Die Kirche im Dorf

Die Orgeln der Maternuskirche

 Am 14. November 2022 jährte sich zum 50. Mal der Tag, an dem zum ersten Mal die Orgel der St. Maternus-Pfarrkirche erklang. Als „Königin aller Musikinstrumente“, wie Orgeln in Anlehnung an ein Zitat von Wolfgang Amadeus Mozart gerne bezeichnet werden, versieht sie seit 1972 ihren Dienst in vielfältiger Weise: bei der Begleitung des gottesdienstlichen Gesangs, bei kirchlichen Feiern und Festen, bei wichtigen Wegmarken im Leben vom Willkommen bei der Taufe bis zum Abschied beim Trauergottesdienst. Soweit unsere Erkenntnisse reichen, ist sie in der zeitlichen Abfolge die vierte Orgel unserer Pfarrkirche.

Die Vorgängerorgeln

Orgeln in Kirchen kennt man in Deutschland etwa seit dem 13. Jahrhundert. Spätestens um 1700 gehörten sie wohl zur allgemein üblichen Ausstattung der meisten Gotteshäuser. Um diese Zeit dürfte auch Güntersleben schon dabei gewesen sein, denn aus dem Jahr 1724 erfahren wir, dass die – möglicherweise erste – Orgel der Maternuskirche abgebaut und nach Mühlhausen verkauft wurde.

Im gleichen Jahr 1724 erhielt die Kirche eine neue und wohl auch größere Orgel. Sie war ein Werk des Würzburger Hoforgelbauers Johann Philipp Seuffert. Finanziert wurde sie zum überwiegenden Teil von einem Mitglied des Günterslebener Dorfgerichts, der als Bauer einen größeren Hof, aber keine Nachkommen hatte. Die 200 Gulden, die er dafür stiftete, entsprachen dem Wert eines Anwesens mittlerer Größe und waren wohl die größte Einzelspende in der Geschichte Günterslebens. Die Pfarrei musste noch zwei Hektoliter Wein vom Jahrgang 1722 draufgeben, dann war das gute Stück bezahlt. Nahezu 180 Jahre erfüllte sie ihre Aufgabe.

Als 1902 die Pfarrkirche in großen Teilen neu gebaut und erweitert wurde, sollte auch eine größere Orgel her. Der Auftrag ging wieder an die bekannte Würzburger Orgelbauwerkstatt, die aber inzwischen mit einem neuen Inhaber unter dem Namen Schlimbach firmierte. Dieses Mal bezahlte die Gemeinde die Orgel, was herkömmlich eigentlich auch ihre Aufgabe war. Gleichwohl monierte die Aufsichtsbehörde, „dass es sehr wünschenswert wäre, wenn die Gemeinde bei anderen gleichwichtigen Projekten, z.B. Durchführung einer dringend nötigen Wasserleitung die gleiche Bereitwilligkeit an den Tag legen würde, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen.“ Den Herren Ratsmitgliedern war aber offenbar eine erbauliche Musik beim sonntäglichen Gottesdienst wichtiger. Ihre Frauen durften derweil noch weitere Jahre das Wasser aus den Dorfbrunnen nach Hause schleppen, bevor dann 1909 endlich auch die Wasserleitung in Betrieb ging.

Bis 1938 wurde der Luftstrom für die Orgelpfeifen durch einen Blasbalg erzeugt. Um dessen Hebel auf und ab zu bewegen, brauchte es das Körpergewicht eines ganzen Mannes. Der Blasbalgtreter, im amtlichen Sprachgebrauch als Kalkant bezeichnet, wurde von der Gemeinde angestellt und bezahlt. Mit der Elektrifizierung wurde dieser Dienst an der Orgel entbehrlich. Wenn allerdings unerwartet während eines Gottesdienstes der Strom ausfiel, was auch in den Jahrzehnten nach dem Krieg noch öfter vorkam, musste kurzfristig einer der Kirchenbesucher auf der Empore einspringen und den Hebel des Blasbalgs in Bewegung setzen, was mangels Übung nicht immer ohne störende Nebengeräusche gelang.

Die Steinmeyer-Orgel von 1972

Auch die heutige Orgel kommt aus einer ehemals bedeutenden Orgelbauerwerkstatt. Die Firma Steinmeyer im nordschwäbischen Oettingen baute in den 154 Jahren ihres Bestehens bis zu ihrer Betriebseinstellung im Jahr 2001 nahezu 2400 Orgeln, darunter die größte Kirchenorgel der Welt in Passau. Die 1972 für Güntersleben gebaute Orgel ist wie jede Orgel eine Einzelanfertigung, die in Abstimmung auf die Raumgröße, die akustischen Besonderheiten und die baulichen Gegebenheiten der Kirche eigens für diese konzipiert wurde. Sie verfügt über zwei Manuale und Pedal. Die 1326 Pfeifen, die von da bespielt werden können, verteilen sich auf 20 Register unterschiedlicher Bauart, die einzeln oder in Kombination miteinander für die Klangfülle und Klangvielfalt stehen, die Orgeln zu eigen ist. Die größte Orgelpfeife ist stattliche 2,70 Meter hoch, die kleinste misst nur 12 Millimeter.

104.000 DM kosteten 1972 die Anfertigung und der Einbau der Orgel. Für die Finanzierung kam dieses Mal die Pfarrgemeinde auf. Unterstützt wurde sie dabei von vielen großherzigen Spendern. 2004 wurde die Orgel für 23.000 Euro, also fast die halbe Summe der Anschaffungskosten, von Grund auf überholt.

Die Orgel schlagen war Lehrersache

Es war wohl ein Lehrer, dem man auf einem Dorf in Tirol die Grabinschrift widmete: „Hier liegt Martin Krug, der Kinder, Weib und Orgel schlug.“ Wie überall in den Dörfern waren es auch bei uns die Lehrer, die beim Gottesdienst die Orgel spielten oder schlugen, wie man früher zu sagen pflegte.

Schon bevor es eine geregelte Lehrerausbildung gab, wurde von den Schulmeistern erwartet, dass sie mit der Orgel umgehen konnten, wie geschickt auch immer. Als dann 1771 in Würzburg ein Schullehrerseminar eingerichtet wurde, mussten die Lehramtsbewerber schon für die Aufnahme „Kenntnisse im Orgelschlagen“ nachweisen, wie es in den Zulassungsbestimmungen hieß. Und sie mussten zum Abschluss ihrer Ausbildung eine Prüfung im Orgelspiel absolvieren.

Das Orgelspiel zu den Gottesdiensten, sonntags wie werktags und auch in den Ferien, gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu den Dienstpflichten des Schulleiters in Güntersleben. Ein Teil seines Gehalts bezog sich ausdrücklich auf diese Dienstleistung. Als dann 1919 die Lehrer in den Staatsdienst übernommen wurden, entfiel diese Verpflichtung. Man achtete aber weiterhin darauf, dass wenigstens ein Lehrer, meist der Schulleiter, in der Lage war, die Orgel zu spielen. Und die Gemeinde bezahlte auch weiterhin jeden Einsatz an der Orgel. Erst unter den Nationalsozialisten wurde diese Vergütung durch die Gemeinde auf höhere Weisung gekürzt und dann ganz gestrichen.

Als im Zweiten Weltkrieg die Lehrer zum Wehrdienst eingezogen wurden, durften schließlich auch Frauen an die Orgel. Besser gesagt, man war froh, dass man Frauen hatte, die dazu willens und in der Lage waren. Nach der Rückkehr aus dem Krieg übernahmen dann wieder die Lehrer ihren angestammten Platz an der Orgel. Bis 1953 war das der Lehrer Mayer, eine Lehrerpersönlichkeit vom alten Schlag, auf den das oben angeführte Zitat jedenfalls soweit zutraf, dass er in der Schule die Kinder und in der Kirche die Orgel schlug. Nach ihm kam der Lehrer Kiesel, hier wie dort doch um einiges feinfühliger.

Der letzte Lehrer in Güntersleben, der zugleich den Dienst als Lehrer und Organist versah, war seit 1961 der spätere Schulleiter Rektor Karl Lother, der auch nach seinem Ruhestand noch viele Jahre bis kurz vor Vollendung seines 85. Lebensjahres die Gottesdienste an der Orgel begleitete.

Ganz zu Ende ist auch nach seinem Abschied die Zeit der Lehrer-Organisten in Güntersleben noch nicht. Sein Sohn Werner Lother, auch er Lehrer, wenn auch nicht an der hiesigen Schule und inzwischen auch im Ruhestand, führt die Familien- und Lehrertradition fort als einer von den drei Organisten, die wir in Güntersleben glücklicherweise noch haben.

11/2022

 

Die Anfänge der Pfarrei Güntersleben

 Zwei Kirchen und kein Pfarrer

Bevor Güntersleben eine eigenständige Pfarrei wurde, gehörte es als Filialort zu Veitshöchheim, das seinerseits seit 1096 ein Pfarrort des Würzburger Benediktinerklosters St. Stephan war. Die Patres, mit denen das Kloster die Pfarrstelle in Veitshöchheim besetzte, betreuten von dort aus auch Güntersleben, was bei den damaligen Straßenverhältnissen bei schlechter Witterung nicht immer ganz einfach war.

Güntersleben hatte da schon eine kleine Kirche, die Laurentius- oder Lorenzkapelle. Sie stand dort, wo heute die Festhalle steht. Der Laurenziweg erinnert an sie. In der Nachbarschaft der Kapelle befanden sich die ersten Häuser und Höfe von Güntersleben.

Es war wohl um das Jahr 1140, als der Abt des Klosters einen Mann mit Namen Lutold als Verwalter von Güntersleben einsetzte. Möglicherweise war es sein Schwager, dem er den Posten verschaffte, was für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich wäre. Lutold oder sein ihm nachfolgender gleichnamiger Sohn machte sich bald darauf an den Bau eines Herrschaftssitzes. Als strategisch günstigen Standort wählte er dafür einen Platz auf der nahe gelegenen Anhöhe, von wo man das Dorf und seine Umgebung gut überblicken konnte. Wo die heutige Pfarrkirche steht, ließ er eine Kirche bauen und mit einem geschlossenen Ring aus Mauern und aneinander gereihten Gebäuden, sogenannten Gaden umgeben. Die Anlage hatte damit den Charakter einer Kirchenburg, wie man sie in Franken häufiger findet. Außer den unteren Geschossen des Kirchturms ist davon heute allerdings nichts mehr erhalten.

Der Kirchenpatron Maternus und die Wallfahrt

Nach kaum einem Jahrhundert war es mit der Herrschaft von Lutold und seinen Nachkommen über Güntersleben vorbei. Über alle Zeiten geblieben ist aber bis heute der Kirchenpatron Maternus, den ihre Erbauer für die Kirche oder Kapelle, die es erst wohl eher war, im Zentrum der Kirchenburg vor rund 850 Jahren wählten. Es entzieht sich unserer Kenntnis, wie man in Güntersleben auf den Namen dieses oder der beiden namensgleichen und hierzulande kaum bekannten Bischöfe von Köln und Trier kam. Wir wissen auch nicht, was dazu führte, dass St. Maternus in Güntersleben über mehrere Jahrhunderte zu einem vielbesuchten Wallfahrtsziel wurde. Wenn die Ratschronik der Stadt Würzburg berichtet, dass am 15. September 1490 ungefähr 2500 Städter nach Güntersleben wallten, so muss diese Wallfahrt zu St. Maternus bei aller Skepsis gegenüber früheren Zahlenangaben doch eine gewisse Bedeutung gehabt haben.

Dass die Zahl der Pilger, die im Laufe des Jahres nach Güntersleben kamen, alles andere als klein gewesen sein kann und durch ihre Opfergaben auch einiges Geld im Dorf blieb, davon zeugt nicht zuletzt die Tatsache, dass man im Zeitalter der Gotik wohl um 1400 oder etwas früher an den Neubau einer größeren Kirche ging. Fertiggestellt und bis heute erhalten ist davon zwar nur der hohe Chor. In seiner mächtigen Erscheinung zeigt er aber, dass eine Kirche in einer Größe geplant war, die nie und nimmer allein für ein Dorf von damals wenigen Hunderten Einwohnern gedacht sein konnte.

Güntersleben wird eine eigenständige Pfarrei

Der wirtschaftliche Aufschwung durch die Wallfahrt mag auch dazu beigetragen haben, dass die Günterslebener sich ermutigt fühlten, an den Bischof wegen eines eigenen Pfarrers heranzutreten. Bischof Otto zeigte sich aufgeschlossen für das Anliegen. Mit Urkunde vom 16. Juli 1345 beendete er die Angliederung an Veitshöchheim und errichtete die Pfarrei Güntersleben. Für den weiteren Weg des Dorfes kann man diesen Vorgang in seiner Bedeutung kaum überschätzen, denn jetzt war Güntersleben in der Lage, seine Entwicklung in weit größerem Umfang als bisher selbst zu gestalten.

Wer einen eigenen Pfarrer haben wollte, musste für den eine Wohnung bereithalten und für ein hinreichendes Auskommen sorgen. Die Kirchenpfleger von Güntersleben sahen sich dazu in der Lage. Zu einem gewissen Teil sollten dazu auch die Opfergaben der Pilger dienen. Für den Einkommensverlust, den der Pfarrer von Veitshöchheim und seine Pfarrei durch den Wegfall ihres  Filialortes hatten, mussten die Günterslebener einen Ausgleichsbetrag zahlen. Weil der vom Bischof festgesetzte Betrag dem Pfarrer von Veitshöchheim im Nachhinein zu niedrig erschien, musste in diesem Punkt später noch einmal nachgebessert werden. Auch damit hatte man in Güntersleben bei der damaligen wirtschaftlichen Lage kein Problem.

Wie für Veitshöchheim erhielt das Kloster St. Stephan auch für die neue Pfarrei Güntersleben das Recht, die Pfarrstelle jeweils mit einem Ordensangehörigen zu besetzen. Für das Kloster war das vor allem deshalb von Interesse, weil ihm als Gegenleistung der Zehnt von den Erträgen der Äcker, Weinberge und Gärten auf der Günterslebener Flur zustand.

Zur Pfarrkirche bestimmte der Bischof die Maternuskirche oben auf dem Berg. Der Pfarrer war aber gehalten, einmal in der Woche in der Lorenzkapelle hinten am Bach einen Gottesdienst zu halten.

 Die Pilgerströme versiegen

An Aschermittwoch 1510 wandte sich der Schultheiß von Güntersleben mit einem inständigen Bittbrief an den Abt von St. Stephan und bat um eine Überbrückungshilfe, weil das Dorf durch ein großes Feuer zu „merklichem und verderblichem Schaden kommen.“ Näheres über das Ausmaß des Brandes ist nicht überliefert. Etwa um die Zeit kamen aber auch die Wallfahrten zu St. Maternus zum Erliegen, aus Gründen, die wir auch nicht kennen. Wahrscheinlich besteht zwischen beiden Vorgängen nur zeitlich ein Zusammenhang. Dass aber die Pfarrei durch das Ausbleiben der Pilger in große finanzielle Nöte kam, ist unübersehbar.

Der Weiterbau der Kirche wurde nach der Fertigstellung des hohen Chores gestoppt und durch ein im Verhältnis zu diesem viel zu kleines und schlecht gebautes Langhaus abgeschlossen. Für die einheimische Bevölkerung war das geringere Platzangebot noch jahrhundertelang ausreichend. Wegen der schlechten Bausubstanz mussten aber immer wieder Schäden am Langhaus repariert und ausgebessert werden. Erst 1902 wurde ein solideres Langhaus angebaut, das auch in seiner Größe zum Chor passte.

Die Lorenzkapelle wurde ungeachtet der fortgeltenden Verpflichtung aus der Gründungsurkunde der Pfarrei wohl wegen fehlender Mittel mehr und mehr vernachlässigt. Sie verfiel und war schließlich nur noch eine Ruine, deren Steine 1688 beim Neubau des Pfarrhofes verwendet wurden.

Unglücklicherweise kam hinzu, dass das Kloster 1503 mit Berthold Olhoff für die nächsten Jahrzehnte einen Pfarrer nach Güntersleben schickte, dem wenig am Erhalt des Kirchenvermögens gelegen war oder der damit schlicht überfordert war. Nach zeitgenössischen Berichten sei von ihm am Pfarrhaus, das nördlich von der Kirche stand, wo heute der Friedhof beginnt, „nichts gebessert, sondern zugesehen worden, dass das Pfarrhaus eingefallen und er im Keller hausgehalten“ habe. Die Bauern hätten „die Weingärten, Äcker und Wiesen, Gärten der Pfarrei um geringen Zins an sich gebracht, gebraucht und genossen, die Weingärten in Ellern geraten lassen und die Felder ausgesogen“. So wörtlich die Klagen, die beim Bischof eingingen.

Als Pfarrer Olhoff 1546 starb, schickte das Kloster nur für kurze Zeit nochmals einen Pfarrer. Dann fand sich niemand mehr, der bereit war, unter diesen Verhältnissen vor Ort die Pfarrstelle zu übernehmen. Die Dorfbewohner mussten sich damit begnügen, dass nur noch sporadisch ein Geistlicher zu akuten seelsorglichen Verrichtungen nach Güntersleben kam.

Der Bischof muss schlichten

Es war nicht das erste und blieb nicht das einzige Mal, dass die Günterslebener mit dem Kloster über Kreuz lagen. Doch dieses Mal war es besonders heftig. Als das Kloster 1565 endlich den Wiederaufbau des baufälligen und nicht mehr bewohnbaren Pfarrhauses in Angriff nahm, sollten die Bauern von Güntersleben dazu Frondienste leisten. Nachdem sie diese aber nicht im erwarteten Umfang leisteten, stellte das Kloster die Bauarbeiten ein, bevor das Dach gedeckt war. Vier Jahre ging nichts mehr voran und es war zu befürchten, dass das Haus „wiederum verfaulen und verfallen würde“.

Schließlich schickte der Bischof 1569 eine hochkarätig besetzte Vermittlungskommission nach Güntersleben, die eine Lösung herbeiführen sollte. Nach langwierigen mühsamen Verhandlungen gelang es, ein Einvernehmen herzustellen, das von beiden Seiten anscheinend aber nur widerwillig akzeptiert wurde. Den Günterslebenern blieb am Ende keine andere Wahl, als größere Beiträge zur Fertigstellung des Pfarrhauses zu leisten. Sie sollten „dazu bedenken, daß sie einen eigenen Pfarrherrn stets bei ihnen haben können, daß ihnen viel Gutes erfolge, deswegen sie demnach auch etwas dabei zu tun schuldig.“ So steht es im Vergleichsprotokoll.

Wie es scheint, haben sich alle Beteiligten an den ausgehandelten Kompromiss gehalten, so dass Güntersleben fortan wieder einen Geistlichen vom Kloster zugewiesen bekam, der als Pfarrer ständig am Ort war.

Von dem damals gebauten Pfarrhaus, um das so heftig gestritten wurde, ist nichts mehr zu sehen. Der heutige Pfarrhof wurde 1688 gebaut und zwar unter alleiniger Verantwortung des Klosters St. Stephan und offenbar auch ohne die unschönen Begleiterscheinungen wie beim Vorgängerbau.

09/2022

 

 

Wer war Ignatius Gropp?

Als 1963 eine Straße in Güntersleben nach Ignatius Gropp benannt wurde, wussten viele Ortsbewohner mit diesem Namen erst einmal wenig anzufangen. Auch dem Gemeinderat bedeutete diese Namenswahl erkennbar nicht sehr viel, hatte man aus der langen Liste von Straßen, die damals neue Namen erhielten, doch nur eine unscheinbare Seitengasse der Rimparer Straße für ihn ausgewählt. Mit gerade einmal zwei Hausnummern tritt die Ignatius-Gropp-Straße auch als Adresse nur wenig in Erscheinung.

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P. Ignatius Gropp

In Fachkreisen genießt Gropp als einer der herausragenden fränkischen Historiker der Barockzeit seit jeher einen exzellenten Ruf. Auch in Güntersleben, wo er die letzten neun Jahre seines Lebens als Pfarrer wirkte, hat er bis heute unübersehbare Spuren hinterlassen. Mit gutem Grund wurde daher 1991 die bis dahin namenlose Schule nach ihm benannt. Spätestens seitdem ist Ignatius Gropp auch in Güntersleben kein Unbekannter mehr.

Gropp wurde am 12. November 1695 in Bad Kissingen geboren und auf den Namen Johann Michael getauft. Die Eltern hatten eine Bäckerei und eine kleine Landwirtschaft. Darauf bedacht, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermög­li­chen, schickten sie ihre beiden Söhne nicht nur auf die Stadtschule, sondern zum Erlernen der lateinischen Sprache auch regelmäßig zum Pfar­rer.

Mit 13 Jahren wechselte Johann Michael Gropp auf das Gymnasium der Jesu­iten nach Würzburg und mit knapp 18 Jahren begann er ein Studium der Philosophie an der Universität in Würzburg. Schon jetzt wollte er eigentlich ins Kloster eintreten, wurde aber abgewiesen, weil er zu klein von Gestalt war.

Aber vor Schwierigkeiten aufgeben und sich entmutigen lassen, kam für Gropp nicht in Frage, damals wie auch in seinem späteren Leben nicht. Er schrieb sich an der Universität ein, als gering bemittelter Student von den Ge­bühren be­freit. Drei Jahre später schloss er mit einem hervorragenden Examen ab. Damit beein­druckte er auch die Klosteroberen, so dass er 1716, mit jetzt 21 Jahren, doch Auf­nahme in das Benediktinerkloster St. Stephan fand.

Das Kloster St. Stephan hatte seinen Sitz am Peterplatz in Würzburg. Auf dem früheren Klostergelände stehen heute die Amtsgebäude der Regierung von Un­terfranken. Wie viele andere Klös­ter wurde auch St. Stephan bei der Säkulari­sation 1803 aufge­löst. Die gleichna­mige Kir­che des Klosters wurde die erste evangelische Pfarrkirche in Würzburg. Bis zu seiner Auflö­sung besetzte das Kloster die Pfarrstelle in verschiedenen Dörfern, darunter auch in Güntersleben, mit Patres aus seinem Konvent. Als Gegenleistung beanspruchte es den Zehnt von den Äckern, Weinbergen und Gärten der betreuten Dörfer.

Fünf Jahre nach seinem Eintritt in das Kloster, bei dem er den Ordensnamen Ignatius an­nahm, wurde Gropp 1721 mit 26 Jahren zum Priester geweiht. Er war dann zunächst Novi­zen­meis­ter, also Ausbilder und Lehrer für den Klosternach­wuchs. Seine heimliche Leiden­schaft aber war schon damals die Ge­schichts­wis­senschaft, und so kam es ihm sehr entgegen, dass er 1729 Klosterbibliothekar wurde. Denn da konnte er, wie ein Biograph es ausdrückte, „jetzt ungehindert Ma­nus­­kripte und Altertü­mer durch­forschen und seinem Geist Nahrung ver­schaffen“.

Seine historischen Arbeiten, die in den folgenden Jahren veröffent­licht wurden – darun­ter vier große Bände über die Würzburger Diözesangeschichte – begründeten seinen Ruhm als Kenner der fränkischen Geschichte.

1740 wurde Ignatius Gropp Prior, also Vorsteher, zunächst in einem anderen Würzburger Klos­ter, im Jahr danach auch in seinem Stammkloster St. Stephan, möglicherweise beides so­gar gleichzeitig. Und das bewältigte er alles neben der Verant­wor­tung für die Bibliothek und neben seinen For­schungs­arbeiten. Er war also vielfältig tätig, war angesehenes Mitglied in inter­nati­onalen wissenschaftlichen Gesellschaften und in der Klosterhierarchie weit nach oben ge­stiegen.

Von all dem trennte er sich 1749, um mit knapp 54 Jahren als Dorfpfarrer nach Günters­le­ben zu ge­hen. Aus unserer heutigen Betrachtung überraschend und eigentlich unverständlich. Denn Güntersleben war ein abgelegenes kleines Dorf mit kaum 600 Einwohnern. Die Menschen mussten mit dem auskommen, was die Äcker und Weinberge an Erträgen brachten und das war auf den kargen Böden nicht viel. Für die Verbesserung der Lebensverhältnisse und das Erscheinungsbild des Dorfes blieb da nichts übrig. Und offenbar stand auch niemand der Sinn danach.

So fand Ignatius Gropp Straßen vor wie die Langgasse, auf der man – wie er es beschreibt – bei Regenwetter oder Schnee und Eis „im Kot stecken blei­ben“ konnte. Den Aufgang zur Kirche und zur Schule versperrte seit Jahren ein hoher Erdhaufen mitten im Weg. Die hintere Eingangstüre der Kirche war vom Wasser und vom Schnee so verquol­len, dass sie nicht mehr zu öffnen war. Die Wand der Kirche zum Fried­hof war feucht und grün geschimmelt, durch das Dach reg­ne­te es und durch die Fenster pfiff der Wind. So stellte sich Güntersleben Ignatius Gropp nach seiner Schilderung bei seinem Amtsantritt dar.

Wollte er vom Schreibtisch weg und hinaus in die praktische Seel­sorge? Oder in einer kleinen Pfarrei, fern vom Klosterbetrieb, mehr Zeit haben für seine wissenschaftli­chen Ar­beiten? Oder wollten seine Vorgesetzten ange­sichts der geschilderten Verhältnisse einen be­sonders tüchtigen und tatkräfti­gen Mitbruder nach Güntersleben schicken? Wir wissen es nicht.

Ignatius Gropp kam nach Güntersleben und weckte das Dorf schnell aus seiner beschau­lichen Ruhe, was – nicht überraschend in solchen Situatio­nen – keineswegs allfällige Be­geis­terung, son­dern Unwillen und Widerstände auslöste. Umso mehr muss es uns heute Be­wun­der­ung und Re­spekt abnötigen, was er unter diesen Umständen zuwege brachte.

Nachdem er am 6. August 1749 die Pfarrstelle in Güntersleben angetreten hatte, sah er seine Aufgabe zuerst in der Seelsorge. Das nach seinem Eindruck allzu lasche religiöse Leben seiner Pfarrkinder neu zu bele­ben, darum ging es ihm vor allem anderen.

Wenn die Günterslebener damals immer zweimal im Jahr Kirchweih feier­ten, näm­lich im Mai und wie heute zum Fest ihres Kirchenpatrons im Septem­ber, dann war das Gropp zu viel des Guten. Und zwar wegen der Be­gleit­er­scheinungen. Zum einen störten ihn die doppelten Kosten für den „in die­sen harten Zeiten sehr erarmten Ort“. Zum anderen gefiel ihm nicht, dass das Fest im Mai oft vor der damals üblichen Wallfahrtswoche statt­fand und man beim Tanzen am Abend vorher „so lang anhalte, dass folgenden Tags wegen schweren Köpffen wenige von den jungen Leuten zur Prozession erscheinen.“ Also setzte er 1754 in einem umfangreichen Schriftverkehr mit dem Bischof durch, dass nur noch im September ein Kirchweih- und Patronatsfest stattfand – wie wir das auch heute kennen.

Trotz der von ihm so bezeichneten „harten Zeiten“ in dem „sehr erarmten Ort“ gelang es Gropp, wohltätige Familien und Einzelpersonen zur Stiftung von reli­giösen Kunstwerken und Bild­stö­cken zu veranlassen. Die sollten die Menschen im Dorf und in der Flur zu Gebet und Besinnung anhalten. Zu keiner Zeit wurde in Güntersleben eine größere Zahl dieser Zeugnis­se der Volks­frömmigkeit ge­schaffen als unter Ignatius Gropp. Davon stehen heute noch z. B. die Bildstöcke gegenüber der Brücke an der Rimparer Straße und am Weinlehrpfad im Höhfeld, der Bildstock in der Mehle und die Pieta, ursprüng­lich hinter der Kirche auf der Mau­­er zum Friedhof, heute im Ölgarten unter dem Kirchturm.

Bei seinen historischen Neigungen überrascht es nicht, dass Ignatius Gropp auch die Günterslebener Dorf- und Pfarreigeschichte interessierte. Das Ergebnis dieses Forschungsdrangs ist sein „Protocollum“, das er uns hinterließ. Es ist ein eigenhändig ge­schriebenes Buch mit mehr als 100 Seiten, in dem er die Entstehung und Entwicklung des Dorfes und der Pfarrei bis in seine Zeit anhand der damals verfügbaren Unterlagen und Überlieferungen festgehalten hat. Als erste Ortschronik ist es ein Werk von unschätz­barem Wert, ohne das wir vieles über die dama­lige Zeit und die Zeit davor nicht wüssten.

Seine Schilderungen in diesem Buch zeigen auch, dass Gropp nicht nur Seelsorger und Wissenschaftler, sondern auch ein zupackender Praktiker war. Tatkräftig und mit scheinbar nimmermüder Energie ging er daran, die Miss­stände zu beseitigen, die er an seiner Pfarrkirche und deren Umgebung vorgefunden hatte.

Gleich in seinem ersten Jahr in Güntersleben ließ er 1750 das undichte Kirchendach reparieren und die feuchte Außenwand zum Friedhof trocken­ legen. Anschließend gab er dem Innenraum der Kirche durch eine neue Decke und einen frischen Anstrich wieder ein ansehnliches Gesicht. Er sorgte dafür, dass der schon vor seiner Zeit bei der Werkstatt des berühmten Würzburger Hofbildhauers Auwera bestellte Maternus­altar endlich geliefert wurde. Der Rokokoaltar in der Turmkapelle ist eines der wertvollsten Ausstat­tungsstücke unserer Kir­che.

Rastlos wie er war, begann Gropp 1751 damit, den Berg abzugraben, in dem der hintere Eingang der Kirche steckte, um die Kirchentüre wieder begehbar zu machen. Und weil er bei der Gemeinde wegen der Unkosten „nicht wohl wäre angekom­men“, führte er die Arbeiten „mit eigenen Unkosten und beigetragener Handan­le­gung“ aus­. Ein wahrlich vielseitiger Mensch, der sich für nichts zu schade war.

1754 ließ er die unwegsame Langgasse begehbar machen, den Platz an ihrem oberen Ende eineb­nen und den dort abgelagerten Erdhaufen wegschaffen. Die Anlegung des großzü­gi­gen Treppenaufgangs, der zum Alten Rathaus und zur Kirche hin­auf­führt, stellt sich bis heute als krönender Abschluss seiner umfangreichen Bautätig­keit dar.

Dass er bei allem das Geld der Kirche zusammenhielt, wurde ihm auch von höherer Stelle be­stä­tigt. So untersagte er 1755, dass „auf Ver­lan­gen etwelcher andächtiger Weiber“ alle Sonn- und Feiertage zwei Kerzen auf dem Maternus­altar an­gebrannt wurden, weil dadurch zu viel Wachs ver­zehrt werde. Das brachte ihm prompt eine Be­schwer­de bei der fürstbi­schöflichen Regierung in Würz­burg ein. Die aber gab ihm Recht und stellte fest, dass der „Pfarrer ein guter Haushälter“ sei.

Bei aller Sparsamkeit reichten aber die Mittel seiner Pfarrei gleichwohl nicht, um seine vielen Vorha­ben zu verwirklichen. Hier half dann seine offenbar große Überzeugungs­kraft, mit der er seine Pfarrkinder dazu brachte, mit kleinen Spenden oder auch größeren Stiftungen zur Verschönerung des Gottes­hauses etwas für ihr Seelenheil zu tun. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und gab aus seiner privaten Schatulle manches dazu, wenn alle anderen Quellen erschöpft waren.

Am 19. November 1758 starb P. Ignatius Gropp mit erst 63 Jahren. In Güntersleben, wo er sein Leben vollendete, fand er – vermutlich in der Kirche – seine letzte Ruhestätte. Der Schlag­an­fall, der seinen plötzlichen Tod auslöste, mag seine Ursache auch in sei­nem rastlosen Einsatz ge­habt ha­ben. Neun Jahre waren es nur, die er in Güntersleben wirken konnte. Aber er hat in diesen wenigen Jahren vieles – um in seinen Worten zu sprechen – „in einen solchen Stand gesetzt, dass jedermann jetzt Gefallen daran hat.“

Die Beurkundung seines Todes in der Sterbematrikel des Pfarramtes endet mit dem Zusatz „vir pius ac doctus“. Ein frommer und gelehrter Mann, dazu zupackend und ohne Scheu vor Schwierigkeiten, das war er offenbar.

11/2021

 

 

 

Das Frühmessnerhaus und die Wolfsschlucht

Im Juli 2021 stand es im Pfarrbrief: Die Kirchenstiftung Güntersleben hat das sogenannte Frühmessnerhaus verkauft. Damit wurde ein neues Kapitel in der wechselvollen Geschichte dieses Hauses aufgeschlagen.

Frühmessnerhaus 2008a

Frühmessnerhaus 2008

Die Gemeindeschmiede oder Wolfsschlucht

Der älteste Teil des Hauses ist der Gewölbekeller im Untergeschoss. Betritt man ihn durch den Zugang von der Josef-Weber-Straße, steht man in der früheren Gemeindeschmiede. Sie wird in einer Ortsbeschreibung von 1594 zum ersten Mal genannt. Wie lange es sie bis dahin schon gab, weiß man nicht. Sie war eine Einrichtung der Gemeinde, die sie bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts immer für drei oder zuletzt auch mehr Jahre an einen Schmied verpachtete, der meistens von auswärts kam. 1824 heiratete Johann Wolf aus Veitshöchheim die Witwe des jung verstorbenen Gemeindeschmieds und übernahm damit auch die Schmiede. Obwohl er auch nur drei Jahre sein Handwerk dort ausübte, ist die Schmiedsstube im Dorf seitdem bis heute als Wolfsschlucht bekannt.

 

Wolfsschlucht 2 Verkleinert

Im Gewölbekeller hinter dieser Türe war bis 1906 die frühere Gemeindeschmiede

Erstes Rathaus von Güntersleben

1731 überbaute die Gemeinde die Schmiede mit dem Haus, wie es – in seiner äußeren Form kaum verändert – heute noch dort steht. Mit seiner Größe war es für die damaligen Verhältnisse ein stattliches Bauwerk. Die immer noch lesbare Inschrift über der Eingangstüre an der Stirnseite weist das Baujahr und die Bestimmung des Hauses aus: „Zur grösseren Ehr Gottes für die gemeine Wohlfart erbaut 1731.“ Was die Gemeinde gebaut hatte, war demnach das erste Rathaus von Güntersleben.

Im Geschoss über der Schmiede war der Ratssaal. Hier tagte der Schultheiß mit den Mitgliedern des Gerichts, wurden die Gemeindeversammlungen abgehalten und Verhandlungen geführt. Im Stockwerk darüber wohnten der Schmied und immer wieder auch andere Handwerker oder Familien aus dem Dorf.

Die Madonna mit dem lutschenden Kind

Um 1757 ließ der damalige Pfarrer P. Ignatius Gropp die große Treppe anlegen, die zur Kirche hinaufführt. Am Fuße des Aufgangs ließ er zu beiden Seiten in Mauernischen lebensgroße Heiligenfiguren einstellen. Rechts ist das St. Stephanus, der Patron des Klosters, dem er angehörte. Links steht in der Nische an der Ecke der Schmiede eine Madonna mit Kind.

Gropp berichtet, dass er die Madonna aus eigenen Mitteln beschafft habe, lässt uns aber nicht wissen, woher. Denn die Figur wurde nach sachverständigem Urteil bereits um 1390 geschaffen und gehört zu einem Typus, der seinen Ursprung im Rheinland hat. Das Besondere an der Darstellung ist das Kind, das an einem Finger lutscht, eine lebensnahe und sehr vermenschlichte Ausdrucksform, wie man sie vergleichsweise sonst eher nicht findet.

1909 bot ein Kunstliebhaber aus Würzburg der damaligen Eigentümerin des Hauses 800 Mark für die Madonna. Das entsprach annähernd dem Jahresverdienst eines Handwerksgesellen. Gemeinsam gelang es dem Bürgermeister und dem Pfarrer, die Eigentümerin dahin zu bewegen, dass sie das Angebot ausschlug und die Madonna für 250 Mark an die Gemeinde verkaufte. Immer noch viel Geld, das es sich die Gemeinde kosten ließ, um das wertvolle Kunstwerk am Ort zu erhalten. 1930 schenkte sie es der Pfarrei. Aus Sorge um ihre Sicherheit erhielt die Originalfigur 1957 einen neuen Platz in der Kirche. Am ursprünglichen Standort ist seitdem eine Kopie zu sehen.

Schule und Lehrerwohnung

Nachdem der Platz in der Dorfschule im heutigen Alten Rathaus nicht mehr für alle Kinder ausreichte, brauchte die Gemeinde 1821 ein weiteres Unterrichtslokal. Mangels anderer Möglichkeiten nahm man dafür das Sitzungszimmer im Rathaus und fand dort auch noch eine kleine Kammer als Wohnung für den zweiten Lehrer, den man jetzt brauchte. Das Klassenzimmer im Sitzungssaal war nur eine Notlösung, und eine schlechte dazu, wie man einem Visitationsbericht von 1835 entnehmen kann. Der Vertreter der Aufsichtsbehörde legte der Gemeinde ans Herz, „sobald als möglich eine zweckmäßige Gestaltung der Schul-Lokalitäten herbei­zuführen, insbesondere das Ungereimte zu entfernen, dass in dem Gemeindezimmer die Schule gehalten und der Unterricht durch den im nämlichen Hause wohnenden Gemeindeschmied und einen Leinenweber gestört werde.“

Armenhaus

1838 baute die Gemeinde ein neues und größeres Schulhaus neben der Kirche, das heutige Kolpinghaus. Da war dann Platz für beide Schulklassen. Eigentlich hätte sich die Gemeindeverwaltung jetzt in ihrem Rathaus ausbreiten können. Doch sie zog es vor, in das ebenfalls frei gewordene alte Schulhaus am Kirchplatz, das heutige Alte Rathaus, umzuziehen, das damit zum zweiten Rathaus von Güntersleben wurde.

Das bisherige Rathaus über der Schmiede erhielt eine neue Zweckbestimmung als Armenhaus. Die Gemeinde brachte dort – meist alleinstehende und ältere – Ortsbewohner unter, die keine eigene Unterkunft hatten und sich eine solche auch nicht leisten konnten.

Verkauf an den Schmied

Nachdem die Gemeinde 1852 das bisherige Hirtenhaus am Kuhhaug, in der heutigen Neubergstraße, als Armenhaus hergerichtet hatte, hatte sie keine Verwendung mehr für ihr früheres Rathaus über der Schmiede. Sie verkaufte es daher samt der Schmiede an den damaligen Gemeindeschmied Adam Rothenhöfer.

Nach dem Tod von Adam Rothenhöfer kaufte der Schmied Georg Kuhn 1878 das Anwesen mit dem Haus und der Schmiede. Als der 1896 verstarb, verpachteten seine Nachkommen die Schmiede nochmals. Mit Liberat Derlet aus der Rhön endete 1906 die Geschichte der früheren Gemeindeschmiede.

Frühmessnerhaus

1904 wollte die Gemeinde ihr früheres Rathaus zurückkaufen, um dort wieder mit der Gemeindeverwaltung einzuziehen. Doch die Verhandlungen zerschlugen sich. Erfolgreicher war 1929 die Kirchenverwaltung. Sie konnte das Haus von den Geschwistern Georg Kuhn und Katharina Herbst, Nachkommen des früheren Schmieds, erwerben.

Die Pfarrei kaufte das Haus, um eine Wohnung für einen Ruhestandspriester zu haben, der neben anderen Gottesdiensten am Sonntag die Frühmesse halten sollte. Auch wenn Güntersleben seit 1956 keinen – wie man ihn im Dorf nannte –  „Frühmessner“ mehr hat, hat sich die Bezeichnung Frühmessnerhaus bis heute gehalten.

Das Haus war schon 1929 nicht mehr im besten Stand. So musste die Pfarrei zum Kaufpreis von 8.500 Mark weitere 18.000 Mark an Renovierungskosten aufbringen. Bewältigen konnte sie das nur, weil sich zahlreiche Ortsbewohner mit Geldspenden oder mit der Überlassung von Grundstücken beteiligten, deren Verkauf dann ebenfalls zur Finanzierung beitrug.

Soweit die Räume im Frühmessnerhaus nicht für die Wohnung gebraucht oder vom bisherigen Eigentümer vereinbarungsgemäß weiter bewohnt wurden, wusste man diese auch anderweitig zu nutzen. Es gab einen Saal und Räume für die Jugend und für die Proben des Kirchenchors, der als einzige örtliche Vereinigung während der NS-Zeit außerhalb der Parteistrukturen geduldet war.

Luftschutzwachlokal

Am 12. September 1940 unterzeichneten der Pfarrer und der amtierende Bürgermeister eine Vereinbarung des Inhalts, dass die Kirchenverwaltung „auf unbestimmte Zeit, d.h. solange ein Bedürfnis besteht, der Gemeinde Güntersleben den untersten Raum des Frühmessnerhauses, die ehemalige Gemeindeschmiede ‚Wolfsschlucht‘ genannt, als Warte- und Aufenthaltsraum für die Wachtposten des Luftschutzes“ überlässt. Der Mietpreis wurde auf monatlich 5.- RM festgelegt.

Das Bedürfnis bestand für die Dauer des Krieges. Im Wechsel waren jede Nacht mehrere Männer, oft auch Jugendliche, als Luftschutzwächter eingeteilt. Wenn drohende Luftangriffe gemeldet wurden, mussten sie die Bevölkerung alarmieren. Dazu hatten sie eine transportable Sirene, die sie mit einer Handkurbel in Gang setzten.

Am Ende des Krieges waren sämtliche Räume des Frühmessnerhauses wie alle Häuser im Dorf bis in den letzten Winkel mit Evakuierten aus den zerstörten Städten und Vertriebenen belegt. Für einige Zeit war auch in der Wolfsschlucht eine Familie untergebracht.

Schreibwaren, Pfarrbücherei, Kinderlädchen

Auch nach der Normalisierung der Verhältnisse blieb es dabei, dass das Frühmessnerhaus in den oberen Stockwerken nur noch für Wohnzwecke genutzt wurde.

Die Wolfsschlucht mietete 1953 der Schreibwarenhändler Karl Weißenberger. 1960 folgte ihm als Mieter ein Herrenfriseur und 1974 zog die Pfarrbücherei dort ein. Schließlich war der Gewölbekeller, in dem nichts mehr daran erinnert, dass er über Jahrhunderte eine Schmiede war, dann noch für einige Zeit ein Kinderkleiderladen, bevor ihn die Kolpingsfamilie als Lagerraum übernahm.

Das Ortsbild prägend und baugeschichtlich bedeutsam

Die Pfarrkirche und das sie umgebende Ensemble spiegeln in ihrer Entstehung und Entwicklung wesentliche Abschnitte der bekannten Ortsgeschichte von Güntersleben wider. Die große Freitreppe mit den Bauwerken, die sie flankieren, und dem Kirchturm im Hintergrund, ist das klassische Motiv von Güntersleben für Maler und Fotografen. Das Frühmessnerhaus gehört, ungeachtet aller Veränderungen in seiner Bestimmung und Nutzung, die es wie kein zweites Gebäude in Güntersleben immer wieder erfahren hat, unübersehbar zu diesem Ensemble.

09/2021

 

 

Von Geheimnissen umrankt: Der Kirchenpatron Maternus

Wenn man sich auf die Suche nach einem Alleinstellungsmerkmal für Güntersleben begibt, kommt man an Maternus nicht vorbei. Als Kirchenpatron ist er hier einzig in der Diözese Würzburg. Auch sonst war und ist er in unserer Gegend außerhalb Günterslebens so gut wie unbekannt.

Und in Güntersleben selbst, wo er bereits 1345 in der Gründungsurkunde der Pfarrei als Schirmherr der damals schon vorhandenen Kirche genannt wird? Auch hier gibt es um seine Person und seine Herkunft mehr Fragen als gesicherte Antworten.

Maternusstatue

Seit jeher geht man in Güntersleben davon aus, dass es sich bei dem hier als Kirchenpatron verehrten Maternus um den ersten Kölner Bischof handelt, der in den Jahren 313 und 314 an Kirchenversammlungen in Rom und im französischen Arles teilnahm. Das ist aber auch schon alles, was es über ihn an belegbaren Lebensdaten gibt. Der Legende nach soll er auch Bischof von Trier und im belgischen Tongern gewesen sein. Die neuere Forschung hält das mittlerweile für unwahrscheinlich und nimmt an, dass es sich bei dem Maternus von Trier, der dort als dritter Bischof geführt wird, um eine andere Person handelte. Der Name Maternus soll damals in der dortigen Gegend sehr verbreitet gewesen sein. Immerhin gibt es in Trier ein Maternusgrab. Daraus besitzt die Günterslebener Kirche seit 1722 Reliquien des Bischofs. Folgt man der Annahme, dass es sich bei dem Kölner und dem Trierer Maternus um verschiedene Bischöfe handelt, führt das unweigerlich zu der Frage, welcher von beiden dann eigentlich der Kirchenpatron von Güntersleben ist.

Ob man nun von dem einen oder dem anderen oder doch von der gleichen Person ausgeht, bleibt die nicht minder spannende und gleichermaßen ungeklärte Frage, wie die Kunde von einem im 4. Jahrhundert im fernen Köln oder Trier lebenden Bischof nach Güntersleben kam. Nachdem darüber, wie es scheint, nirgendwo etwas in schriftlicher oder anderer Form dokumentiert wurde, hat die Suche nach einer Antwort die Phantasie der Günterslebener über die Jahrhunderte hinweg immer wieder von neuem beschäftigt. Dass Einheimische bei der jedenfalls vor 1345 erfolgten Bestimmung des Kirchenpatrons schon einmal den Namen Maternus gehört haben könnten, wird man ausschließen können. Mutmaßungen wie die von Pilgern aus Köln oder Trier, die ausgerechnet das abseitig gelegene Güntersleben zum Ziel gehabt haben sollen oder auf der Durchreise nach Rom das Andenken an ihren Stadtheiligen hinterlassen haben könnten, sind allzu kühne Theorien, als dass man ihnen folgen möchte. Vielleicht kam der entscheidende Anstoß ja aus dem Kloster St. Stephan zu Würzburg, das schon vor der Pfarreierhebung die Seelsorge in Güntersleben innehatte und auch die Grundlegung der späteren Pfarrkirche gegen 1150 direkt oder durch seinen örtlichen Verwalter begleitete. Angehörigen des Klosterkonvents könnte man am ehesten zutrauen, dass sie Verbindungen nach Köln oder Trier hatten. Oder noch einfacher: Sie kannten sicher nicht nur diejenigen Heiligen der katholischen Kirche, die in unserer Gegend bekannt und vertraut waren, und könnten bei der Suche nach einem Kirchenpatron für die neue Günterslebener Kirche, gezielt oder zufällig, auf Maternus gestoßen sein. Auch das bleibt aber wie alle anderen Versuche einer Antwort reine Spekulation.

Ungeachtet aller offenen Fragen sind die Günterslebener „ihrem“ Maternus, wer auch immer er tatsächlich war, seit jetzt schon 700 und mehr Jahren treu geblieben. Man begegnet ihm nicht nur in der Pfarrkirche. Von den 24 Bildstöcken in Dorf und Flur sind allein sechs Maternus gewidmet. Seit Jahrhunderten wird jedes Jahr im September das Maternusfest gefeiert, traditionell schon immer nicht nur in der Kirche, und nicht nur von den Winzern, als deren Schirmherr er gilt, sondern auch mit einem begleitenden Dorffest für alle. Maternus war in Güntersleben auch ein gebräuchlicher Vorname – allerdings nur bis zum 2. Weltkrieg. Seitdem ist er aus der Mode gekommen.

08/2021