Es ist noch nicht so lange her, da schrieb man einen Brief oder eine Postkarte, wenn man jemandem außerhalb des eigenen Wohnortes oder Angehörigen und Freunden aus dem Urlaub eine Nachricht übermitteln wollte. Im Dorf selbst machte man sich auf den Weg zu seinem Gesprächspartner oder wartete darauf, dass man sich wieder einmal begegnete. Heute greift man dafür zum Telefonhörer oder – noch häufiger – spricht oder tippt ins Handy. Wo und wann man gerade Lust dazu verspürt.
Das erste Telefon
Rund 20 Jahre, nachdem in Deutschland der Aufbau von Telefonnetzen begonnen hatte, wurde auch Güntersleben angeschlossen. Zum 1. Februar 1900 wurde in der Poststelle das erste Telefon in Betrieb genommen. Die Poststelle war auch noch neu. Sie war erst wenige Monate vorher in der Ortsmitte im Haus des Bürgermeisters eingerichtet worden, der damit zugleich auch der Posthalter war.
Bei dem einen Telefon im Dorf blieb es für die nächsten Jahre erst einmal und es wurde auch wenig genutzt. Denn Telefongespräche waren teuer. Für ein 3-Minuten-Gespräch im Nahbereich bis 25 Kilometer zahlte man 20 Pfennige, also fast den Stundenlohn eines Bauhandwerkers. 1912 klagte der Gemeinderat, dass Güntersleben telefonisch immer noch kaum zu erreichen sei, weil das einzige Telefon in der Poststelle nur während der wenigen Postdienststunden besetzt sei.
Ein kostspieliger Luxus
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte dann auch der Hauptlehrer und Schulleiter Nikolaus Oswald ein Telefon, das ihm aber bald zu teuer wurde. Als bekannt wurde, dass er es deshalb wieder abmelden wollte, bewilligte ihm der Gemeinderat ab Juni 1920 einen jährlichen Zuschuss von 60 Mark. Begründung für den einstimmig gefassten Beschluss: „Das Telefon ist das einzige Privattelefon und ist unter Umständen von sehr großem Vorteil für die ganze Gemeinde.“
1931 waren in Güntersleben sieben Telefone installiert. Das waren der öffentliche Fernsprecher in der Poststelle, das Forsthaus und der staatliche Forstwart hatten jeweils einen Anschluss, außerdem das Lagerhaus, ein Fahrradhändler und zwei Gasthäuser. Die beiden anderen Gasthäuser und das Rathaus bekamen erst in den folgenden Jahren auch ein Telefon.
Mehr Autos als Telefone
1957 lehnte es der Gemeinderat im Einvernehmen mit dem Bürgermeister ab, für diesen einen Telefonanschluss einrichten zu lassen, damit er auch außerhalb der Dienststunden des Rathauses erreichbar sei. In unmittelbarer Nähe der Wohnung des Bürgermeisters gebe es schon „genug Telefone“. Tatsächlich konnte man diese wohl an den Fingern einer Hand abzählen. Denn auch noch 1962 waren im gesamten Ort, abgesehen von der Post, nur 27 Telefonanschlüsse installiert. Wichtiger als ein Telefon war vielen erst einmal ein eigenes Auto. So waren um diese Zeit in Güntersleben mehr als dreimal so viele Autos zugelassen als Telefonnummern vergeben.
Wenn man doch einmal einen Anruf tätigen musste, ging man aufs Rathaus, ins Lagerhaus oder in eines der Gasthäuser, wobei man bei letzteren ordentlich zahlen musste. Bei 50 Pfennig je Einheit hielt sich demgemäß die Nachfrage auch in Grenzen.
Das war aber immer noch günstiger als ein Telegramm, das man auf der Poststelle aufgeben konnte. Man diktierte dem Postbeamten den Text, der gab den mündlich über das Telefon weiter. Am Zielort schrieb ihn der dortige Postbeamte auf ein Formular, das der Postbote dann schnellstmöglich dem Empfänger aushändigte. Die Gebühr richtete sich nach der Anzahl der Wörter, die übermittelt werden sollten. Daraus entwickelte sich der sprichwörtliche Telegrammstil, wie ihn Reinhard Mey 1969 in einem Songtext treffend wiedergab: „Ankomme Freitag, den 13.“ Zum Jahresende 2022 stellte die Post diesen Dienst ein, weil er nur noch wenig gefragt war. Für die Weitergabe von Kurznachrichten muss man heute nicht mehr eigens zur Poststelle.
Fasse dich kurz – in der öffentlichen Telefonzelle
1965 bekam Güntersleben am Lagerhaus eine öffentliche Telefonzelle, die man rund um die Uhr nutzen konnte. Drei Jahre hatte es gedauert, bis die Post den wiederholten Anträgen des Gemeinderats stattgab und das „Telefonhäuschen“ aufstellte. „Fasse dich kurz“ stand an der Zugangstüre, was nur allzu berechtigt war, denn nicht selten fand man sich erst in einer Warteschlange, bis der Platz am Münzfernsprecher frei war.
Gleichwohl schien damit der Bedarf zunächst aber gedeckt. Denn auch noch 1970 hatten von den über 700 Haushalten in Güntersleben gerade einmal 54 einen eigenen Telefonanschluss. Vorherrschende Meinung war da immer noch, dass ein Telefon eigentlich nur für Geschäfte, Handwerker und Einrichtungen mit Publikumskontakten den Aufwand wert sei. Auf eine schnellere Entwicklung war auch die Post nicht eingestellt. Denn wer einen neuen Anschluss beantragte, musste oft viele Wochen warten, bis die Techniker der Post kamen und die Verbindung herstellten.
Auch mit der Aufstellung einer weiteren Telefonzelle ließ sich die Post viel Zeit. 1973 kündigte die Post an, dass sie die Möglichkeit prüfe, vertröstete dann aber die Gemeinde immer wieder unter Hinweis darauf, dass die Wirtschaftlichkeit nicht gesichert sei. Als dann 1986 ein zweites Telefonhäuschen endlich am Laurenziweg stand, hatten mittlerweile so viele Familien ihr eigenes Telefon, dass der Bedarf für einen öffentlichen Fernsprecher tatsächlich nur noch sehr überschaubar war.
Inzwischen haben die Telefonhäuschen nicht nur in Güntersleben längst ausgedient. Als sie entfernt wurden, hat das kaum jemand zur Kenntnis genommen. Nach den Ankündigungen der Post sollen die wenigen noch bestehenden Einrichtungen dieser Art im Laufe des Jahres 2023 außer Betrieb genommen werden.
Der Siegeszug der Mobiltelefone
Mehr als ein dreiviertel Jahrhundert dauerte es, bis das Telefon von der Aufstellung des ersten Apparates in der Poststelle den Weg in alle Haushalte in Güntersleben fand. Kaum dass es so weit war, kamen in den 1990er Jahren mit den Handys die mobilen Geräte auf den Markt. Wie in vielen anderen Bereichen ging auch hier die Entwicklung in ungleich schnellerem Tempo voran und beschleunigt sich, wie es scheint, immer noch weiter. In kaum mehr als zwei Jahrzehnten wurde das Handy mit seinen stetig und scheinbar unaufhaltsam erweiterten Funktionen zu einem zu jeder Zeit und an jedem Ort verfügbaren Gebrauchsgegenstand, den die meisten von uns für unverzichtbar halten.
Die Zeiten, zu denen es in Güntersleben mehr Autos als Telefone gab, sind lange vorbei. Statistisch auf alle Einwohner jeden Alters bezogen, hat heute etwa jeder zweite Günterslebener ein Auto. Die Zahl der Handys liegt sicher um einiges höher. Und vor allem: Das Handy gehört schon zur Grundausstattung der Heranwachsenden, bevor diese überhaupt an ein eigenes Auto denken können.
Und noch etwas ist anzumerken: Mit der Verbreitung der modernen Kommunikationsmittel kommt der schriftliche Nachrichtenaustausch, auch im privaten Bereich, immer mehr außer Mode. Alte Briefe und Postkarten, ob zufällig erhalten oder bewusst aufbewahrt, sind aber oft wahre Fundgruben der persönlichen Erinnerung und der Familiengeschichte. Ob die Flut der Bilder, die wir auf unseren Handys speichern und die flüchtigen Kurznachrichten das ersetzen können?
06/2023
Strom im Haus
Der Bau der Wasserleitung im Jahr 1909 war für Güntersleben ein Riesenschritt zu mehr Wohnqualität. Statt das Wasser mit Butten und Eimern aus den Dorfbrunnen mühselig herbeizutragen, konnte man sich jetzt ganz bequem aus der Leitung im Haus oder auf dem Hof bedienen.
Strom aus der Steckdose gab es zu der Zeit noch nicht. Wollte man nach Einbruch der Dämmerung nicht im Dunkeln sitzen, musste man Kerzen oder Petroleumlampen anzünden. Viel mehr als ein schummeriges Licht gaben die nicht von sich, dafür aber oft unangenehme Ausdünstungen und sie waren bei Unachtsamkeit auch eine ständige Gefahrenquelle. So kann es nicht verwundern, dass bald nach der Wasserleitung auch die Stromversorgung zum Thema wurde. Aber wie dort sollte es auch hier geraume Zeit dauern, bis der Wunsch zur Wirklichkeit wurde.
Ein früher, aber erfolgloser Anlauf
In Deutschland wurden seit etwa 1900 die ersten Haushalte, vornehmlich in den städtischen Ballungsgebieten, mit elektrischem Strom versorgt. Ein Jahrzehnt später war es dann so weit, dass sich auch verschiedene Gemeinden in unserer Region mit der Frage einer Stromversorgung befassten, sei es durch Eigenerzeugung oder durch den Anschluss an eines der regionalen Versorgungsunternehmen, die damals entstanden.
Im März 1911 stimmten auf einer Gemeindeversammlung in Güntersleben alle 85 anwesenden Bürger für einen Anschluss an das Stromnetz der Fränkischen Überlandzentrale Lülsfeld. Die Verträge wurden von der Gemeindeverwaltung auch sogleich unterschrieben und zwei Tage später an das Kgl. Bezirksamt geschickt. Weil aber noch nicht alle Bedingungen klar seien, sollte dieses die Verträge vorerst allerdings nicht weiterleiten. Die Sache zog sich hin. Die Gemeinde verlangte genauere Informationen, „weil die Einwohner noch viel zu wenig über den Kostenpunkt u.s.w. unterrichtet sind.“ Es wurde November 1912, bis die Gemeindeverwaltung ihre hinhaltende Taktik aufgab und den Vertrag schließlich freigab, wie es im Sitzungsprotokoll heißt, „aufgrund der Ausführungen des Vertreters der genannten Gesellschaft“. Entscheidender war aber wohl, dass das Bezirksamt drängte und auch die Bevölkerung nicht länger warten wollte.
Als es dann aber um die Finanzierung ging, zeigte sich, dass die Meinungen der Bürger durchaus geteilt waren. Weil die Gemeinde noch für viele Jahre mit dem Schuldendienst für die erst neu gebaute Wasserleitung belastet war und damit die Mittel für ein weiteres größeres Projekt fehlten, sollte auf den Bierverkauf eine Sonderabgabe von 60 Pfennig je Hektoliter erhoben werden. Als darüber in der Gemeindeversammlung abgestimmt wurde, kam die erforderliche Mehrheit unter den stimmberechtigten Bürgern nicht zustande. Unter denen, die dagegen stimmten, waren die drei Günterslebener Gastwirte. Auf sie bezog sich wohl auch der Vermerk, den der darob verärgerte Gemeindekassier der Gemeinderechnung beifügte: „Hetze verursacht“.
Von weiteren Bemühungen, das Vorhaben doch noch zu verwirklichen, liest man dann erst einmal nichts mehr. Der Kriegsausbruch im August 1914 stoppte dann endgültig alle Pläne, so diese noch aktuell waren. Die dunklen Jahre, die folgten, wurden in den Wohnungen der Dorfbewohner noch dunkler, als gegen Ende des Krieges und in der Nachkriegszeit auch noch die Leuchtmittel wie Petroleum, Karbid, aber auch Kerzen knapp wurden und nur noch in begrenzten Rationen zugeteilt wurden.
Auch der zweite Anlauf war holprig
Zwei Jahre nach dem Kriegsende beschäftigte sich der Gemeinderat im Herbst 1920 wieder mit der Frage der Stromversorgung, und jetzt sollte es ganz schnell gehen. Und siehe da, nach wenigen Tagen war schon ein Vertrag abgeschlossen, den der Gemeinderat dann aber nicht akzeptierte. Wenn man in den Sitzungsprotollen nachliest, wie dieser Vertrag zustande kam, kann man das auch gut verstehen. Demnach lud der Gemeindediener auf Veranlassung eines Firmenvertreters mit der Ortsschelle gerade einmal anderthalb Stunden vor Beginn zu einer „Gemeindeversammlung bei Joßberger betreffend Einführung des elektrischen Lichtes“ ein. Die Anzahl der Besucher scheint nach der kurzfristigen Einladung nicht allzu groß gewesen zu sein. Auch vom Gemeinderat waren nicht einmal alle Mitglieder des Ausschusses dabei, der eigens zur Vorbereitung der mit dem Stromanschluss zusammenhängenden Fragen gebildet worden war. Ihre Kollegen wollten von der Einladung nichts mitbekommen haben. Was bei der Werbeveranstaltung zu hören war, hat die drei anwesenden Gemeinderatsmitglieder offenbar so beeindruckt, dass sie noch am gleichen Abend im Wirtshaus die Verträge über den Kauf einer Maschine zur Eigenerzeugung von Strom und die Installation des Ortsnetzes über rund 250.000 Mark unterschrieben. Die Eile schien ihnen wohl deshalb geboten, weil für die allernächste Zeit drastische Preiserhöhungen angekündigt wurden.
Gleich in der nächsten Sitzung erklärte der Gemeinderat, auch mit den Stimmen der Unterzeichner, die Verträge „für null und nichtig“. Der Hersteller der Stromerzeugungsmaschine, die Fa. Benz, wollte das nicht hinnehmen und schickte ihre Anwälte ins Gefecht. Für die Gemeinde legte sich der Hauptlehrer Oswald in seiner Funktion als Gemeindeschreiber mächtig ins Zeug. Ein dreiviertel Jahr lang gingen Schriftsätze hin und her. Dann erklärte sich im November 1921 die Installationsfirma, die den Handel vermittelt hatte, bereit, die Maschine zu übernehmen und die Gemeinde von allen Kosten freizustellen. Dafür durfte sie dann auch den Auftrag für den Aufbau des Ortsnetzes und die Einrichtung der Hausanschlüsse behalten.
Inzwischen hatte sich der Gemeinderat dafür entschieden, den Strom nicht selbst zu erzeugen, sondern von der Kreis-Elektra zu beziehen, wie das bis heute der Fall ist, auch wenn die Lieferanten inzwischen mehrfach gewechselt haben.
Mit der Inbetriebnahme der Anlage im Frühsommer 1922 wurde es in den Wohnstuben der Günterslebener hell. Gleichzeitig wurden 17 Straßenlampen mit elektrischen Glühbirnen aufgestellt, die alten Petroleumlaternen hatten damit ausgedient. Über die einzelnen Standorte sollte der Bürgermeister im Einvernehmen mit der Installationsfirma und zwei Gemeinderatsmitgliedern entscheiden. Bei der Ausstattung der öffentlichen Gebäude wie Schule und Rathaus wollte es der Gemeinderat aber genau wissen. Über die Anzahl der Lampen und der Lichtschalter sowie „die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der einzelnen Brennstellen“ wollte er erst nach einer Besichtigung der Gebäude entscheiden.
Stromausfälle und Gewitterkerzen
Sehr zuverlässig war die Stromversorgung lange Zeit nicht. Solange die Zuleitung nur aus einer Richtung erfolgte, führte jede Störung an der Leitung gleich immer zu mehr oder weniger langen Unterbrechungen. Vorsichtshalber hatte man daher auch nach der Elektrifizierung der Orgel in der Kirche den bis dahin mit Muskelkraft bewegten Blasbalg nicht ausgebaut. Und der musste bis weit in die 1960er Jahre immer wieder einmal betätigt werden, wenn just während des Gottesdienstes der Strom wegblieb.
In den meisten Haushalten hatte man für solche Fälle ein paar Kerzen in Reichweite, die man anzünden konnte, wenn das Licht ausging. Oft waren das sogenannte Gewitterkerzen, die schwarz eingefärbt waren und ihren Namen davon hatten, weil sie vorsorglich bei Gewittern angezündet wurden, weil in deren Verlauf häufig der Strom ausfiel.
Größere Unannehmlichkeiten als dass es dunkel im Haus wurde, löste ein Stromausfall in früherer Zeit allerdings im Allgemeinen nicht aus. Heute, wo unsere Häuser mit einer Vielzahl technischer Geräte ausgestattet sind, die am Strom hängen, stehen wir bei einem – glücklicherweise höchst seltenen – Stromausfall ziemlich hilflos und verlassen da, weil vieles, auf das wir uns angewiesen glauben oder auch wirklich sind, nicht mehr funktioniert. Vernetzung schafft eben, in der großen wie in unserer kleinen Welt, auch Abhängigkeiten, denen wir ausgeliefert sind.
06/2023
Wie Güntersleben zu Straßennamen und Hausnummern kam
„Straßennamen, Straßennamensschilder und Hausnummern tragen wesentlich zur Orientierung in der Gemeinde bei.“ Dieser Feststellung des Bayerischen Innenministers in einer Bekanntmachung von 1987 wird niemand widersprechen wollen. Dass jede Straße einen von der Gemeinde festgelegten Namen und jedes Haus eine ebenfalls amtlich vergebene Hausnummer hat, ist für uns heute selbstverständlich. Wie man sich früher, auch als das Dorf noch kleiner war, ohne diese Kennzeichnungen zurechtgefunden hat, können wir uns kaum noch vorstellen.
Die ältesten Straßennamen
Zum ersten Mal begegnen uns in Güntersleben Straßennamen in einem Schatzungsbuch von 1698. Darin sind alle damaligen Anwesen aufgeführt und bei einigen wenigen wird zur Lagebeschreibung ein Straßenname genannt: Die Lange Gasse, aus der später die Langgasse wurde. Der Kühehaug, heute die Neubergstraße. Das Westert, heute die Thüngersheimer Straße, aber im örtlichen Sprachgebrauch immer noch fortlebend. Das Stiegelein, später in Steile Gasse umbenannt, heute die Zehntgasse. Die Bachgasse und eine Wethgasse, die wir heute als Kronengasse und Kirchgasse kennen. Die weiteren Dorfstraßen sind noch ohne Namen und werden einfach als gemeine Gassen, also Gemeindegassen, bezeichnet.
Hausnummern kannte man 1698, als das Schatzungsbuch angelegt wurde, noch nicht. Stattdessen gab man – wie auch bei den Äckern in der Flur – die Besitzer der Nachbargrundstücke an. So lag also das Anwesen des Franz Rothenhöfer in der Ortsmitte „beim Brunn zwischen Nikolaus Vornkeller und Hanns Georg Köhler“ oder der Hof des Nikolaus Lauer „auff dem Kühehaug zwischen Matthes Nadler und gemeinen Gässlein“, womit die heutige Engelsgasse gemeint ist.
Zum ersten Mal Hausnummern
Um 1740 erstellte Pfarrer P. Gerard Molitor ein Häuserbuch für Güntersleben. Beim Aufschlagen des Bandes blickt man auf einen Ortsplan, den ersten überhaupt von Güntersleben, vermutlich vom Verfasser selbst gezeichnet. Neu ist daran auch, dass alle Straßen einen Namen haben. Neben den bereits angeführten gibt es jetzt auch den „Fahrweg nach Veitshöchheim und Würzburg“, der als „Fohrwaag“ auch heute noch von Alteingesessenen verwendet wird, wenn sie von der Würzburger Straße sprechen. Die vordere Rimparer Straße und die Gramschatzer Straße erscheinen als „Untere Straße“ und die heutige Schönbrunnenstraße und die Josef-Weber-Straße als „Obere Straße“, wie sie bis 1963 noch hießen. Die Gassen, die von der Unteren Straße zum Kirchberg hochführen, tragen fortlaufende Nummern von 1 bis 5, die sie bis 1963 behielten, allerdings ohne den Zusatz, den ihnen Molitor gab. Er nannte sie nämlich zur Unterscheidung von der langen Gasse Zwerggassen.
Den bebauten Grundstücken entlang der Dorfstraßen und Gassen gab Molitor – auch das war neu bei ihm – Hausnummern. Den Anfang machte er bei der Mühle unterhalb vom Dorf mit der Nummer 1 und führte die Nummerierung durch alle Straßen bis zur Hausnummer 142 unten an der Langgasse fort. Auch wenn im Laufe der Zeit neue Häuser dazu kamen und damit auch die Zahl der Hausnummern größer wurde, blieb die von Molitor erdachte Abfolge sogar noch bis 1967 die gleiche: Beginn beim Mühlenanwesen, der gleiche Verlauf durch die Straßen und Ende mit der höchsten Hausnummer bei der späteren Kinderbewahranstalt an der Langgasse.
Amtliche Straßennamen
Straßennamen bildeten sich durch den alltäglichen Gebrauch heraus, veränderten sich und wurden in unterschiedlichen Schreibweisen verwendet. Dann aber legte der Gemeinderat mit Beschluss vom 26. November 1927 die Namen der Straßen verbindlich fest. Für die großen aus dem Ort hinausführenden Straßen bestimmte er neue Namen nach der Zielrichtung dieser Straßen. Seitdem – also erst seit 1927 – gibt es die Würzburger Straße, die Thüngersheimer Straße, die Rimparer Straße und die Gramschatzer Straße. Aus dem Stiegelein wurde die Steile Gasse und die von Pfarrer Molitor noch so bezeichneten Zwerggassen waren jetzt nur noch die 1. Gasse bis zur 5. Gasse, wie sie wohl ohnehin im Alltag genannt wurden.
Adolf-Hitler-Straße und Hindenburgplatz
Dem Beispiel anderer Gemeinden folgend und damit den Erwartungen der neuen Machthaber genügend beschloss der Gemeinderat am 26. April 1933, die Gramschatzer Straße von der Ortsmitte bis zur Bachbrücke nach dem Führer und Reichskanzler umzubenennen; sie diente dann als Aufmarschstraße für die uniformierten Gruppen und Fahnenabordnungen zu den Kundgebungen beim Kettenbrunnen. Der bis dahin namenlose Platz erhielt nach dem Reichspräsidenten den Namen Hindenburgplatz. Mit dem Ende des Dritten Reiches war es aber auch damit wieder ganz schnell vorbei. Ohne dass sich der Gemeinderat damit überhaupt befasste, wurde die Adolf-Hitler-Straße wieder zur Gramschatzer Straße. Der Hindenburgplatz ist seitdem wieder offiziell ohne Namen. Wenn aber vom Kettenbrunnen die Rede ist, weiß jeder, dass dieser Platz gemeint ist.
Alte Straßen, neue Namen
Der Gemeinderat befasste sich erst 1963 wieder mit den Straßennamen. Mit der Folge, dass sich viele Ortsbewohner an neue Anschriften gewöhnen mussten. Nicht einmal die Hälfte der Straßen behielt ihren bisherigen Namen. Zu den Änderungen kamen neue Bezeichnungen für Straßen, die bis dahin noch namenlos waren. Seitdem gibt es die Josef-Weber-Straße und die Ignatius-Gropp-Straße, die an frühere Ortspfarrer erinnern. Die Büttnergasse, die Schustergasse und die Klebergasse wurden nach traditionellen Handwerksberufen benannt. Der Laurenziweg bekam seinen Namen nach der ersten Dorfkirche, die dort stand. Auch bei der Klostergasse, dem Ziegelhüttenweg, der Zehntscheune und bei der Brunnengasse ließ man sich von ortsgeschichtlichen Bezügen leiten. Alte Flurnamen fanden Eingang in die Namen der Deisenbergstraße, der Mehlenstraße oder beim Schelmsgraben.
Ungeliebte Straßennamen
Nur wenige Wochen, nachdem auf diese Weise viele Straßen einen neuen Namen bekommen hatten, meldeten sich die Anwohner im Kuhhaug mit einer schriftlichen Eingabe an den Gemeinderat, um auch für ihre Straße eine Umbenennung zu erreichen. Kuhhaug passe mit seinem sprachlichen Bezug zum Bauerndorf nicht mehr in die moderne Zeit. Der Wunsch der Anwohner war dem Gemeinderat wichtiger als die Erhaltung eines der ältesten Straßennamen. Seitdem wohnt man dort in der Neubergstraße. Davon ermutigt meldeten sich einige Zeit später auch die Anwohner der Roßstraße, fanden aber mit ihrem Ansinnen, auch ihrer Straße einen – aus ihrer Sicht – zeitgemäßeren Namen zu geben, beim Gemeinderat kein Gehör.
Auch der Abschied vom Kuhhaug war nicht von Dauer. Als man 1996 für ein vom früheren Kuhhaug abzweigendes neues Straßenstück einen Namen suchte, wurde der abgelegte Name mit einer kleinen Abwandlung reaktiviert. Keiner der dortigen Anwohner scheint Probleme damit zu haben, „Am Kuhhaug“ zu wohnen. Auch Straßennamen bleiben von wechselnden Modetrends nicht verschont.
Von einer Sauecke oder „Säuhecke“, wie man das untere Teilstück der Josef-Weber-Straße im Dorf seit jeher nannte, hat der Gemeinderat bei der Neubenennung der Straße aber von vornherein Abstand genommen. Eine solche Adresse wollte man den Anwohnern nun doch nicht zumuten.
Eigene Hausnummern für jede Straße
Auch nach der Neuverteilung der Straßennamen blieb es 1963 erst noch bei der durchgängigen Nummerierung bei den Hausnummern von der 1 für das frühere Mühlenanwesen bis zur höchsten Nummer für die einstige Kinderbewahranstalt an der Langgasse, die jetzt die 319 war. Allerdings lässt sich daraus nicht ableiten, wie viele Häuser damals in Güntersleben standen. Gab es doch inzwischen immer mehr gesplittete Nummern mit Zusätzen wie a und b oder ergänzt durch Bruchzahlen, die bis zu 1/7 reichen konnten. Tatsächlich belief sich die Zahl der Wohnanwesen in Güntersleben damals schon auf etwa 400.
Um einer weiteren Zersplitterung der Hausnummerierung Einhalt zu gebieten, ging man schließlich 1967 dazu über, jeder Straße gesonderte Hausnummern zuzuweisen. Soweit der Straßenverlauf eine solche Orientierung erkennen lässt, beginnt die Nummerierung jeweils an dem der Ortsmitte nächstgelegenen Ende mit der 1 und setzt sich auf der linken Seite mit den ungeraden und auf der rechten Seite mit den geraden Zahlen fort. Mit dieser heute allgemein üblichen Systematik wird gerade in längeren Straßenzügen die Suche nach einer bestimmten Hausnummer wesentlich erleichtert.
Immer neue Straßennamen
Mit jedem neuen Baugebiet sind in den letzten Jahrzehnten neue Straßen hinzugekommen. Aus den 39 Straßen von 1963 sind mittlerweile 76 geworden. Mit Abstand die größte ist die Thüngersheimer Straße mit einer Länge von über einem Kilometer und 95 Anliegeradressen. Dagegen haben die Anwohner am Laurenziweg, an der Kronengasse und am Nelkenweg eine vergleichsweise exklusive Anschrift, liegt doch an diesen Sträßchen jeweils nur ein einziges Wohnhaus.
03/2023
15 Billionen Mark Rente im Monat
Nachdem der Günterslebener Waldhüter Michael Beetz in den Ruhestand getreten war, setzte der Versorgungsverband dessen monatliche Bezüge auf 15 Billionen Mark fest. Darüber könnten sogar die mit üppigen Altersversorgungen wohlausgestatteten Vorstände unserer Dax-Unternehmen vor Neid erblassen – hätte sich der Rentenbescheid nicht am Geldwert von November 1923 orientiert.
Das Inflationsjahr 1923
Vor 100 Jahren erlebte Deutschland eine Geldentwertung, wie es sie in diesem Ausmaß und mit derart existenzvernichtenden Folgen für viele Betroffene in den Industriestaaten der neueren Zeit kein zweites Mal gab. Für viele, die sie miterleben und erleiden mussten, blieb sie ein lebenslanges Trauma. Die Angst um den Bestand ihrer Ersparnisse und das Misstrauen gegen jegliche Formen der Geldanlage ließen sie nicht mehr los.
Auslöser der Geldentwertung war der Erste Weltkrieg, der das Deutsche Reich neben allen anderen Lasten für das Land und die Bevölkerung Unsummen von Geld kostete, das der Staat nicht hatte. Der Krieg wurde daher nahezu vollständig mit Krediten und Kriegsanleihen finanziert, zu deren Zeichnung die Bevölkerung immer wieder aufgerufen wurde.
Nach dem Ende des Krieges musste der Staat diese Kredite zurückzahlen. Dazu kamen die erdrückenden Wiedergutmachungsleistungen, die Deutschland durch die Siegermächte im Versailler Vertrag auferlegt wurden. Um ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, brachte die Regierung immer mehr Geld in Umlauf, das immer weniger durch materielle Werte gedeckt war und damit beständig an Kaufkraft verlor. Je schneller die Notenpressen Geldscheine mit immer höherem Nennwert druckten, desto weniger bekam man dafür. Löhne und Preise stiegen unaufhaltsam, bis sie im Laufe des Jahres 1923 geradezu explodierten und der Heizwert der Geldbündel am Ende höher war als ihr Zahlungswert.
Nutznießer der Inflation waren der Staat und alle, die auch Schulden angehäuft hatten. Bei gleichbleibendem Nennwert fiel die Tilgung immer leichter. Auch als Besitzer von Immobilien und anderen Sachanlagen kam man gut durch die Inflation. Verlierer waren alle, die Geld gespart hatten, das am Ende so gut wie wertlos war, und diejenigen, die vom Lohn ihrer Arbeit lebten, den man am Ende gar nicht so schnell ausgeben konnte, wie sein Wert verfiel.
Die Wende brachte die Einführung der Rentenmark im November 1923. Das neue Zahlungsmittel war durch Immobilien und andere Sachwerte von Großgrundbesitzern und Industriellen gedeckt. Es wurde nur so viel davon gedruckt, wie durch diese Sachwerte gedeckt war. Wer jetzt wertbeständiges Geld zum Investieren oder für Lohnzahlungen brauchte, konnte sich damit gegen übliche Zinsen versorgen. Wer Arbeit hatte, bekam wieder Geld in die Lohntüte, mit dem er etwas anfangen konnte. Bis es so weit war, blieb aber manchen auch nichts anderes übrig, als die Leere im Geldbeutel erst einmal dadurch zu bekämpfen, dass sie mehr oder auch weniger Entbehrliches veräußerten. So kam allmählich wieder ein kontrollierter Zahlungsverkehr in Gang. Altes Geld konnte man sogar noch umtauschen, machte damit aber ein denkbar schlechtes Geschäft. Für eine Billion alter Papiermark gab es eine Rentenmark. Einfach war nur die Rechnung: Man musste lediglich 12 Nullen streichen und wusste, was man durch den radikalen Schnitt nach dem Zusammenbruch der alten Währung noch hatte. Zur Jahresmitte 1924 wurde die Rentenmark durch die Goldmark abgelöst. Damit war das Gespenst der Inflation, die zu Recht unter dem Namen Hyperinflation in die Geschichtsbücher einging, endgültig verscheucht. An den Folgen hatten aber viele noch lange zu tragen.
Güntersleben 1923
1300 Einwohner, 300 Haushalte, 230 Anwesen. Das war Güntersleben in den beginnenden 1920er Jahren. Jedes dritte Anwesen war ein Bauernhof. Auch die Besitzer der anderen Wohnhäuser – Handwerker und Händler, Beschäftigte im Baugewerbe, bei der Bahn, in der Fabrik, im Wald oder in den Weingütern – betrieben in aller Regel im Nebenerwerb eine kleine Landwirtschaft und hielten Nutztiere für den Eigenbedarf auf ihren Höfen. Es waren nicht sehr viele Familien, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit dem Verdienst aus einem Beschäftigungsverhältnis bestritten.
Wohl hatten der Krieg und seine Folgen auch die Menschen in Güntersleben schwer getroffen. 60 Männer waren von den Fronten nicht mehr zurückgekommen und fehlten in ihren Familien. Abgabepflichten und Lebensmittelrationierungen galten auch noch über das Kriegsende hinaus. Gleichwohl schienen sich die Verhältnisse im Dorf erstaunlich schnell zu normalisieren. Im Februar 1920 stellte der Gemeinderat fest, „dass zur Fortführung der Erwerbslosenfürsorge kein Bedürfnis besteht. Sogenannte Saisonarbeiter wie Maurer und Tüncher können im Winter im Walde beschäftigt werden.“ Und einem weiteren Beschluss vom November 1921 kann man entnehmen, „dass der Wohnungsmangel durch die bisherigen 6 Neubauten behoben“ sei. Einen großen Schritt zu mehr Lebensqualität bedeutete es sicher auch, dass die Gemeinde „und ihre Eingesessenen“, wie es im entsprechenden Vertrag heißt, seit Mitte 1921 mit elektrischem Strom versorgt wurden.
Politisch hatte sich nach den unruhigen Nachkriegsjahren auch in Güntersleben die Lage wieder beruhigt. Zwar mussten sich alle Seiten erst daran gewöhnen, dass im Gemeinderat seit 1919 unterschiedliche politische Parteien vertreten waren. Die Zusammenarbeit gestaltete sich aber im Allgemeinen ziemlich reibungslos. Gelegentliche Störversuche kamen meist von außen, durch politische Akteure, die bei der Wahl nicht zum Zug gekommen waren.
Die Auswirkungen der Inflation für Güntersleben
Die Geldentwertung, die noch während des Krieges einsetzte, traf die Menschen im Dorf zwar auch schmerzlich, aber – wie die Landbevölkerung insgesamt – nicht mit der gleichen Wucht wie die Menschen in den Städten.
Das eigene Haus und der Grundbesitz, den die meisten Familien hatten, blieb von einem dauerhaften Wertverlust verschont. Wo man sich noch weitgehend mit Erzeugnissen vom eigenen Hof versorgte, waren zumindest die elementaren Grundbedürfnisse gesichert. Wo dies nicht ausreichend der Fall war, stand man zwar auch vor dem Problem, dass das Tempo der Lohnerhöhungen mit den exorbitant steigenden Preisen für Lebensmittel und anderes oft nicht Schritt hielt. Wenn es ums Überleben ging, konnte man aber im Dorf noch eher auf die Solidarität der Mitbewohner zählen als in den Städten, wo auch die Nachbarn nichts abgeben konnten. Größere Ersparnisse hatten bei der bescheidenen Lebensführung und unter den schwierigen Verhältnissen der vorangehenden Kriegsjahre ohnehin die wenigsten Familien ansammeln können, so dass sich auch da die Verluste in Grenzen hielten. Wer Schulden hatte, und das waren nicht nur die Bauherren der sechs Wohnhausneubauten seit dem Kriegsende, war diese durch den Zerfall der Währung buchstäblich über Nacht los.
Leider gibt es so gut wie keine Aufzeichnungen und auch keine Zeitzeugen mehr, die aus eigenem Erleben schildern könnten, wie ihre Familien durch die Inflationszeit kamen. Immerhin können aber die Sitzungsprotokolle des Gemeinderats und die Gemeinderechnungen dieser Jahre doch einen Eindruck über den Verlauf und die konkreten Auswirkungen der Geldentwertung vor Ort vermitteln.
Bereits im Juni 1918, also noch vor Kriegsende, musste die Gemeinde auf Weisung der Aufsichtsbehörde ihren Bediensteten eine satte Teuerungszulage bewilligen. Die jährlichen Bezüge des Straßenwärters und des Waldhüters wurden von 60 auf 120 Mark verdoppelt, der Polizeidiener erhielt statt bisher 120 Mark sogar 300 Mark und auch der Bürgermeister und der Gemeindeschreiber kamen in den Genuss eines ordentlichen Zuschlags. Weitere Nachbesserungen ließen nicht lange auf sich warten. So war man beim Polizeidiener und beim Waldaufseher schon im September 1919 bei 1.920 Mark Jahreslohn angelangt. Allerdings nur „für die Zeit, bis der allgemeine Weltmarkt bzw. Geldmarkt sich bessert“ – wie sich schnell zeigen sollte, eine vergebliche Hoffnung des Gemeinderats. Denn nur ein dreiviertel Jahr später musste man zur Jahresmitte 1920 die Bezüge erneut fast verdoppeln, auf jetzt 3.360 Mark jährlich.
Die Abstände zwischen den nächsten Gehaltszuschlägen, auch für die weiteren Beschäftigten der Gemeinde wie den Wegmacher oder den Wasserwart, wurden immer kürzer. Im April 1921 kam man nicht umhin, auch der Musikkapelle höhere Beträge für ihre verschiedenen Dienstleistungen zuzugestehen.
Derweil passte die Gemeinde auch die Steuern und Gebühren für ihre Leistungen fortwährend an, wie man das heute gerne beschönigend umschreibt. Die Hundesteuer, im Januar 1922 noch bei 20 Mark, wurde ein Jahr später auf 400 Mark erhöht. Der Pachtpreis für die Gemeindeäcker wurde zur gleichen Zeit auf das fünfzehnfache erhöht. Im Dezember 1922 setzte der Gemeinderat die Vergnügungssteuer für Tanzveranstaltungen auf 1.000 Mark je Tag fest. Der Wasserpreis wurde für das erste Halbjahr 1923 gleich auf das Hundertfache des Betrages angehoben, den man für das ganze Vorjahr zu zahlen hatte.
Um nicht fortwährend neuen Forderungen nach Lohnerhöhungen ausgesetzt zu sein, koppelte der Gemeinderat im Dezember 1922 die Bezüge des Gemeindepersonals an den Brotpreis. Der Tagesverdienst des Polizeidieners sollte fortan dem Preis von einem Laib Brot entsprechen.
Als der Polizeidiener dann im Januar 1923 für den Wachdienst zusätzlich 100 Mark für jede Nacht, die er unterwegs war, forderte, beschloss der Gemeinderat kurzerhand, wie früher wieder alle Bürger im Wechsel zum nächtlichen Wachdienst zu verpflichten. Ein Vorhaben, das man allerdings nach kurzer Zeit wieder aufgab, weil die Bürger keine rechte Lust verspürten und den Dienst nur nachlässig versahen.
Am 14. Oktober 1923 musste man bei den Bäckern in Güntersleben für einen Laib Brot 300 Millionen Mark über den Ladentisch reichen. Da war der Gemeinderat schon längst wieder dazu übergegangen, die Löhne unabhängig vom Brotpreis von Zeit zu Zeit neu festzusetzen. Das letzte Mal geschah das am 22. September 1923, als er den Wochenlohn für den Polizeidiener auf 200 Millionen Mark und für den Gemeindeschreiber auf 120 Millionen Mark anhob. In den Monaten danach mussten die Löhne bei den horrend steigenden Preisen in so kurzer Folge immer wieder angepasst werden, dass keine Zeit blieb, den Gemeinderat erst damit zu befassen. Auf dem Höhepunkt der Inflation im November 1923 holte sich der Polizeidiener im Wochenabstand beim Gemeindekassier seinen Lohn ab: Am 5. November 395 Milliarden Mark, am 10. November 1 Billion 260 Milliarden Mark, am 20. November 1 Billion 890 Milliarden Mark und am 25. November 9 Billionen Mark.
Da hatte es sich der Gemeindekassier längst abgewöhnt, in seinem Kassenbuch zu den einzelnen Beträgen noch alle Nullen anzufügen. Bei der Erstellung der Jahresrechnung blieb ihm aber das nicht erspart. Nach vielen schier endlos erscheinenden Einzelbeträgen bilanzierte er für das Haushaltsjahr die Gesamteinnahmen der Gemeinde mit 9.151.108.139.656.018 Mark und die Gesamtausgaben mit 8.642.512.487.402.453 Mark. Einfacher ausgedrückt sind das über 9 Trillionen Einnahmen und gut 8 ½ Trillionen Ausgaben. Größter Einnahmeposten war auch in diesem verrückten Jahr der Holzverkauf aus dem Gemeindewald, aus dem mehr als 2 Trillionen Mark in die Gemeindekasse flossen.
Nach Einführung der neuen Zahlungsmittel mit der Rentenmark und dann der Goldmark lag das Volumen des Gemeindehaushalts wie vor dem Ersten Weltkrieg wieder bei etwa 40.000 Mark. Der Polizeidiener erhielt ab Januar 1924 einen Monatslohn von 50 Mark und der frühere Waldhüter Michael Beetz ein Ruhegehalt von 15 Mark im Monat.
01/2023
Wasser für die Menschen und das Vieh aus den Dorfbrunnen
Zur Jahresmitte 2020 kehrte der Kettenbrunnen wieder an seinen historischen Standort in der Ortsmitte zurück, nachdem er 50 Jahre vorher als vermeintliches Hindernis für den modernen Straßenverkehr entfernt worden war. Mit der Neugestaltung der Straßen in diesem Bereich fand sich auch wieder ein Plätzchen für den Kettenbrunnen und man kann mit einem erneuerten Pumpwerk sogar wieder Quellwasser aus der Tiefe fördern. Als einziger von ehedem sieben öffentlichen Trinkwasserbrunnen erinnert er damit an die Zeit, als die Dorfbewohnerinnen den täglichen Wasserbedarf für sich, für ihr Vieh und andere Zwecke noch mit Butten und Eimern von den Brunnen nach Hause tragen mussten.
Der Kettenbrunnen
Zum ersten Mal begegnet uns der Kettenbrunnen in einem Schatzungsbuch von 1698. In diesem Band, in dem das Vermögen aller Familien in Güntersleben für die Steuerveranlagung erfasst wurde, steht als Lagebeschreibung mehrerer Anwesen in der Ortsmitte „beim Brunn“ oder „beim Brunnen“ und in einem Fall sogar „beim Kettenbrunn“. Wie lange der da schon stand, wissen wir nicht. Zumindest zu der Zeit war der hoch aufragende Aufbau aus heimischem Kalkstein – abgesehen von den nachgebildeten Schöpftrögen – der gleiche wie heute, denn in den nachfolgenden Gemeinderechnungen findet sich kein Hinweis, dass er irgendwann neu geschaffen worden wäre.
Seinen Namen hat er von der angewandten Schöpftechnik. Im Brunnengehäuse war ein Rad, über das eine Kette lief, die nach unten bis zum Wasser reichte. In die wurde der Schöpfeimer eingehängt und beim Drehen des Rades durch die umlaufende Kette nach unten und oben befördert. Es muss schon arg zeitraubend und mühsam gewesen sein, bis man auf diese Weise eine Butte oder ein größeres Tragegefäß gefüllt hatte. Es war auch eine störungsanfällige Technik. Immer wieder einmal hängte sich der Eimer aus. Dann musste der Gemeindediener mit einer Leiter in den – nicht sehr tiefen – Brunnenschacht steigen und den Eimer wieder heraufholen. Dafür bekam er aber auch eine Extravergütung, wie in den Gemeinderechnungen nachzulesen ist.
Damit diese Misshelligkeiten ein Ende hatten, wurde 1841 die Kettenmechanik durch eine Saugpumpe ersetzt, die mittels eines Handschwengels bedient wurde. Später wurde dieser durch einen Zughebel ersetzt, „weil die bisher bestehende Pumpe durch das gewaltsame Hin- und Herwerfen zu oft beschädigt und der Gemeinde zu viele Kosten verursacht werden“, wie es in einem Gemeinderatsprotokoll von 1873 heißt. Ungeachtet aller Umbauten behielt der Kettenbrunnen jedoch sein äußeres Erscheinungsbild und seinen Namen bis in unsere Tage. Auch der Platz, an dem er steht, hat seinen – bis heute inoffiziellen – Namen von ihm, nur kurz unterbrochen während des Dritten Reiches, als ihn die damaligen Machthaber mit dem Schild „Hindenburgplatz“ verunzierten.
Noch zwei Brunnen aus alter Zeit
Auf dem ersten Ortsplan von Güntersleben, den Pfarrer Gerard Molitor 1740 handschriftlich zeichnete, sind neben dem Kettenbrunnen zwei weitere Brunnen eingetragen. Einer an der Gramschatzer Straße, den man später den Seebrunnen nannte, und der andere oben an der Langgasse. Beide gab es wahrscheinlich schon lange vorher. Möglicherweise waren sie noch älter als der Kettenbrunnen. Der Seebrunnen lag nämlich beim frühesten uns bekannten Siedlungskern von Güntersleben mit der ebenfalls ältesten Günterslebener Kirche, der Laurentiuskapelle. Sie stand ausweislich der Gründungsurkunde der Pfarrei schon vor 1345. Es spricht viel dafür, dass es da auch schon den Seebrunnen gab, denn eine Siedlung konnte sich nur dort entwickeln, wo man Wasser zum menschlichen Gebrauch vorfand. Bei dem seit jeher hohen Grundwasserstand in diesem Bereich dürfte es nicht schwierig gewesen sein, einen Brunnen auszuheben.
Der Brunnen an der Langgasse stand unmittelbar am Fuß der Kirchenburg, die seit der Mitte des 12. Jahrhunderts aufgebaut und auch einige Zeit als Herrschaftssitz genutzt wurde. Gut möglich, dass man im Vorfeld der Kirchenburg nach Wasser grub und auf diese Wiese der Brunnen entstand.
Abgesehen von kleineren Privatbrunnen, die es auch noch gegeben haben mag, mussten die drei von der Gemeinde vorgehaltenen Brunnen für lange Zeit für den Wasserbedarf von schließlich mehr als 800 Dorfbewohnern reichen. Wie lange mögen da manchmal die Warteschlangen an den Brunnen gewesen sein.
Mehr Einwohner brauchen mehr Wasser
Bald nach dem Eintritt in das 19. Jahrhundert erlebte Güntersleben nach vielen Jahren des Stillstands oder gar Rückschritts einen stetigen Zuwachs an Einwohnern. Damit wurde auch immer mehr Wasser gebraucht. Zunächst versuchte die Gemeinde, das Problem in den Griff zu bekommen, indem sie um 1830 die vorhandenen drei Brunnen ausbauen und erneuern ließ. Mit weiter ansteigender Einwohnerzahl wurde aber dann doch ein vierter Brunnen nötig, den die Gemeinde 1863 beim Schulgarten graben ließ; auf den Schulgarten wurde Ende des Jahrhunderts das Lagerhaus gebaut. Nach einer Bauzeit von nur vier Monaten konnte der neue Brunnen genutzt werden. Allzu tief hatte man auch da nicht graben müssen. Möglicherweise hatte man aber damit dem Kettenbrunnen einen Teil seines Zuflusses genommen, so dass man diesen zehn Jahre später nochmals tiefer ausgraben musste, um wieder an genügend Wasser zu kommen.
Seit Ende der 1890er Jahre befasste sich die Gemeinde mit dem Bau einer Wasserleitung, verfolgte diese Pläne dann aber erst einmal nicht weiter und sicherte sich stattdessen 1900 den Zugriff auf drei privat errichtete Brunnen, die dann auch öffentlich genutzt werden konnten. Es waren der sogenannte Spohr-Brunnen in der Thüngersheimer Straße am heutigen Parkplatz, ein Brunnen in der Schönbrunnenstraße und schließlich noch ein Brunnen in der Neubergstraße, den eben erst dortige Anwohner gegraben hatten.
Mit jetzt sieben öffentlichen und mehreren privaten Brunnen glaubte die Gemeindeverwaltung, die Wasserversorgung für die inzwischen knapp 1200 Einwohner weiter gewährleisten zu können. Am 1. März 1903 beschloss der Gemeinderat daher, immerhin erst nach längerer Beratung, „das Wasserleitungsprojekt in Anbetracht der großen, namentlich der jährlich wiederkehren Kosten, vorerst fallen zu lassen.“
Nach dem Bau der Wasserleitung noch Notreserve
Es dauerte aber nur vier Jahre, dann stand seit Mitte 1907 das Dauerthema Wasserleitung wieder auf der Tagesordnung. Inwieweit die Frauen im Dorf, die das Wasser für Haus und Hof heranschleppen mussten, zum Sinneswandel der Herren Gemeinderäte beitrugen, oder ob diese doch eher dem Drängen der Aufsichtsbehörde nachgaben, ist nicht überliefert. Jedenfalls ging es jetzt auf einmal ganz schnell mit der Planung und der Vergabe der Bauaufträge, so dass schon zur Jahresmitte 1909 nahezu alle Häuser an die neu gebaute Wasserleitung angeschlossen waren.
Noch vor der Inbetriebnahme beschloss der Gemeinderat am 30. Juni 1909, von den nunmehr „voraussichtlich entbehrlich“ werdenden Ortsbrunnen „für event. eintretende Notfälle“ den oberen Brunnen bei der Kirche, den Kettenbrunnen und den Seebrunnen im hinteren Dorf „in ihrem jetzigen Stand bestehen zu lassen“. Die anderen vier öffentlichen Brunnen sollten aber auch nicht verfüllt, sondern „der Pumpen entkleidet und mit einer massiven Wölbung überdeckt“ werden.
Die Vorsicht erwies sich als sehr vorausschauend. Die befürchteten Notfälle traten in beiden Weltkriegen ein, als zeitweise kein Treibstoff für die Pumpen zu bekommen war und damit der Hochbehälter leer blieb. Neben den funktionsfähig erhaltenen Brunnen wurden auch die aufgelassenen teilweise wieder geöffnet, um daraus mit Eimern Wasser zu schöpfen.
Der Kettenbrunnen – ehemals Treffpunkt der Dorfjugend, heute ortsgeschichtliches Denkmal
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde keiner der Brunnen nochmals in Betrieb genommen. Der Seebrunnen an der Gramschatzer Straße und der obere Brunnen an der Langgasse wurden in den 1950er Jahren beseitigt. Von ihnen sind keine Spuren mehr erkennbar.
Der Gang zum Brunnen – in aller Regel Frauensache – war vor unserer Zeit, in der wir über die Medien tagtäglich mit Informationen reichlich versorgt werden, eine gerne wahrgenommene Gelegenheit, in der Begegnung mit anderen Menschen Neues zu erfahren. Wenn gesagt wird, der Brunnen sei für die Frauen das gewesen, was das Wirtshaus für die Männer war, so mag das etwas verkürzt und plakativ erscheinen. In der Kernaussage wird damit aber die soziale Komponente angesprochen, die Brunnen im dörflichen Leben der Vergangenheit ohne Zweifel auch hatten. Das idyllische Bild vom Plausch am Brunnen beschreibt aber nur die eine Seite. Bis zu 150 bis 200 Meter betrug in Güntersleben der Weg von den ferner liegenden Anwesen zum nächsten Brunnen. Diese Strecke mit der gefüllten Wasserbutte auf dem Rücken zurückzulegen, war zunächst einmal ein beschwerliches Stück Arbeit.
Den Kettenbrunnen als dörflichen Treffpunkt markierte seit unbekannten Zeiten auch die mächtige Dorflinde, die seit unvordenklicher Zeit gleich nebenan gleichfalls inmitten der Straßenkreuzung stand. Vervollständigt wurde das Ensemble zwischen den Straßen 1899 durch den Einbau einer Gemeindewaage für Fuhrwerke und Schlachtvieh mit dem zugehörigen Waaghäuschen. Nicht nur das trug dazu bei, dass am Kettenbrunnen auch nach seiner Stilllegung immer rege Betriebsamkeit herrschte. Hier verabredete man sich für gemeinsame Unternehmungen und die Jugend nutzte gerne die Bank unter dem Lindenbaum für ihre abendlichen Treffen.
Mit dem zunehmenden Straßenverkehr verlor der vertraute Platz immer mehr von seinem Reiz und galt schließlich nur noch als Verkehrshindernis, so dass all das, was dem Platz ehemals sein Gesicht gab, 1970 weichen musste. Der Kettenbrunnen wurde zunächst an den Spielplatz hinter dem Lagerhaus versetzt und dann nach einer kurzen Zwischenstation wieder in der Ortsmitte vor dem Gasthaus zum Hirschen 1987 in der Grünanlage gegenüber dem Lagerhaus aufgestellt. Mittlerweile bildet der motorisierte Verkehr nicht mehr allein den Maßstab für die Gestaltung des öffentlichen Straßenraums. So sah man 2020 schließlich auch wieder die Möglichkeit, dem Kettenbrunnen bei der Neugestaltung der Ortsmitte wieder einen Platz einzuräumen, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der er jahrhundertelang gestanden hat. Als Denkmal hält er die Erinnerung an längst vergangene Zeiten lebendig.
01/2023
Wenn der Wedel draußen hängt: Heckenwirtschaft
Seit Jahrhunderten
„Die Hecke“ ist eine Sprachschöpfung unserer auf Kürze und Tempo getrimmten Zeit. Heckenwirtschaften gibt es jedoch in Güntersleben seit Jahrhunderten. Und noch länger gibt es ohne diese Bezeichnung den Ausschank auf dem Hof der Weinbauern.
In der Ortsbeschreibung, die das fürstbischöfliche Amt Arnstein 1594 über Güntersleben verfasste, kann man dazu lesen: „Ein jeder Nachbar hat Macht, mit seinem Weine, der ihm erwächst, ein Wirt zu werden, ein Monat lang und nicht länger an einander, hernach muß er ein Monat stillhalten, alsdann hat er Macht wieder ein Wirt zu werden…. Welcher will ein Wirt sein, steckt nit ein öffentlichen Reis auf, läßt den Wein nicht beschreien, die Maß nicht eichen, soll 6 Pfund zur Strafe geben.“ Also genau das, was man später Heckenwirtschaft nannte, und mit den Regularien, wie sie bis heute kaum verändert gelten.
Wie lange davor es hier schon so etwas wie Heckenwirtschaften gab, wissen wir nicht. Urkundlich belegt ist der Weinbau in Güntersleben, ausweislich einer Grundstücksschenkung, seit 1280. Und wenn ein gutes Weinjahr war, mussten die Fässer bis zur neuen Ernte schließlich wieder leer sein.
Was erlaubt war und was nicht
Die Bezeichnung Heckenwirtschaft begegnet einem in Güntersleben zum ersten Mal im Jahr 1817, war aber seinerzeit anscheinend schon länger im Sprachgebrauch üblich. Es gibt verschiedene Mutmaßungen, die Herkunft des Begriffs zu erklären. Am wahrscheinlichsten und eigentlich auch allein überzeugend ist die Herleitung von Häcker, wie man früher die Weinbauern oder Winzer nannte. In einer Übersicht von 1817 werden 50 Häcker in Güntersleben aufgeführt. In anderen Gegenden Frankens spricht man auch tatsächlich von Häckerwirtschaft oder kurz Häcke.
Bei dem Vorgang von 1817 ging es um die Beschwerde eines Wirtes, weil ein Bäcker, der wie fast jede Familie im Dorf auch Weinberge hatte, schon seit Jahren „dorfsordnungswidrig“ immer wieder Heckenwirtschaft halte. Die Gemeindeverwaltung konnte hingegen kein „dorfsordnungswidriges“ Verhalten erkennen, weil es zu der Zeit, als die fragliche Heckenwirtschaft geöffnet hatte, keine weitere im Dorf gab. Dass auch nachfolgend die Gastwirte auf die Einhaltung der – nicht niedergeschriebenen, sondern nur auf Herkommen beruhenden – Dorfsordnung bestanden, ist der Angst vor der Konkurrenz durch die Heckenwirtschaften geschuldet.
Zur ungeschriebenen Regel der Günterslebener Dorfsordnung gehörte demnach, dass zum Schutze der Gastwirte zur gleichen Zeit immer nur eine Heckenwirtschaft stattfinden durfte. Die durfte auch nur jeweils eine begrenzte Zeit, in der Regel vier Wochen, dauern. Erst nach einer Unterbrechung durfte sie dann erneut öffnen, sofern nicht zwischenzeitlich ein anderer Winzer sein Interesse angemeldet hatte. Je nachdem, wie die Fässer in den Kellern gefüllt waren, konnten daher auch mehrere Heckenwirtschaften im Lauf des Jahres stattfinden. Ausgeschenkt wurde immer der Wein aus der vorangehenden Ernte. Aus der Anzahl der Heckenwirtschaften, die seit 1886 in einem eigenen Kataster im Rathaus erfasst wurden, kann man daher Rückschlüsse darauf ziehen, wie die Weinlese im vorangehenden Jahr ausgefallen war: 1891 offenbar wenig ergiebig, weil es im Jahr darauf keine einzige Heckenwirtschaft gab und 1894 und 1896 umso reichlicher, weil in den Folgejahren jeweils fünf Heckenwirtschaften registriert wurden. 1906 entschied die Gemeindeverwaltung, „in Anbetracht der schlechten Mostverkaufsverhältnisse sowie in Hinsicht auf die weinbautreibenden Nachbargemeinden, welche bedeutend mehr Heckenwirtschaften besitzen, ferner in Anbetracht der Unzulänglichkeit der jeweiligen einzigen Heckenwirtschaft“ künftig gleichzeitig jeweils zwei Heckenwirtschaften zu gestatten. Bevor das aber dann auch geschehen konnte, musste erst noch eine Bürgerabstimmung in der Gemeindeversammlung anberaumt und die Zustimmung des Bezirksamtes eingeholt werden – als so gewichtig wurde offenbar dieser Kurswechsel angesehen.
Die weiteren Regularien zum Schutz der Wirtshäuser blieben aber zunächst einmal unverändert. Die Zahl der Sitzplätze war auf höchstens 40 beschränkt. Nur Wein aus eigenem Anbau durfte ausgeschenkt werden und zum Verzehr durften nur einfache kalte Speisen angeboten werden. Fleisch- und Wurstgerichte waren ebenso untersagt wie der Ausschank von Bier.
Das ehedem vorgeschriebene Aufstecken „eines öffentlichen Reis“ wurde in Güntersleben in der Weise weitergepflegt, dass die Heckenwirtschaften durch einen schon von weitem gut sichtbaren Tannen- oder Fichtenzweig, hierorts Wedel genannt, am Hofeingang auf sich aufmerksam machten. Wenn „der Wedel rausgehängt“ war, wusste man, ein Weinbauer lädt zur Heckenwirtschaft ein. Wenn der Wedel abgenommen war, hieß das, die Zeit der Heckenwirtschaft ist abgelaufen. Geschah das schon vorzeitig, dann waren die Fässer leergetrunken und es gab nichts mehr.
Fast schon Geschichte und dann doch wieder
Als nach dem Beginn des 20. Jahrhunderts die Weinbaufläche in Güntersleben aus verschiedenen Gründen von ehemals 85 Hektar auf kaum noch 10 Hektar zurückgegangen war, war es bald auch mit den Heckenwirtschaften vorbei. Die Weltkriege taten ein Übriges, dass die alte Tradition endgültig in Vergessenheit zu geraten schien.
Doch dann öffnete im Spätsommer 1948 zum ersten Mal nach Kriegsende bei Franz Kuhn auf dem Spohr-Hof in der Thüngersheimer Straße wieder eine Heckenwirtschaft. Wie eh und je waren dafür die gute Stube und das Schlafzimmer ausgeräumt und mit Tischen und Bänken ausgestattet worden. Am Ende waren die zwei Hektoliter Müller-Thurgau, die der Weinberg am Altenberg das Jahr vorher getragen hatte, ausgetrunken, ausgeschenkt in Schoppen zu 80 Pfennigen. Dazu gab’s aus ebenfalls eigener Herstellung Plätzchen – Makranen – und Brot mit Käse oder Heringen. Trotz des aus unserer heutigen Sicht kargen Angebots waren die Räume allabendlich dicht besetzt. Dass die meisten Gäste nur wenige Wochen vorher bei der Währungsreform fast alle ihre Ersparnisse verloren hatten, tat der Feierlaune keinen Abbruch. Noch mehrmals öffnete die Heckenwirtschaft bis 1952. Dann war erst wieder einmal Schluss.
Wieder schien es, als gehörten Heckenwirtschaften in Güntersleben endgültig der Vergangenheit an, bis 1987 die Heckenwirtschaft Will ihren bis heute fortbestehenden Betrieb aufnahm. Zwischenzeitlich gab es sogar noch zwei weitere Heckenwirtschaften in Güntersleben, doch deren Besitzer wollten sich das zwar einträgliche, aber auch stressige Geschäft auf Dauer doch nicht antun. Anders als früher sitzt man bei Will nicht mehr in der ausgeräumten Wohnung, sondern in einer eigens für diesen Zweck gebauten Gaststube oder bei schönem Wetter auch im Freien. Nicht nur beim jetzt wesentlich größeren Platzangebot hat sich einiges gegenüber früher geändert. Es gibt ein ungleich vielfältigeres Weinangebot, nach wie vor aber ausschließlich aus eigenem Anbau, und eine abwechslungsreiche Speisekarte.
Und auch das hat sich geändert: War früher der Besuch einer Heckenwirtschaft nahezu ausschließlich Männern vorbehalten, kann man heute dort Männer und Frauen und manchmal auch ganze Familien antreffen. Platzreservierungen oder Vorbestellungen gibt es aber wie herkömmlich in der Heckenwirtschaft nicht. Man muss rechtzeitig kommen oder den Zeitpunkt nutzen, wenn die ersten Gäste – meist Rentner, die schon nachmittags auf den Einlass gewartet haben – ihr Pensum hinter sich haben und den Heimweg antreten.
09/2022
Das Bauerndorf Güntersleben ist Geschichte
Als im Juni 2022 bekannt wurde, dass es mit dem geplanten Naturkindergarten auf dem Gelände eines Bauernhofes wegen der unkalkulierbaren Baukosten nichts werde, war das Bedauern bei vielen Eltern groß. Zu gerne hätten sie ihre Kinder in dieser neuartigen Betreuungseinrichtung am Leben auf einem Bauernhof teilnehmen lassen.
Ein paar Jahrzehnte früher wäre niemand auf den Gedanken gekommen, einen Kindergarten in Verbindung mit einem Bauernhof einzurichten. Kannten die Kinder doch ohnehin die Welt der Bauern, sofern sie nicht selbst auf einem Hof aufwuchsen, aus nächster Nähe. Denn bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war Güntersleben noch von der Landwirtschaft geprägt. Geht man noch weiter zurück in die Vergangenheit, war es sogar ein reines Bauerndorf.
Das Dorf der Bauern
Der Weg zurück führt uns in das Jahr 1698. Aus diesem Jahr stammt das älteste Schatzungsbuch im Gemeindearchiv. Auf den 1200 Seiten des voluminösen Bandes ist das gesamte Vermögen aller Dorfbewohner erfasst, ihr Besitz an Häusern, Grundstücken und Vieh. Gedacht war die Zusammenstellung als Grundlage für die Steuerveranlagung. Für uns heute bildet sie eine einmalige Informationsquelle über die Verhältnisse im Dorf zu dieser Zeit.
Bei annähernd 500 Einwohnern zählte das Dorf 105 Familien. Abgesehen von der Lehrersfamilie waren so gut wie alle Bauern. Wenn auch ein rundes Dutzend Handwerker aufgeführt sind, so übten diese ihr Handwerk als Bäcker, Schneider, Schuster, Wagner oder Büttner durchwegs nur nebenher zu ihrer Landwirtschaft aus.
Neben ihren Hofstellen und deren Bewertung sind gar nicht so wenigen Bauern mehr als 50 oder 100 oder noch mehr Äcker zugeschrieben. Das täuscht einen Wohlstand vor, der tatsächlich bei den meisten so nicht vorhanden war. Die vielen Grundstücke waren in aller Regel kleine oder kleinste Parzellen, die über die ganze weitläufige Flur verstreut lagen. Die Erträge waren bei den überwiegend kargen Böden der hiesigen Flur gering. Zudem blieb bei der noch bis gegen 1900 in Güntersleben vorherrschenden Dreifelderwirtschaft jedes dritte Jahr im Wechsel ein Drittel der Flur unbebaut, also brach liegen, damit der Boden sich erholen konnte und durch die Ausscheidungen der Weidetiere mit Nährstoffen versorgt wurde.
Nur 13 Bauern hatten ein Pferd und nur fünf von diesen zwei Pferde als Zugtiere. Die anderen Bauern mussten mit Ochsen oder Kühen ihre entfernt liegenden Felder anfahren, um diese zu bestellen und die Ernte einzubringen. Es gab auch Bauernfamilien, die nicht einmal diese, sondern nur Ziegen ihr Eigen nannten.
Angebaut wurde auf den Feldern vorwiegend Getreide, vor allem Roggen, dessen Mehl für das Brotbacken gebraucht wurde. Denn Brot war das Hauptnahrungsmittel, bevor nach 1800 der Anbau von Kartoffeln aufkam. Fleisch kam erst häufiger, aber auch dann nicht regelmäßig auf den Tisch, seit um 1850 die Stallviehhaltung eingeführt und damit größere Viehbestände auf den Höfen üblich wurden.
Wie sich im Schatzungsbuch von 1698 weiter nachlesen lässt, hatten nahezu alle Bauern auch Weinberge. Aber auch dabei handelte es sich meist nur um Kleinstparzellen und die Leseerträge waren unvergleichlich geringer als heute. Dazu kam, dass die Traubenerträge noch mehr als die Feldfrüchte jährlichen Schwankungen unterworfen waren. Und Missernten bedeuteten für die Dorfbewohner nicht nur vorübergehende Wohlstandseinbußen, sondern konnten sich zu lebensbedrohenden Nahrungsengpässen und zu Hungersnöten auswachsen, wie sie für die Jahre um 1815 in Güntersleben gut dokumentiert sind.
Immer mehr Familien ohne eigenen Hof
Die Anzahl der Bauernhöfe und der Familien, die von der Landwirtschaft lebten, blieb bis weit in das 20. Jahrhundert mit geringen Schwankungen bei etwa 90 bis um die 100 ziemlich gleich. Daran änderte sich auch nichts, als nach 1800 die Einwohnerzahl stetig zunahm und das Dorf größer wurde. Die Hofstellen waren fast durchwegs zu klein, als dass sie auf mehrere Kinder aufgeteilt werden und diesen dann noch eine hinreichende Existenzgrundlage bieten konnten. Die Kinder von Bauern, die den Hof nicht erbten und auch nicht auf einen anderen Hof einheiraten konnten, mussten sich mit der Überlassung von einigen wenigen Grundstücken zufriedengeben und sich anderweitig ein Auskommen suchen.
Einige schafften dies durch ihre handwerklichen Fähigkeiten, die bei zunehmender Bautätigkeit im Dorf jetzt vermehrt gefragt waren. Für eine stetig wachsende Zahl blieb aber nur ein Dasein als Tagelöhner. Die waren ohne geregelte Beschäftigung und mussten immer wieder schauen, dass sie für kürzere oder längere Zeit bei einem Bauern, im Wald oder in den staatlichen Weingütern eine Verdienstmöglichkeit fanden.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Bauhandwerkern, was zur Folge hatte, dass immer mehr junge Männer auswärts eine Arbeitsstelle fanden, durch die nachfolgende Industrialisierung dann auch in den Fabriken und bei der Bahn. Noch bis ins ausgehende 19. Jahrhundert bildeten aber nach den Bauern die ungelernten Tagelöhner die größte Berufsgruppe im Dorf. 1884 zählte man in Güntersleben 105 Bauern oder Ökonomen, wie sich die größeren unter ihnen damals titulierten, etwa 50 selbständige Handwerker und Händler, annähernd gleich viele Bauhandwerker, aber 60 Tagelöhner, darunter auch alleinstehende Frauen, denen ohnehin kaum eine andere Erwerbsmöglichkeit blieb. Die Bauern waren im Dorf jetzt in der Minderheit.
Nach einem Einwohnerverzeichnis von 1931 waren die 96 Landwirte zwar immer noch die größte Berufsgruppe, ihr Anteil an der Gesamtzahl der 316 Berufstätigen lag jedoch nur noch bei 30 %. Nahezu unverändert nach der absoluten Anzahl mit 53 Personen hatten die selbständigen Handwerker und Gewerbetreibenden am Ort einen Anteil von 17 %. Die 167 Beschäftigten in einem abhängigen Arbeitsverhältnis waren jetzt im Dorf in der Mehrheit; davon waren 56 als Maurer oder Tüncher in der Baubranche tätig, 16 arbeiteten in der Fabrik, 13 bei der Bahn, 17 als Wald- oder Weinbergsarbeiter, aber auch 40 als Taglöhner und Hilfsarbeiter ohne festen Arbeitsplatz.
Auch als Minderheit im Dorf bestimmend
Auch als sie zahlenmäßig längst ins Hintertreffen geraten waren, behielten die Bauern im Dorf allein das Sagen, solange das Wahlrecht nur Männern und unter diesen nur denen mit eigenem Grundbesitz oder einem Gewerbe vorbehalten war. So waren bis nach dem Ersten Weltkrieg die Bürgermeister und die Mitglieder des Gemeindeausschusses, Vorläufer des Gemeinderats, ausnahmslos Bauern.
Als dann 1919 das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen ohne Rücksicht auf Besitz und Einkommen eingeführt wurde, wählten die Günterslebener erst einmal auch wieder einen Bauern zum Bürgermeister und mehrheitlich Bauern in den Gemeinderat. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm 1948 für die folgenden 18 Jahre mit Karl Kunzemann erneut ein Landwirt das Amt des Bürgermeisters und Landwirte waren während dieser Zeit auch nach wie vor die größte Berufsgruppe im Gemeinderat.
Mit dem Rückzug der Bauern verblasst das Erscheinungsbild des Bauerndorfes
Derweil ging seit 1950 die Zahl der Bauernhöfe in Güntersleben erst noch langsam, dann aber in beschleunigtem Tempo zurück. Die Flurbereinigung zu Beginn der 1960er Jahre veranlasste viele Landwirte, nach heutigem Verständnis alles Kleinbauern mit weniger als 30 Hektar Betriebsfläche, ihren Betrieb spätestens mit Erreichen des Rentenalters aufzugeben. So gab es 1990 nur noch ein Dutzend hauptberuflich geführte landwirtschaftliche Betriebe und etwa die doppelte Zahl von Nebenerwerbslandwirten. Noch einmal 20 Jahre später waren 2010 nur noch 10 ortsansässige Landwirte auf der Günterslebener Flur unterwegs, nur zwei davon im Vollerwerb. Dabei ist es bis heute geblieben.
Sucht man nach einem fixen Zeitpunkt für den Umbruch, dann war das die Gemeindewahl des Jahres 1966. Seither waren die Bauern dort mit nur noch zwei und wenig später mit nur noch einem Vertreter dabei. Bei vielem anderen war es ein von vielen gar nicht so bewusst wahrgenommener, aber unaufhörlich fortschreitender Prozess, der den Abschied vom Bauerndorf sichtbar machte.
Wer sich 1960 auf den Straßen von Güntersleben bewegte, dem begegnete eher selten eines der gerade einmal 100 Autos und ein paar mehr an Motorrädern, die hier gemeldet waren. Kein Vergleich zu heute mit rund 3000 registrierten Fahrzeugen. Weit mehr traten da noch die 30 Pferdegespanne, dazu wohl doppelt so viele Kuhgespanne, aber auch schon 50 Traktoren in Erscheinung, die damals noch auf den Dorfstraßen unterwegs waren. Und auch eine Schafherde konnte noch relativ ungestört immer wieder einmal das Dorf durchqueren.
Bei den seinerzeit noch alljährlich durchgeführten Viehzählungen erfassten die amtlich bestellten Zähler 1960 noch 52 Pferde, 624 Rinder, 29 Ziegen, 936 Schweine und sage und schreibe 3115 Hühner in den Ställen und auf den Höfen sowie 87 Gänse und 50 Enten, die vorwiegend an den Böschungen und Straßengräben auf Futtersuche waren. Wer heute Pferde sehen will, muss den Pferdehof am Ortsrand aufsuchen. Rindvieh und Hühner, letztere abgesehen von wenigen Exemplaren bei einzelnen Liebhabern, findet man nur noch auf den Aussiedlerhöfen weitab vom Dorf. Die letzte Milchkuh im Dorf, wo man sich ehemals bei vielen Bauern seine Milchkanne für den täglichen Bedarf füllen lassen konnte, wurde 1999 verkauft.
Scheunen, Ställe, Futterlager und andere Nebengebäude auf den ehemals landwirtschaftlichen Hofstellen, die jetzt leer standen, wurden beseitigt oder für Wohnnutzung umgebaut. Viele Einrichtungen, die herkömmlich zu einem Bauerndorf gehörten, gibt es, jedenfalls mit ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung, nicht mehr. Die mehrere Jahrhunderte alte Zehntscheune musste 1978 einer Sparkassenfiliale weichen. Die Gemeindewaage in der Ortsmitte, auf der seit 1899 Vieh und Getreidefuhren gewogen wurden, wurde 1970 mit dem zugehörigen Waaghäuschen abgebaut. Die gemeindliche Regiestallung, im dörflichen Sprachgebrauch der Bullenstall, 1919 jenseits der Bachbrücke an der Rimparer Straße gebaut, wurde 1967 stillgelegt und später zu einem Möbelhaus umgebaut. Die Gemeinde brauchte damit auch keinen Tierpfleger mehr anzustellen. Auch den gemeindlichen Feldhüter, der Sicherheit und Ordnung in der Flur überwachte, gibt es nicht mehr. Wo seit 1938 auf dem früheren Dreschplatz eine Dreschhalle stand, steht seit 1971 die Festhalle. Der Betrieb des Lagerhauses, mit dessen Bau die Bauern 1898 den Anschluss an den regionalen Handel fanden, wurde 1992 eingestellt. Nach einem Umbau wurde es 1997 als Kultur- und Bildungshaus der Gemeinde neu eröffnet. Immerhin erinnert sein unveränderter Name noch daran, dass Güntersleben einmal ein Bauerndorf war.
Der Wandel beschränkte sich nicht auf das äußere Erscheinungsbild des Dorfes. Nachdem bis dahin die großen Schulferien in einen Sommerabschnitt für die Getreideernte und einen Herbstabschnitt zur Kartoffelernte geteilt waren, sprach sich die Schulpflegschaft nach mehreren gescheiterten Anläufen am 28. November 1964 mit 8 gegen 4 Stimmen für ungeteilte Sommerferien aus. Zur Begründung steht im Protokoll: „Die Kinder werden zur Feldarbeit nicht mehr gebraucht.“
08/2022
Die Ziegelhütte
Bei der Suche nach dem ältesten und beständigsten Unternehmen in privater Hand, das es in Güntersleben jemals gab, stößt man auf die Ziegelhütte. Über 300 Jahre und wahrscheinlich noch länger war sie in Betrieb.
Aus der Ortsbeschreibung des Amtes Arnstein von 1594 erfahren wir, dass es damals in Güntersleben die Ziegelhütte schon gab. Sie wird allerdings nur beiläufig erwähnt und erscheint nicht wie die Schmiede oder die Mühle in der Liste der „Gemeinen Häuser“. Sie war also keine Einrichtung der Gemeinde. Besitzer waren zu dieser Zeit Jodokus und Markus Lohngott, vermutlich zwei Brüder, wie die Matrikelbücher der Pfarrei ausweisen.
Der Aufbau einer Ziegelei von der Art, wie sie in Güntersleben bestand, war nicht mit allzu großem Aufwand verbunden. Auch ihre Betriebsanlagen waren bescheiden. Deshalb gab es für die Gemeinde keine Veranlassung, dabei selbst aktiv zu werden. Sie konnte die Einrichtung und den Betrieb getrost dem Unternehmergeist Privater überlassen.
Die Günterslebener Ziegelhütte stand, etwas abgelegen vom damaligen Ortsbereich, jenseits der Brücke über den Dürrbach, wo der nach ihr benannte Ziegelhüttenweg in die Rimparer Straße einmündet. Ihre ganze Einrichtung bestand nach der Beschreibung der letzten Augenzeugen aus dem Brennschacht und einer Trockenhalle. Der Brennschacht war eine mehrere Meter tiefe Grube, in die in der Art eines Kamins zuunterst mehrere Lagen Kalksteine aus den hiesigen Steinbrüchen und darüber die zuvor aus einem Lehmgemisch geformten und getrockneten – oft über 1000 – Ziegelsteine aufgeschichtet wurden. An der Sohle hatten der Brennschacht und der Kamin eine Öffnung, das sogenannte Schürloch, durch das man die Holzscheite für das Feuer einschieben konnte. Dreieinhalb Tage und Nächte musste das Feuer ununterbrochen brennen. Nach dem Abkühlen konnte der Ziegler dann den ausgebrannten Kalk für die Herstellung von Maurermörtel und die gebrannten Ziegelsteine, hierorts auch Backsteine genannt, aus der Grube herausholen.
Voraussetzung für eine Ziegelbrennerei war, dass man möglichst am Ort das geeignete Rohmaterial fand. Lehmhaltige Böden gibt es in Güntersleben nur an wenigen Stellen. An eine davon erinnert die Straße „An der Lehmgrube“. Dort in der Nähe gruben die Ziegler den Lehm aus, aus dem sie unter reichlicher Zugabe von Wasser das Gemisch für die Herstellung der Ziegelsteine kneteten. Die Masse wurde in einer Erdmulde mittels Fußarbeit so lange durchgetreten, bis sie zum Einfüllen in die Holzrahmen als Form für die späteren Ziegelsteine geschmeidig genug war.
Wie man das auch von anderen Betrieben kennt, gab es in der langen Unternehmensgeschichte der Ziegelhütte Höhen und Tiefen. 1818 kam es zu einer Zwangsversteigerung. Den Zuschlag sicherte sich einer der jüdischen Händler aus Rimpar, die auch sonst bei Grundstücksgeschäften und Viehverkäufen in Güntersleben viel unterwegs waren (was ihre Beliebtheit bei der Bevölkerung nicht unbedingt steigerte). Der Steigerer verkaufte die Ziegelhütte bald darauf wieder, wohl nicht ohne Zwischengewinn, an einen Sohn des Vorbesitzers. Der war dann so erfolgreich, dass er um die Mitte des 19. Jahrhunderts der zweitgrößte Gewerbesteuerzahler in Güntersleben war. Ihm kam dabei zugute, dass zu der Zeit viel gebaut wurde, wohingegen zum Zeitpunkt der Zwangsversteigerung die blanke Not in Güntersleben herrschte.
Zur Unternehmensgeschichte der Ziegelhütte gehört auch ein tragischer Betriebsunfall. 1874 stürzte der 54-jährige Maurermeister Michael Keupp in die Brenngrube und verletzte sich dabei so schwer, dass er an den Folgen des Sturzes starb.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden im Umkreis größere Fabriken für die Herstellung von Ziegelprodukten. Mit denen konnte die Ziegelei in Güntersleben nicht konkurrieren und wurde unrentabel. 1911 war der Brennofen zum letzten Mal in Betrieb. Nicht einmal Spuren ihrer Existenz sind heute von der Ziegelhütte noch zu sehen. Nur der seit 1963 nach ihr benannte Ziegelhüttenweg erinnert noch daran, dass es sie gab und wo sie einstmals stand.
04/2022
Die Mühle, der man das Wasser genommen
Gäbe es nicht gesicherte historische Belege, möchte man kaum glauben, dass weitab unterhalb vom Dorf einst eine Mühle stand, in der das Korn von den Feldern der Bauern gemahlen wurde. Fragt man sich doch, woher das Wasser kam, das die Mühlräder in Gang brachte.
Einziges Fließgewässer weit und breit ist der Dürrbach, der seinem Namen wahrlich Ehre macht, weil er einen Großteil des Jahres nur als kleines Rinnsal in Erscheinung tritt oder ganz trocken liegt. Und wenn schon Wasser fließt, dann ein ganzes Stück entfernt von der früheren Mühle, die bei der kleinen Häusergruppe hinter dem heutigen Bauhof der Gemeinde stand.
Wohnhaus, wo früher die Mühle stand – ca. 1960
In der ersten Ortsbeschreibung von Güntersleben, die 1594 das vorgesetzte fürstbischöfliche Amt Arnstein erstellte, wird im Kapitel über „Gemeine Häuser“ neben der Schenkstatt, dem Schulhaus, der Schmiede und dem Hirtenhaus auch die Mühle aufgeführt. Sie war demnach eine Einrichtung der Gemeinde, was ihre Bedeutung für das Dorf unterstreicht. Sie wird zwar damals als „so ziemlich verfallen“ beschrieben, muss aber danach wieder so hergerichtet worden sein, dass sie nahezu 300 Jahre weiter ihren Dienst tun konnte.
Die Gemeinde vergab den Betrieb der Mühle in der Regel für jeweils drei Jahre, später auch länger, an einen Müller. Meistens handelte es sich dabei um Bewerber von auswärts, die nach dem Ende der Pachtzeit das Dorf wieder verließen, um anderswo anzuheuern.
Wie groß auch die Rendite für die Müller auf der Günterslebener Mühle gewesen sein mag, so fanden sich doch immer Interessenten, die auch in der Lage waren, die jährliche Mühlgült, also die Pacht für die Überlassung der Mühle, an die Gemeinde zu zahlen. Die betrug zuerst ein halbes Malter Korn und wurde später auf 3 Malter und 4 Metzen erhöht. Umgerechnet waren das etwa 450 kg oder 9 Zentner Korn und damit eine nicht gerade geringe Jahrespacht für die damalige Zeit. Außerdem musste der jeweilige Müller die Anlage selbst gebrauchsfähig erhalten. Von Aufwendungen der Gemeinde für Reparaturen findet sich in den Gemeinderechnungen nichts.
Zwischen 1749 und 1813 wurde die Mühle über mehrere Generationen von einer Familie betrieben. Das spricht dafür, dass sie in dieser Zeit in deren dauerhaften Besitz oder Eigentum überging. Mit nachfolgenden Besitzwechseln hatte die Gemeinde nichts mehr zu tun.
Und wie kam das Wasser vom Dürrbach auf die Mühlräder? Möglich war das nur, weil der Bach ursprünglich im Süden der Ortschaft einen anderen Weg nahm als heute. Er querte die Rossstraße auf Höhe des Bachwegs, floss dann entlang dem heutigen Wiesenweg und weiter am Fuß des Kräuterbergs zur Mühle. Von dort mäanderte er weiter durch die Wiesen bis zum Ende der Gemarkung.
Damit die Mühle halbwegs rentabel betrieben werden konnte, muss der Dürrbach ehemals auch mehr Wasser geführt haben als heute. Das war vermutlich so lange der Fall, bis sein Bett im Ochsengrund, wo er ehemals mitten durch die Wiesen floss, an den angrenzenden Waldrand verlegt wurde. Ohne den störenden Bachlauf inmitten konnte man die Wiesen besser nutzen. Vermutlich geschah das um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als man von der Weidewirtschaft zur Stallhaltung mit größeren Viehbeständen überging und damit mehr Gras für die Anlegung von Heuvorräten brauchte. Bis heute erweist sich allerdings das künstlich angelegte Bachbett im Ochsengrund als so durchlässig, dass das meiste Wasser auf dieser Strecke im Boden versiegt und der Dürrbach bei trockener Witterung bei seinem Eintritt in die Günterslebener Gemarkung kaum noch Wasser führt.
Für die Mühle hatte das zur Folge, dass ihre Räder jetzt einen großen Teil des Jahres stillstanden. So heißt es dann auch in einem Gemeinderatsbeschluss von 1913, dass „auf dieser Mühle die Besitzer oft verarmten“. Gemeint waren damit wohl die letzten Besitzer, die sich nacheinander nur für kurze Zeit auf der Mühle versuchten. Dagegen gehörte der Müller, der bis 1854 die Mühle betrieb, noch zu den größeren Gewerbesteuerzahlern im Dorf. Er scheint der Letzte gewesen zu sein, der noch rentabel wirtschaften konnte.
Nach mehreren Besitzerwechseln kaufte 1881 der Bauer Michael Ziegler die Mühle, nahm sie noch gelegentlich in Betrieb, um sie 1884 für immer stillzulegen. Als er 1909 das Anwesen an die Gemeinde verkaufte, war von der Mühleinrichtung schon längere Zeit nichts mehr vorhanden. Die Gemeinde trennte sich noch im gleichen Jahr wieder von dem früheren Mühlanwesen. Unter den nachfolgenden Eigentümern wurden die heruntergekommenen Gebäude durch Neubauten ersetzt, so dass dort, wo sie einstens stand, nichts mehr an die frühere Mühle erinnert.
Dürrbach bis 1947
Der Dürrbach behielt zunächst noch weiter seinen gewohnten Lauf über das frühere Mühlenanwesen. Wie im Ochsengrund wurde aber auch hier sein natürlicher Lauf zunehmend als störend für die Bewirtschaftung der Wiesengrundstücke wahrgenommen. Und wie dort löste man das Problem dadurch, dass man den Dürrbach in ein neues Bett an den Rand der Wiesen verlegte. Man nutzte dazu den alten Dorfgraben.
Dieser Dorfgraben nahm seinen Anfang vor dem heutigen Lagerhaus und führte auf der Trasse der heutigen Gartenstraße direkt hinter den Häusern an der Rimparer und der Würzburger Straße und nach der Querung der Roßstraße geradewegs in Richtung der heutigen Kläranlage. In alten Katastereinträgen wird er auf dem Abschnitt zwischen Lagerhaus und Roßstraße als Bachgassengraben und im weiteren Verlauf als Wiesengraben bezeichnet. Er diente als Flutgraben, um bei stärkeren Regenfällen das Wasser aufzunehmen, das aus den westlichen Ortsbereichen, namentlich aus der Thüngersheimer Straße und den angrenzenden Flurlagen, zufloss. Brücken über diesen Graben gab es nicht. Er wurde von den Fuhrwerken durchfahren oder zu Fuß überquert und war nach heftigeren Regenereignissen zeitweise auch unpassierbar.
Dürrbach nach 1947
Etwas unterhalb vom heutigen Rathaus gab es zwischen dem Dorfgraben und dem weiter östlich verlaufenden Dürrbach eine Verbindung mit einer Stauvorrichtung, Wasserfange genannt. Damit wurde der Graben aufgestaut, um einen Teil seines Wassers in den Dürrbach überzuleiten und damit der Mühle eine größere Wassermenge zuzuführen.
Nachdem man den Dürrbach schon lange nicht mehr als Mühlbach brauchte, leitete man ihn 1947 kurz vor der Querung der Rossstraße in den Dorfgraben um, der seitdem von da ab das neue Bett des Dürrbachs bildet. Das alte Bett durch die Wiesen verlandete und war bald nur noch an einzelnen Geländevertiefungen erkennbar.
Mit dem Ausbau der Kanalisation um 1960 wurde der Dorfgraben auch auf seiner Strecke im Ortsbereich entbehrlich und verschwand mit der Anlegung der Gartenstraße.
04/2022
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