah er sich „vermüßiget“, der vorgesetzten Schulbehörde eine „Anzeig und Bitte“ vorzulegen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließ:

„Der II. Schul­lehrer dahier Michael Schäfer hat sich seit seines kurzen Hier­seins eines mißfallend unsittlichen Betragens zu Schulden kommen lassen.

  1. a) geht er häufig nach Würzburg, nach Erlabrunn, nach Rimpar, nach Veitshöchheim, wo er selten um Erlaubnis anfragt,
  2. b) ist er schon 2 – 3 mal betrunken nachts spät nach Hause gekommen, hat sich mit seinen angezogenen Kleidern ins Bett gelegt, das Licht im Zimmer brennen lassen, bis endlich der Ortsvorsteher in das Zimmer kam und das Licht auslöschte.
  3. c) hat sich derselbe am 26. Dezember vormitternachts folgende unsittliche Handlung zu Schulden kommen lassen: Die Ortsmusikanten verzehrten in seinem Lehrzimmer 2 Achtel Wein von ihrem Jahresgehalt, bei welcher Zusammenkunft sich auch ein Singmädchen be­fand. Da auch Schreien bei dieser Gesellschaft sich hören ließ, ermahnte sie der I. Schul­lehrer Roth, der gegenüber wohnt, um 9 Uhr zur Ruhe. Allein sie verlachten ihn und trie­ben ihr Unwesen fort. Nach 10 Uhr kam der Ortsvorsteher, um die Versammlung zu tren­nen, und fand den fraglichen Schullehrer Schäfer betrunken. Nun wollte Ortsvorsteher auch das Schlafzimmer des genannten Schullehrers öffnen. Dies zu tun, widersetzte sich Schäfer. Doch gelang es dem Ortsvorsteher und er fand in des Schullehrers Bett das oben genannte Singmädchen angekleidet liegen, welches er herauszog und aus dem Schlafzim­mer schaffte.
  4. d) Endlich war gestern im Wirtshause zum schönen Brunnen dahier Tanzmusik. Auch dieser eilte der II. Schullehrer Schäfer in Gesellschaft des Forstgehülfs zu. Seine Unterhaltung war Tanzen und Trinken und da sein bei sich habendes Geld nicht zureichte, so musste er bei dem hiesigen Ortsbürger Adam Rothenhöfer 35 Kreuzer lei­hen. Ferner soll er verflossene Nacht zwischen 2 und 3 Uhr mit dem Forstgehülf dem Wohn­haus des oben genannten Singmädchens entgegen geeilt sein, dann heute früh zwischen 4 und 5 Uhr sein Wohnzimmer gefunden haben. Es ist nicht zu vergessen, dass heute früh die Schulkinder circa ½ Stund vor der Schultüre in der Kälte mussten abwarten, bis er die Türe öffnete und sie ein­gehen konnten. Sogleich darauf eilte ich, als Pfarrer und Lokalschulinspektor, der Schule zu, fand die Schuljugend versammelt, aber ohne Schullehrer. Ich klopfte an dessen Schlaf­zimmers Türe, 1 – 2 – 3 mal, und endlich wurde es geöffnet, und halb angekleidet, ging er berauscht in selbem herum. Mit sanften Worten fragte ich ihn, wo er die Nacht zuge­bracht und wann er nach Hause gekommen wäre, und er konnte wegen Betrunkenheit kaum antworten. Das wüsste er nicht, ich sollte andere Leute fragen. Ich ging ab.

Da nun dies auffallend unsittliche Betragen in der ganzen Ge­meinde bekannt, sohin alle Achtung verloren, so findet sich unterzeichnete Lokalschul­inspektion in die dringende Notwendigkeit versetzt, die königl. Distriktsschulinspektion drin­gends zu ersuchen, bei der königl. Regierung sich zu verwenden, dass dieser Michael Schäfer baldmöglichst von hier versetzet und ein anderer fleißiger und rechtschaffener als II. Schullehrer gnädig hierher angewiesen werden wolle.“

Der Pfarrer erreichte bei diesem Sündenregister schnell, was er wollte. Der Gemeindeverwaltung, die den beliebten Junglehrer offenbar behalten wollte, blieb nur der ironische Nachruf. Der hatte allerdings noch ein Nachspiel. Die Regierung meldete sich beim Landgericht, das die Rechtsaufsicht über die Gemeinde hatte, in der Causa Michael Schäfer: „Da dieser wegen tadelhaften Lebenswandels und Dienstesnachlässigkeit auf Antrag der k. Lokal- und Distriks-Schulinspektion von Güntersleben versetzt werden musste, was der Gemeindeverwaltung nicht unbekannt sein konnte, so ist dieselbe wegen jenes ungeeigneten Inserates zur Verantwortung zu ziehen und nach Befund nachdrücklich zu beahnden. Dass die Kosten der Einrückung der Gemeinde nicht aufgerechnet werden, hierüber wird das kgl. Landgericht wachen.“ Wie das Landgericht die Weisung der Regierung umsetzte, ist nicht bekannt.

Michael Schäfer hatte in der kurzen Zeit, die er in Güntersleben war, die Stelle des II. Lehrers inne, die 1821 wegen der zunehmend größeren Schülerzahl eingerichtet worden war. Bis dahin hatte Güntersleben nur einen Lehrer, der jetzt der I. Lehrer war und die höheren Schuljahrgänge unterrichtete. Der II. Lehrer war üblicherweise ein jüngerer Mann, der in den ersten Dienstjahren und manchmal auch noch in der Ausbildung stand und in der Regel noch unverheiratet war. Denn auch noch für die II. Lehrer eine Familienwohnung – wie schon für den I. Lehrer – bereitzuhalten, wollte oder konnte sich die Gemeinde nicht leisten. Diese mussten daher mit einem mickrigen Kämmerlein vorliebnehmen. Wollte einer sich dann doch verehelichen, was hin und wieder vorkam, dann musste er sich selbst eine Wohnung im Dorf suchen und diese auch finanzieren.

Dass die jungen Lehrer in ihrer schulfreien Zeit nicht in ihren vier Wänden versauern wollten, kann man sich denken. Und so entsprach ihr Lebenswandel nicht immer dem, was man gemeinhin von einem Lehrer oder Lehramtsanwärter erwartete. So beklagte die kgl. Regierung in einem Rundschreiben an die lokalen Schulbehörden vom 4. Oktober 1827, „daß die meisten jüngeren Lehrer außer der Schulzeit nur dem Müßig­gange nach­gehen, und einer unangemessenen Zerstreuung und Ge­nußsucht sich hingeben.“ Zwei Jahre später berichtete die Regierung neuerlich von Klagen „über den Unfleiß, sowie über ein unsitt­liches und ärgerliches Betragen mancher Schulamtsexspektanten, welche als 2. Lehrer oder Schulgehilfen eingesetzt sind.“ Die unteren Schulbehörden wurden daher zur „geschärf­ten Auf­sicht über das Lehrerpersonal im Allgemeinen, insbesondere aber der un­verehe­lich­ten Schulverweser, zweiten Lehrer und Schulge­hil­fen“ aufgefordert.

Der Junglehrer Schäfer war nicht der Einzige, der in Güntersleben unangenehm auffiel. Im Protokollbuch der Lokalschulinspektion, in den Jahresberichten und in den Visitationsberichten der Schule findet man zahlreiche Einträge über pflichtwidriges Verhalten der Junglehrer.

So ist unter dem 7. November 1841 festgehalten, dass der II. Schullehrer Oegg bei der letzten Schulprüfung abwesend gewesen sei und die „zu erwerbende Erlaubnis hierzu bis jetzt nicht beigebracht“ habe. Als er einen Monat später wieder einmal in die Stadt gehen wollte, hielt der Pfarrer, der als Lokal-Schulinspektor sein Vorgesetzter war, „den Grund, Sachen einzukaufen, für unzureichend. Gleichwohl ging derselbe fort und versäumte so die Schule“.

Wie fast alle II. Lehrer blieb auch Oegg nur für einige Jahre in Güntersleben, um sich dann auf eine besser dotierte Stelle im Umkreis zu bewerben. 1844 folgte ihm als II. Lehrer Karl Roth, der Sohn des damaligen I. Lehrers. Doch der hatte nach zwei Jahren genug von der Schule, beantragte seine Entlassung und übernahm das Wirtshaus zum Schönbrunnen unten an der Langgasse. Bald scheint ihn aber sein Entschluss gereut zu haben, denn nur ein Jahr später beantragte er seine Wiederaufnahme in den Schuldienst. Das verwehrte ihm aber die Regierung, weil er sich „inzwischen gegen den Pfar­rer Merz zu Güntersleben, da solcher sein vorgesetzter Lokal-Schulinspektor war und dem er als seinem Pfarrer und Seelsorger auch jetzt noch Achtung und Ehrerbietung schuldig ist, so weit vergessen hat, dass er von dem Landgericht Würzburg auf erhobene Beschwerde zu einer 48-stündigen Arreststrafe und zur Abbitte vor versammeltem Ge­meindeausschuss verurteilt werden musste.“ Notgedrungen blieb Roth noch ein paar Jahre Wirt, dann verließ er Güntersleben in Richtung Würzburg.

Ein ganz besonderer Fall war der „Schulgehilfe“ Otto Hummel. Sein Vater August Hummel war von 1854 bis 1861 in Güntersleben I. Lehrer. Die letzten Jahre immer weniger in der Lage, den Unterricht zu halten, stand ihm sein Sohn auf Anordnung oder zumindest mit Duldung der Schulaufsicht zur Seite. Otto Hummel fehlte dafür nicht nur die Ausbildung, sondern auch die charakterliche Eignung. „Der Schulgehilfe Otto Hummel ist äußerst leichtfertig in religiöser und sittlicher Hinsicht, hochgetragen und arrogant. Wegen seines auffallend bewiesenen Ungehorsams gegen H. Lokalschulinspektor und wegen seines frech erzeigten respektwidrigen Benehmens gegen H. Pfarrgeistlichen mußte öfters die k. Distriktsschulinspektion gegen ihn einschreiten.“ So urteilte der Pfarrer im Jahresbericht 1859. Die höhere Schulaufsichtsbehörde erteilte Hummel dafür zwar einen Verweis und forderte von seinem Vater zudem eine Erklärung, „wie lange noch er des Gehilfen bedürfe, weil die Entfernung dieses in jeder Hinsicht erwünschlich erscheint.“ Passiert ist aber erst einmal nichts, im Gegenteil. Es kam noch schlimmer. „Heute in der Frühschule mißhandelte der Schulgehilfe Otto Hummel meinen Sohn Kaspar derart, daß ich hierzu nicht schweigen zu dürfen glaubte. Er raufte demselben erst stark an den Haaren, schlug ihn sodann mit einem Stocke auf den Kopf, raufte ihn dann abermals an den Haaren, stieß ihn dann mit dem Kopfe an die Tafel, daß er über heftige Schmerzen an seinem ganzen Kopfe klagt.“ Die Beschwerde des Ortsbürgers Michael Keupp, vom Pfarrer unter dem 24. Januar 1861 niedergeschrieben, war nicht die einzige dieser Art. Ein weiteres Beispiel, das die Frau des Heinrich Erk dem Pfarrer mitteilte: „Der Schulgehilfe Otto Hummel hat heute früh in der Schule meinen Sohn der Art mißhandelt, daß ich mich als Mutter für verpflichtet halte, beim Pfarramte Anzeige zu machen mit der Bitte um Abhilfe. Er hat meinen Sohn an den Haaren gerauft, mit dem Stock auf den Kopf geschlagen, mit der Hand aber ins Angesicht, daß der Mund ganz angeschwollen ist. Auch nahm er ihn bei den Ohren und riß in an denselben, obgleich er schon am Gehöre leidet. Ich weiß recht gut, daß man ohne Strafen keine Kinder groß ziehen kann, aber diese Bestra­fungsweise ist gewiß nicht für Kinder entsprechend, sie muß vielmehr nachteilig auf das Gehör und Gedächtnis der Kinder wirken und kann noch andere Folgen nach sich ziehen. Ich stelle daher die Bitte um Abhilfe.“ Bevor sich die Schulbehörde zu dieser mehr als überfälligen Abhilfe durchringen konnte, starb noch im gleichen Jahr der Vater und I. Lehrer August Hummel. Damit war auch die Laufbahn seines Sohnes in Güntersleben zu Ende.

Auch in der Folgezeit gab es immer wieder Anlass, so manchen Junglehrer „nachdrücklichst zu größerem Fleiße und zu mehr Eingezogenheit in seinem außerdienstlichen Verhalten“ zu ermahnen. Wie die höhere Schulbehörde im Anschluss an eine Schulprüfung 1887 verlauten ließ, würden „günstigere Resultate“ erzielt, wenn die beiden Junglehrer, die Güntersleben damals hatte, „die ihnen so reichlich zugemessene freie Zeit mehr zu sorgfältiger Vorberei­tung auf den Unterricht ausnützen würden“. Dem Pfarrer wurde die „Bekanntgabe an die betreffenden Lehrer, denen genaue Beobach­tung der bezüglichen Anordnungen einzuschärfen ist, und Hinterlegung in der ein­schlägigen Schulrepositur“ aufgegeben. Weil der auch dem letztgenannten Auftrag gewissenhaft nachkam, können wir heute im Pfarrarchiv nachlesen, wie sehr die jungen Lehrer seinerzeit der ständigen Aufsicht bedurften.

Nicht genug also, dass Güntersleben über die meiste Zeit des 19. Jahrhunderts kein Glück mit seinen Schulleitern, den I. Lehrern, hatte. Auch die zu ihrer Unterstützung zugewiesenen Junglehrer nahmen es mit ihren Pflichten nicht sonderlich ernst. Wenn dann auch noch, wie eingangs dargestellt, die Gemeindeverwaltung dem Pfarrer in den Rücken fiel, dann zeigt das, wie wenig den Ortsoberen im Dorf damals noch an einem geordneten Schulbetrieb gelegen war.

06/2022

 

 

 

 

 

Zum Lehramte und zu der Gemeindeschreiberei unbrauchbar

Nachdem der Fürstbischof 1770 das Lehrerseminar in Würzburg gegründet hatte, kamen auch nach Güntersleben nur noch Lehrer, die eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung und Prüfung vorweisen konnten. Wie sich zeigte, waren damit aber noch lange keine stabilen Schulverhältnisse garantiert. Der Reihe nach waren in Güntersleben die Schulmeister, die einen von Anfang an, die anderen mit fortschreitender Dienstzeit, den Anforderungen ihres Amtes nicht gewachsen.

Kaspar Seyffert – wegen Untätigkeit und dgl. seines Dienstes entsetzt

Kaspar Seyffert aus Stockheim an der Rhön übernahm 1785 die Schulleitung in Güntersleben, um schon nach wenigen Jahren „wegen seinem unsittlichen Betragen sowohl als wegen seiner Untätigkeit und dgl. seines Dienstes unwürdig erachtet und entsetzt“ zu werden. Erst 54 Jahre alt und schon nicht mehr im Dienst, fand er 1796 ein tragisches Ende. Französische Soldaten, die auf dem Rückzug plündernd und mordend durch das Dorf zogen, erschossen ihn in seinem Haus.

Die Nachricht vom unrühmlichen Dienstabgang Seyfferts wie die für heutige Gepflogenheiten recht drastische Darstellung der Gründe findet sich erst 20 Jahre später im Protokollbuch der Ortsarmenkommission. Die hatte sich damals mit einem Gesuch von Seyfferts Tochter um Unterstützung zu befassen. Die hatte im Jahr zuvor ein Kind geboren, nachdem sie nach ihren Angaben von einem russischen Soldaten in einem Nachbarort vergewaltigt worden war. Sie gab an, dass sie „gar kein Vermögen besitze und nicht einmal die Blöße meines Leibs bedecken kann.“ Die Günterslebener Räte beeindruckte das nicht. Sie hielten ihr entgegen, dass ihr Unglück nur „ihrem Ungehorsam, Eigensinn und Freiheitsgefühle zuzumessen“ sei, weil sie Güntersleben, wo sie in Dienst hätte gehen können, verlassen habe. Sie verdiene „weder hinsichtlich ihres Vaters noch hinsichtlich ihres unmoralischen Betragens bemitleidet zu werden“. Würde die Gemeinde verpflichtet, „zur Erziehung ihres Kindes nur den geringsten Beitrag zu tun, so würden derlei Gesuche nie zu Ende kommen und Hurerei gleichsam begünstiget und befördert.“ Damit war der Fall abgehandelt.

 

Valentin Faulhaber – dem Trunke ergeben

Der Nachfolger von Seyffert war der Lehrer Valentin Faulhaber. Als einziger Lehrer, nur unterstützt durch einen Kantor, hatte er über 100 Kinder zu unterrichten. Mit seinen weiteren Aufgaben als Gemeindeschreiber und Kirchendiener war das ein großes Pensum, das er aber viele Jahre offenbar ohne Beanstandungen bewältigte. 1818 heiratete sein ältester Sohn Simon eine Tochter des Engelwirts Johann Fritz und pachtete dessen Wirtshaus unten an der Langgasse, wo jetzt das Ärztehaus steht. Wie es scheint, fand der Vater neben seinen vielfältigen Aufgaben auch noch Zeit, zur Umsatzsteigerung im Wirtshaus seines Sohnes persönlich beizutragen. Vielleicht war es auch der Stress, der ihn zum Glase greifen ließ.

Die Folge war, dass auch die Schullaufbahn des Lehrers Faulhaber vorzeitig endete. Mit Verfügung vom 18. Dezember 1820 versetzte ihn die Kgl. Regierung „als Lehrer, Gemeindeschreiber und Kirchendiener gegen Bezug einer jährlichen Pension von 150 Gulden mit Entfernung aus dem Schulhause“ mit 56 Jahren in den Ruhestand. Zur Begründung heißt es in der Verfügung, dass „der Lehrer Faulhaber dem Trunke ergeben, zum Lehramte und zu der Gemeindeschreiberei unbrauchbar“ sei.

 

Karl Joseph Roth – wegen sittlicher Verfehlungen dienstenthoben und flüchtig

Um die Pension zu finanzieren, kürzte die Gemeinde dem Nachfolger Karl Joseph Roth die nächsten 20 Jahre, die Faulhaber noch lebte, das Gehalt entsprechend. Roth war jahrzehntelang ein überaus geschätzter Lehrer und Kirchenmusiker. „Als Sänger ein tüchtiger Tenorist, ein gewandter Orgelspieler und ein sehr guter Violinist“, ist in seinem Personalbogen zu lesen. Er war wohl auch eine selbstbewusste Persönlichkeit, so dass ihm der Pfarrer 1842 bescheinigte, er folge „den Anordnungen seiner Vorgesetzten nur, wenn es ihm gefällig ist.“ Auch als Gemeindeschreiber hatte er schon mal Ärger mit dem Prüfer der vorgesetzten Behörde. Als er den Verdacht äußerte, dass es diesem bei seinen Beanstandungen nur darum gehe, die Schreibarbeiten selbst zu übernehmen, und – für damals reichlich mutig – hinzusetzte, dass der Prüfer „mit diesem einem armen Schullehrer entziehenden Verdienst doch nicht selig werde“, brachte ihm das einen Verweis „wegen seiner ungebührlichen Sprache“ ein.

Nach mehr als 30 Jahren ansonsten untadeliger Dienstführung kamen 1854 Gerüchte in Umlauf, wonach der – seit einem Jahr verwitwete – Lehrer Roth „sich der Verführung schulpflichtiger Mädchen schuldig gemacht habe“. Roth stellte zwar die Anschuldigungen mit Nachdruck als Verleumdung in Abrede. Nachdem sich der Verdacht aber erhärtete, wurde er unter Aberkennung jeglicher Versorgungsbezüge aus dem Schuldienst entlassen. Wie es ihm danach erging, schildert er in einem Bittgesuch an die Regierung vom 28. September 1856 selbst: „Wie einer Höchsten Kreisstelle bekannt, wurde ich wegen eines sittlichen Vergehens, das ich nicht ganz entschuldigen kann, in Folge disciplinarer Einschreitung von meiner Stelle als Schullehrer, Kirchner und Gemeindeschreiber zu Güntersleben entlassen. Ich ent­setz­te mich über den plötzlichen Verlust meiner Stelle und entfloh in geistiger Verwirrung und niedergedrückt von Scham im Juli 1854 nach New York. Ohne alles Vermögen, ohne Kenntnis der Sprache konnte ich daselbst kein Unterkommen finden; auch trieb mich die Sorge und der Kummer um meine zurückgelassenen Kinder am 3. Juni 1855 wieder in mein Vaterland…“ Seine trostlose Lage fasste er so zusammen: „Ich besitze zur Zeit nicht das Mindeste an Vermögen.“

Die Regierung fühlte sich nicht zuständig und verwies Roth an die Gemeinde Güntersleben. Dort landete sein Gesuch beim Armenpflegschaftsrat, der gleichermaßen eine finanzielle Unterstützung versagte, sich aber seiner gesetzlichen Verpflichtung doch nicht ganz entziehen konnte: „In Rücksicht auf die Alimentationspflicht, welche der Gemeinde zusteht, wird demselben jedoch eine Materialunterstützung durch Kosttage nicht versagt werden, wenn sich derselbe vorschriftsgemäß bei dem Armenpflegschaftsrate stellen und sein Gesuch vorbringen wird.“ Welch eine Demütigung für ihren langjährigen Schulleiter, dass er sich jeden Tag reihum einem anderen Haushalt zur Verköstigung zuweisen lassen sollte! Dass er diesem Angebot nicht nachkommen würde, war wohl auch für die Mitglieder des Armenpflegschaftsrates – darunter der Pfarrer und der Ortsvorsteher – abzusehen.

 

August Hummel – ein lügenhafter und arroganter Schuldenmacher

Angesichts des Desasters, das der Lehrer Roth hinterlassen hatte, legte der Distriktsschulinspektor, nach unserem heutigen Verständnis der Schulrat, der Regierung ein klares Anforderungsprofil als Entscheidungshilfe für die Auswahl des nächsten Lehrers vor. Demnach „wäre nur ein Mann geeignet für Güntersleben, der mit Begeisterung und Liebe seinem Berufe obliegt, ohne Fehler und Tadel ist und Ansehen wegen seiner Rechtschaffenheit genießt.“ Doch müsse der „auch seinen Worten Nachdruck geben, darf bei Hindernissen und Kränkungen, die wegen der Derbheit der Günterslebener nicht selten vorkommen, nicht den Mut verlieren, sonst ist es um ihn geschehen.“

Mit August Hummel glaubte die Regierung den richtigen Mann gefunden zu haben, musste aber schon zwei Jahre nach dessen Dienstantritt hören, „dass überall bekannt ist, daß er Schulden über Schulden hat und immerfort von den Gläubigern verfolgt wird.“ Nochmals zwei Jahre später berichtete der Distriktsschulinspektor 1858 über den Schulmeister Hummel: „Derselbe steht im 54. Lebensjahr, sein Hauswesen ist zerrüttet; die Gläubiger plagen ihn fort und fort; Kummer und Sorge, Hochmut und Zorn nagen in ihm. Wirte, Bäcker, Metzger wollen nicht gerne mit ihm zu tun haben; überdies ist er stolzen Charakters, voll Dünkel, so dass andere Schullehrer mit ihm nicht verkehren wollen.“ Man mag kaum glauben, dass dieses Zeugnis einem Lehrer galt, der die Schule in Güntersleben leitete. Wenig erfreulich auch seine Familienverhältnisse: „Hummels Frau ist am meisten zu beklagen. Diese plagt sich, arbeitet, ist bescheiden, duldet… Sein Sohn Otto, der Gehilfe, zeigt Spuren, er werde das väterliche Geleise nicht ganz verlassen. Ein zweiter Sohn ist Brauer. Der jüngste besucht die Gewerbsschule zu Würzburg. Die zwei ledigen Töchter sitzen zu Hause und gerieren sich als Fräulein.“

Die Schulbehörden wussten also Bescheid und es änderte sich – nichts. Im Jahresbericht von 1859 konnte der Pfarrer daher nur neuerlich feststellen: „I. Schullehrer August Hummel hat wenig Religion, ist lügenhaft, arrogant, hochfahrend, überspannt, schlechter Haushälter und Familienvater, benimmt sich verächtlich gegen den II. Schullehrer, vergißt seine Stellung gegenüber dem Lokalschulvorstand und ist demselben ungehorsam und widerspenstig, wenn er nicht von höherer Stelle in Schach gehalten wird.“

Der Lehrer Hummel wurde zwar immer wieder an die höhere Schulbehörde vorgeladen, zusammen mit seinem Sohn und Gehilfen Otto. Es gab Ermahnungen und Verweise. Beeindruckt hat das keinen der beiden. Erst sein früher Tod mit 56 Jahren machte 1861 den Weg frei für einen Neuanfang an der Schule in Güntersleben.

 

Konrad Reeg – der rohen Jugend nicht gewachsen

Als nächster folgte auf die I. Schulstelle in Güntersleben mit Konrad Reeg zwar endlich wieder jemand, der persönlich „ohne Fehl und Tadel“ war, wie vom Distriktsschulinspektor schon bei der vorangehenden Stellenbesetzung gefordert. Der „rohen Jugend“ und der „Derbheit der Günterslebener“, die er auch beobachtet haben wollte, war der gute Mann aber anscheinend weniger gewachsen. Mit der Schulpflicht nahmen es viele Schüler und auch manche Eltern nicht so genau. Die Liste mit den Schulversäumnissen, die der Lehrer allmonatlich der Lokalschulinspektion vorzulegen hatte, wurde immer länger. Dass im Durchschnitt fünf oder sechs, manchmal auch mehr Schüler einfach nicht zum Unterricht kamen und sich dafür auch nicht entschuldigten, war bei ihm ganz normal. Da halfen auch alle Bestrafungen bis hin zum Arrest für unbelehrbare Väter oder Mütter nichts.  Nach zehn Jahren wurde Reeg 1872 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Die Gründe sind nicht bekannt, vielleicht war er schlicht überfordert.

Nach fast 90 Jahren und fünf Schulmeistern, die von Anfang an oder mit fortgeschrittener Dienstzeit den Anforderungen an ihr Amt nicht gewachsen waren, konnte es nur noch besser werden. Und mit dem nächsten Lehrer wurde es auch wirklich besser.

01/2022

 

Schullehrer wie Viehhirten?

Wie ihre Viehhirten habe die Gemeinde alljährlich ihren Schullehrer gedingt, bevor sich der Landesherr dieser Sache angenommen habe. So schrieben die „Würzburger wöchentliche Anzeigen von gelehrten und gemeinnützigen Gegenständen“ in ihrer Ausgabe vom 15. Mai 1798 über die Anfänge des Schulunterrichts in Güntersleben – und man kann sich gut vorstellen, wie der Verfasser beim Schreiben dieser Zeilen die Nase rümpfte.

Richtig daran ist, dass es erst seit 1770 mit der Einrichtung des Lehrerbildungsseminars in Würzburg eine geregelte Lehrerausbildung gab und erst seit dieser Zeit nach einer entsprechenden Weisung des Fürstbischofs als Lehrer nur noch die „hierzu besonders abgerichteten und befähigten Candidaten des Schulseminars“ angestellt werden durften.

 

Vom Pfarrer und vom Abt für tauglich befunden

Aber auch vorher mussten der Schultheiß und die Mitglieder des Dorfgerichts schon etwas genauer hinschauen als beim Viehhirten, wen sie als Schulmeister anstellten. Denn auch ohne förmliche Ausbildung und einen Prüfungsnachweis sollten diese „nit allein die Kinder in lesen, schreiben und singen unterrichten, sondern auch solche dahin anweisen, dass sie den Catechismum lernen und begreifen mögen,“ wie das die Kirchenordnung für das Hochstift Würzburg von 1693 verlangte. Überdies sollten die Bewerber vor einer Anstellung auch bezüglich ihres „Verhaltens und Wandels“, also ihrer charakterlichen Eignung, überprüft werden. Damit waren freilich der Schultheiß und die Mitglieder des Gerichts, allesamt Bauern aus dem Dorf und selbst, wenn überhaupt, kaum des Lesens und Schreibens kundig, heillos überfordert. Das übernahmen daher der Pfarrer und der Abt seines Klosters. Erst wenn die den Kandidaten für hinreichend geeignet hielten, konnte ihn die Gemeinde anstellen.

Der Pfarrer hatte nicht nur deshalb ein entscheidendes Wort bei der Auswahl eines Lehrerkandidaten mitzureden, weil er vor Ort die fachliche Aufsicht über den Unterricht und den Lehrer wahrzunehmen hatte. Zudem war der Lehrer nicht nur im Unterricht der verlängerte Arm des Pfarrers, er war diesem auch darüber hinaus als Kirchendiener, Mesner und Kantor zu vielerlei Diensten verpflichtet.

Anders als uns der eingangs zitierte Chronist weismachen will, wurde der Schulmeister auch nicht – wie die Viehhirten – immer nur für ein Jahr eingestellt, obwohl auch die Schule erst einmal nur eine saisonale Einrichtung war. Bis nach 1700 fand Unterricht nur im Winter statt. Erst dann gelang es mit viel Mühe, die Bauern allmählich dazu zu bewegen, ihre Kinder auch in der Jahreszeit, wo sie auf den Feldern für die Arbeit gebraucht wurden, für den Schulbesuch freizugeben.

 

Schulmeister und Gemeindeschreiber

Konrad Henfling, der erste uns bekannte Lehrer, hatte laut seinem Sterbeeintrag mehr als 16 Jahre in Güntersleben unterrichtet, als er 1606 starb. Ihm folgte Johann Hartmann aus Schwarzach, der bald nach seinem Dienstantritt die Witwe seines Vorgängers heiratete. Damit blieb dieser erspart, dass sie mit ihren Kindern die Lehrerwohnung im Schulhaus verlassen musste.

Von Johann Hartmann stammt auch das erste schriftliche Zeugnis, aus dem hervorgeht, dass schon damals die Schulmeister auch als Gemeindeschreiber in Anspruch genommen wurden. Denn wenn schon die Gemeinde einen Lehrer für die ungeliebte Schule anstellen und für Wohnung und Lohn aufkommen musste, wollte sie auch etwas von dessen Fähigkeiten haben. Im Gemeindearchiv findet sich als ältestes Originaldokument ein Buch, dessen ausgreifender Titel beginnt mit „Libellus actorum diurnorum…“, was so viel bedeutet wie „Buch der täglichen Verwaltungsgeschäfte“. Es wurde nach dessen eigenen Angaben auf dem Titelblatt 1610 angelegt von „Johann Hartmann, zu dieser Zeit Schulmeister in Güntersleben“. In das Buch wurden die Personen eingetragen, denen das Bürgerrecht verliehen wurde. Außerdem finden sich darin Vereinbarungen über die Anstellung von Gemeindeschmieden, Wirten, Müllern oder auch Viehhirten. Die Ausgestaltung der Titelseite lässt zum einen die große Sorgfalt erkennen, die Hartmann darauf verwendete, zum anderen aber auch, dass er das Schreiben ebenso beherrschte wie er der lateinischen Sprache kundig war.

Libellus

Titelseite des „Libellus actorum diurnorum“ von 1610.

Der erste Schulmeister aus Güntersleben

Johann Stock war der erste Schulmeister, der aus Güntersleben stammte. Er folgte Jakob Hölderlein, der nach erst zwei Jahren auf der Stelle 1632 mitten im Dreißigjährigen Krieg und wohl auch an den Folgen des damals in Güntersleben grassierenden Hungertyphus gestorben war. Stocks Taufpate war der alte Schulmeister Johann Hartmann, der ihn möglicherweise auch auf den Lehrerberuf vorbereitet hat. Denn so ähnlich, wie das Erlernen eines Handwerks bei einem Meister, muss man sich zur damaligen Zeit wohl auch die Ausbildung zum Lehrer vorstellen. Als 1632 mit dem Schulmeister und vielen anderen im Dorf auch der Schultheiß ein Opfer der Seuche geworden war, wurde vorübergehend Johann Hartmann als Schultheiß berufen. In dieser Funktion wird er dann auch die Bestellung seines Patensohnes Johann Stock auf die Stelle des Schulmeisters befördert haben. Vermutlich war es in diesen wirren Kriegszeiten auch schwierig, einen Bewerber von auswärts zu gewinnen. Stock war wohl mindestens bis zum Ende des Krieges, also mehr als ein Jahrzehnt, Schulmeister in Güntersleben.

Nach Stock kamen dann erst wieder einmal Auswärtige an die Reihe. Über Balthasar Reußner, der 1685 als Schulmeister in Güntersleben angenommen wurde und das bis ins hohe Alter von 77 Jahren blieb, heißt es in der Sterbematrikel des Pfarramtes von 1729, dass er 44 Jahre hier und etwa 12 Jahre vorher anderswo ein frommer und fideler Schulmeister gewesen sei.

Zwei Jahre, nachdem Balthasar Reußner in das Schulhaus in Güntersleben eingezogen war, wurde sein Sohn Burkard geboren und der wurde nach seinem Tod für die folgenden 21 Jahre auch sein Nachfolger. 65 Jahre blieb damit das Amt des Schulmeisters, Mesners und Gemeindeschreibers in der Familie.

Auch der nächste Schulmeister, der 1750 berufen wurde, hatte mit mehr als 25 Jahren eine sehr lange Amtszeit. Peter Reißweber entstammte einer alteingesessenen Familie und war damit für lange Zeit, nämlich bis nach dem 1. Weltkrieg, der letzte Lehrer in Güntersleben, der hier auch geboren war. Er war auch der letzte Schulmeister, der seinen Dienst verrichtete, ohne vorher eine Ausbildung und Prüfung auf einer öffentlichen Lehranstalt absolviert zu haben.

12/2021

 

 

 

Die Anfänge der Schule in Güntersleben

Die Kirche hat in Deutschland die ersten Schulen eingerichtet und die Entwicklung des Schul­wesens über lange Zeit bestimmt. Aufbauend auf der Tradition der Römer wurden Kloster­schulen und seit dem 8. Jahrhundert in den Städten die Domschulen eingerichtet. Diese wa­ren zunächst dem Klerus vorbehalten und wurden seit dem frühen Mittel­alter auch Laien geöffnet.

Auf den Dörfern gab es bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts nur in seltenen Fällen bereits eine Pfarrschule, in denen der Ortsgeistliche seine Messdiener und Sänger ausbildete. Ansonsten waren die Menschen auf dem Land weitgehend Analphabeten.

Den Aufbau eines allgemeinen Schulwesens in Franken leitete Fürstbischof Julius Echter (1573 – 1617) ein. Der große Gegenreformator und Bauherr ließ nicht nur 300 Kirchen, sondern auch viele Schulhäuser bauen. Ihm kam es darauf an, durch Schulbildung im Volk bessere religiöse Kenntnisse und damit eine Festigung des Glaubens zu erreichen.

Bildung, Freizeit, Soziales Bild

Wenig Platz. Im Schulsaal über der Kinderbewahranstalt an der Langgasse. 1933.

 

In diese Zeit fällt wohl auch die Einrichtung der ersten Schule in Güntersleben. Im Salbuch des Amtes Arnstein von 1594, in dem das Amt die Verhältnisse in dem ihm unterstellten Dorf Güntersleben beschrieb, ist zu lesen: „1 Schulhaus steht auf dem Kirchhof, ganz neugebaut.“ Es handelt sich um das heutige Alte Rathaus am Aufgang zur Kirche, demnach um 1590 gebaut und vermutlich das erste Schulhaus in Güntersleben. In der Sterbematrikel der Pfarrei findet sich unter dem 14. Juni 1606, wie damals üblich in lateinischer Sprache, der Eintrag: „Conradus Henffling ultra 16 annos in hoc pago ludimoderator.“ Der Verstorbene Konrad Henffling war demnach mehr als 16 Jahre in diesem Dorfe Schulmeister. Auch diese Spur stützt damit die Annahme, dass es mindestens seit 1590 und wohl auch erst seitdem eine Schule in Güntersleben gab.

Während der Bau und die Unterhaltung des Schulhauses Aufgabe der Gemeinde war, oblag die örtliche Aufsicht über die Schule und den Lehrer dem Pfarrer. Wer sonst auch wäre dafür infrage gekommen? War er doch wohl erst einmal der Einzige im Dorf, der des Lesens und Schreibens kundig war. Daher konnte man auch als Lehrer nur jemanden von außerhalb bestellen, für den man dann aber auch eine Wohnung brauchte, die praktischerweise auch gleich im Schulhaus eingerichtet wurde.

Der Lehrer wohnte also mit seiner Familie im Schulhaus und erteilte dort auch den Unterricht, anfangs ohne räumliche Trennung. Nachdem die Beamten der höheren Schulaufsicht offenbar schon länger vergeblich moniert hatten, dass „Schüler samt Schulmeisters Hausgesind gemeinschaftlich beisammen wohnen müss­ten“, verlangte der Fürstbischof höchstselbst in einem Schreiben vom Sommer 1687, „eine Separation in der Schulstuben und zwar noch vor anstehendem Winter verfertigen zu lassen.“

Dem Schultheißen Leonhard Salfelder eilte es damit aber überhaupt nicht. Zwei Jahre später kamen die Schulkinder immer noch in die Wohnstube des Lehrers zum Unterricht. Mit dem Hinweis, dass die Schule auch vor Jahrzehnten so gestanden habe, weigerte sich der Schultheiß, den Umbau anzugehen. „Was soll man bauen? Ich bin allein nit hier, die Gemein will es nit haben.“ Er hatte also auch die öffentliche Meinung im Dorf hinter sich. Wie lange er damit die Sache weiter auf die lange Bank schieben konnte, ist nicht überliefert.

Der Vorgang zeigt beispielhaft, dass die Schule bei der Dorfbevölkerung und der Dorfobrigkeit noch lange nach ihrer Einführung eine wenig geschätzte Einrichtung war. Was die Kinder in der Schule lernten, war für viele im Dorf ein unnötiger Luxus, den sie für ihr künftiges Leben nicht brauchten. Die Bauern störten sich zudem daran, dass ihre Kinder durch die Unterrichtsstunden von der Mitarbeit auf dem Feld abgehalten wurden.

Daher war bis in das beginnende 18. Jahrhundert hinein vielerorts und vermutlich auch in Güntersleben nur im Winterhalbjahr Schulunterricht. Es dauerte mindestens bis 1750, bis gegen den anhaltenden Widerstand der Landbevölkerung durchgesetzt werden konnte, dass im Sommerhalbjahr täglich wenigstens eine oder zwei Stunden Unterricht gehalten wurde. Und der war dann so früh am Tag, dass die Kinder rechtzeitig wieder zu Hause waren, wenn die Arbeit auf dem Feld begann.

Anders als heute, wo die bestmögliche Gestaltung der Schulbedingungen von der Gemeinde mit der uneingeschränkten Unterstützung der Ortsbewohner als eine ihrer vorrangigen Aufgaben gesehen wird, genoss die Schule bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges keinen hohen Stellenwert in Güntersleben. Die Gemeinde wurde regelmäßig erst tätig, wenn der Druck der Schulbehörden zu übermächtig geworden war. Das Interesse weiter Kreise der Bevölkerung am regelmäßigen Schulbesuch ihrer Kinder hielt sich auch in Grenzen. In einer bäuerlichen Gesellschaft, wo man bei den beschränkten natürlichen Ressourcen hierorts einen beinahe permanenten Kampf ums tägliche Leben zu führen hatte, stand den wenigsten der Sinn nach Bildung. Da verwundert es nicht, wenn man auch aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch zahlreiche Schriftstücke findet, die mit drei Kreuzen unterzeichnet sind, weil die Unterschreibenden Analphabeten waren.

08/2021