Die Dorfbewohner

Dorfnamen und Sippennamen

Es gibt Zeitgenossen, die sind uns unter ihrem Künstlernamen, einem Spitznamen oder einem von ihrer Tätigkeit, ihrem Erscheinungsbild oder Verhalten abgeleiteten anderen Beinamen besser vertraut als mit ihrem richtigen Namen. Auch im Dorf hatte man früher für einzelne Personen oder ganze Familien oft eigene Bezeichnungen, die anstelle des Namens gebraucht wurden, den sie seit ihrer Geburt trugen.

Diese Dorf- oder Sippennamen dienten vor allem dazu, namensgleiche Personen zu unterscheiden und zu erkennen, zu welcher Familie sie gehörten. Denn Einwohner mit gleichen Namen gab es immer wieder und das gar nicht zu selten.

Wenige Familiennamen und wenige Vornamen

Solange das Dorf noch eine weitgehend geschlossene Welt für sich war, blieb die Anzahl unterschiedlicher Familiennamen überschaubar. 1830 waren es bei 900 Einwohnern gerade einmal 75 und 1930 bei 1400 Einwohnern auch nur 116. Zum Vergleich heute: Die 4500 Einwohner tragen nahezu 1300 unterschiedliche Familiennamen.

Ähnlich das Bild bei den Vornamen: Beim Blick auf das Einwohnerverzeichnis von 1830 findet man nur 57 unterschiedliche Vornamen, davon 36 männlich und 21 weiblich. Heute lässt sich die Anzahl unterschiedlicher Vornamen kaum mehr überblicken, zumal es auch fortwährend mehr werden.

Bei der Vielfalt und der Fantasie, die Eltern heute bei der Namenswahl für ihre Kinder entwickeln, findet man daher im Dorf auch nur noch selten Einwohner mit gleichen Familien- und Vornamen.

Hieß jedoch jemand vor 80, 100 oder 200 Jahren mit Familiennamen zum Beispiel Kuhn und mit Vornamen auch noch Johann, Michael oder Georg, dann blieb es kaum aus, dass er noch einen oder mehrere Namensvetter im Dorf hatte. Auch bei anderen Namensverbindungen kam das häufig vor.

Im amtlichen Schriftverkehr bediente man sich verschiedener Möglichkeiten, um namensgleiche Personen zu unterscheiden. Man fügte den Namen des Vaters oder andere Unterscheidungsmerkmale wie alt, jung und bei Bedarf auch jüngster oder – beim Ältesten beginnend –fortlaufende römische Ziffern hinzu. Dauerhafte Klarheit erreichte man damit aber nicht, denn nach dem Tod des Ältesten rückten die Nachfolgenden auf und wurden dann statt unter jung jetzt unter alt oder mit einer anderen Ziffer geführt.

Leichter eingängig und beständiger waren da die Dorf- oder Sippennamen, die im Alltagsleben gebraucht wurden, um bei namensgleichen Mitbürgern zu wissen, wer gemeint war und welcher Familie er zugehörte. Diese ortstypischen Bezeichnungen entwickelten sich aus dem mündlichen Sprachgebrauch und folgten daher keinen vorgegebenen Regeln. Anknüpfungspunkte konnten Abstammung, Herkunft, Beruf oder die äußere Erscheinung der betreffenden Personen sein. Hatte sich auf diese Weise erst einmal ein Dorfname herausgebildet, konnte der sehr langlebig sein, wurde über die Generationen weitergegeben, so dass viele der Betroffenen oft nicht mehr wussten, wo er seinen Ursprung hatte.

Die Kuhn-Familien und ihre Dorfnamen

Keinen Namen gibt es länger und häufiger in der bekannten Geschichte Günterslebens als Kuhn. Es ist der typische Günterslebener Familienname. Fast alle, die diesen Namen tragen, sind wohl irgendwie miteinander verwandt. Aber bei der weiten Verzweigung über mehr als 400 Jahre wird dabei vielfach keine Verwandtschaft mehr empfunden, wie man sie üblicherweise versteht. Zur Unterscheidung und Abgrenzung der zahlreichen Familien haben sich gerade für die Träger des Namens Kuhn eine ganze Reihe von Sippennamen herausgebildet, die bis vor wenigen Jahren auch noch durchgängig im Sprachgebrauch lebendig waren.

Spohr oder in der fränkischen Verkleinerungsform Spöhrli, wie sie auch bei den meisten anderen Dorfnamen verwendet wird, nannte man die Kinder und dann auch die Enkel und fernere Nachkommen von Anna Maria Kuhn (1785 – 1828), die bis zu ihrer Heirat mit Georg Kuhn im Jahr 1812 mit ihrem Geburtsnamen Spohr hieß. Dass bis in die sechste Generation nach ihr ihre Nachkommen ungeachtet ihres eigentlichen Familiennamens Kuhn im Dorf unter dem schon lange nicht mehr existierenden Namen Spohr bekannt waren, zeigt die Langlebigkeit von Dorfnamen, auch wenn sie in keinem amtlichen Register fortgeschrieben sind.

Zum Schwarztares wurde im Volksmund Maternus Kuhn (1764 – 1837), um ihn von einem nahezu gleichaltrigen Namensvetter zu unterscheiden. Schwarz bezieht sich wohl auf seine Haarfarbe und tares ist eine Verkürzung von Maternus. Noch heute kennt man seine Nachkommen unter dieser volkstümlichen Bezeichnung.

Der Tasepeter und der Tasemichel waren die Söhne des anderen Maternus Kuhn (1756 – 1814), der zur Zeit des Schwarztares lebte. Da Peter Kuhn und Michael Kuhn nicht gerade seltene Namenskombinationen bildeten, waren sie des Maternus Peter und des Maternus Michael oder in einer weiteren Kurzvariante des väterlichen Vornamens der Tasepeter und der Tasemichel. Beide Dorfnamen waren noch bis ins fortgeschrittene 20. Jahrhundert in Umlauf, ohne dass ihre Adressaten zuletzt noch wussten, wie diese zustande gekommen waren.

Die Martinspeterli und die Martinsmärtli bekamen ihre Dorfnamen nach Peter Kuhn und Martin (Märtle) Kuhn, dem Sohn und dem Enkel von Martin Kuhn (1819 – 1864).

Die Schmiedsappel sind die Nachkommen von Appolonia Kuhn (1833 – 1904).  Die Appel, so ihr umgangssprachlicher Kurzname, war die Tochter des Dorfschmieds und damit war die Namensverbindung geradezu vorgegeben.

Schulz wurde zum Dorfnamen seiner Nachkommen durch Georg Kuhn, der von 1860 bis 1866 Ortsvorsteher von Güntersleben war. Wie für andere Ortsvorsteher und nach ihnen die Bürgermeister war im Dorf noch längere Zeit die frühere Amtsbezeichnung Schultheiß oder Schulz gebräuchlich. Ein Enkel von Georg Kuhn war der Omnibusunternehmer Ludwig Kuhn (1904 – 1964), den kaum jemand anders als den Schulze-Lubber kannte.

Doktor nannte man im Dorf den Bader Valentin Kuhn (1836 – 1926), der sich nicht nur des Bart- und Haarschmucks seiner Mitbürger annahm, sondern auch einige medizinische Kenntnisse besaß. Der durch Volkes Stimme verliehene Ehrentitel ging auch auf seine Kinder und Enkel über. Ältere kennen noch die Doktersch Tilla (1903 – 1981).

Viele weitere Dorfnamen nach Abstammung und Herkunft

Nicht immer stand die Unterscheidung von gleichnamigen Zeitgenossen bei der Herausbildung von Dorfnamen im Vordergrund.

Die Jakli bekamen ihren Dorfnamen nach ihrem Stammvater Jakob Ziegler. Geboren in Thüngen, wurde er 1821 mit seiner Heirat in Güntersleben ansässig. Er brachte nicht nur einen bislang hier nicht bekannten Familiennamen mit, auch sein Vorname Jakob war hier äußerst selten. Dafür gab es durch seine zahlreichen Nachkommen in den folgenden Generationen bald viele Jakli in Güntersleben.

Die Riegeli sind nach ihrer Abstammung eigentlich auch Jakli. Es sind die Nachkommen von Adam Ziegler (1855 -1918), einem Enkel von Jakob Ziegler, aus seinen beiden Ehen mit Katharina Kuhn und Theresia Köhler. Die Mutter von Katharina Kuhn hatte in zweiter Ehe Andreas Riegel (1825 – 1900) aus Retzstadt geheiratet. Der blieb selbst zwar kinderlos. Sein Familienname ging aber über seine Stieftochter im Volksmund auf alle Nachkommen von Adam Ziegler über. Die dörflichen Gepflogenheiten folgen manchmal seltsamen Umwegen.

Wie die Weippert zu diesem Dorfnamen kamen, bleibt am Ende gänzlich rätselhaft. Ihr richtiger Familienname lautet Issing und sie sind die Nachkommen von Matthäus Issing (1840 – 1920) und seiner Frau Katharina (1848 – 1913). Die Mutter von Katharina war nicht verheiratet, ihr Vater wurde amtlich nicht festgestellt. Der Dorftratsch schien aber zu wissen, um wen es sich handelte, und bedachte Katharina und deren Nachkommen mit dem Namen Weippert. Da es niemand mit diesem Namen in Güntersleben gab, muss der – so die Mutmaßung stimmt – wohl aus einer Nachbargemeinde gekommen sein.

Zu Varschbocherli wurden die Nachkommen von Lorenz Köhler (1799 – 1860), weil dieser aus Versbach stammte. Als er 1825 durch seine Heirat Günterslebener wurde, gab es hier schon einen Lorenz Köhler. So blieb der Zugezogene der Versbacher und damit wusste man, wer von beiden gemeint war und konnte mit dieser Bezeichnung auch die Angehörigen der nachfolgenden Generationen richtig zuordnen.

Dass in einer von Männern dominierten Landgemeinde auch Frauen zu Namensgebern für Familienstämme werden konnten, zeigen die folgenden Beispiele: Die Nachkommen von Lorenz und Philippina Kunzemann waren im Dorf die Pinali und die Nachkommen von Adam und Thekla Öhrlein die Thekli. Mit ein Grund dafür mag gewesen sein, dass die beiden Frauen, die 1849 aus Versbach bzw. 1880 aus Gramschatz einheirateten, Vornamen trugen, die man bis dahin in Güntersleben nicht kannte und die damit besondere Aufmerksamkeit fanden.

Die Wirtli und andere vom Beruf abgeleitete Dorfnamen

Dass umgangssprachliche Namensbildungen an die berufliche Tätigkeit anknüpfen, ist naheliegend. In den meisten Fällen werden diese dann aber nur für die jeweiligen Personen verwendet. Für viele andere lassen sich dazu aus der jüngeren Zeit anführen: der Wagner Vinzenz Schneider, genannt Wagnersvinz (wobei schon der Vater Wagner war) und der Spengler Vinzenz Issing, genannt Blechvinz.

In anderen Fällen wurde die Berufsbezeichnung eines Ahnherrn als Sippenname an die Angehörigen der nachfolgenden Generationen weitergegeben, auch wenn diese mit dem betreffenden Beruf noch nie etwas zu tun hatten.

Wirtli gehört wohl zu den bekanntesten Dorfnamen. Er geht auf Valentin Schömig aus Rimpar zurück, der 1769 die Hirschenwirtschaft in der Ortsmitte von Güntersleben übernahm, die über vier weitere Generationen bis 1968 in der Familie blieb. Außer den vier Wirten des Hirschen waren alle anderen Angehörigen der mittlerweile weit verzweigten Familie Bauern oder gehen anderen Berufen nach, waren und sind aber für die alteingesessenen Günterslebener alle Wirtli.

Wie ihr Dorfname Zieglerschwarz entstanden ist, weiß vermutlich kaum noch jemand von den dazu gezählten Familien, deren bürgerlicher Name Kilian lautet. Der Name geht zurück auf Michael Kilian (1701 – 1769), ehedem Besitzer und Betreiber der Ziegelhütte am Rimparer Berg und – wie man vermuten darf – auffallend durch seine schwarze Haarfarbe.

Als Rechner war Franz Issing (1894 – 1986) wohl den meisten im Dorf besser bekannt als mit seinem bürgerlichen Namen. Zu dem Beinamen, der dann auch auf seine Söhne überging, kam er durch seine zeitweilige Tätigkeit als Kassenverwalter des örtlichen Darlehnskassenvereins in den 1930er Jahren.

Die Zeit der Dorfnamen ist vorbei

Die Zahl der Dorfnamen, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben und mehr oder weniger lange Bestand hatten, ist kaum überschaubar. Bei manchen, die hier nicht aufgeführt wurden, ist ihre Herleitung auch nicht mehr nachvollziehbar.

Geht man nur zwei oder vielleicht drei Jahrzehnte zurück, waren diejenigen, die ihre familiären Wurzeln in Güntersleben haben, mit vielen der überlieferten Dorfnamen noch vertraut und machten davon immer noch Gebrauch.

Heute hört man die Dorfnamen nur noch selten. Wo sich die Zusammensetzung der Einwohnerschaft beständig ändert und die Einbindung in die Dorfgemeinschaft lockert, da können nur in der Alltagssprache verankerte Dorfnamen auch keinen Bestand mehr haben. Zudem werden sie bei der gegen früher unvergleichlich größeren Vielfalt und damit Unterscheidbarkeit der individuellen Namen auch nicht mehr wirklich gebraucht.

01/2024

Gleich und gleich gesellt sich gern

Wenn Ehen vorzugsweise mit Partnerinnen oder Partnern aus dem gleichen räumlichen, gesellschaftlichen oder sozialen Umfeld geschlossen werden, spricht man in diesem Zusammenhang von Heiratskreisen. Heute kennt man das vor allem noch bei dem Teil der Bevölkerung, der sich dem Adel zugehörig fühlt. Adelsfamilien glauben auf diese Weise ihre vermeintlich privilegierte Stellung auch unter den Vorzeichen von Demokratie und Gleichheit vor dem Gesetz weiter sichern zu können. Auch die Sorge um die Erhaltung und Mehrung des Vermögens mag dazu beitragen, Amors Pfeilen nicht ganz freien Lauf zu lassen.

Auch in der überschaubaren Welt des Dorfes spielten solche Überlegungen ehedem eine nicht unbedeutende Rolle, wie der Blick in die Vergangenheit Günterslebens zeigt. In anderen Dörfern wird es kaum anders gewesen sein.

Klassengesellschaft im Bauerndorf

Im Jahr 1698 ließ die Gemeinde Güntersleben zum Zwecke der Steuerveranlagung ein sogenanntes Schatzungsbuch anlegen. Darin sind alle Familien im Dorf, zu der Zeit fast ohne Ausnahme Bauern und wenige Dorfhandwerker, mit ihrem Vermögen erfasst. Aus dem Wertanschlag für die Häuser, Grundstücke und das Vieh lässt sich ersehen, wie Besitz und Vermögen im Dorf verteilt waren.

Von den 105 Familien, die Güntersleben damals zählte, verfügte ziemlich genau ein Drittel über ein Vermögen im Wert zwischen 200 und 700 Gulden. Bei einem weiteren Drittel lag der Wert ihres Vermögens zwischen 100 und 200 Gulden. Für das verbleibende Drittel, also 35 Familien, lag die Bewertung ihres Vermögens unter 100 Gulden, was allenfalls eine bescheidene Lebensführung ermöglichte.

Die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede im Dorf waren also erheblich, und mit ihrer Partnerwahl trugen die heiratswilligen jungen Männer und Frauen ihren Teil dazu bei, dass sich daran nicht so schnell etwas änderte.

Die Kinder der Familien der oberen Vermögensklasse, soweit sie das heiratsfähige Alter erreichten und im Dorf blieben, verheirateten sich zu zwei Dritteln innerhalb der Oberschicht. Ein knappes Drittel wählte seinen Partner oder seine Partnerin aus der Mittelschicht. Lediglich sieben von 100 Angehörigen der Oberschicht konnten sich vorstellen, dass sie die zweite Hälfte zu ihrem ehelichen Glück auch in der unteren Vermögensklasse finden könnten.

Anders als die Angehörigen der Oberschicht versuchten die jungen Leute aus der unteren Vermögensklasse naturgemäß, ihr soziales Umfeld zu verlassen und auf dem Weg über eine Heirat in der dörflichen Hierarchie aufzusteigen. Immerhin ein Drittel schaffte es, sich mit jemanden aus der Oberschichte zu verheiraten, ein weiteres Drittel kam bei seiner Partnerwahl bis zur Mittelschicht. Für das verbleibende Drittel führte aber auch die Heirat nicht zu einem sozialen Aufstieg.

Die Angehörigen der Mittelschicht heirateten zu etwa gleichen Teilen unter sich und nach oben und nur zu einem geringeren Teil nach unten.

Bauern, Arbeiter, Tagelöhner

Es handelt sich bei diesen Feststellungen aus der Zeit um 1700 keineswegs um eine zufällige Momentaufnahme. Auch im weiteren Fortgang der Ortsgeschichte achtete man sehr darauf, dass die sozialen Unterschiede mit der Abgrenzung zwischen den Besitzenden und den weniger Begüterten gewahrt blieben.

Die Zunahme der Bevölkerung im 19. Jahrhundert hatte zur Folge, dass nicht mehr alle Familien eine eigene Hofstelle zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes haben konnten. Etwas vereinfacht und plakativ dargestellt, hatten wir dann in Güntersleben eine Art Dreiklassengesellschaft: Da waren zum einen die Bauern als nach wie vor größte und bestimmende Gruppe im Dorf, einige wenige selbstständige Handwerker inbegriffen, dann die stetig wachsende Zahl der Arbeiter, vor allem in Berufen des Bauhandwerks, und schließlich am unteren Ende der Vermögensskala die Tagelöhner, die ihr Auskommen ohne erlernten Beruf und ohne feste Beschäftigung mehr schlecht als recht bestreiten mussten.

Auch unter diesen veränderten gesellschaftlichen Strukturen trug das Heiratsverhalten zur Verfestigung der Abgrenzung bei. In den 50 Jahren zwischen 1850 und dem Ende des Jahrhunderts traten 197 (Jung-)Bauern und 69 Tagelöhner vor den Traualtar. Von den Bauern verheirateten sich 163, also mehr als 80 %, im gleichen Stand mit einer Bauerntochter und lediglich vier mit einer Tagelöhnerstochter und drei mit einer Dienstmagd. Von den Tagelöhnern heirateten 21, also fast 30 %, wiederum eine Tagelöhnerstochter und acht eine Dienstmagd. Nur 20 glückte eine – materiell gesehen – bessere Partie mit einer Bauerntochter, von der sie in aller Regel eine höhere Mitgift erwarten konnten. Die Wohlhabenden blieben also, von Ausnahmen abgesehen, unter sich. Wer in eine weniger begüterte Familie hineingeboren wurde, hatte im Dorf eher keine so gute Chance, durch eine Heirat in die Kreise aufzusteigen, die sich als die besseren verstanden.

Und heute?

Mittlerweile gibt es im Dorf keine mit den früheren Verhältnissen vergleichbare Klassifizierung mehr nach Einkommen und Stand mit einer klar dominierenden Gruppe wie es einstens die Bauern waren. Dass „die Sach zusammenbleibt“ oder dass jemand „was mitbringt“, dürfte daher bei der Partnerwahl nur in den seltensten Fällen noch eine Rolle spielen.

12/2022

Evakuierte, Flüchtlinge, Vertriebene im Zweiten Weltkrieg

Als Deutschland mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg entfesselte, zählte Güntersleben knapp 1500 Einwohner. Nach fast sechs Jahren Krieg mit 91 gefallenen Soldaten, sechs Kriegstoten unter der einheimischen Bevölkerung im Dorf und rückläufigen Geburtenzahlen war die Einwohnerzahl von Güntersleben gleichwohl bis 1946 auf fast 2000 gestiegen. Wie kam es dazu?

Über 600 Menschen, die durch den Krieg ihren Heimatort verlassen mussten und nach Güntersleben kamen, um hier vorübergehend, für längere Zeit oder auf Dauer Aufenthalt zu finden, hatten zu diesem Einwohnerzuwachs geführt. Sie alle in den 270 Wohnhäusern unterzubringen, die um einiges kleiner als die heutigen und schon vor dem Krieg dicht belegt waren, bedeutete für die Gemeinde eine bis dahin und auch bis heute nicht mehr erlebte Herausforderung. Schließlich war während des Krieges auch in Güntersleben der Häuser- und Wohnungsbau komplett zum Erliegen gekommen.

„Rückwanderer“ aus dem Saarland

In Erwartung einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Frankreich war schon etwa zeitgleich mit dem Einmarsch nach Polen die Räumung der westlichen Grenzgebiete des Reiches angeordnet worden. Von den 600.000 Menschen, die allein im Saargebiet ihre Wohnungen verlassen mussten, kamen im September und Oktober 1939 auch fünf Familien, zum Teil mit Kleinkindern, und mehrere Alleinstehende, insgesamt 22 Personen, in Güntersleben an. Im Amtsdeutsch fälschlicherweise als Flüchtlinge oder beschönigend als Rückwanderer bezeichnet, lebten sie die nächsten Monate in privat zur Verfügung gestellten Unterkünften. Nach den Anfangserfolgen der deutschen Wehrmacht gegen Frankreich konnten sie im Sommer 1940 wieder in ihre Heimat zurück.

Kinderlandverschickung

Zu Beginn des Jahres 1941 wurden bei der „Kinderlandverschickung aus luftgefährdeten Gebieten“ 27 Kinder aus Düsseldorf, Krefeld und Essen nach Güntersleben zugewiesen. Die 19 Mädchen und 7 Jungen im Alter zwischen 6 und 14 Jahren wurden bei einzelnen Familien untergebracht und besuchten währenddessen hier auch die Schule. Sie blieben meist mehrere Monate, viele kamen nach kurzem Heimatbesuch – solange das möglich war – immer wieder. Einer und auch der Einzige, der auf Dauer blieb, war Kurt Lukas aus Essen-Kettwig, der nach dem Krieg in Güntersleben heiratete und hier ansässig wurde.

Nach der Ausweitung der englischen Luftangriffe auf das Rheinland und das Ruhrgebiet wurden dann mit den Kindern auch deren Familien in Sicherheit gebracht und mit Sonderzügen in das noch sichere Landesinnere befördert. Unter dem Betreff „Erweiterte Kinderlandverschickung zur Unterbringung total bombengeschädigter Volksgenossen“ wurde dem Bürgermeister mit Schreiben vom 29. Juni 1943 angekündigt, dass Güntersleben mit der Zuweisung von 35 Müttern mit einem oder zwei Kindern, 40 weiteren Kindern und 10 älteren Leuten zu rechnen habe, wenn der Sonderzug in den nächsten Tagen eintreffe. Wenig später meldete die Gemeinde zum Stand 17. Juli 1943 die Anwesenheit von 132 Personen, die wiederum vornehmlich aus Düsseldorf, Krefeld und anderen Städten in deren Nähe stammten.

Flucht vor dem näher rückenden Krieg

Dabei blieb es aber nicht. Bis zum Ende des Krieges und verstärkt seit Ende 1944 kamen beinahe ständig weitere Schutzsuchende, nicht mehr allein aus dem Rheinland, hinzu. Manche von ihnen blieben nur kurze Zeit, um dann weiterzureisen zu Bekannten oder Verwandten, bei denen sie unterkamen. Genaue Zahlen gibt es aus diesen Monaten nicht. Die Anzahl der Aufgenommenen dürfte sich aber Anfang März 1945, noch vor dem großen Zustrom nach der Zerstörung Würzburgs, schon auf 200 zubewegt haben.

Nach der Zerstörung Würzburgs

Am 16. März 1945 wurde Würzburg durch englische Luftangriffe zerstört. Die obdachlos gewordenen Einwohner, die dem Inferno entrinnen konnten, flüchteten in ihrer Not in die Dörfer der Umgebung. Mehr als 350 von ihnen suchten und fanden für eine damals nicht absehbare Zeit eine Bleibe in Güntersleben. Am Morgen nach der Brandnacht wurden die Kleinkinder der Universitätsklinik des Luitpoldkrankenhauses auf Pferdefuhrwerken nach Güntersleben befördert; für das folgende halbe Jahr waren, wie in einem Notfallplan vorgesehen, die Hirschenwirtschaft, der Schulsaal in der Kinderbewahranstalt an der Langgasse und das heutige Kolpinghaus am Kirchplatz, damals noch Schule, provisorisch hergerichtete Kinderkliniken.

Gegen Ende des Kriegs trafen die ersten Vertriebenen und Flüchtlinge ein, deren Anzahl in den Nachkriegswochen auf über 150 steigen sollte. Die allermeisten von ihnen kamen aus dem Sudetenland, einige wenige auch aus Schlesien, Ostpreußen und anderen ehemals deutschen Gebieten.

Eine genauere zahlenmäßige Aufstellung liegt erst wieder aus dem Dezember 1945 vor. Danach belief sich die Zahl aller heimatlos gewordenen Menschen, die in Güntersleben zu diesem Zeitpunkt untergebracht waren, auf mehr als 630 Personen jeden Alters. Da war die Kinderklinik schon wieder nach Würzburg zurückverlegt.

Zusammenleben auf engstem Raum und schwierige Versorgungslage

Soweit die Erinnerungen von Zeitzeugen verlässlich sind, war die Bereitschaft bei den Einheimischen groß, in ihren Wohnungen zusammenzurücken und irgendwie entbehrliche Räume in ihren Häusern für die Unterbringung freizugeben. Rein rechnerisch kommt man – bei allen Unterschieden im Einzelfall – auf durchschnittlich 7 bis 8 Personen, die danach in einem Haus lebten. Um zu ermessen, was das bedeutete, sollte man sich im Vergleich dazu vor Augen halten, dass heute unsere sehr viel größeren Häuser in Güntersleben im Durchschnitt gerade einmal halb so viele Bewohner haben.

Es sind nur wenige Einzelfälle dokumentiert, dass sich Wohnungseigentümer weigerten oder gezwungen werden mussten, freie Räume zur Verfügung zu stellen. Auch andere Vorkommnisse, wie unangemessene Behandlung oder Schikanierung von Zugewiesenen, gab es anscheinend nicht so oft. Wie nach aller Lebenserfahrung nicht anders zu erwarten, haben sich freilich auch nicht alle Aufgenommenen immer vorbildlich oder genau so verhalten, wie es ihre Wohnungsgeber erwarteten. Dem einen oder der anderen mag es auch schwergefallen sein, sich vom Stadtleben an die Verhältnisse auf dem Land, zumal unter den damaligen Bedingungen, zu gewöhnen.

Die neuen Dorfbewohner mussten nicht nur untergebracht, sondern auch mit allem weiteren, was sie zum Leben brauchten, versorgt werden. Wohl bekamen auch sie Lebensmittelkarten und Bezugsscheine auf die Dinge des täglichen Bedarfs. Doch was damit zugewiesen wurde, reichte – sofern man es überhaupt bekam – vielfach kaum zum Überleben. Zwar lebte man in Notzeiten wie damals auf dem Land immer noch besser als in der Stadt. Doch die weit reichenden Ablieferungspflichten beschränkten auch die Möglichkeiten der Bauern, von dem abzugeben, was sie auf ihren Höfen und Feldern produzierten.

Selbst in einer so waldreichen Gemeinde wie Güntersleben wurde das Holz knapp, um im Winter die Wohnungen zu heizen. Am 4. Februar 1946 sah sich der Gemeinderat zu einem Beschluss veranlasst, wonach „von sämtlichen Haushaltungen jede verfügbare männliche Arbeitskraft zum Holzfällen abzustellen ist, damit der große Brennholzbedarf gedeckt werden kann.“ Der Bedarf war angesichts der vielen zusätzlichen Hausbewohner größer als je zuvor und es fehlten die arbeitsfähigen Männer, die im Krieg geblieben oder noch in Gefangenschaft waren.

Viele Schulkinder, wenige Lehrer, fehlende Klassenzimmer

Auch die Schule stand erst einmal vor kaum lösbaren Problemen. Nach einem halben Jahr Pause konnte am 22. Oktober 1945 zwar wieder mit dem Unterricht begonnen werden – aber nur für die unteren vier Jahrgänge. Für die höheren Jahrgänge fehlten die Lehrer und die Schulsäle. Lehrer Ludwig Mainka, selbst Flüchtling aus Oberschlesien, und eine Kollegin hatten jeweils zwei Klassen mit 103 bzw. 118 Schulkindern zu unterrichten. Der volle Schulbetrieb für alle acht Jahrgangsstufen konnte erst ab Mai 1946 wieder aufgenommen werden. In den gleichen Klassenzimmern, die vor dem Krieg für 240 Plätze ausgelegt waren, erteilten jetzt vier Lehrer für 380, mit Beginn des nachfolgenden Schuljahrs sogar für 394 Kinder den Unterricht. Möglich war das nur mit sogenanntem Wechselunterricht, bei dem vormittags die eine Hälfte und nachmittags die andere Hälfte der Klassen an der Reihe war. Erst mit dem Schuljahr zum September 1949 entspannte sich die Situation mit weniger Schulkindern und mehr Lehrkräften, bevor 1951 mit dann noch 269 Kindern in ein neues Schulhaus umgezogen werden konnte.

Auf dem Weg in die Normalität

Die beengte Wohnungssituation entspannte sich erst allmählich wieder, als die ersten Evakuierten in ihre Herkunftsorte zurückkehren konnten und auch ein Teil der Flüchtlinge und Vertriebenen anderswo unterkam. Doch das dauerte. Fünf Jahre nach Kriegsende wohnten in Güntersleben noch etwa 220 Evakuierte und 90 Flüchtlinge und Vertriebene, zusammen noch immer über 300 Personen, die durch die Kriegsereignisse in das Dorf gekommen waren. 170 waren es 1956 immer noch, von denen die meisten aber auch nicht mehr beabsichtigten, aus Güntersleben wegzuziehen. Es dürften wohl über 100 Personen sein, die auf Dauer an dem Ort sesshaft blieben, den sie sich nicht freiwillig ausgesucht, sondern in höchster Not als Rettungshafen gefunden hatten. Und dass gar nicht so wenige dann auch ihr persönliches Glück in einer Heirat mit einem Günterslebener oder einer Günterslebenerin hier fanden, gab dem Leben dann noch einmal eine ganz neue Wende.

An Wohnungen mangelte es schließlich auch nicht mehr, seit 1948 die ersten Neubauten entstanden und bis 1952 mehr als 60 neue Wohnhäuser bezogen werden konnten.

05/2022

 

 

 

Wie die Kinder zu ihren Namen kamen

Für angehende Eltern gehört neben vielem anderen, was für die Ankunft ihres erwarteten Sprösslings an Vorbereitungen zu treffen ist, auch die Bestimmung eines passenden Namens, der ihren Vorstellungen entspricht und später hoffentlich auch die Erwartungen ihres Kindes erfüllt, das ihn ein Leben lang tragen soll. Bei der nahezu unbegrenzten Zahl von Möglichkeiten, aus denen man heute wählen kann, ist die Entscheidung nicht immer ganz einfach.

Diese Qual der Wahl hatten unsere ferneren Vorfahren nicht. Von Vielfalt bei den in Frage kommenden Vornamen konnte keine Rede sein und welchen das Neugeborene dann erhielt, ergab sich praktisch von selbst. Denn bis 1840 wurden die Kinder in Güntersleben auf den Namen ihrer Paten getauft. Das war so selbstverständlich, dass die Pfarrer es bis 1686 in der Regel gar nicht für nötig erachteten, bei der Beurkundung der Taufe den Namen des Kindes anzugeben. Eingetragen wurden nur die Namen des Vaters und des Paten oder der Patin. Damit war klar, wie das Kind genannt wurde. Dass auch der Name der Mutter damals nur selten eingetragen wurde, war dem Zeitgeist einer patriarchalisch ausgerichteten Gesellschaft geschuldet.

Kinder

In der Würzburger Straße

Weil sich die Eltern die Paten und Patinnen für ihre Kinder üblicherweise im Dorf suchten, wurden über diese auch immer wieder die im Dorf kursierenden gleichen Namen weitergegeben. Deren Zahl war und blieb damit überschaubar. In den 250 Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen in den Pfarrmatrikeln im Jahr 1592 bis 1840 kamen in Güntersleben etwas mehr als 5600 Kinder zur Welt. Die Jungen teilten sich 61 und die Mädchen sogar nur 36 verschiedene Vornamen. Und davon waren bei den Jungen bis 1800 schon 60 und bei den Mädchen 35 schon in Gebrauch. In den folgenden 40 Jahren wurde also jeweils nur ein neuer Vorname eingeführt.

In einem katholisch geprägten Dorf, in dem die Kirche das öffentliche und private Leben maßgeblich bestimmte, kamen für die Täuflinge natürlich nur die Namen von Heiligen in Frage. Zu den Namen, die einem dabei die ganze Zeit über besonders häufig begegnen, gehören Michael, Georg, Andreas, Nikolaus sowie Margaretha, Barbara und Katharina. Das waren aber noch nicht die absoluten Spitzenreiter.

Bei den männlichen Vornamen war das Johann. Jeder sechste Junge wurde während der genannten 250 Jahre auf den Namen Johann getauft. Viel öfter noch wurde dem eigentlichen Rufnamen wie Georg, Michael oder Peter der Name Johann vorangestellt. Auf diese Weise führte über die Hälfte aller Männer im Dorf Johann als einen seiner Vornamen. Bei den weiblichen Vornamen standen Maria und Anna ganz oben. Aber nicht als Einzelnamen, sondern in Verbindung mit einem weiteren Namen oder – besonders beliebt – in Kombination miteinander als Anna Maria. Mindestens einer der beiden Namen gehörte damit bei den meisten weiblichen Dorfbewohnern zu ihren Vornamen.

Diese über die Jahrhunderte unveränderten Gepflogenheiten fanden ein abruptes Ende, als 1841 mit Alexander Sturm ein junger Pfarrverweser vorübergehend als Seelsorger nach Güntersleben beordert wurde. Mit seinem Vornamen scheint ihm eine ausgeprägte Vorliebe für die griechisch-römische Antike in die Wiege gelegt worden zu sein. Und die wollte er auch den Günterslebenern nahebringen. Unerschrocken, wie er sich auch in seiner sonstigen Amtsführung zeigte, und obrigkeitshörig, wie seine Pfarrkinder damals noch waren, schaffte er es, dass die jungen Eltern (oder Väter), die eine Taufe anmeldeten, Namen für ihre Kinder akzeptierten, von denen sie bis dahin vermutlich noch nie gehört hatten. Man kann sich gut vorstellen, wie den Kindern zumute war, die dann als Fides, Nympha, Flora, Secunda, Cyrinus, Polycarp, Hilarius und anderen – auch heute noch recht ausgefallen anmutenden – Namen mit den anderen Dorfbewohnern leben mussten. Nur einzelnen sturen Bauernschädeln gelang es, den ihren Kindern zugemuteten exotischen Namen erfolgreich abzuwehren.

Nach einem Jahr endete die Amtszeit des Pfarrverwesers Sturm und fast vermeint man ein erleichtertes Aufatmen zu spüren, wenn man im Taufregister wieder die althergebrachten Vornamen liest. Wie eh und je wurden die Kinder wieder nach ihren Paten oder Patinnen benannt.

Zwei Jahrzehnte später war es wieder ein Pfarrer, der einen neuen Versuch unternahm, den Kreislauf der ewig gleichen Namen zu durchbrechen. Anton Wehner, von 1859 bis 1862 Pfarrer in Güntersleben, ging aber dabei behutsamer und mit mehr Einfühlungsvermögen vor. Die neuen Namen wie Alfred, Eberhard, Bruno, Gottfried, Hedwig oder Johanna, die während seiner Amtszeit in Gebrauch kamen, passten schon eher zum Dorf. Und siehe, auch einige der von Alexander Sturm eingeführten Namen fanden offenbar mit der Zeit Gefallen. Mechthild, Alois, Martina, Felix, Antonia sind nicht wie die meisten anderen mit dem Tod ihrer Träger wieder in Vergessenheit geraten.

MIttlerweile trennte man sich allmählich auch von der Übung, den Kindern die Namen ihrer Paten zu geben. Stattdessen ging man dazu über, den Kindern den Namen ihres Paten als zweiten Vornamen zu geben, wie das bis heute noch oft geschieht.

03/2022

 

 

Von Rimpar, Retzstadt, Thüngersheim

„Früher ist man im Dorf geblieben, auch beim Heiraten.“ Ein gängiges Klischee, das aber in dieser Allgemeinheit nicht stimmt. Beim Blick auf die Gepflogenheiten in Güntersleben ergibt sich ein anderes Bild.

1910 Ziegler Maternus Und Katharina

Günterslebener Brautpaar 1910

Auf Brautschau oder Partnersuche in den Nachbardörfern

Bei allen Ehen, die zwischen 1592 – als mit den Aufzeichnungen in den Kirchenbüchern begonnen wurde – und 1914 in Güntersleben geschlossen wurden, stammte in zwei von fünf Fällen der Bräutigam oder die Braut nicht aus dem Dorf. Bis 1700 war das sogar noch deutlich häufiger der Fall, was wohl auf die katastrophalen Einwohnerverluste durch die Pest und den Dreißigjährigen Krieg zurückzuführen ist.

Die auswärtigen Ehepartner kamen, was angesichts der fehlenden Verkehrsmittel nicht über­rascht, zuallermeist aus den naheliegenden Nachbargemeinden. Unter diesen wiederum nimmt Rimpar eine herausragende Stellung ein. Von den rund 800 Männern und Frauen, die zwischen 1592 und 1914 von auswärts nach Güntersleben einheirateten, kamen allein 95 aus Rimpar. Erst mit großem Abstand folgen die weiteren direkten Nachbarn Retzstadt mit 41, Thüngersheim mit 30, Oberdürrbach mit 20, Veitshöchheim mit 19 und Gramschatz mit 18 Heiratswilligen, die in Güntersleben ihr Glück versuchten. Zwischen diesen reiht sich als nicht unmittelbar angrenzende Nachbargemeinde nur Versbach mit 29 Zuzügen ein, was im Vergleich erstaunlich und kaum erklärbar ist. Unter den Herkunftsorten sind weiterhin so gut wie alle Dörfer der Umgebung vertreten, wobei die Anzahl der Einheiraten nach Güntersleben erwartungsgemäß mit der Entfernung abnimmt.

Zuzüge ins Dorf mit dem Ziel, hier dauerhaft zu wohnen, waren bis zum Ersten Weltkrieg in aller Regel nur zum Zwecke der Verheiratung mit Einheimischen möglich. Die Kirchenbücher mit den Heiratseinträgen in dem bis ins 20. Jahrhundert rein katholischen Dorf vermitteln daher ein recht genaues Bild darüber, wie viele Personen von außerhalb jedes Jahr neu hinzukamen. Allein die Absicht zu heiraten, reichte aber dafür noch nicht. Ohne die Zustimmung der Gemeinde kam niemand ins Dorf. Und die bekam man nur, wenn man einen untadeligen Ruf, Leumund genannt, und ein hinreichendes Vermögen nachweisen konnte, das eine gesicherte Existenz für die künftige Familie garantierte.

Herüber und hinüber – Rimpar ganz vorne

Anders als die Eheschließungen und damit die Zuzüge wurden in den Kirchenbüchern die Wegzüge nicht registriert. Aus den teilweise gefertigten und aufbewahrten Abschriften von Vermögens- und Leumundszeugnissen für die Wegziehenden lässt sich aber immerhin schließen, dass es mindestens ebenso viele oder – vor allem im 19. Jahrhundert – sogar mehr Wegzüge als Zuzüge gab. Auch dabei kann man feststellen, dass Rimpar ein bevorzugtes Ziel war.

Zwischen Güntersleben und Rimpar gab es also schon immer einen engeren nachbarschaftlichen Austausch als mit anderen angrenzenden Dörfern. Ob es an der ähnlichen Struktur der beiden Nachbardörfer lag oder daran, dass Rimpar als Markt eine besondere Ausstrahlung auf die Umgebung hatte? Auch heute ist es noch so, dass es zwischen den beiden Gemeinden viele persönliche Beziehungen und familiäre Verbindungen gibt. Dass man hüben wie drüben gelegentlich nicht immer freundlich klingende, aber auch nicht wirklich böse gemeinte Kommentare über die jeweils anderen hören kann, darf man daher getrost in die Rubrik einordnen: Was sich liebt, das neckt sich.

Dagegen fällt auf, dass es aus dem schon immer gut erreichbaren Nachbarort Veitshöchheim kaum mehr Heiratswillige nach Güntersleben zog als aus dem sehr viel kleineren Gramschatz. Vielleicht scheuten sich die hiesigen jungen Männer, in dem vornehmeren Residenzort und Behördenstandort Veitshöchheim auf Brautschau zu gehen. Und umgekehrt zog man von einem solchermaßen privilegierten Ort vielleicht auch nicht so gerne hinaus in ein einfaches Bauerndorf wie Güntersleben.

 

Mehr Frauen von auswärts als Männer

Generell lässt sich feststellen, dass über den gesamten betrachteten Zeitabschnitt fast durchgängig deutlich mehr Frauen als Männer durch Heirat nach Güntersleben kamen. Erklären lässt sich das damit, dass Männer den Nachweis einer gesicherten Existenz im Allgemeinen nur dann erbringen konnten, wenn sie einen Hof übernehmen konnten oder zur selbstständigen Ausübung eines Handwerks befähigt waren, das im Dorf gebraucht wurde. Die Möglichkeit, einen Hof zu übernehmen, ergab sich aber nur, wenn auf diesem kein männlicher Nachkomme vorhanden war oder der Hoferbe früh verstorben war. Vor allem im 19. Jahrhundert, als die Einwohnerzahl stärker als bis dahin wuchs, kam es immer seltener vor, dass ein Hof für einen Außenstehenden frei wurde. Andere Arbeitsplätze gab es im Dorf kaum, die Zahl der Familienmitglieder, die als Tagelöhner kein festes Auskommen hatten, wurde immer größer. Folgerichtig war es für junge Männer aus dem Umkreis immer weniger möglich und auch kaum erstrebenswert, nach Güntersleben zu heiraten. In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg kam bei den Ehen zwischen Einheimischen und Auswärtigen in zwei von drei Fällen die Frau und nur bei jeder dritten Ehe der Mann von auswärts.

 

Aus weiter Ferne

Nur höchst selten kam es früher vor, dass jemand aus einer entfernteren Gegend in Güntersleben ansässig wurde. Wenn doch, dann waren es Männer, genauer gesagt junge Männer, die ihre Lehrjahre mit der vorgeschriebenen Wanderschaft abschlossen und auf ihrer Walz in Güntersleben Station machten. Und dabei kam es auch vor, dass man sich in ein Mädchen am Ort verliebte oder – wie im Lied von der schönen Müllerin besungen – am besten gleich die Tochter des Meisters für sich entflammen konnte. Auf diese Weise blieb 1721 der Maurergeselle Franz Ittenson aus St. Margarethen in der Schweiz in Güntersleben „hängen“, heiratete eine Maurerstochter und übte hier sein Handwerk aus, das nach ihm sein Sohn und nach diesem auch noch sein Enkel fortführte. 1783 heiratete der Bäckergeselle Joseph Kettemann aus Gräfelfing bei München die Tochter des ortsansässigen Bäckers Nikolaus Keupp und übernahm später dessen Geschäft oben an der Langgasse. Auch dieses Geschäft wurde über mehrere Generationen von seinen Nachkommen weitergeführt, die es überdies zu beträchtlichem Wohlstand brachten.

Wenn manchen Dörfern auch in unserer Gegend nicht immer zu Unrecht nachgesagt wird, dass sie sich in der Vergangenheit mehr als notwendig abgegrenzt und alles, was von außen kam, nach Möglichkeit ferngehalten haben, dann trifft das auf Güntersleben gewiss nicht zu. Die Offenheit und die Bereitschaft, sich auf Neue(s) einzulassen – früher unter dem Vorbehalt, dass das Auskommen der Neuankömmlinge gesichert war und sie nicht der Allgemeinheit zur Last fallen würden – hat hier eine lange Tradition.

02/2022

 

 

Viele Kinder, kurzes Leben

Die typische Familie in Deutschland, wie sie uns auch in Werbeanzeigen präsentiert wird, hat ein oder zwei Kinder. Gehört man zu den rund zehn Prozent der Familien mit drei und mehr Kindern, gilt man schon als kinderreich. Fünf und mehr Kinder findet man nur bei einer von 100 Familien.

Wie anders waren doch die Familiensituationen in der Vergangenheit. Im Durchschnitt sechs bis sieben Kinder wurden in den Familien geboren, die zwischen 1800 und 1914 in Güntersleben begründet wurden, mit den gleichen Eltern oder mit verschiedenen Vätern oder Müttern, wenn ein Elternteil sich nach dem frühen Tod des anderen wieder verheiratet hatte. Familien, in denen nur ein oder zwei Kinder geboren wurden, waren so selten wie heute kinderreiche Familien. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der in Güntersleben – bei kaum einem Viertel der heutigen Einwohnerzahl – so viele Kinder geboren wurden wie in keinem anderen vergleichbaren Zeitraum vorher und nachher, hatte jede vierte Familie fünf und mehr Kinder. Zehn und mehr Kinder waren keine Seltenheit. Sieben Frauen gab es in diesem halben Jahrhundert, die 14 oder 15 Kinder zur Welt brachten.

Dass nach 1850 so viele Kinder geboren wurden, hatte viel mit der Verbesserung der Lebensverhältnisse zu tun, die seit dieser Zeit, wenn auch im Vergleich zu manchen Nachbardörfern auf nach wie vor bescheidenem Niveau, in Güntersleben zu beobachten war. Kinderreichtum konnten sich damals am ehesten die wohlhabenderen Familien leisten. Wo auf dem Hof Dienstboten, Knechte und Mägde, beschäftigt waren, hatte die Frau mehr Zeit, sich um Kinder zu kümmern. So ist es auch kein Zufall, dass der Mann mit den meisten, nämlich 21, Kindern in Güntersleben gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Hirschenwirt Johann Schömig war. War er doch zu dieser Zeit auch der mit Abstand größte Steuerzahler am Ort. Schömig war zweimal verheiratet. Zehn seiner Kinder starben aber schon bald nach der Geburt oder in ihren ersten Lebensjahren.

Damit ist der zweite Punkt genannt, der die damaligen familiären Verhältnisse so sehr unterscheidet von denen in unserer Zeit. Stirbt ein Kind bei der Geburt oder in seinen ersten Lebensjahren, ist das für seine Eltern eine schreckliche Tragödie. Die Lücke wird umso schmerzlicher empfunden, wenn keine oder, wie heute häufig, nur wenige Geschwister vorhanden sind. Glücklicherweise kommt ein solches Ereignis hierzulande nur noch selten vor. In Deutschland sind es nur drei bis vier Kinder von 1000 Neugeborenen (0,3 – 0,4 %), die dieses Schicksal erleiden. In einigen Ländern im zentralen Afrika mit den heute weltweit höchsten Sterblichkeitsraten sind es noch drei bis vier Mal so viele.

Auch das sind aber sehr wenige, wenn wir damit vergleichen, wie viele Kinder bei uns bis noch vor 100 Jahren in ihren ersten Lebensjahren starben. In Deutschland starben um 1870 etwa 25 % aller Neugeborenen, bevor sie fünf Jahre alt waren. Die Zahl sank bis 1900 auf etwa 20 % und lag um 1910 noch bei etwa 16 %. In allen vorliegenden Erhebungen wird jedoch darauf hingewiesen, dass es starke regionale Unterschiede gab, bei der in manchen Gegenden die Kindersterblichkeit bis zu 35 % betragen konnte.

Die Vergleichszahlen für Güntersleben lagen sogar noch höher. Um 1870 starben 40 % der Kleinkinder, bevor sie 5 Jahre alt waren. Bis 1900 sank der Wert leicht auf immer noch erschreckende 36 %, um dann erneut im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts auf 40 % anzusteigen. Besonders schlimm traf es die Geburtsjahrgänge 1905 und 1908. Von den 50 Kindern, die 1905 geboren wurden, starben 23 schon bei oder bald nach ihrer Geburt und drei weitere, noch bevor sie fünf Jahre alt waren. 1908 wurden 58 Kinder geboren, von denen 28 noch im ersten Lebensjahr und vier weitere bis zum Alter von fünf Jahren verstarben. Den meisten Ehepaaren, die zwischen 1900 und 1910 in Güntersleben heirateten, blieb es nicht erspart, in den Jahren danach den frühen Tod von einem oder auch mehreren Kindern beklagen zu müssen.

Woran lag es, dass Güntersleben eine so hohe Kindersterblichkeit aufwies, die weit über die allgemein bekannten Durchschnittswerte hinausging? Und hatte es diese traurige Spitzenstellung auch im regionalen Bereich? Vergleichszahlen aus den Nachbargemeinden sind nicht bekannt. Man kann sich aber kaum vorstellen, dass es dort noch schlimmer gewesen sein könnte.

1925 Theresia Ziegler Mit Enkeln Und Stiefenkeln Josefine A

1925

Generell als Hauptgründe für eine hohe Kindersterblichkeit werden Mangelernährung, nachlässige Hygiene, unzureichende Kenntnisse der Mütter und fehlende ärztliche Versorgung angeführt. Das alles dürfte auch für Güntersleben zugetroffen haben. Bei den Sterbeeinträgen findet man denn auch neben den üblichen Kinderkrankheiten auffällig häufig Brechdurchfall, Magen- und Darmkatarrh, Abmagerung, Auszehrung, Rachitis und damit ernährungsbedingte Krankheiten.

Ein Hinweis darauf, dass die Kindersterblichkeit in Güntersleben auch im Vergleich zur näheren Umgebung besonders auffällig war, könnte sein, dass das Bezirksamt mit Schreiben vom 26. November 1908 von der Gemeinde dazu einen Bericht einforderte. In seiner Antwort vom 13. Dezember 1908 nannte der örtliche Armenpflegschaftsrat, ein gemeinsames Gremium von Gemeinde und Pfarrei, als Gründe für die Säuglingssterblichkeit „hauptsächlich Erwerbs­nachgang der Mütter, ferner Milchmangel der Mütter, in einigen Fällen Krank­heit derselben.“ Als Mittel zur Behebung dieser Ursachen sah er „Verringerung der Dienst­botennot, Kenntnis der zweckmäßigen Kinderernährung, unentgeltliche ärztliche Belehrungen, z. B. bei Gelegenheit des Impfens.“

Wirklich geändert hat sich in Güntersleben zunächst einmal wenig. Zu einer spürbaren Eindämmung der Kindersterblichkeit kam es erst im Lauf der 1920er Jahre. Bis 1930 sank die Sterberate bei Kindern bis zu fünf Jahren auf 17 %. Damit hinkte Güntersleben aber weiterhin der allgemeinen Entwicklung hinterher. Deutschlandweit lag die entsprechende Vergleichszahl zu der Zeit bei nur noch 6 %.

Bis in die späten 1950er Jahre gab es auf dem Friedhof in Güntersleben noch eine eigene Abteilung für Kindergräber. Sie erinnerten an die Zeit, als der Weg der Schulkinder, wie unsere Großeltern zu erzählen wussten, nach dem morgendlichen Gottesdienst nur allzu oft erst hinter einem Kindersarg auf den Friedhof führte, bevor der Unterricht begann.

10/2021

Patchworkfamilien

Familien mit Kindern aus unterschiedlichen Beziehungen gibt es nicht erst in unserer Zeit. Neu ist nur ihre Bezeichnung als Patchworkfamilien. Der Begriff hat erst seit etwa 1990 Eingang in unseren Sprachgebrauch gefunden. Früher sprach man von Stiefkindern und Stiefeltern und verband damit allzu schnell – und oft zu Unrecht – die Vorstellung von einer schwierigen Eltern-Kind-Beziehung. Patchwork, abgeleitet von einer Arbeitstechnik mit Textilien, bei der man verschiedene Stoffe oder auch Stoffreste zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt, klingt da wesentlich freundlicher. Schätzungen gehen davon aus, dass heute etwa jede zehnte Familie eine Patchworkfamilie ist.

Neu ist aber nicht nur die Bezeichnung, auch die Ursachen für die Entstehung von Patchworkfamilien sind andere. Heute kommen sie meist dadurch zustande, dass Beziehungen zerbrechen und neue Verbindungen eingegangen werden, in die ein Partner oder beide Partner Kinder aus früheren Beziehungen mitbringen. Wenn dann in der neuen Partnerschaft weitere Kinder geboren werden, dann gibt es in dieser Familie, was etwas salopp gelegentlich so beschrieben wird: Meine Kinder, deine Kinder, unsere Kinder.

In früheren Jahrhunderten waren es in der Regel der frühe Tod eines Partners und die nachfolgende Wiederverheiratung des überlebenden Elternteils, der Familien mit Kindern unterschiedlicher Herkunft zur Folge hatte. Diese Familiensituation war keineswegs selten, ja es gab es viel häufiger als heute, wie sich an den Verhältnissen in Güntersleben aufzeigen lässt.

Bis 1900 konnte in Güntersleben nicht einmal die Hälfte aller Ehepaare ihre Silberhochzeit feiern, weil einer der Partner – in der Mehrzahl der Fälle die Frau – bereits vorher verstorben war. Das Fest einer Goldenen Hochzeit, also 50 gemeinsame Ehejahre, war ein äußerst seltenes Ereignis, das in Güntersleben in den 200 Jahren zwischen 1700 und 1900 nur 21 Mal vorkam, im Schnitt also alle zehn Jahre einmal. Nur drei Ehepaare erlebten in diesem Zeitraum ihre Diamantene Hochzeit nach 60 bzw. 61 gemeinsamen Ehejahren. Nimmt man zum Vergleich die letzten fünf Jahre des 20. Jahrhunderts mit 42 Goldenen und fünf Diamantenen Hochzeiten, dann lässt sich dieser exorbitante Anstieg nur zum geringsten Teil mit der größeren Einwohnerzahl erklären, sondern ist das Ergebnis der höheren Lebenserwartung.

Schömig Johann Und Magdalena Um 1896 A

Der Hirschenwirt Johann Schömig mit seiner zweiten Ehefrau Madgalena und Kindern aus seinen beiden Ehen. 1896.

Wenn in vergangenen Jahrhunderten ein Ehepartner früh starb, dann hatte der Witwer oder die Witwe kaum eine andere Wahl, als möglichst bald wieder zu heiraten. Waren, wie so oft, nach dem Tod der Mutter noch kleine Kinder da, brauchte der Vater jemanden, der diese versorgte, weil er sich neben der Feldarbeit und bei der damaligen Rollenverteilung in der Familie dazu außerstande sah. Bei der niedrigen Lebenserwartung waren auch nicht immer rüstige Eltern oder Schwiegereltern da, die diesen Part übernehmen konnten. Fast noch schwieriger war es für die Frau, wenn der Ehemann und Vater ihrer Kinder allzu früh starb. Ohne die Aussicht auf eine Witwen- oder Waisenrente und die heute üblichen sozialen Leistungen war für sie ohne einen neuen Partner, der den Hof versorgte und den Unterhalt für sie und ihre Kinder sicherte, ein Weiterleben kaum vorstellbar und der Weg in den wirtschaftlichen Ruin vorgezeichnet. In den Aufzeichnungen über die Bewohner des Armenhauses, das die Gemeinde bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vorhielt, findet man neben Alleinstehenden immer wieder auch Witwen mit ihren Kindern.

Zweit- oder weitere Ehen gab es daher früher viel häufiger als in jüngerer Zeit. Bei jeder dritten Hochzeit vor 1900 in Güntersleben war ein Partner dabei, für den das nicht der erste Gang zum Traualtar war. Gerade wenn noch kleinere Kinder da waren und, wie meist, ein Hof zu versorgen war, musste man sich beizeiten umschauen, dass wieder ein Mann oder eine Frau ins Haus kam. Nicht immer konnte man sich die Zeit für ein Trauerjahr nehmen, das Leben musste weitergehen. Die Frage, ob die Wiederverehelichung die Folge einer neuen großen Liebe oder der Sorge um die wirtschaftliche Existenz geschuldet war, stellt man besser nicht.

09/2021

 

Kuhn, Köhler und andere Günterslebener Namen

Wer sich die Mühe macht, im Telefonbuch die Einträge für die 4500 Einwohner von Güntersleben nachzuzählen, der findet dabei gut und gerne 500 und mehr unterschiedliche Familiennamen. Dazu muss man noch die rechnen, die nicht im Telefonbuch stehen. Vor 200 Jahren hatte Güntersleben 700 Einwohner und die kamen mit lediglich 56 verschiedenen Familiennamen aus.

Was sich gegenüber früher nicht geändert hat: Der Name Kuhn erscheint am häufigsten und ist wie eh und je der typische Günterslebener Name. Er gehört zu Güntersleben wie die Baumeister, Wagenbrenner, Keidel und Schömig zu Rimpar, Bauer, Dausacker, Kneitz und Urlaub zu Thüngersheim, Stark zu Gramschatz, May und Pfister zu Retzstadt.

Zum ersten Mal begegnet man 1560 dem Namen Kuhn in Güntersleben und seitdem ist er ununterbrochen hier heimisch. Er ist auch der Name, der über alle Zeiten mit Abstand die größte Verbreitung hatte. Seit 1592 die Pfarrer damit begannen, in Matrikelbüchern alle Neugeborenen zu erfassen, sind annähernd 800 Günterslebener mit dem Familiennamen Kuhn geboren worden. An nächster Stelle folgen Köhler und Schmitt in unterschiedlichen Schreibweisen, die mit unter jeweils 500 Namensträgern deutlich dahinter bleiben.

Die Dorfbewohner Bild

Neben Kuhn lassen sich mit Beck, Stieber, Kunzemann und Öffner nur vier weitere heute noch aktuelle Familiennamen in ununterbrochener Generationenfolge bis in die Zeit vor 1600 zurückverfolgen. Kaum weniger lange und auch in durchgehender Folge gibt es den Namen Kilian in Güntersleben und bei ihm weiß man sogar, wer ihn hier heimisch gemacht hat, nämlich ein Christoph Kilian aus Birkenfeld, der 1640 nach Güntersleben heiratete.

Die Frau fürs Leben (in den meisten Fällen mit einem Hof als Mitgift) fanden in Güntersleben zum Beispiel auch 1702 Peter Öhrlein aus Margetshöchheim, 1710 Philipp Mack aus Burgebrach, 1721 Nikolaus Keß aus Ramsthal, 1744 Kaspar Lorenz aus Thüngersheim, 1753 Johann Fleder aus Gramschatz oder 1759 Adam Lother aus Untereisenheim. Alle haben ihre Namen über die Generationen weitergegeben bis auf ihre heute hier lebenden Namensträger.

Valentin Schömig kam 1769 nach Güntersleben, um die frühere Gemeindeschenke in der Ortsmitte zu kaufen, fand dann aber auch eine Frau am Ort, die er zwei Jahre später heiratete. Mehr als 200 Jahre blieb das Gasthaus zum Hirschen, wie es später hieß, im Besitz ihrer Nachkommen. Die Angehörigen ihrer heute weitverzweigten Familie sind im Dorf bei manchen noch heute die Wirtli. Von diesen zu unterscheiden sind die ebenfalls nicht wenigen anderen Träger des Namens Schömig, die ihre Herkunft auf ihren Stammvater Leonhard Schömig zurückführen, der 1859 aus Oberdürrbach zuzog, in diesem Fall wieder der Liebe wegen.

Die Aussicht, ein Wirtshaus zu übernehmen, lockte 1802 auch Johann Fritz aus Gramschatz und 1899 Heinrich Joßberger aus Margetshöchheim nach Güntersleben. Beide Wirtshäuser, das eine unten, das andere oben an der Langgasse, sind zwar Geschichte, ihre vorher hier noch nicht eingeführten Namen, leben jedoch auch heute in ihren Nachkommen weiter. Gleiches gilt für Adam Geiger, der 1867 aus Thüngersheim kam, um eine Bäckerei, auch diese oben an der Langgasse, zu übernehmen.

Die Beispiele ließen sich fortsetzen, seien aber an dieser Stelle abgeschlossen mit Heinrich Issing aus Maidbronn, der 1798 zu seiner Braut nach Güntersleben zog, wie gleichfalls 1821 Jakob Ziegler aus Thüngen, 1824 Johann Wolf aus Veitshöchheim oder 1837 Georg Geißler aus Eußenheim. Gemeinsam ist allen, dass mit ihnen neue Familienname nach Güntersleben kamen, die über ihre Nachkommen große Verbreitung gefunden haben.

Namen kommen und Namen gehen, leben aber manchmal noch lange im örtlichen Sprachgebrauch fort. Der letzte Träger des Namens Spohr starb schon vor weit mehr als 100 Jahren. Gleichwohl kommt es auch heute noch vor, dass man für Nachkommen anstelle ihres eigentlichen Familiennamens wie eh und je den Namen ihrer fernen Vorfahren gebraucht.

08/2021