Als 1963 eine Straße in Güntersleben nach Ignatius Gropp benannt wurde, wussten viele Ortsbewohner mit diesem Namen erst einmal wenig anzufangen. Auch dem Gemeinderat bedeutete diese Namenswahl erkennbar nicht sehr viel, hatte man aus der langen Liste von Straßen, die damals neue Namen erhielten, doch nur eine unscheinbare Seitengasse der Rimparer Straße für ihn ausgewählt. Mit gerade einmal zwei Hausnummern tritt die Ignatius-Gropp-Straße auch als Adresse nur wenig in Erscheinung.
P. Ignatius Gropp
In Fachkreisen genießt Gropp als einer der herausragenden fränkischen Historiker der Barockzeit seit jeher einen exzellenten Ruf. Auch in Güntersleben, wo er die letzten neun Jahre seines Lebens als Pfarrer wirkte, hat er bis heute unübersehbare Spuren hinterlassen. Mit gutem Grund wurde daher 1991 die bis dahin namenlose Schule nach ihm benannt. Spätestens seitdem ist Ignatius Gropp auch in Güntersleben kein Unbekannter mehr.
Gropp wurde am 12. November 1695 in Bad Kissingen geboren und auf den Namen Johann Michael getauft. Die Eltern hatten eine Bäckerei und eine kleine Landwirtschaft. Darauf bedacht, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen, schickten sie ihre beiden Söhne nicht nur auf die Stadtschule, sondern zum Erlernen der lateinischen Sprache auch regelmäßig zum Pfarrer.
Mit 13 Jahren wechselte Johann Michael Gropp auf das Gymnasium der Jesuiten nach Würzburg und mit knapp 18 Jahren begann er ein Studium der Philosophie an der Universität in Würzburg. Schon jetzt wollte er eigentlich ins Kloster eintreten, wurde aber abgewiesen, weil er zu klein von Gestalt war.
Aber vor Schwierigkeiten aufgeben und sich entmutigen lassen, kam für Gropp nicht in Frage, damals wie auch in seinem späteren Leben nicht. Er schrieb sich an der Universität ein, als gering bemittelter Student von den Gebühren befreit. Drei Jahre später schloss er mit einem hervorragenden Examen ab. Damit beeindruckte er auch die Klosteroberen, so dass er 1716, mit jetzt 21 Jahren, doch Aufnahme in das Benediktinerkloster St. Stephan fand.
Das Kloster St. Stephan hatte seinen Sitz am Peterplatz in Würzburg. Auf dem früheren Klostergelände stehen heute die Amtsgebäude der Regierung von Unterfranken. Wie viele andere Klöster wurde auch St. Stephan bei der Säkularisation 1803 aufgelöst. Die gleichnamige Kirche des Klosters wurde die erste evangelische Pfarrkirche in Würzburg. Bis zu seiner Auflösung besetzte das Kloster die Pfarrstelle in verschiedenen Dörfern, darunter auch in Güntersleben, mit Patres aus seinem Konvent. Als Gegenleistung beanspruchte es den Zehnt von den Äckern, Weinbergen und Gärten der betreuten Dörfer.
Fünf Jahre nach seinem Eintritt in das Kloster, bei dem er den Ordensnamen Ignatius annahm, wurde Gropp 1721 mit 26 Jahren zum Priester geweiht. Er war dann zunächst Novizenmeister, also Ausbilder und Lehrer für den Klosternachwuchs. Seine heimliche Leidenschaft aber war schon damals die Geschichtswissenschaft, und so kam es ihm sehr entgegen, dass er 1729 Klosterbibliothekar wurde. Denn da konnte er, wie ein Biograph es ausdrückte, „jetzt ungehindert Manuskripte und Altertümer durchforschen und seinem Geist Nahrung verschaffen“.
Seine historischen Arbeiten, die in den folgenden Jahren veröffentlicht wurden – darunter vier große Bände über die Würzburger Diözesangeschichte – begründeten seinen Ruhm als Kenner der fränkischen Geschichte.
1740 wurde Ignatius Gropp Prior, also Vorsteher, zunächst in einem anderen Würzburger Kloster, im Jahr danach auch in seinem Stammkloster St. Stephan, möglicherweise beides sogar gleichzeitig. Und das bewältigte er alles neben der Verantwortung für die Bibliothek und neben seinen Forschungsarbeiten. Er war also vielfältig tätig, war angesehenes Mitglied in internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften und in der Klosterhierarchie weit nach oben gestiegen.
Von all dem trennte er sich 1749, um mit knapp 54 Jahren als Dorfpfarrer nach Güntersleben zu gehen. Aus unserer heutigen Betrachtung überraschend und eigentlich unverständlich. Denn Güntersleben war ein abgelegenes kleines Dorf mit kaum 600 Einwohnern. Die Menschen mussten mit dem auskommen, was die Äcker und Weinberge an Erträgen brachten und das war auf den kargen Böden nicht viel. Für die Verbesserung der Lebensverhältnisse und das Erscheinungsbild des Dorfes blieb da nichts übrig. Und offenbar stand auch niemand der Sinn danach.
So fand Ignatius Gropp Straßen vor wie die Langgasse, auf der man – wie er es beschreibt – bei Regenwetter oder Schnee und Eis „im Kot stecken bleiben“ konnte. Den Aufgang zur Kirche und zur Schule versperrte seit Jahren ein hoher Erdhaufen mitten im Weg. Die hintere Eingangstüre der Kirche war vom Wasser und vom Schnee so verquollen, dass sie nicht mehr zu öffnen war. Die Wand der Kirche zum Friedhof war feucht und grün geschimmelt, durch das Dach regnete es und durch die Fenster pfiff der Wind. So stellte sich Güntersleben Ignatius Gropp nach seiner Schilderung bei seinem Amtsantritt dar.
Wollte er vom Schreibtisch weg und hinaus in die praktische Seelsorge? Oder in einer kleinen Pfarrei, fern vom Klosterbetrieb, mehr Zeit haben für seine wissenschaftlichen Arbeiten? Oder wollten seine Vorgesetzten angesichts der geschilderten Verhältnisse einen besonders tüchtigen und tatkräftigen Mitbruder nach Güntersleben schicken? Wir wissen es nicht.
Ignatius Gropp kam nach Güntersleben und weckte das Dorf schnell aus seiner beschaulichen Ruhe, was – nicht überraschend in solchen Situationen – keineswegs allfällige Begeisterung, sondern Unwillen und Widerstände auslöste. Umso mehr muss es uns heute Bewunderung und Respekt abnötigen, was er unter diesen Umständen zuwege brachte.
Nachdem er am 6. August 1749 die Pfarrstelle in Güntersleben angetreten hatte, sah er seine Aufgabe zuerst in der Seelsorge. Das nach seinem Eindruck allzu lasche religiöse Leben seiner Pfarrkinder neu zu beleben, darum ging es ihm vor allem anderen.
Wenn die Günterslebener damals immer zweimal im Jahr Kirchweih feierten, nämlich im Mai und wie heute zum Fest ihres Kirchenpatrons im September, dann war das Gropp zu viel des Guten. Und zwar wegen der Begleiterscheinungen. Zum einen störten ihn die doppelten Kosten für den „in diesen harten Zeiten sehr erarmten Ort“. Zum anderen gefiel ihm nicht, dass das Fest im Mai oft vor der damals üblichen Wallfahrtswoche stattfand und man beim Tanzen am Abend vorher „so lang anhalte, dass folgenden Tags wegen schweren Köpffen wenige von den jungen Leuten zur Prozession erscheinen.“ Also setzte er 1754 in einem umfangreichen Schriftverkehr mit dem Bischof durch, dass nur noch im September ein Kirchweih- und Patronatsfest stattfand – wie wir das auch heute kennen.
Trotz der von ihm so bezeichneten „harten Zeiten“ in dem „sehr erarmten Ort“ gelang es Gropp, wohltätige Familien und Einzelpersonen zur Stiftung von religiösen Kunstwerken und Bildstöcken zu veranlassen. Die sollten die Menschen im Dorf und in der Flur zu Gebet und Besinnung anhalten. Zu keiner Zeit wurde in Güntersleben eine größere Zahl dieser Zeugnisse der Volksfrömmigkeit geschaffen als unter Ignatius Gropp. Davon stehen heute noch z. B. die Bildstöcke gegenüber der Brücke an der Rimparer Straße und am Weinlehrpfad im Höhfeld, der Bildstock in der Mehle und die Pieta, ursprünglich hinter der Kirche auf der Mauer zum Friedhof, heute im Ölgarten unter dem Kirchturm.
Bei seinen historischen Neigungen überrascht es nicht, dass Ignatius Gropp auch die Günterslebener Dorf- und Pfarreigeschichte interessierte. Das Ergebnis dieses Forschungsdrangs ist sein „Protocollum“, das er uns hinterließ. Es ist ein eigenhändig geschriebenes Buch mit mehr als 100 Seiten, in dem er die Entstehung und Entwicklung des Dorfes und der Pfarrei bis in seine Zeit anhand der damals verfügbaren Unterlagen und Überlieferungen festgehalten hat. Als erste Ortschronik ist es ein Werk von unschätzbarem Wert, ohne das wir vieles über die damalige Zeit und die Zeit davor nicht wüssten.
Seine Schilderungen in diesem Buch zeigen auch, dass Gropp nicht nur Seelsorger und Wissenschaftler, sondern auch ein zupackender Praktiker war. Tatkräftig und mit scheinbar nimmermüder Energie ging er daran, die Missstände zu beseitigen, die er an seiner Pfarrkirche und deren Umgebung vorgefunden hatte.
Gleich in seinem ersten Jahr in Güntersleben ließ er 1750 das undichte Kirchendach reparieren und die feuchte Außenwand zum Friedhof trocken legen. Anschließend gab er dem Innenraum der Kirche durch eine neue Decke und einen frischen Anstrich wieder ein ansehnliches Gesicht. Er sorgte dafür, dass der schon vor seiner Zeit bei der Werkstatt des berühmten Würzburger Hofbildhauers Auwera bestellte Maternusaltar endlich geliefert wurde. Der Rokokoaltar in der Turmkapelle ist eines der wertvollsten Ausstattungsstücke unserer Kirche.
Rastlos wie er war, begann Gropp 1751 damit, den Berg abzugraben, in dem der hintere Eingang der Kirche steckte, um die Kirchentüre wieder begehbar zu machen. Und weil er bei der Gemeinde wegen der Unkosten „nicht wohl wäre angekommen“, führte er die Arbeiten „mit eigenen Unkosten und beigetragener Handanlegung“ aus. Ein wahrlich vielseitiger Mensch, der sich für nichts zu schade war.
1754 ließ er die unwegsame Langgasse begehbar machen, den Platz an ihrem oberen Ende einebnen und den dort abgelagerten Erdhaufen wegschaffen. Die Anlegung des großzügigen Treppenaufgangs, der zum Alten Rathaus und zur Kirche hinaufführt, stellt sich bis heute als krönender Abschluss seiner umfangreichen Bautätigkeit dar.
Dass er bei allem das Geld der Kirche zusammenhielt, wurde ihm auch von höherer Stelle bestätigt. So untersagte er 1755, dass „auf Verlangen etwelcher andächtiger Weiber“ alle Sonn- und Feiertage zwei Kerzen auf dem Maternusaltar angebrannt wurden, weil dadurch zu viel Wachs verzehrt werde. Das brachte ihm prompt eine Beschwerde bei der fürstbischöflichen Regierung in Würzburg ein. Die aber gab ihm Recht und stellte fest, dass der „Pfarrer ein guter Haushälter“ sei.
Bei aller Sparsamkeit reichten aber die Mittel seiner Pfarrei gleichwohl nicht, um seine vielen Vorhaben zu verwirklichen. Hier half dann seine offenbar große Überzeugungskraft, mit der er seine Pfarrkinder dazu brachte, mit kleinen Spenden oder auch größeren Stiftungen zur Verschönerung des Gotteshauses etwas für ihr Seelenheil zu tun. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und gab aus seiner privaten Schatulle manches dazu, wenn alle anderen Quellen erschöpft waren.
Am 19. November 1758 starb P. Ignatius Gropp mit erst 63 Jahren. In Güntersleben, wo er sein Leben vollendete, fand er – vermutlich in der Kirche – seine letzte Ruhestätte. Der Schlaganfall, der seinen plötzlichen Tod auslöste, mag seine Ursache auch in seinem rastlosen Einsatz gehabt haben. Neun Jahre waren es nur, die er in Güntersleben wirken konnte. Aber er hat in diesen wenigen Jahren vieles – um in seinen Worten zu sprechen – „in einen solchen Stand gesetzt, dass jedermann jetzt Gefallen daran hat.“
Die Beurkundung seines Todes in der Sterbematrikel des Pfarramtes endet mit dem Zusatz „vir pius ac doctus“. Ein frommer und gelehrter Mann, dazu zupackend und ohne Scheu vor Schwierigkeiten, das war er offenbar.
11/2021
Das Frühmessnerhaus und die Wolfsschlucht
Im Juli 2021 stand es im Pfarrbrief: Die Kirchenstiftung Güntersleben hat das sogenannte Frühmessnerhaus verkauft. Damit wurde ein neues Kapitel in der wechselvollen Geschichte dieses Hauses aufgeschlagen.
Frühmessnerhaus 2008
Die Gemeindeschmiede oder Wolfsschlucht
Der älteste Teil des Hauses ist der Gewölbekeller im Untergeschoss. Betritt man ihn durch den Zugang von der Josef-Weber-Straße, steht man in der früheren Gemeindeschmiede. Sie wird in einer Ortsbeschreibung von 1594 zum ersten Mal genannt. Wie lange es sie bis dahin schon gab, weiß man nicht. Sie war eine Einrichtung der Gemeinde, die sie bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts immer für drei oder zuletzt auch mehr Jahre an einen Schmied verpachtete, der meistens von auswärts kam. 1824 heiratete Johann Wolf aus Veitshöchheim die Witwe des jung verstorbenen Gemeindeschmieds und übernahm damit auch die Schmiede. Obwohl er auch nur drei Jahre sein Handwerk dort ausübte, ist die Schmiedsstube im Dorf seitdem bis heute als Wolfsschlucht bekannt.
Im Gewölbekeller hinter dieser Türe war bis 1906 die frühere Gemeindeschmiede
Erstes Rathaus von Güntersleben
1731 überbaute die Gemeinde die Schmiede mit dem Haus, wie es – in seiner äußeren Form kaum verändert – heute noch dort steht. Mit seiner Größe war es für die damaligen Verhältnisse ein stattliches Bauwerk. Die immer noch lesbare Inschrift über der Eingangstüre an der Stirnseite weist das Baujahr und die Bestimmung des Hauses aus: „Zur grösseren Ehr Gottes für die gemeine Wohlfart erbaut 1731.“ Was die Gemeinde gebaut hatte, war demnach das erste Rathaus von Güntersleben.
Im Geschoss über der Schmiede war der Ratssaal. Hier tagte der Schultheiß mit den Mitgliedern des Gerichts, wurden die Gemeindeversammlungen abgehalten und Verhandlungen geführt. Im Stockwerk darüber wohnten der Schmied und immer wieder auch andere Handwerker oder Familien aus dem Dorf.
Die Madonna mit dem lutschenden Kind
Um 1757 ließ der damalige Pfarrer P. Ignatius Gropp die große Treppe anlegen, die zur Kirche hinaufführt. Am Fuße des Aufgangs ließ er zu beiden Seiten in Mauernischen lebensgroße Heiligenfiguren einstellen. Rechts ist das St. Stephanus, der Patron des Klosters, dem er angehörte. Links steht in der Nische an der Ecke der Schmiede eine Madonna mit Kind.
Gropp berichtet, dass er die Madonna aus eigenen Mitteln beschafft habe, lässt uns aber nicht wissen, woher. Denn die Figur wurde nach sachverständigem Urteil bereits um 1390 geschaffen und gehört zu einem Typus, der seinen Ursprung im Rheinland hat. Das Besondere an der Darstellung ist das Kind, das an einem Finger lutscht, eine lebensnahe und sehr vermenschlichte Ausdrucksform, wie man sie vergleichsweise sonst eher nicht findet.
1909 bot ein Kunstliebhaber aus Würzburg der damaligen Eigentümerin des Hauses 800 Mark für die Madonna. Das entsprach annähernd dem Jahresverdienst eines Handwerksgesellen. Gemeinsam gelang es dem Bürgermeister und dem Pfarrer, die Eigentümerin dahin zu bewegen, dass sie das Angebot ausschlug und die Madonna für 250 Mark an die Gemeinde verkaufte. Immer noch viel Geld, das es sich die Gemeinde kosten ließ, um das wertvolle Kunstwerk am Ort zu erhalten. 1930 schenkte sie es der Pfarrei. Aus Sorge um ihre Sicherheit erhielt die Originalfigur 1957 einen neuen Platz in der Kirche. Am ursprünglichen Standort ist seitdem eine Kopie zu sehen.
Schule und Lehrerwohnung
Nachdem der Platz in der Dorfschule im heutigen Alten Rathaus nicht mehr für alle Kinder ausreichte, brauchte die Gemeinde 1821 ein weiteres Unterrichtslokal. Mangels anderer Möglichkeiten nahm man dafür das Sitzungszimmer im Rathaus und fand dort auch noch eine kleine Kammer als Wohnung für den zweiten Lehrer, den man jetzt brauchte. Das Klassenzimmer im Sitzungssaal war nur eine Notlösung, und eine schlechte dazu, wie man einem Visitationsbericht von 1835 entnehmen kann. Der Vertreter der Aufsichtsbehörde legte der Gemeinde ans Herz, „sobald als möglich eine zweckmäßige Gestaltung der Schul-Lokalitäten herbeizuführen, insbesondere das Ungereimte zu entfernen, dass in dem Gemeindezimmer die Schule gehalten und der Unterricht durch den im nämlichen Hause wohnenden Gemeindeschmied und einen Leinenweber gestört werde.“
Armenhaus
1838 baute die Gemeinde ein neues und größeres Schulhaus neben der Kirche, das heutige Kolpinghaus. Da war dann Platz für beide Schulklassen. Eigentlich hätte sich die Gemeindeverwaltung jetzt in ihrem Rathaus ausbreiten können. Doch sie zog es vor, in das ebenfalls frei gewordene alte Schulhaus am Kirchplatz, das heutige Alte Rathaus, umzuziehen, das damit zum zweiten Rathaus von Güntersleben wurde.
Das bisherige Rathaus über der Schmiede erhielt eine neue Zweckbestimmung als Armenhaus. Die Gemeinde brachte dort – meist alleinstehende und ältere – Ortsbewohner unter, die keine eigene Unterkunft hatten und sich eine solche auch nicht leisten konnten.
Verkauf an den Schmied
Nachdem die Gemeinde 1852 das bisherige Hirtenhaus am Kuhhaug, in der heutigen Neubergstraße, als Armenhaus hergerichtet hatte, hatte sie keine Verwendung mehr für ihr früheres Rathaus über der Schmiede. Sie verkaufte es daher samt der Schmiede an den damaligen Gemeindeschmied Adam Rothenhöfer.
Nach dem Tod von Adam Rothenhöfer kaufte der Schmied Georg Kuhn 1878 das Anwesen mit dem Haus und der Schmiede. Als der 1896 verstarb, verpachteten seine Nachkommen die Schmiede nochmals. Mit Liberat Derlet aus der Rhön endete 1906 die Geschichte der früheren Gemeindeschmiede.
Frühmessnerhaus
1904 wollte die Gemeinde ihr früheres Rathaus zurückkaufen, um dort wieder mit der Gemeindeverwaltung einzuziehen. Doch die Verhandlungen zerschlugen sich. Erfolgreicher war 1929 die Kirchenverwaltung. Sie konnte das Haus von den Geschwistern Georg Kuhn und Katharina Herbst, Nachkommen des früheren Schmieds, erwerben.
Die Pfarrei kaufte das Haus, um eine Wohnung für einen Ruhestandspriester zu haben, der neben anderen Gottesdiensten am Sonntag die Frühmesse halten sollte. Auch wenn Güntersleben seit 1956 keinen – wie man ihn im Dorf nannte – „Frühmessner“ mehr hat, hat sich die Bezeichnung Frühmessnerhaus bis heute gehalten.
Das Haus war schon 1929 nicht mehr im besten Stand. So musste die Pfarrei zum Kaufpreis von 8.500 Mark weitere 18.000 Mark an Renovierungskosten aufbringen. Bewältigen konnte sie das nur, weil sich zahlreiche Ortsbewohner mit Geldspenden oder mit der Überlassung von Grundstücken beteiligten, deren Verkauf dann ebenfalls zur Finanzierung beitrug.
Soweit die Räume im Frühmessnerhaus nicht für die Wohnung gebraucht oder vom bisherigen Eigentümer vereinbarungsgemäß weiter bewohnt wurden, wusste man diese auch anderweitig zu nutzen. Es gab einen Saal und Räume für die Jugend und für die Proben des Kirchenchors, der als einzige örtliche Vereinigung während der NS-Zeit außerhalb der Parteistrukturen geduldet war.
Luftschutzwachlokal
Am 12. September 1940 unterzeichneten der Pfarrer und der amtierende Bürgermeister eine Vereinbarung des Inhalts, dass die Kirchenverwaltung „auf unbestimmte Zeit, d.h. solange ein Bedürfnis besteht, der Gemeinde Güntersleben den untersten Raum des Frühmessnerhauses, die ehemalige Gemeindeschmiede ‚Wolfsschlucht‘ genannt, als Warte- und Aufenthaltsraum für die Wachtposten des Luftschutzes“ überlässt. Der Mietpreis wurde auf monatlich 5.- RM festgelegt.
Das Bedürfnis bestand für die Dauer des Krieges. Im Wechsel waren jede Nacht mehrere Männer, oft auch Jugendliche, als Luftschutzwächter eingeteilt. Wenn drohende Luftangriffe gemeldet wurden, mussten sie die Bevölkerung alarmieren. Dazu hatten sie eine transportable Sirene, die sie mit einer Handkurbel in Gang setzten.
Am Ende des Krieges waren sämtliche Räume des Frühmessnerhauses wie alle Häuser im Dorf bis in den letzten Winkel mit Evakuierten aus den zerstörten Städten und Vertriebenen belegt. Für einige Zeit war auch in der Wolfsschlucht eine Familie untergebracht.
Schreibwaren, Pfarrbücherei, Kinderlädchen
Auch nach der Normalisierung der Verhältnisse blieb es dabei, dass das Frühmessnerhaus in den oberen Stockwerken nur noch für Wohnzwecke genutzt wurde.
Die Wolfsschlucht mietete 1953 der Schreibwarenhändler Karl Weißenberger. 1960 folgte ihm als Mieter ein Herrenfriseur und 1974 zog die Pfarrbücherei dort ein. Schließlich war der Gewölbekeller, in dem nichts mehr daran erinnert, dass er über Jahrhunderte eine Schmiede war, dann noch für einige Zeit ein Kinderkleiderladen, bevor ihn die Kolpingsfamilie als Lagerraum übernahm.
Das Ortsbild prägend und baugeschichtlich bedeutsam
Die Pfarrkirche und das sie umgebende Ensemble spiegeln in ihrer Entstehung und Entwicklung wesentliche Abschnitte der bekannten Ortsgeschichte von Güntersleben wider. Die große Freitreppe mit den Bauwerken, die sie flankieren, und dem Kirchturm im Hintergrund, ist das klassische Motiv von Güntersleben für Maler und Fotografen. Das Frühmessnerhaus gehört, ungeachtet aller Veränderungen in seiner Bestimmung und Nutzung, die es wie kein zweites Gebäude in Güntersleben immer wieder erfahren hat, unübersehbar zu diesem Ensemble.
09/2021
Von Geheimnissen umrankt: Der Kirchenpatron Maternus
Wenn man sich auf die Suche nach einem Alleinstellungsmerkmal für Güntersleben begibt, kommt man an Maternus nicht vorbei. Als Kirchenpatron ist er hier einzig in der Diözese Würzburg. Auch sonst war und ist er in unserer Gegend außerhalb Günterslebens so gut wie unbekannt.
Und in Güntersleben selbst, wo er bereits 1345 in der Gründungsurkunde der Pfarrei als Schirmherr der damals schon vorhandenen Kirche genannt wird? Auch hier gibt es um seine Person und seine Herkunft mehr Fragen als gesicherte Antworten.
Seit jeher geht man in Güntersleben davon aus, dass es sich bei dem hier als Kirchenpatron verehrten Maternus um den ersten Kölner Bischof handelt, der in den Jahren 313 und 314 an Kirchenversammlungen in Rom und im französischen Arles teilnahm. Das ist aber auch schon alles, was es über ihn an belegbaren Lebensdaten gibt. Der Legende nach soll er auch Bischof von Trier und im belgischen Tongern gewesen sein. Die neuere Forschung hält das mittlerweile für unwahrscheinlich und nimmt an, dass es sich bei dem Maternus von Trier, der dort als dritter Bischof geführt wird, um eine andere Person handelte. Der Name Maternus soll damals in der dortigen Gegend sehr verbreitet gewesen sein. Immerhin gibt es in Trier ein Maternusgrab. Daraus besitzt die Günterslebener Kirche seit 1722 Reliquien des Bischofs. Folgt man der Annahme, dass es sich bei dem Kölner und dem Trierer Maternus um verschiedene Bischöfe handelt, führt das unweigerlich zu der Frage, welcher von beiden dann eigentlich der Kirchenpatron von Güntersleben ist.
Ob man nun von dem einen oder dem anderen oder doch von der gleichen Person ausgeht, bleibt die nicht minder spannende und gleichermaßen ungeklärte Frage, wie die Kunde von einem im 4. Jahrhundert im fernen Köln oder Trier lebenden Bischof nach Güntersleben kam. Nachdem darüber, wie es scheint, nirgendwo etwas in schriftlicher oder anderer Form dokumentiert wurde, hat die Suche nach einer Antwort die Phantasie der Günterslebener über die Jahrhunderte hinweg immer wieder von neuem beschäftigt. Dass Einheimische bei der jedenfalls vor 1345 erfolgten Bestimmung des Kirchenpatrons schon einmal den Namen Maternus gehört haben könnten, wird man ausschließen können. Mutmaßungen wie die von Pilgern aus Köln oder Trier, die ausgerechnet das abseitig gelegene Güntersleben zum Ziel gehabt haben sollen oder auf der Durchreise nach Rom das Andenken an ihren Stadtheiligen hinterlassen haben könnten, sind allzu kühne Theorien, als dass man ihnen folgen möchte. Vielleicht kam der entscheidende Anstoß ja aus dem Kloster St. Stephan zu Würzburg, das schon vor der Pfarreierhebung die Seelsorge in Güntersleben innehatte und auch die Grundlegung der späteren Pfarrkirche gegen 1150 direkt oder durch seinen örtlichen Verwalter begleitete. Angehörigen des Klosterkonvents könnte man am ehesten zutrauen, dass sie Verbindungen nach Köln oder Trier hatten. Oder noch einfacher: Sie kannten sicher nicht nur diejenigen Heiligen der katholischen Kirche, die in unserer Gegend bekannt und vertraut waren, und könnten bei der Suche nach einem Kirchenpatron für die neue Günterslebener Kirche, gezielt oder zufällig, auf Maternus gestoßen sein. Auch das bleibt aber wie alle anderen Versuche einer Antwort reine Spekulation.
Ungeachtet aller offenen Fragen sind die Günterslebener „ihrem“ Maternus, wer auch immer er tatsächlich war, seit jetzt schon 700 und mehr Jahren treu geblieben. Man begegnet ihm nicht nur in der Pfarrkirche. Von den 24 Bildstöcken in Dorf und Flur sind allein sechs Maternus gewidmet. Seit Jahrhunderten wird jedes Jahr im September das Maternusfest gefeiert, traditionell schon immer nicht nur in der Kirche, und nicht nur von den Winzern, als deren Schirmherr er gilt, sondern auch mit einem begleitenden Dorffest für alle. Maternus war in Güntersleben auch ein gebräuchlicher Vorname – allerdings nur bis zum 2. Weltkrieg. Seitdem ist er aus der Mode gekommen.
08/2021
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