Alles wird gebraucht – Schulkinder sammeln für den Krieg
Heute wie früher geht es in Krisenzeiten und noch mehr im Krieg darum, sich mit allem Notwendigen möglichst aus dem eigenen Land zu versorgen. Das war auch im Dritten Reich ein wichtiger Aspekt bei der Kriegsvorbereitung. Deswegen galt zum Beispiel auch der Landwirtschaft das besondere Interesse.
Manches, was man sich dabei einfallen ließ, wirkt aus heutiger Sicht eher skurill. So sollten die Bauern Maulbeerbäume für die Zucht von Seidenraupen anpflanzen, woraus aber in Güntersleben nichts wurde. Eine Kükenaufzuchtstation in staatlichem Auftrag wurde aber schon von einer Bauernfamilie ein paar Jahre betrieben.
Heilkräutersammlungen
Auch die Schule durfte nicht abseitsstehen. So erreichte im Mai 1939 den Schulleiter in Güntersleben ein Aufruf des Mainfränkischen Lehrerbundes, in dem es hieß: „Deutschland bezieht immer noch den größten Teil seines Bedarfs an Heilpflanzen aus dem Ausland. Devisen werden geopfert, die wir zur Stärkung der Wirtschaftskraft benötigen.“ Die Jugend solle daher zum Sammeln aufgefordert werden, mit dem Hinweis, dass es sich dabei um eine vaterländische Pflicht handle.
Weil totalitäre Regime nichts dem Zufall überlassen wollen, wurde auch gleich eine Handlungsanweisung mitgeliefert. Auf einer Liste war aufgeführt, was ein Schulkind in 2 Stunden sammeln, säubern und trocknen könne. Nämlich: 350 g Kamillenblüten oder 120 g Klatschmohnblüten oder 110 g Kornblumenblüten oder 6000 g Birkenblätter oder 1500 g Brombeerblätter oder 2000 g Huflattichblätter oder 120 g Ritterspornblüten oder 5000 g Schafgarbenblüten oder 1000 Walderdbeerblätter oder 1750 g Waldhimbeerblätter oder 2 kg Hagebutten oder 150 g Wacholderbeeren.
Ein paar Wochen später kam im August 1939 eine Anweisung des Bezirksschulrates, dass wöchentlich mindestens zwei Sammeltage anzusetzen seien. Wie die Volksschule Güntersleben berichten konnte, beteiligten sich von ihren 260 Schülerinnen und Schülern immerhin 195 an den Sammlungen. Was dabei zusammenkam, erfahren wir allerdings nicht.
Dafür haben wir aus dem Jahr 1941 die Quittungen der Sammelstelle in Würzburg. An die lieferte die Günterslebener Schule, was an vier Sammelterminen zwischen Juni und August von den Schülerinnen und Schülern mitgebracht wurde. In der Summe waren das: 8 kg Schlehdornenblüten – 1 kg Gänseblümchen – 900 gr Schlüsselblumen – 9 kg Brombeerblätter – 17 kg Taubnesselkraut – 26,4 kg Huflattich – 4,5 kg Stiefmütterchen – 4 kg Spitzwegerich – 3,5 kg Walderdbeerblätter – 48,2 kg Johanniskraut – 8,5 kg Breitwegerich – 9,5 kg Himbeerblätter. Für all das gab es eine Vergütung von 66,71 Mark, die in die Schulkasse floss.
1942 waren im Vergleichszeitraum wieder 4 Sammeltermine. Der Erlös für die Schule steigerte sich auf 75,48 Mark.
Besonders hervorgetan hat sich die Günterslebener Schule damit nicht. In einem Rundschreiben der Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzen im Gau Mainfranken vom August 1942 wurde als Vorbild eine namentlich nicht genannte Schule herausgestellt, bei der 120 Schüler Heilpflanzen für 324 Mark gesammelt hatten. Das war aber offenbar eine rühmliche Ausnahme. Insgesamt entspreche das Ergebnis im Gau „in keiner Weise den Anforderungen.“ In den kommenden Wochen sei deshalb noch einmal besonderer Einsatz notwendig, „damit wir nicht wie im letzten Jahr in der Reichswertung an letzter Stelle stehen.“
Auch die Schule in Güntersleben raffte sich daraufhin im Oktober noch einmal zu einer Sammlung auf. Allerdings mit mäßigem Ergebnis. Die abgelieferten Heilpflanzen erbrachten nur einen Erlös von 4 Mark und 12 Pfennigen.
Im folgenden Frühjahr 1943 sammelten die Schülerinnen und Schüler Bucheckern: 45 Kilogramm. Der 14-jährige Schüler Gottfried Mack musste mit weiteren Mitschülern den fast einen Zentner schweren Sack nach Würzburg schaffen. Ihre Auslagen für den Transport beliefen sich auf 7 Mark 50. Damit war schon wieder ein schöner Teil von den 22 Mark 40 weg, die dafür gezahlt wurden.
Ansonsten kam auch 1943 und 1944 kaum mehr als in den Jahren vorher zusammen. Neu war aber, dass jetzt einzeln für jede Schülerin und jeden Schüler aufgezeichnet wurde, was sie in die Schule mitbrachten. So sammelte zum Beispiel Wilfried Straus, damals in der 3. Klasse, 1943 das Jahr über 310 Gramm Breitwegerich, 375 Gramm Huflattich, 13 Gramm Taubnessel, 150 Gramm Gänserich und 900 Gramm Wiesensalbei.
Die letzten Aufzeichnungen über eine Sammlung sind vom Juli 1944. Vermutlich war es dann damit vorbei, weil man wohl gemerkt hatte, dass auch mit Heilkräutersammlungen das Vaterland nicht mehr zu retten war.
Sammlungen von Knochen, Altpapier, Metallfolien, Tuben, Flaschenkapseln
Nicht nur Heilkräuter musste die Schule sammeln. In einem Rundschreiben des Schulamtes vom April 1940 wurde bestimmt: „Die Schüler bringen folgende Alt- und Abfallstoffe aus der elterlichen und der benachbarten Haushaltung, in der ein schulpflichtiges Kind nicht vorhanden ist, in die Schule zur Ablieferung mit: a) täglich die Zeitung, b) Stoffreste, unbrauchbare Kleider, c) Eisen- und Metallteile, d) Flaschenkapseln, Folien und Tuben, e) Korken.“ Damit auch allen klar war, worum es ging, hieß es in dem Rundschreiben abschließend: „Die Sammlung ist Kriegsdienst!“
Alle 14 Tage wurden die gesammelten Gegenstände von einer Sammelstelle in Versbach abgeholt. Das waren zum Beispiel im Juni 1940: 125 kg Lumpen und Scheuerlappen – 60 kg Papier – 1 kg Blech – 25 kg Knochen – 5 kg Korken. Dafür bekam die Schule 9 Mark 62 vergütet.
Dem Schulamt war das zu wenig. Und so legte es im Juni 1941 Mindestmengen fest, die jede Schule abzuliefern hatte. Für Güntersleben waren das monatlich: 91 kg Knochen – 45 kg Lumpen – 546 kg Papier.
Um nicht den Eindruck mangelnden Einsatzes aufkommen zu lassen, erinnerte der Schulleiter im November 1941 seine Lehrkräfte in einer schriftlichen Anweisung noch einmal daran, dass in jeder Klasse Knochen gesammelt werden mussten und dass die Kinder anzuhalten waren, laufend anfallende Knochen mitzubringen, auch aus den Nachbarhäusern.
Der Landrat forderte in einem eigens dafür verteilten Rundschreiben dazu auf, auch leere Zigarettenschachteln zu sammeln. Altpapier jeder Art sei ein wichtiger Rohstoff, der zur Herstellung von Verpackungsmitteln für Munition, Waffen, Nahrungsmitteln usw. dringend gebraucht werde.
Schließlich wurden auch noch Schweineborsten für die Herstellung von Pinseln und Polstern gesammelt. Viel scheint dabei aber nicht zusammengekommen zu sein, denn im Juli 1943 zahlte der Abholer der Schule nur 1,80 RM für das magere Sammelergebnis. Nach dem „sehr kleinen Posten“ dieses Jahres hoffe er aber, nach der Schlachtsaison im kommenden Frühjahr einen „großen Posten“ für die dringend benötigten Heereslieferungen abholen zu können. So schrieb er im November, ließ dann aber im Frühjahr die Schule in Güntersleben auf den Schweineborsten sitzen. So blieb den Lehrern nichts anderes übrig, als diese im April 1944 zur nächsten Sammelstelle nach Veitshöchheim schaffen zu lassen. Damit beauftragten sie zwei Schüler, denen sie dafür 2 Mark aus der Schulkasse zukommen ließen. Ob da für die Schule vom Erlös noch etwas blieb?
11/2024
Nur keine Lehrerin
Wir haben uns seit langem daran gewöhnt, dass die Kinder an unserer Schule überwiegend von Lehrerinnen unterrichtet werden. Dabei war das Lehramt über Jahrhunderte den Männern vorbehalten. Schließlich erwartete man von den Schulmeistern, wie man sie früher nannte, nicht nur hin und wieder auch eine harte Hand. Und die traute man Frauen nicht zu. In der Verordnung über die Bildung der Schullehrer im Königreich Bayern von 1857 ist daher auch nur von männlichen Lehramtsanwärtern die Rede.
Eine Ordensschwester, weil sie weniger kostet
1888 ließ die Gemeinde Güntersleben unten an der Langgasse für die Kinderbewahranstalt, die vorher in einem stillgelegten Wirtshaus an gleicher Stelle eingerichtet war, ein neues Gebäude errichten. Seit ein paar Jahren steht dort das Ärztehaus. Die Anstalt, später Alte Anstalt, wie sie im Dorf genannt wurde, wurde ein für damalige Verhältnisse stattliches Gebäude. Denn im Obergeschoss wurde auch noch ein Lehrsaal für eine dritte Schulstelle eingerichtet. Die brauchte man, weil mit der Zunahme der Einwohnerzahl die zwei Schulsäle im heutigen Kolpinghaus nicht mehr reichten. Als bekannt wurde, dass zu den Klosterfrauen für die Kinderbewahranstalt nun auch eine Ordensfrau für die dritte Schulstelle kommen sollte, waren die Meinungen dazu in der Bevölkerung nach der Wahrnehmung der Gemeindeverwaltung durchaus „nicht gleichsinnig“, weshalb sie darüber eine Bürgerabstimmung anberaumte. Nach der Beschlussvorlage, die den zur Abstimmung gerufenen Bürgern vorgelesen wurde, hieß es, dass das Kloster für eine Schulschwester nur ein „Jahresgehalt von 500 Mark beanspruche, weil diese mit den Schwestern der Kinderbewahranstalt gemeinsame freie Beköstigung, Wohnung, Holz, Licht und häusliche Pflege genießt“. Da die Gemeinde für einen Lehrer zum höheren Gehalt auch noch eine Wohnung und das Brennholz für deren Beheizung aufbringen müsste, würde sich der Aufwand „beinahe als das Zweifache berechnen“. Der finanzielle Aspekt war dann wohl auch ausschlaggebend, dass die Mehrheit der Bürger – damals nur Männer – für eine Schulschwester und damit für die erste weibliche Lehrkraft an der Schule in Güntersleben stimmte.
Keine Wohnung für eine Lehrerin zu finden?
30 Jahre später, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, hatte die Schülerzahl erneut so zugenommen, dass von der Schulbehörde die Einrichtung einer vierten Schulstelle verlangt wurde. Der Gemeinderat stimmte ohne Einwände zu und machte sich auch gleich auf die Suche nach einem geeigneten Unterrichtsraum. Notfalls wollte man dafür den Rathaussaal verwenden. Die Wohnungen seien hier zwar „beschränkt“. Doch werde man die Kosten für die Wohnung eines 4. Lehrers in Höhe von 200 M auf die Gemeindekasse übernehmen. So beschlossen am 8. Februar 1920.
Doch dann meldete sich zwei Monate später am 6. April „abend um 7 Uhr“ eine Frau namens Josepha Strubel beim Bürgermeister. Sie stellte sich als eine vertriebene Lehrerin aus Lothringen (durch den Versailler Vertrag an Frankreich gefallen) vor, stehe im 36. Dienstjahr und ihr sei von der hohen Regierung die 4. Schulstelle in Güntersleben angeboten worden. Noch am gleichen Abend beschloss der Gemeinderat eine dringende Eingabe an die Regierung, wonach eine Wohnung für eine Lehrerin „hier nicht erhältlich“ sei. Um das drohende Unheil abzuwenden, beantragte er gleichzeitig, die Einrichtung der 4. Schulstelle zu verschieben, wenn schon eine Besetzung mit einer männlichen Lehrkraft nicht möglich sei. Bei der Regierung fand der Gemeinderat, damals noch eine reine Männerrunde, damit aber kein Gehör, auch nachdem er in einem weiteren Beschluss seinen entschiedenen Widerstand gegen eine Lehrerin bekräftigte, denn „die Beschaffung der Wohnung und Kost wird auf größte Schwierigkeiten stoßen“.
Am 1. Mai 1920 trat das Fräulein Strubel seinen Dienst in der Schule zu Güntersleben an. Und offenbar hatte die Gemeinde auch keine Mühe, eine geeignete Wohnung zu finden. Den Unterricht erteilte sie im Sitzungszimmer des Rathauses. Auch wenn der Bezirksbaumeister diesen Lehrsaal im heutigen Alten Rathaus nicht allein wegen seiner zu geringen Ausmaße als „in jeder Hinsicht ungenügend“ bezeichnete und eine andere Lösung verlangte, geschah seitens der Gemeinde außer einer halbherzigen Umfrage bei den Gastwirten im Dorf nichts.
Nach gerade einmal eineinhalb Jahren ging das Fräulein Strubel kurz vor Weihnachten 1922 vorzeitig in den Ruhestand – offiziell wegen Krankheit, vielleicht aber auch zermürbt von den Verhältnissen in Güntersleben.
Mobbing auf die rustikale Art
Umgehend beantragte die Gemeinde bei der Regierung, die frei gewordene Stelle auch mit einer Klosterschwester zu besetzen, weil die bei den hier bereits tätigen Ordensschwestern „untergebracht werden könnte.“ Der Hinweis auf den angeblichen Wohnungsmangel beeindruckte den Bezirksschulrat jedoch nicht. Schließlich sei doch die Mietwohnung der pensionierten Oberlehrerin Strubel frei geworden. Dem hielt wiederum die Gemeinde entgegen, dass der Hausbesitzer die Wohnung nicht mehr abgeben könne, weil er sie zur Unterbringung seines Dienstpersonals und als Krankenzimmer benötige. Weil den Herren Gemeinderäten – auch das noch eine reine Männerrunde – aber wohl selbst klar war, dass dieser Einwand nicht sehr überzeugend war, griffen sie zum letzten verbliebenen Strohhalm und beantragte bei der Regierung „die Aufhebung der betreffenden Schulstelle wegen zur geringer Schülerzahl.“
Spätestens jetzt dürfte die Regierung das Spiel der Gemeinde durchschaut haben, lehnte kurzerhand alle Anträge ab und schickte im April 1923 mit der 28-jährigen Anna Kornbrust wieder ein Fräulein auf die freie Stelle in Güntersleben. Und offenbar bereitete es auch dieses Mal keine Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden. Allerdings ließen die Gemeindevertreter keine Gelegenheit aus, der neuen Lehrerin zu zeigen, dass sie unerwünscht war. Immer wieder wurde ihr Unterricht im Sitzungszimmer des Rathauses aus dem benachbarten Geschäftsraum der Gemeindeverwaltung gestört, durch Tritte gegen die Türe oder derbe Zurufe wie „Hälts nit bald drüben es Maul“ und ähnlich unflätige Äußerungen. Die Lehrerin meldete die Vorfälle dem Schulleiter, der alles genau protokollieren ließ und in einer Beschwerde dem Bezirksamt zuleitete.
Vom Bezirksamt mit der Eingabe konfrontiert, wehrte sich der Gemeinderat mit einem Beschluss vom 10. März 1924 gegen die Vorwürfe. Einzig wurde eingeräumt, dass die Einhebung der Hundesteuer im Schulsaal während einer Unterrichtspause eine Viertelstunde länger als diese gedauert habe. Für die Reaktion der Lehrerin hatte man gleichwohl keinerlei Verständnis. Denn die „hatte nichts eiligeres zu tun als sich beim Obl. Oswald zu beschweren, weil der Unterricht nicht pünktlich beginnen konnte.“
Bei einer Sitzung der Schulpflegschaft in Anwesenheit der Lehrer und der Gemeindevertreter am 13. April 1924 eskalierte schließlich die Auseinandersetzung. Erst ließ der II. Bürgermeister verlauten, dass eine vierte Lehrkraft überhaupt nicht notwendig sei. Früher seien auch 90 und 120 Schüler in einer Schulklasse gewesen und hätten so viel gelernt wie heute auch. Der I. Bürgermeister setzte noch einen drauf: „Wenn die Strubel nicht gewesen wäre, hätten wir heute noch keine 4. Schulstelle. Diese Lehrerin hat, weil ihr Bruder in Würzburg Domvikar ist, nicht weit von Würzburg weggewollt und weil auch die Regierung nicht gewusst hat, wohin mit ihr, hat halt Güntersleben herhalten müssen.“ Was wiederum den II. Bürgermeister zu der weiteren Feststellung veranlasste: „Eine klösterliche Lehrerin hätte uns niemals solche Schikanen gemacht wie die weltliche.“ Da es keinen Zweifel gab, wer damit gemeint war, verließ das Fräulein Kornbrust die Sitzung.
Es geht auch anders
Über den weiteren Fortgang ist nur bekannt, dass im folgenden Monat für das Fräulein Kornbrust ein anderer Lehrer kam. Die Regierung hatte anscheinend genug von den Querelen in Güntersleben und beorderte dann – abgesehen von der klösterlichen Schulschwester – auch in den folgenden Jahren nur noch Männer nach Güntersleben. Ende 1924 wurde in Güntersleben ein Bürgermeister mit einer linken Mehrheit im Gemeinderat gewählt. Der Schulleiter wechselte. Und kurz darauf fand man dann auch eine bessere Lösung für den 4. Schulsaal. Der ebenfalls neue Lehrer für die II. Schulstelle wohnte nicht mehr im Schulhaus (dem heutigen Kolpinghaus), so dass man den Schulsaal aus dem Rathaus in eine der beiden bisherigen Lehrerwohnungen verlegen konnte.
Als 1930 zum ersten Mal wieder eine Lehrerin nach Güntersleben versetzt wurde, beschäftigte das den Gemeinderat nicht mehr.
09/2024
Dorfkino Güntersleben
Nur wenige werden sich noch an die Zeit erinnern, als man auch in Güntersleben regelmäßig ins Kino gehen konnte.
Bevor die ersten Fernseher in die Wohnstuben Einzug hielten – in Güntersleben seit 1955 – konnte man Spielfilme nur im Kino sehen. Aber Kinos gab es erst einmal nur in Würzburg und die zu besuchen, war nicht immer ganz einfach. Denn ohne eigenes Fahrzeug war man auf den Omnibus angewiesen. Und der verkehrte am Spätnachmittag zum letzten Mal, bevor die Abendvorstellungen in den Kinos überhaupt begannen.
Dabei war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Interesse gerade bei der jüngeren Generation riesig. Was war für sie auf dem Dorf auch sonst schon geboten. Und wenn der Hund nicht zum Knochen kommt, findet sich schon wer, der den Knochen zum Hund – oder die Filme ins Dorf bringt.
So wurde bereits im August 1946 bei der Gemeinde ein „Filmvorführungs-Unternehmen“ angemeldet. Und zwar von Georg Knorz, der sich dann aber doch lieber als Omnibusunternehmer betätigte.
Im April 1948 war es dann so weit, dass man auch in Güntersleben regelmäßig Filme anschauen konnte. Ein Filmvorführer aus Winterhausen zog mit seinem Abspielgerät über die Dörfer und erschien alle 14 Tage und bald auch öfter in Güntersleben. Die Aufführungen fanden in Wirtshaussälen statt. Vor wie vielen Besuchern, ist nicht festgehalten. Größeres Interesse muss es aber schon gegeben haben, denn an vielen Spieltagen waren sogar zwei Termine nacheinander angesetzt.
Weil die Gemeinde auf die korrekte Einhebung der damals noch geltenden Vergnügungssteuer bedacht war, mussten alle Vorstellungen mit den Filmtiteln gemeldet werden. Von daher wissen wir, was in den Nachkriegsjahren so geboten wurde. Es war alles dabei, außer große und bekannte Filme. Abgespult wurden zum Beispiel: „Tropische Abenteuer“ – „Eine Frau für 3 Tage“ – „Der perfekte Mörder“ – „Der scheinheilige Florian“ – „Pat und Patachon“ und vieles auf ähnlichem Niveau.
Nachdem 1952 der TSV seine erste Turnhalle in der Gramschatzer Straße gebaut hatte, nutzte er die nicht nur für den Sportbetrieb und gesellschaftliche Veranstaltungen, sondern stellte sie die folgenden Jahre auch als Dorfkino zur Verfügung. Rechts vom Haupteingang kann man noch heute eine inzwischen rostbraune Türe mit den Resten eines Vordaches sehen. Das war der Zugang zum Vorführraum.
Bis in die beginnenden 1960er Jahre gab es hier mehrmals die Woche Filmvorführungen. Für das Jahr 1960 haben wir genauere Aufzeichnungen über die „Lichtspiele Güntersleben“, wie die Abrechnungen mit der Gemeinde überschrieben waren. Die 130 Kinoabende, die das Jahr über geboten wurden, lockten manchmal 20, meistens zwischen 40 und 70, und hin und wieder auch mehr Besucher an. Für einen Eintrittspreis von 1,30 Mark. Beliebt waren vor allem Heimatschnulzen wie „Wenn die Glocken hell erklingen“. In das „Tagebuch eines Frauenarztes“ wollten natürlich auch viele einen Blick werfen. Aber mit Abstand größter Publikumsmagnet war Freddy Quinn. Zu „Freddy unter fremden Sternen“ kamen 164 und zu „Freddy, die Gitarre und das Meer“ sogar 180 nach Seefahrerromantik schmachtende Besucher.
Bei den Vorstellungen in der alten Turnhalle konnte man noch live erleben, was ein Filmriss ist, den man heutzutage nur noch im übertragenen Sinn kennt, wenn jemandem die Erinnerung abhandengekommen ist. Nachdem die meisten Filme schon oft heruntergenudelt waren und das Vorführgerät auch nicht unbedingt allererste Klasse war, kam es immer wieder einmal vor, dass die Leinwand plötzlich dunkel wurde, weil der Film auf der Spule gerissen war (wie man aus der frühen Fernsehzeit noch die Bildstörungen kennt). Das löste dann regelmäßig ein lautstarkes Gejohle im Saal aus, zumal wenn das ausgerechnet bei einer heißen Liebesszene passierte. Weil es zu lange gedauert hätte, den Film zu kleben, fädelte der Vorführer das abgerissene Teil kurzerhand wieder neu ein. Auf der Leinwand wurde es wieder hell, aber es fehlte dann eben ein Stück der Handlung.
Auch Freddy Quinn konnte die „Lichtspiele Güntersleben“ nicht retten, als sich nach 1960 die Fernseher immer schneller verbreiteten. Stand 1960 erst in jedem vierten Haushalt in Güntersleben ein Gerät, waren 1965 schon mehr als die Hälfte der Wohnungen damit ausgestattet. Genauso schnell ging die Nachfrage nach den billigen Klamotten im Dorfkino zurück. Mit dem allgemeinen Kinosterben, das dem Siegeszug des Fernsehens in den 1960er folgte, hatte auch die alte Turnhalle als Kinosaal ausgedient. Äußerlich sichtbar ist aber auch nach über einem halben Jahrhundert immer noch die verrostete Türe zum Vorführraum.
04/2024
Dieser Zustand kann nicht mehr so weitergehen
Anders als heute hat früher die Obrigkeit im Dorf – also Schultheiß, Bürgermeister, Ortsvorstand oder Gemeinderat – auch darüber gewacht, dass sich die Ortsbewohner auch in ihrem privaten Umgang ordentlich und gesittet verhalten und anderen kein Ärgernis geben. Wo etwas nicht so war, wie es sich gehörte, wurde rigoros eingeschritten.
In einem Protokoll vom 27. Januar 1793 ist das recht drastisch beschrieben: Da ging es um eine „wegen schlechter Sitten aus ihrem Dienst als Magd verjagte“ junge Frau aus dem Dorf. Die hatte sich „dahier ärgerlich und auffallend betragen“, indem sie „verdächtigen Umgang mit einem verehelichten Zimmermann“ pflegte. Sie wurde deshalb von der Dorfobrigkeit ultimativ aufgefordert, „daß sie sich außer unserem Ort verdingen solle, mit der ernstlichen Bedrohung, daß sie widrigenfalls mit Gewalt aus dem Ort geführt und wenn sie sich widersetzlich zeigen würde, durch die Husaren hinausgepeitscht werden solle.“
Man darf annehmen, dass es am Ende doch nicht so weit gekommen ist. Die Aufforderung, sich außerhalb des Orts zu verdingen, wurde aber auch in anderen Fällen als probates Mittel angesehen, dass man das Ärgernis zumindest nicht mehr im Dorf mitansehen musste. Als 1843 eine 32-Jährige, die schon mehrere Jahre unverheiratet mit einem jungen Mann verkehrte, ein Haus kaufen wollte, erreichte die Gemeinde beim Landgericht, dass der Kauf rückgängig gemacht und der Frau aufgegeben wurde, sich außerhalb des Orts in Dienste zu begeben. Als sie der Weisung nach acht Wochen noch nicht nachgekommen war, vielmehr „ihren ärgerlichen Umgang“ mit ihrem Liebhaber „fortsetzt und öfter in das Haus desselben läuft“, wird sie vom Armenpflegschaftsrat der Gemeinde neuerlich aufgefordert, „binnen acht Tagen sich einen Dienst zu suchen, ansonst man ohne weiteres Königl. Landgericht von ihrer Widersetzlichkeit und Unfolgsamkeit in Kenntnis setzen werde.“ Die Frau trat auch tatsächlich eine Stelle als Dienstmagd an, wenn auch bei einem Bauern im Dorf. Sie und ihr Liebhaber setzten derweil „ihren Ärgernis gebenden Wandel fort und halten wie Eheleute miteinander Haus.“ Schließlich heirateten sie 1848 und damit hatte das Ärgernis ein Ende.
Aus – wie man meinte – guten Gründen duldete man nicht, dass junge Frauen von daheim auszogen und sich eine eigene Wohnung suchten. So wurde ausweislich eines Protokolls des Armenpflegschaftsrats vom 8. Januar 1843 einer jungen Frau, „welche bisher als Eigenzimmerin gehauset und ein lasterhaftes Leben geführet hat, heute aufgegeben, binnen acht Tagen das elterliche Haus zu beziehen.“ Unter dem 28. November 1847 ist protokolliert, dass man einer jungen Frau, die sich ein Zimmer gemietet hatte, „die Auflage gemacht, binnen 8 Tagen sich wieder ins Hause ihrer Mutter zu begeben.“ Noch ein Fall aus dem gleichen Jahr: Da wurde eine 23-Jährige, die sich mit ihrem Freund und späteren Ehemann „eine Wohnung gemietet und hergerichtet hatte“, mit diesem zur öffentlichen Sitzung des Armenpflegschaftsrates geladen und „wegen ihres Ärgernis gebenden Wandels verwarnt“. Zudem wurde sie aufgefordert, „binnen 8 Tagen diese Wohnung zu verlassen und sich zum Vater zu begeben.“ Der Freund „wurde gleichfalls gewarnt, seine nächtlichen Besuche zu unterlassen, ansonsten im Betretungsfalle er dem Kgl. Landgerichte überliefert werde.“ Im Jahr darauf heirateten die beiden, womit sich auch dieses Ärgernis erledigte.
Auch die Eltern wurden in die Pflicht genommen. 1850 wurden Vater und Mutter einer 23-jährigen, die bei ihrem Freund eingezogen war, mit dieser vorgeladen und aufgefordert, ihre Tochter wieder in ihre Wohnung aufzunehmen, „widrigenfalls man die Hilfe des kgl. Landgerichtes ansprechen werde.“
Bevor nun jemand denkt, solches gab es nur in ganz alten Zeiten, zwei Fälle aus den 1920er Jahren. Auch damals noch befasste sich der Gemeinderat mit dem Liebesleben seiner Dorfbewohner, sofern dieses nicht den herkömmlichen Konventionen entsprach. 1922 lud er die aus Würzburg stammende Witwe H. vor, die mit einem hiesigen Taglöhner „in Konkubinat“ lebte und nach eigener Aussage in Würzburg keine Wohnung mehr hatte, in die sie zurückkehren konnte. Das ließ der Gemeinderat aber nicht gelten. Kategorisch entschied er: „Dieser Zustand kann nicht mehr so weitergehen, und ist mit allen Mitteln darauf zu dringen, daß die H. die Gemeinde verläßt.“ Es wurde „ihr nahegelegt, sich auswärts oder auch in Würzburg einen Dienst zu suchen, dann hat sie ein Unterkommen.“ Vierzehn Tage gab ihr der Gemeinderat Zeit, die Gemeinde zu verlassen. Das Protokoll schließt mit der Feststellung: „H. erklärt, daß sie sich eine Stelle auswärts suchen will.“
Weniger Erfolg hatte der Gemeinderat im Dezember des folgenden Jahres. Dem Sitzungsprotokoll ist der einstimmig gefasste Beschluss zu entnehmen: „Dem K. soll mitgeteilt werden, daß vom Gemeinderat ein Beisammenleben des K. mit der W. namentlich des Nachts unter keinen Umständen weiter geduldet wird. Im Falle, dieser gesetzwidrige Zustand nicht sofort aufhört, haben beide Strafanzeige zu gewärtigen.“ Die beiden Adressaten beeindruckte das nicht. Sie blieben zusammen und zwei Jahre darauf heirateten sie. Der Ehemann war später selbst viele Jahre Mitglied des Gemeinderats in Güntersleben. Beschlüsse dieser Art wurden da aber keine mehr gefasst.
02/2023
Kriegswichtige Kükenaufzucht
Krieg ist bekanntlich nichts zum Lachen. Aber auch im Krieg geschehen Dinge, von denen man sich im Nachhinein fragt, ob das wirklich ernst gemeint war.
Im März 1939, also noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, ging bei der Gemeinde Güntersleben ein Rundschreiben des Reichsnährstandes ein, wonach in jeder Gemeinde eine Kükenaufzuchtstation einzurichten sei. Die Steigerung der Eierproduktion, so hieß es in einem späteren Schreiben, sei eine höchst kriegswichtige Angelegenheit. Es ging um die Versorgung der Truppen und der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln.
Da mit der Aufforderung gleich die Pläne für die Station geliefert wurden, konnte der Günterslebener Bürgermeister schon acht Monate später, im November 1939, Vollzug an die NS-Kreisleitung melden. Die Kükenaufzuchtstation sei eingerichtet und habe guten Erfolg zu verzeichnen.
So ähnlich wie auf dem Bild dürfte auch die Günterslebener Aufzuchtstation ausgesehen haben. Sie stand außerhalb vom Dorf an der Thüngersheimer Straße, war etwas größer als ein normaler Hühnerstall und besser gegen Kälte isoliert als damals jedes Wohnhaus. Zudem war der Bürgermeister strengstens angewiesen, ausreichend Kohle für die Beheizung zu beschaffen, notfalls auch aus dem Vorrat von Privathaushalten.
Die Kükenaufzuchtstation wurde nebenher von einem Günterslebener Bauern und seiner Ehefrau betrieben. Die bekamen, zum ersten Mal im April 1939, frisch aus dem Ei geschlüpfte Küken geliefert, die sie bis zur Legereife aufziehen mussten. Dann wurden die Junghennen an Hühnerhaltungsbetriebe abgegeben, wo die Eierproduktion beginnen konnte.
Nach den Abrechnungslisten im Gemeindearchiv sah die Jahresbilanz für 1942 so aus: Es konnten 660 Hennen und 324 Hähnchen verkauft werden, letztere allerdings zu einem weit geringeren Preis. Insgesamt belief sich der Verkaufserlös auf 1500 Mark. Bei Auslagen von 800 Mark für den Einkauf der Küken, für Futter, Heizung und anderes blieben 700 Mark als Jahresgewinn übrig.
So ging das, mit jedoch zunehmend geringeren Erlösen, bis 1944 weiter. Dann wurde der Betrieb sang- und klanglos eingestellt und geriet in Vergessenheit. Kriegsentscheidend war das Vorhaben offenbar auch nicht.
11/2022
Warnung vor Geschäften mit der Ehefrau
Am 3. Juli 1947 war der Gemeindediener im Auftrag des Bürgermeisters mit der Ortsschelle auf den Straßen von Güntersleben unterwegs, um die folgende Erklärung eines namentlich genannten Mannes aus Heidingsfeld bekanntzugeben, der mit seiner Frau in Scheidung lebte:
„Wer meiner davongelaufenen Ehefrau Marga Sch…. aus Heidingsfeld, z. Zt. wohnhaft in Güntersleben, etwas leiht, borgt, ihr Unterkunft gewährt, dem komme ich in keinerlei Entschädigung oder Zahlung nach. Zur allgemeinen Warnung bitte ich um größte Vorsicht in sämtlichem Umgang.“ Die Erklärung wurde mit diesem Wortlaut auch an der Amtstafel der Gemeinde angeschlagen.
Tags darauf erhielt der Bürgermeister ein geharnischtes Schreiben eines Rechtsanwalts. Der Inhalt dieser Bekanntmachung sei eine fortgesetzte Beleidigung der Ehefrau und komme einer öffentlichen Anprangerung gleich. Er lege keinen Wert darauf, den Bürgermeister selbst in ein strafgerichtliches Verfahren zu verwickeln. Vielmehr müsse er aber umso größeren Wert darauf legen, dass auch der Standpunkt seiner Mandantin veröffentlicht werde. Er verlangte daher vom Bürgermeister, dass an der Gemeindetafel neben den Aushang des Ehemannes auch eine Erklärung der Ehefrau angeschlagen werde, in der unter anderem stehen müsse:
„Wie Herr Rechtsanwalt … mitteilt, ist die Ehefrau Sch… ihrem Manne keinesfalls davongelaufen, noch hat sie bisher leichtfertig auf Kosten ihres Mannes Schulden gemacht. Die Ehefrau Sch… wurde durch die dauernden Misshandlungen des Ehemannes Sch… gezwungen, die eheliche Wohnung zu verlassen…“
Man darf davon ausgehen, dass der Bürgermeister dem Verlangen nachkam, um „weitere gerichtliche Maßnahmen“ abzuwenden, die der Rechtsanwalt ansonsten schon vorsorglich ankündigte. Ob das aber wirklich dazu beitrug, den ramponierten Ruf der Frau wiederherzustellen?
08/2022
Vertrauensposten für eine Frau? – Unmöglich!
„Ich glaube, dass sich die Herrschaften einen falschen Begriff von dem Umfange und der Art der Arbeit eines heutigen Amtsdieners machen, ganz abgesehen davon, daß es doch unmöglich ist, einer Frau einen solchen Vertrauensposten – wenn auch nur zeitweise – zu übertragen.“ Mit dieser klaren Ansage wischte der Bürgermeister von Güntersleben 1937 das Ansinnen eines Fürsorgeverbandes vom Tisch, er solle als Amtsdiener oder Polizeidiener nach Günterslebener Sprachgebrauch einen Kriegsgeschädigten einstellen; für den Fall, dass dieser aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme hin und wieder ausfalle, habe sich seine Frau als Vertretung angeboten. Selbstverständlich stellte er einen anderen Bewerber ein, bei dem nicht zu befürchten war, dass hin und wieder seine Frau für ihn einspringen musste.
Mit seiner Überzeugung stand der Bürgermeister damals sicher nicht allein. Frauen in der Öffentlichkeit, in welcher Rolle auch immer – das konnte man sich auch in Güntersleben lange nicht vorstellen.
In den Jahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts starben in Güntersleben noch ungewöhnlich viele Kleinkinder. 1909 regte das Bezirksamt 1909 an, in den Armenpflegschaftsrat, dem vor Ort auch die Gesundheitsvorsorge oblag, doch auch Frauen aufzunehmen. Über diese Zumutung mochte das ausschließlich mit Männern, darunter dem Pfarrer und dem Bürgermeister, besetzte Gremium nicht einmal diskutieren. Kurz und bündig wurde einstimmig beschlossen, dass man „prinzipiell hier gegen Beiziehung der Frauen“ sei. Mehr fiel den Herren dazu nicht ein.
Seit 1902 brannten in Güntersleben die ersten fünf Straßenlaternen. Die Petroleumfunzeln mussten jeden Abend mit dem notwendigen Quantum Öl befüllt und angezündet werden. Mehrere Jahre besorgte das der gemeindliche Straßenwärter Johann Geißler. Als dieser krankheitshalber dazu nicht mehr in der Lage war, übernahm seine Ehefrau ab 1908 das Geschäft, das ihr von der Gemeinde auch für die folgenden Jahre übertragen wurde. Wie üblich wurde zum Jahreswechsel 1910/11 die Betreuung der Straßenlampen neu ausgeschrieben. Dieses Mal aber ausdrücklich mit dem Zusatz: „Frauenspersonen wird das Anzünden der Laternen untersagt.“ Wollte man auf diese Weise die seitherige Lampenwartin scheinbar elegant ausmanövrieren? Oder dachte man an den Struwwelpeter? Ist es doch in dem seinerzeit so beliebten Kinderbuch auch ein Frauenzimmer in der Person des einfältigen Paulinchen, das mit dem Feuerzeug Unheil anrichtet. Das Protokollbuch der Gemeindeverwaltung schweigt sich über die Gründe aus, warum das Anzünden der Straßenlaternen wieder in Männerhand kommen sollte, wo es dann auch blieb, bis sich mit der Einführung des elektrischen Stroms 1921 die Sache erledigte.
Gegen eine Lehrerin für die Schulanfänger hatte man in Güntersleben nichts einzuwenden – solange das eine Klosterschwester war. Denn „der Gehalt einer Lehrerin ist an und für sich geringer als der eines Lehrers“, wie der Pfarrer als Lokalschulinspektor 1896 den Wunsch nach einer zweiten klösterlichen Lehrerin begründete, dem allerdings von der Schulbehörde nicht stattgegeben wurde.
Am 6. April 1920 kreuzte vor dem darob völlig verdutzten Bürgermeister von Güntersleben eine nicht klösterliche Lehrerin auf, um ihm mitzuteilen, dass ihr von der Regierung eine Schulstelle in seiner Gemeinde angeboten worden sei. Noch am gleichen Tag trat der Gemeinderat zusammen, um einen schon früher gefassten Beschluss zu beschließen, dass die Regierung die Stelle mit einer männlichen Lehrkraft besetzen möge. Für eine Lehrerin sei hier kaum eine Wohnung aufzufinden.
Bei der Regierung dürfte dieser Einwand weniger Kopfzerbrechen als Kopfschütteln ausgelöst haben, denn schon wenige Tage später übertrug sie der Lehrerin die Stelle in Güntersleben. Postwendend ließ der Gemeinderat die Regierung noch einmal wissen: „Die Beschaffung der Wohnung und Kost wird auf größte Schwierigkeiten stoßen.“ Es findet sich allerdings kein Hinweis in den Akten, dass die Lehrerin während ihres Einsatzes in Güntersleben auf der Straße nächtigen und um Brot betteln musste.
Knapp drei Jahre blieb die Lehrerin, dann war die Stelle erneut zu besetzen. Und wieder sah sich der Gemeinderat im Januar 1923 bemüßigt, die Regierung darauf hinzuweisen, dass „die Beschaffung einer geeigneten Wohnung für eine weltliche Lehrerin sehr schwer, überhaupt unmöglich“ sei. Die Wohnung der ausgeschiedenen Lehrerin könne nicht mehr zur Verfügung gestellt werden, „weil sie vom Besitzer zur Unterbringung seines Dienstpersonals und als Krankenzimmer verwendet wird.“ Die Regierung hatte auch dieses Mal kein Einsehen und beorderte erneut eine Lehrerin nach Güntersleben. Nur gut, dass die heute hier eingesetzten Lehrerinnen, seit langem im Kollegium in der Überzahl, so mobil sind, dass sie nicht mehr unbedingt auf eine Wohnung in Güntersleben angewiesen sind.
Auch in der Politik dauerte es in Güntersleben erst, bis man auch Frauen zutraute, mitzureden und Verantwortung zu übernehmen. Obwohl das schon seit 1919 möglich gewesen wäre, schafften es erst 1978 die ersten Frauen, in den Gemeinderat einzuziehen. Und wie wären wohl unsere Altvorderen erst damit klargekommen, dass seit 2017 mit Klara Schömig sogar eine Frau auf dem Bürgermeisterstuhl sitzt?
Noch etwas ist nachzutragen: Der gleiche Bürgermeister, der 1937 den Frauen nicht einmal vertretungsweise die Übernahme des verantwortungsvollen Postens eines Amtsboten zutraute, war wenige Jahre später, als wegen ihres Einsatzes an der Kriegsfront die Männer fehlten, nicht mehr so wählerisch. Im März 1942 teilte er dem Arbeitsamt mit: „Ich habe am 1. März 1942 die Margareta Stieber, geb. 3. Februar 1918 zu Güntersleben, als Aushilfe eingestellt. Sie ist für Botengänge gut geeignet.“ Es war die Frau, die viele noch aus späterer Zeit als die Post-Gretl kennen, auch hier die erste Frau, der diese Tätigkeit übertragen wurde.
05/2022
In die Erden geloffen und vertragen
Der Pfarrer als Herr über den größten Weinkeller in Güntersleben? Es ist lange her, aber es gab die Zeit, wo das so war. Von Pater Ignatius Gropp, von 1749 bis 1758 Pfarrer in Güntersleben, der uns mit seinem „Procollum“ eine umfangreiche Ortsbeschreibung hinterließ, wissen wir, dass in diesem Keller nach heutigen Maßeinheiten über 250 Hektoliter eingelagert werden konnten. Das größte der 10 Fässer, die dort aufgereiht waren, fasste allein fast 50 Hektoliter. Der Keller war am Kirchplatz, in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche, wo heute das Kolpinghaus steht, und gehörte der Pfarrei.
Wozu dieser riesige Weinkeller? Angehörige des geistlichen Standes werden zwar manchmal, einem Gleichnis der Bibel folgend, als Arbeiter im Weinberg des Herrn bezeichnet. In der Wirklichkeit hatte aber die Kirchengemeinde in Güntersleben zu keiner Zeit nennenswerten Weinbergsbesitz. Auch weiß man von keinem Pfarrer, der sich als Winzer hervorgetan hätte.
Der Keller wurde also nicht eigene Erzeugnisse, sondern für die Einlagerung sogenannter Schuldnerweine benötigt. Dabei handelte es sich um Wein bzw. Most, den die Bauern im Herbst aus ihren Ernteerträgen ablieferten, um damit ihre Schulden zu tilgen, die sie bei der Kirche aufgenommen hatten. Denn eine Bank, bei der man Geld leihen konnte, gab es zu der Zeit im Dorf noch nicht. Die Kirchengemeinde hatte aber aus Spenden und Gottesdienststiftungen immer einiges an flüssigen Mitteln, die sie als Darlehen ausleihen konnte. Wenn die Kreditnehmer, was wohl häufiger vorkam, dann nicht in der Lage waren, das Geld zurückzuzahlen, konnten sie stattdessen im Herbst auch mit der Abgabe von Traubenmost ihren Verpflichtungen nachkommen. Und damit war ihnen sehr geholfen. Denn am Geld mangelte es vielen Dorfbewohnern, aber Weinberge hatte nahezu jeder Haushalt in Güntersleben.
Durch den Verkauf der eingelagerten Bestände an Weinhändler kam die Kirchengemeinde dann auch wieder an ihr Geld – wenn alles gut lief. Das war aber nicht immer der Fall. Zwar verkaufte sich die größere Menge besser als die Kleinmengen der einzelnen Bauern. Die Marktpreise freilich entwickelten sich nicht immer so, wie man es vor der Erntesaison erwartet hatte.
Wie Gropp beklagt, habe die Kirchengemeinde deshalb „vielmahlen an dem für Schulden angenommenen Mösten schaden gelitten. Denn indem gemeiniglich die Schuldner mit diesen hoch hinaus wollen, oder der Herrschaftliche Anschlag hoch heraus kommet, daß man den Wein um den Preys nicht wieder kann anbringen, wie er, sambt beygerechneten Unkösten angenommen worden, kann anderst nicht als ein unvermeidlicher Schaden dem Gotteshaus zuwachsen.“
Dass die Qualität der abgelieferten Weine sehr unterschiedlich war und man auf der Hut sein musste, dass dabei nicht auch noch geschummelt wurde, liegt auf der Hand. 1757 sah sich die fürstbischöfliche Obrigkeit daher auch veranlasst, die Pfarrer davor zu warnen, dass sie nicht anstelle des schuldigen Weins unbemerkt mit minderwertigerem Äpfel- oder Birnenmost bedient werden.
Diesbezüglich sah Pfarrer Gropp zwar keinen Grund zu Klagen, dafür wusste er aber von anderem Ungemach im Keller zu berichten. So seien von dem Wein des Jahrgangs 1745, umgerechnet auf heutige Maßeinheiten, über 8 Hektoliter „durch anbrechung des Fasses in die Erden geloffen.“ Noch größer war 1755 der Verlust, nachdem von dem größten Fass vier Reifen „in einer Wochen abgesprungen“ und „eh man solches gewahr“, vom 1753er Wein rund 13 Hektoliter „ausgeloffen“.
Es gab aber auch noch Verluste ganz anderer Art. Als 1750 der eingelagerte Jahrgang 1748 verkauft werden sollte, fehlten man „nach allem gebräuchlichen und möglichen Abzug und verrechneten Auffgang“ mehr als 3 Hektoliter, von deren Verbleib angeblich niemand wusste. Gropp hatte keine andere Erklärung für den Schwund, „als daß er vertragen worden“. Er ging also davon aus, dass sich ein Langfinger an den Weinvorräten der Kirche bedient haben musste. Nachdem er auch zu wissen glaubte, wer das nur gewesen sein konnte, wurde nicht lange gefackelt, denn „hirauff hat man neue schlösser an den Keller gehenckt, und auf Geheis Höheren Geistl. Obrigkeit dem Büttner Abschied gegeben.“ Der Büttner – wir würden heute sagen der Kellermeister – wurde also kurzerhand gefeuert. Gropps augenzwinkernder Kommentar zu dem Vorgang: „Fide, cui vide“. Auf gut deutsch: Vertraue, aber schau, wem du vertraust. Oder kürzer, wie man auch heute sagt: Trau, schau, wem.
Als 1803 die Fürstbischöfe ihre weltliche Macht an das Kurfürstentum und spätere Königreich Bayern abgeben mussten, war es auch mit dieser speziellen Form des Weinhandels in Güntersleben vorbei. Die neue Herrschaft untersagte die weitere Annahme von Schuldnerweinen durch die Kirchengemeinde. Bald 20 Jahre lagen die leeren Fässer „ohne Einbrennung, verdorben und gleichsam stinkend“, im Keller, wie einem späteren Nachtrag in Gropps „Protocollum“ zu entnehmen ist. Trotzdem fanden sich bei einer öffentlichen Versteigerung am 15. September 1819 für alle zehn Fässer Kaufinteressenten, die meisten aus Güntersleben. Aber auch aus Unterdürrbach und Veitshöchheim kamen Winzer, die erfolgreich mitboten. Mit dem Gesamterlös von 158 Gulden und 25 Kreuzern – was dem Wert von zwei bis drei Ochsen entsprach – erzielt man sogar noch einen ansehnlichen Erlös.
Den „nächst der Kirche liegenden nutzlos und schadhaft gewordenen Keller“, wie er im Protokollbuch der Gemeindeverwaltung beschrieben wird, verkaufte die Kirchenverwaltung 1835 an die Gemeinde, die den Platz für den Neubau einer Schule, das heutige Kolpinghaus, benötigte.
02/2022
Die rote Fahne auf der Pappel
Bei der Brücke über den Dürrbach, wo die Gramschatzer Straße von der Rimparer Straße abzweigt, stand bis 1955 eine hohe Pappel. Sie überragte nicht nur die anderen Bäume, die das Bachufer säumten, sondern auch die Häuser der Umgebung, wie schon auf alten Bildern aus der Zeit um 1910 zu sehen ist.
Es war in den unruhigen Jahren um 1930, als diese Pappel oder besser ein ungewöhnlicher Baumschmuck, den Unbekannte ihr zugedacht hatten, für Aufregung im Dorf sorgte. Leuchtete doch eines Morgens von der Spitze der Pappel eine weithin sichtbare rote Fahne. Und das ausgerechnet am Markustag in der Bittwoche, an dem traditionsgemäß die Rimparer Wallfahrer den Berg herunter ins Dorf zogen. Welch eine Schande!
Wie die Fahne auf die Spitze der Pappel gelangt war, kam offiziell nie heraus. Doch für Volkes Stimme war schnell klar, und damit lag man wohl auch nicht falsch: Das konnten nur welche von den Kommunisten gewesen sein. Die hatten zu der Zeit in Güntersleben nicht wenige Anhänger. Und denen traute man alles zu.
Als am Morgen das dreiste Bubenstück entdeckt wurde, rückte erst einmal die Feuerwehr an und fuhr ihre große Leiter aus. Doch wo die endete, fehlte immer noch ein gehöriges Stück bis ganz nach oben. Freiwillig wollte da keiner hinaufklettern. Auch der junge Feuerwehrmann, den die Gemeindeoberen mit fünf Mark locken wollten, ließ sich durch diese für damals recht stattliche Belohnung nicht verleiten, das Abenteuer auf sich zu nehmen.
Die Schulkinder, die von ihrem Klassenzimmer aus das Schandobjekt sehen konnten, warteten ungeduldig auf das Ende des Unterrichts, um dann gleich die Gasse hinunterzustürmen und sich zwischen die zahlreichen Dorfbewohner zu drängen, die das Spektakel bestaunten und allerlei kluge Ratschläge von sich gaben. Güntersleben hatte seine Sensation!
Auch wenn man die Sache lieber geräuschlos unter sich bereinigt hätte, blieb dem Bürgermeister schließlich nichts anderes übrig, als die Bereitschaftspolizei zu Hilfe zu rufen, die dem Spuk ein Ende bereitete. Mit Steigeisen ausgerüstet machte sich ein Uniformierter auf den Weg nach oben und holte die Fahne herunter. Die Ehre des Dorfes war gerettet!
12/2021
Immer positiv denken
„Der liebe Gott freut sich über jedes Kind.“ Also sprach Franz Beckenbauer, nachdem sich herumgesprochen hatte, dass er bei der Weihnachtsfeier seines Vereins einer anderen Teilnehmerin etwas zu nahe gekommen war. Ein origineller Spruch, aber kein ganz neuer Gedanke, den auch schon andere hatten, denen kraft ihres Amtes die Wahrung moralischer Grundsätze besonders angelegen sein musste.
Ein junger Mann aus Güntersleben veränderte sich 1936 zwecks Heirat nach Veitshöchheim. Er „musste heiraten“, wie man zu sagen pflegte, wenn sich schon Nachwuchs angekündigt hatte. Am 2. Dezember kündigte der Pfarrer von Güntersleben seinem Amtsbruder in Veitshöchheim die bevorstehende Übersiedlung seines bisherigen Pfarrkindes an und empfahl den jungen Mann „der liebevollen Hirtensorge des Pfarrherrn zu Veitshöchheim“. Ergänzend teilte er noch mit, dass vom damals vorgeschriebenen 3. Aufgebot durch die bischöfliche Behörde dispensiert wurde. Ein mittelbarer Hinweis darauf, was bald nach der Hochzeit zu erwarten war.
Der Veitshöchheimer Pfarrer war da direkter. Schon vier Tage später teilte er am 6. Dezember dem Pfarrer von Güntersleben mit: „Trauung ist heute früh bei Nacht und Nebel erfolgt. Copula wurde schon anticipiert. Taufe folgt in Kürze. Ich sehe, daß wir beide ganz tüchtige Pfarrkinder haben, welche das Reich, das Christus gegründet hat, zu mehren versuchen.“ An die Regeln – stille Trauung ohne Öffentlichkeit – hielt er sich zwar, für einen Pfarrer zu dieser Zeit pflegte er aber ein erfrischend lockeres Mundwerk.
11/2021
Hundesteuer für die Armenkasse
Wer sich einen Hund leisten kann, der kann auch etwas für die Armen im Dorf tun. So mögen sich die Günterslebener Dorfoberen gedacht haben, als sie 1843 nach neuen Einnahmequellen für die Armenkasse fahndeten und zu diesem Zweck auch bei uns eine Hundesteuer einführten. Bis ins beginnende 20. Jahrhundert floss diese der Armenkasse zu, aus der die Ortsbewohner unterstützt wurden, denen die notwendigen Mittel für ihren Lebensunterhalt fehlten.
Tatsächlich waren es auch nur wenige Bauern, die sich neben den Nutztieren auf ihrem Hof auch noch den Luxus eines Hundes gönnten. Nur 26 Hundehalter wurden bei der Einführung der Steuer gezählt. Wäre es um den Schutz von Haus und Hof gegangen, als es noch kaum verschlossene Türen und keine nächtliche Beleuchtung gab, hätten es viel mehr sein müssen.
Mit zwölf Kreuzern im Jahr war die Abgabe für einen Hund genauso hoch wie der Betrag, den die Knechte und Mägde von ihrem Jahreslohn an die Armenkasse abführen mussten. Luxus wurde also gleich besteuert wie das Einkommen von Geringverdienern. Drei Laib Brot hätte man sich dafür kaufen können.
Mit der Hundesteuer verhält es sich wie mit der Sektsteuer. Die wurde 1902 zur Finanzierung der deutschen Kriegsflotte eingeführt und besteht bis heute, obwohl ihre Zweckbestimmung längst weggefallen ist. Seit 1912 wurde auch die Hundesteuer in Güntersleben mit einem Gesamtaufkommen von damals 34 Mark nicht mehr der Armenkasse zugeführt. Verzichten auf diese eher unbedeutende Einnahme wollte man aber doch nicht und so landet die Hundesteuer seither im allgemeinen Haushalt der Gemeinde – bis heute.
Bis heute ist die Hundesteuer mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder einmal ein Aufregerthema nicht nur für die Stammtische, sondern auch im Gemeinderat, wo es dazu selten einstimmige Beschlüsse gab. Für die einen kann die Hundesteuer gar nicht hoch genug sein, um das Überhandnehmen dieser Vierbeiner und deren Hinterlassenschaften einzudämmen. Die Hundefreunde auf der anderen Seite können dagegen nicht verstehen, warum ihre Lieblinge anders behandelt werden als zum Beispiel Katzen, die sich zwar bei der Mäusejagd bewähren, aber auch nicht immer angenehme Spuren hinterlassen. Bisher haben sich noch immer die Befürworter der Hundesteuer durchgesetzt.
Zur Geschichte der Hundesteuer gehören von Anbeginn bis heute auch die Zweifel und Mutmaßungen, ob denn auch alle Halter ihrer Meldepflicht nachkommen. Weil bekanntlich Erinnerungen und Drohungen mit Sanktionen im Steuerwesen nicht immer die erhoffte Wirkung erzeugen, sah sich die Gemeinde trotz meist mäßiger Erfolgsquote und noch geringeren finanziellen Ertrags doch immer wieder einmal zu Kontrollen vor Ort veranlasst.
Von einer solchen Razzia zeugt ein „Kataster über die in der Gemeinde Güntersleben vorhandenen Hunde, aufgenommen bei einer Visitation am 3. Januar 1876“. Gerade drei Tage im Amt, machte der neugewählte Bürgermeister Kaspar Öffner, selbst kein Hundebesitzer, die Runde im Dorf, um sich die Hunde vorführen zu lassen. Begleitet wurde er vom Schulmeister als Protokollanten und vom Bezirkstierarzt. Genau 40 Hunde fand die hohe Kommission vor und nach dem Augenschein des Tierarztes waren alle gesund.
Etwas schwerer taten sich die Herren offenbar mit der Feststellung der Hunderassen. Der Herr Lehrer selbst hatte, wie damals in gehobeneren Kreisen üblich, einen schwarzen Pudel. Sechs Hunde fanden als Spitz Eingang in das Register. Drei Dackel und zwei Pinscher, bekanntlich nicht nur ein Schimpfwort, sondern auch eine Hunderasse, konnten die Herren auch noch eindeutig zuordnen. Dann waren sie mit ihrer Weisheit aber offenbar am Ende. Nachdem ihnen der Begriff Promenadenmischung wohl noch fremd war, erfassten sie die anderen Hunde einfach als Zottel, als Hühnerhunde oder Hofhunde. Bei sechs Hunden trug der Lehrer als Rasse Rattenfänger ein und bei einem der größeren Bauern registrierte er einen schwarzgescheckten Königshund. Vermutlich ein stattliches Tier, vor dem der Lehrer als Besitzer eines mickrigen Pudels anscheinend gehörigen Respekt hatte.
Soviel Mühe machten sich die Amtsnachfolger von Bürgermeister Öffner freilich nicht mehr, um Steuersündern auf die Schliche zu kommen. Einen Beschluss wie den vom 1. Juli 1933 konnte der Gemeinderat aber nur unter den damals vorherrschenden politischen Verhältnissen fassen: „Die rückständigen Hundegebühren sollen rücksichtslos beigetrieben werden. Erfolgt binnen 14 Tagen keine Zahlung, wird vom Tötungsrecht Gebrauch gemacht.“
Derweil wurde die Hundesteuer, wie das öffentliche Abgaben so an sich haben, immer wieder einmal angehoben. Aus den anfangs 12 Kreuzern wurden nach dem Zweiten Weltkrieg 6 und bald darauf 9 Mark. Nach der letzten Erhöhung von 2012 sind heute in Güntersleben 50 Euro jährlich zu zahlen.
Die schon 1920 im Gemeinderat geäußerte Befürchtung, dass durch Steuererhöhungen der Hundebestand dezimiert und als Folge die Sicherheit im Dorf leiden könne, hat sich weder in der einen noch in der anderen Weise bestätigt. Während andere Haustiere, denen man früher im Dorf auf Schritt und Tritt begegnete, wie Pferde, Kühe, Gänse, Hühner, ganz oder bis auf wenige Exemplare verschwunden sind, hat sich die Zahl der Hunde von etwa 60 im Jahr 1920 bis heute nahezu vervierfacht.
So werden wohl auch künftig die Hunde als Alleinstellungsmerkmal für sich in Anspruch nehmen können, als einziges Haustier besteuert zu werden. Dafür können sie oder besser ihre Herrchen und Frauchen seit kurzem aber auch einen exklusiven Service in Anspruch nehmen. Mit der Aufstellung von Hundeklos an den wichtigsten Übergängen zu den Flurstraßen hat Güntersleben jetzt als jüngste Errungenschaft auch öffentliche Toilettenanlagen. Sie sind ein Angebot und zugleich eine Aufforderung an alle, die auf den Hund gekommen sind, einem permanenten Ärgernis die Spitze zu nehmen. Und viele Spaziergänger und die Besitzer ortsnaher Grundstücke freuen sich, wenn sie nicht mehr allerorten mit den ärgerlichen Tretminen rechnen müssen.
09/2021
Teure Amtshilfe
Nix wie raus aus der Stadt. Draußen auf dem Land schnappt man uns nicht so leicht. So mögen die Häftlinge gedacht haben, die 1825 aus dem Gefängnis in Würzburg ausbrachen und auf ihrer Flucht irgendwie auch in Güntersleben auftauchten. So schlau war ihr Plan dann aber doch nicht. Denn in einem kleinen Dorf wie Güntersleben kannte man seine Mitbewohner, und wenn ein fremdes Gesicht auftauchte, fiel das auf und war im Zweifel gleich verdächtig. Und so fanden sich die Ausbrecher, eh sie sich versahen, im Narrenhaus wieder, wie der Volksmund das Dorfgefängnis am Aufgang zur Kirche (Bild) nannte.
Länger konnten sie da freilich nicht bleiben. Aber mitnichten wurden sie von den Ordnungskräften der Staatsgewalt abgeholt. Die Gemeinde hatte die Spitzbuben eingefangen und musste jetzt auch schauen, wie sie diese nach Würzburg zurückbrachte – und das auch noch auf ihre Kosten. Zwölf Kreuzer zahlte sie „dem Johann Kunzemann dahier für Stricke, die vorgenannten Spitzbuben zu fesseln.“ Um kein Risiko einzugehen, zahlte man den gleichen Betrag auch „dem Sebastian Kuhn dahier, für einen Strang zur nochmaligen Fesselung der vorgenannten Züchtlinge.“ Auch für den Transport nach Würzburg setzte die Gemeinde auf doppelte Sicherheit und bestellte zwei zuverlässige Ortsbürger „als beorderte Leiter zur Ablieferung der aus dem königlichen Zuchthause entsprungenen und hier aufgegriffenen Züchtlinge“ und zahlte jedem von ihnen für diesen verantwortungsvollen Dienst eineinhalb Gulden aus der Gemeindekasse. Zwölf Kreuzer erhielten sie zusätzlich „für 2 Laternen und 2 Lichter bei der Ablieferung der ergriffenen Züchtlinge.“ Nachdem der Auftrag ordnungsgemäß erledigt war, hatte sich das Überführungskommando dann auch eine Brotzeit redlich verdient. So fiel für den Gastwirt „zum roten Ochsen in Würzburg für Zehrung bei der Ablieferung der aufgefangenen aus dem Zuchthaus entsprungenen Sträflinge“ auch noch eine Wirtszeche von fünf Gulden und 27 Kreuzer an. Schlussendlich musste auf Anordnung des kgl. Landgerichts im Anschluss an die Aktion für einige Zeit auch noch die Zahl der „mit leuchtenden Laternen gehenden“ Nachtwächter verdoppelt werden, was nochmals einen Gulden für zusätzlich „abgegebene Lichter“ verursachte. Zusammen waren das dann fast 10 Gulden und damit mehr als das, was der Gemeindevorsteher monatlich als Salär erhielt.
Über eine Erstattung dieses Aufwands durch die Staatskasse findet sich in den Büchern der Gemeinde kein Eintrag.
09/2021
Das Alte Rathaus – baufällig und hinderlich?
Das heute so genannte Alte Rathaus am Aufgang zur Kirche ist das älteste profane Bauwerk in Güntersleben. Schon vor 1600 gebaut, war es bis 1838 Schulhaus und Lehrerwohnung. 1840 wurde es das Rathaus der Gemeinde und blieb Sitz der Gemeindeverwaltung bis 1978. Nach einer grundlegenden Sanierung, bei der die historische Substanz geschont und damit auch das äußere Erscheinungsbild unverändert blieb, ist es seit 1980 der Arbeiterwohlfahrt als Vereinsheim überlassen. Mit dem großen Treppenaufgang, dem Kirchturm im Hintergrund und den umgebenden historischen Gebäuden bildet es seit jeher das beliebteste Fotomotiv von Güntersleben, das in keiner Ortsbeschreibung fehlen darf.
Dabei wäre die bewegte Geschichte dieses baugeschichtlichen Kleinods fast schon zu Ende gewesen, bevor die ersten Fotografen ihr Objektiv darauf richteten.
Am 2. Januar 1896 beantragte der Günterslebener Pfarrer Elias Schmitt in seiner Eigenschaft als Lokalschulinspektor bei der hohen kgl. Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg, als Ersatz für den ausgeschiedenen II. Lehrer eine weitere Klosterschwester zu schicken. Diese könne bei den anderen Ordensfrauen in der Langgasse wohnen. In die bisherige Wohnung des II. Lehrers im Schulhaus, heute Kolpinghaus, könne dann die Gemeindeverwaltung umziehen. Das Rathaus würde damit frei, so dass es „entfernt werden könnte, was schon lange der allgemeine Wunsch der Bevölkerung ist, da es den Ausblick auf die Kirche verhindert.“ So schrieb der Pfarrer und tatsächlich stand er mit diesem Ansinnen offenbar nicht allein. Die Idee war auch nach seinem Abschied aus Güntersleben nicht tot.
Am 30. August 1903 griff der Gemeindeausschuss, wie damals der Gemeinderat noch hieß, in einem einstimmigen Beschluss die Überlegungen wieder auf, die „Rathauslokalitäten“ in die benachbarte Schule zu verlegen, und hatte dafür noch weitere Argumente parat: „Dadurch ist dann auch die Möglichkeit gegeben, das alte ohnedies baufällige Rathaus abzubrechen, was ja schon lange der Wunsch der Bevölkerung ist, da es den Ausblick auf die Kirche ganz verhindert und durch seinen niedrigen Durchgang bei Prozessionen sehr hinderlich ist.“
Die hohe Regierung ignorierte auch dieses Mal den „Wunsch der Bevölkerung“, das angeblich baufällige Rathaus brach auch die nächsten 75 Jahre nicht über der Gemeindeverwaltung zusammen und die Prozessionen haben längst einen anderen Weg zur Kirche gefunden. Manchmal darf man auch glücklich darüber sein, wenn ein Gemeinderatsbeschluss nicht vollzogen wird und nur als Protokollleiche weiterlebt.
08/2021
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