Der Schmied – erster Profihandwerker im Dorf
Selbermachen und sich als Hobbyhandwerker im eigenen Haus betätigen, kann nicht nur Spaß machen und Geld sparen helfen. Es hat auch den Vorteil, dass man nicht erst lange warten muss, bis ein Handwerker Zeit für einen findet. Freilich stößt man da heute immer häufiger an Grenzen, wo vieles technisch komplizierter wird und Spezialkenntnisse erfordert. Wo es gefährlich werden kann, lässt man auch besser die Finger davon.
Da taten sich unsere Vorfahren in manchem noch leichter. Auch die frühen Handwerker kamen noch ohne geregelte Ausbildung aus. Sie kamen mit dem aus, was sie sich selbst an Fertigkeiten angeeignet oder bei Vorgängern abgeschaut hatten. Was bei der Verwendung von Holz und anderen einfachen Werkstoffen oder der Herstellung von Lebensmitteln wie dem Brotbacken möglich war, gestaltete sich aber bei der Bearbeitung von Metall schon um vieles schwieriger. Dazu brauchte man spezielle Kenntnisse, die passende Ausrüstung mit Amboss, Feuerstelle und besondere Werkzeuge. So nebenher wie andere handwerkliche Tätigkeiten ließ sich das von jemand auf einem Bauernhof im Dorf nicht bewältigen.
Weil man aber bei allem, was ehemals vorzugsweise aus Holz hergestellt wurde, auf bestimmte Werkstücke aus Eisen angewiesen war – man denke nur an Türangeln oder Radreifen – sah sich vielerorts die Gemeinde gefordert, eine Schmiedewerkstatt einzurichten. In Güntersleben wird eine Gemeindeschmiede bereits in der ersten Ortsbeschreibung von 1594 genannt, neben der Gemeindeschenke, dem Schulhaus, dem Hirtenhaus und der Mühle. Gut möglich, dass sie sogar schon früher als diese bestand und damit die erste gemeindliche Einrichtung überhaupt war.
Die Schmiede wurde jeweils für drei Jahre an einen geeigneten Handwerker vergeben, nach heutigem Sprachgebrauch verpachtet. Damit hatte die Gemeinde die Gewähr, dass der Schmied sich anstrengte, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, wenn er einen neuen Kontrakt wollte, den er aber auch immer nur für den gleichen Zeitraum bekam. Die ersten Schmiede, die uns bekannt sind, kamen ausnahmslos von auswärts, weil es offenbar im Dorf niemand gab, der das Handwerk erlernt hatte. Auch nachdem 1676 mit Johann Höfer erstmals ein einheimischer Bewerber zum Zug gekommen war, kamen nachfolgend die meisten Schmiede wieder von auswärts. In der Mehrzahl gingen sie nach dem Ende ihrer Vertragszeit wieder, es sei denn, sie hatten eine Hoferbin heiraten oder wie der Schmied Johann Mack aus Burgebrach 1708 mit der Übernahme der Gemeindeschenke eine andere Lebensgrundlage finden können.
Mit der Schmiede selbst waren außer den Erträgen aus der handwerklichen Arbeit keine weiteren Einkünfte verbunden. Die Gemeindeschmiede waren daher zu einer Zeit, als die Bäcker, Schuster, Büttner und all die anderen Handwerker im Dorf in erster Linie Bauern waren und ihr Gewerbe nur nebenher betrieben, die ersten, die ausschließlich von einer handwerklichen Tätigkeit lebten.
Die Nachfrage nach Schmiedsarbeiten entwickelte sich im Laufe der Zeit so, dass es seit etwa 1750 neben dem Gemeindeschmied auch immer noch einen und zeitweise sogar mehrere Schmiede in Güntersleben gab, die sich ihre eigene Werkstatt einrichteten. Seitdem entwickelte sich auch in diesem Gewerbe, das über Jahrhunderte eine Art Monopol der Gemeinde war, eine Konkurrenzsituation, wie sie für uns heute selbstverständlich ist.
Die Gemeindeschmiede glich in ihrer Form, die bis heute unverändert blieb, einem kleinen Kellerraum mit einer gewölbten Decke, den die Gemeinde vor uns unbekannter Zeit linker Hand von dem erst viel später angelegten Treppenaufgang zur Kirche in den Berg gebaut hatte. Die Gründung mit den Umfassungsmauern war so stabil angelegt, dass die Gemeinde 1733 darüber ihr erstes Rathaus bauen konnte. Als 1820 eine zweite Schulstelle notwendig wurde, fand auch diese in dem Gebäude noch Platz, während im Untergeschoss weiterhin der Gemeindeschmied auf den Amboss schlug, was dem Unterrichtsgeschehen nicht gerade förderlich war.
Nach dem Bau einer neuen Schule am Kirchplatz, dem heutigen Kolpinghaus, und der Verlegung des Ratszimmers in das heutige Alte Rathaus, brauchte die Gemeinde ihr bisheriges Rathaus nicht mehr und verkaufte es 1853 samt der Schmiede an den damaligen Pächter der Schmiede Adam Rothenhöfer. 1878 gab es erneut einen Eigentumswechsel und wieder war es mit Georg Kuhn ein Schmied, der das Anwesen übernahm. Nach dessen Tod wurde die Schmiede von seinen Erben 1896 nochmals verpachtet. 1903 erlosch dann das Feuer in der früheren Gemeindeschmiede für immer.
1929 kaufte die Pfarrgemeinde das Anwesen, um es als Jugendheim und Wohnung für einen Ruhestandspriester zu nutzen, der am Sonntag den Gottesdienst der Frühmesse übernahm. Seitdem ist das Gebäude im Dorf als Frühmessnerhaus bekannt.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die frühere Schmiede als Wachraum für den Luftschutz genutzt. Von hier aus alarmierten die für die Nacht bestellten Wächter mit einer von Hand betätigten Sirene die Bevölkerung, wenn Fliegerangriffe angekündigt wurden. Nach dem Krieg beherbergte der Raum für einige Jahre ein Schreibwarengeschäft, später eine Friseurstube, danach für längere Zeit die Pfarrbücherei und schließlich wieder ein Ladengeschäft.
Seit kurzem hat das frühere Rathaus mit der Gemeindeschmiede erneut einen privaten Eigentümer. Damit wurde wieder ein neues Kapitel in der wechselvollen Geschichte eines Bauwerks aufgeschlagen, in der sich Wandel und Veränderungen im Dorf widerspiegeln.
Bleibt noch die Frage zu beantworten, woher die frühere Gemeindeschmiede ihren noch heute üblichen Namen Wolfsschlucht hat. Sie heißt so seit 1824, als Johann Wolf aus Veitshöchheim nach Güntersleben heiratete und – allerdings nur für wenige Jahre – als Gemeindeschmied arbeitete.
08/2021