Das Alte Rathaus – baufällig und hinderlich?
Das heute so genannte Alte Rathaus am Aufgang zur Kirche ist das älteste profane Bauwerk in Güntersleben. Schon vor 1600 gebaut, war es bis 1838 Schulhaus und Lehrerwohnung. 1840 wurde es das Rathaus der Gemeinde und blieb Sitz der Gemeindeverwaltung bis 1978. Nach einer grundlegenden Sanierung, bei der die historische Substanz geschont und damit auch das äußere Erscheinungsbild unverändert blieb, ist es seit 1980 der Arbeiterwohlfahrt als Vereinsheim überlassen. Mit dem großen Treppenaufgang, dem Kirchturm im Hintergrund und den umgebenden historischen Gebäuden bildet es seit jeher das beliebteste Fotomotiv von Güntersleben, das in keiner Ortsbeschreibung fehlen darf.
Dabei wäre die bewegte Geschichte dieses baugeschichtlichen Kleinods fast schon zu Ende gewesen, bevor die ersten Fotografen ihr Objektiv darauf richteten.
Am 2. Januar 1896 beantragte der Günterslebener Pfarrer Elias Schmitt in seiner Eigenschaft als Lokalschulinspektor bei der hohen kgl. Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg, als Ersatz für den ausgeschiedenen II. Lehrer eine weitere Klosterschwester zu schicken. Diese könne bei den anderen Ordensfrauen in der Langgasse wohnen. In die bisherige Wohnung des II. Lehrers im Schulhaus, heute Kolpinghaus, könne dann die Gemeindeverwaltung umziehen. Das Rathaus würde damit frei, so dass es „entfernt werden könnte, was schon lange der allgemeine Wunsch der Bevölkerung ist, da es den Ausblick auf die Kirche verhindert.“ So schrieb der Pfarrer und tatsächlich stand er mit diesem Ansinnen offenbar nicht allein. Die Idee war auch nach seinem Abschied aus Güntersleben nicht tot.
Am 30. August 1903 griff der Gemeindeausschuss, wie damals der Gemeinderat noch hieß, in einem einstimmigen Beschluss die Überlegungen wieder auf, die „Rathauslokalitäten“ in die benachbarte Schule zu verlegen, und hatte dafür noch weitere Argumente parat: „Dadurch ist dann auch die Möglichkeit gegeben, das alte ohnedies baufällige Rathaus abzubrechen, was ja schon lange der Wunsch der Bevölkerung ist, da es den Ausblick auf die Kirche ganz verhindert und durch seinen niedrigen Durchgang bei Prozessionen sehr hinderlich ist.“
Die hohe Regierung ignorierte auch dieses Mal den „Wunsch der Bevölkerung“, das angeblich baufällige Rathaus brach auch die nächsten 75 Jahre nicht über der Gemeindeverwaltung zusammen und die Prozessionen haben längst einen anderen Weg zur Kirche gefunden. Manchmal darf man auch glücklich darüber sein, wenn ein Gemeinderatsbeschluss nicht vollzogen wird und nur als Protokollleiche weiterlebt.
08/2021