Die Frauen in der Dorfgesellschaft
Der Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1949 lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Ohne Wenn und Aber.
Mit der Umsetzung dieses Verfassungsauftrags ließ sich der Gesetzgeber aber Zeit. Auch Jahrzehnte später gab es noch viele Vorschriften, die diesem Gebot widersprachen. Ein paar Beispiele für viele: Bis 1958 konnte der Ehemann seiner Frau eine Berufstätigkeit untersagen. Erst seit 1977 kann der Geburtsname der Ehefrau auch Familienname werden. Erst seit 1980 haben Frauen bei gleicher Arbeit Anspruch auf gleiche Bezahlung.
Im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben hinken wir oft heute noch bei der Chancengleichheit für Frauen hinterher. Auch in unserem nächsten Lebensumfeld im Dorf lässt sich nachvollziehen, wie schwer es war und teilweise immer noch ist, sich von alten Denkmustern zu verabschieden.
Politische Teilhabe
Man kann noch weiter zurückgehen als zur Geburtsstunde des Grundgesetzes. Seit 1919 dürfen Frauen bei den Gemeindewahlen ihre Stimme abgeben und können auch gewählt werden. Im Gemeinderat von Güntersleben blieben aber die Männer unter sich und das noch für die nächsten fast 60 Jahre.
Auch die Verwaltungsgeschäfte im Rathaus waren Männersache. 1937 erklärte sich eine Frau bereit, den Gemeindediener bei Krankheit zu vertreten. Der Bürgermeister lehnte ab, weil „es doch unmöglich ist, einer Frau einen solchen Vertrauensposten – wenn auch nur zeitweise – zu übertragen.“ Fünf Jahre später, als im Krieg die Männer fehlten, sah er kein Problem mehr, eine Frau für Botengänge einzustellen. Sie schien ihm dafür sogar „gut geeignet.“ Im Verlauf des Krieges waren dann noch weitere Frauen als Sachbearbeiterinnen im Rathaus tätig. Aber nur so lange, bis nach dem Krieg wieder genügend Männer da waren. Dann wurden ihre Dienste nicht mehr gebraucht. Das änderte sich erst 1961 wieder mit der Einstellung einer weiblichen Nachwuchskraft. Seit 1975 besetzen überwiegend Frauen die Arbeitsplätze im Rathaus.
Bei den Wahlen zum Gemeinderat hatten zum ersten Mal 1948 – und dann wieder 1952 und 1972 – einzelne Frauen den Mut, sich um ein Mandat zu bewerben. Man liegt nicht falsch, wenn man von einem Anstoß von außen spricht, denn alle Bewerberinnen waren nicht in Güntersleben geboren und aufgewachsen. Sie waren damit nicht den traditionellen dörflichen Denkmustern verhaftet, wonach man sich als Frau aus dem öffentlichen Leben heraushält. Allerdings sorgten die Vorbehalte der Alteingesessenen gegen die „Zugezogenen“ dafür, dass sie nicht die notwendigen Stimmen bekamen, um in den Gemeinderat einzuziehen.
Bei der Vorbereitung der Gemeinderatswahl 1978 dämmerte dann den beiden politischen Gruppierungen, die Wahlvorschläge einreichten, dass es doch nicht mehr ganz zeitgemäß war, nur Männer zu nominieren. So standen auf den Listen der CSU und der SPD mit jeweils 28 Namen auch fünf Frauen, jeweils eine prominent platziert. Die beiden, Renate Graf bei der CSU und Erne Odoj bei der SPD, wurden dann auch in den Gemeinderat gewählt.
Ob sich die Parteistrategen bei der Aufstellung ihrer Listen von der Überzeugung leiten ließen, dass der Sachverstand von Frauen die Arbeit im Gemeinderat bereichern werde, oder ob sie sich nur einen moderneren Anstrich geben wollten, sollte man aber besser nicht hinterfragen. Als es um die Besetzung der Ausschüsse im Gemeinderat ging, schickten die Fraktionen in den Finanzausschuss, den Bauausschuss und den Landwirtschaftsausschuss, die als die wichtigeren galten, ihre Männer. Die beiden Frauen sah man im Kulturausschuss besser aufgehoben.
Anders als heute wurden Wahlversammlungen bis dahin in aller Regel nur von Männern besucht. Gleiches lässt sich von den Bürgerversammlungen sagen, so dass der Bürgermeister seit den 1970er Jahren Anlass sah, bei den öffentlichen Ankündigungen eigens darauf hinzuweisen, dass auch die Frauen eingeladen seien. Wie beim Besuch eines Gasthauses war die Hemmschwelle für Frauen, ohne männliche Begleitung auf Veranstaltungen zu gehen, auch um diese Zeit noch immer groß.
Es blieb nicht bei den zwei Frauen im Gemeinderat, zumal diese nicht daran dachten, sich auf eine Rolle als Alibifrauen zu beschränken, als die sie von denen gesehen wurden, die sich Frauen in öffentlichen Positionen immer noch schwer vorstellen konnten. 1984 fielen vier von den seither 16 Sitzen im Gemeinderat an Frauen und seit 1990 sitzen fünf oder sechs, für mehrere Jahre sogar sieben, Frauen in der Ratsrunde. Ganz wurde damit eine zahlenmäßige Parität bisher noch nicht erreicht. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass es – neben der zunehmenden Schwierigkeit, überhaupt genügend Interessierte für ein Gemeinderatsmandat zu finden – nach wie vor noch schwerer fällt, Frauen dafür zu gewinnen. 2017 bewarb sich mit Klara Schömig zum ersten Mal eine Frau für das Amt als Bürgermeister(in) und wurde für die nachfolgenden sechs Jahre auch gewählt. Bleibt die Frage, inwieweit Frauen in öffentlichen Ämtern kritischer betrachtet werden als Männer, denen man manches eher durchgehen lässt. Doch das wäre nochmals ein eigenes Thema.
Frauen in den Vereinen und im gesellschaftlichen Leben
Kinder, Kirche, Küche. Die drei K standen für die Rolle der Frauen nach der herkömmlichen Ordnung, die auch im Dorf der 1950er und 1960er Jahre und darüber hinaus als Leitbild diente. Wie lange es dauerte, bis sich daran etwas änderte, lässt sich an den Günterslebener Vereinen aufzeigen.
Einem Verein beizutreten, war lange Zeit den Männern vorbehalten, auch wenn das nicht ausdrücklich in der Satzung festgeschrieben war, wie noch bis 1970 bei der Kolpingsfamilie. Auch die Eigenheimer waren bei ihrer Gründung 1963 erst einmal ein reiner Männerclub.
Ganz ohne Frauen ließ sich das Vereinsleben freilich auch früher nicht gestalten. Bei der Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen, bei Tanzvergnügen oder Theateraufführungen oder als Ehrendamen bei Jubiläen waren sie schon gefragt. Die Frauen als Begleiterinnen der Männer, die die Richtung vorgaben, dieses Bild stand wohl auch noch in den beginnenden 1980er Jahren Pate, wenn in der Einladung zur Bürgerversammlung die Bürger aufgefordert wurden, doch auch „ihre Frauen mitzubringen“.
Wo es mit der Aufnahme von Frauen nur langsam voranging und diese – wie teilweise bis heute noch – in der Minderzahl sind, muss man auch lange suchen, bis man Frauen in Vorstandsfunktionen findet. Die Concordia, die schon 1954 eine Frau als Schriftführerin berief, stand damit lange alleine auf weiter Flur. Der sehr viel größere TSV, dessen Vorläuferverein, die Turngemeinde, schon 1933 eine Frauenriege auf Sportfeste schickte, zog erst zehn Jahre später nach, als er 1964 auch eine Schriftführerin bestellte, allerdings nur für ein Jahr. Bis es die ersten Frauen ganz nach oben schafften, dauerte es noch weitere Jahre. Die ersten weiblichen Vereinsvorsitzenden waren 1970 Rosl Bauer bei der Arbeiterwohlfahrt und 1977 Juliane Amthor bei der Kolpingsfamilie. Heute haben bei sechs der rund zwei Dutzend Vereine, Parteien und weiteren kulturellen und gesellschaftlichen Organisationen in Güntersleben Frauen den Vorsitz inne.
Weitere Beispiele für den gesellschaftlichen Wandel bei der Rolle der Frauen im Dorf zu finden, fällt nicht schwer. Bei der Schule wehrte sich die Gemeindeobrigkeit vor 100 Jahren noch vehement, aber am Ende erfolglos, gegen weibliche Lehrkräfte. Standen bis 1967 immer noch in der Mehrzahl Lehrer vor den Klassen, so unterrichten seither überwiegend oder nahezu ausschließlich Lehrerinnen. Für die Mitglieder der Musikkapelle gehörte nach landläufiger Meinung Trinkfestigkeit zur Grundausstattung und war daher bis in die jüngere Vergangenheit nur etwas für gestandene Männer. Mit der Aufnahme der ersten Nachwuchsmusikerinnen um die Mitte der 1970er wandelte sich dann aber die Kapelle immer mehr zu der gemischt besetzten Formation, die uns heute ganz selbstverständlich erscheint. Zur Feuerwehr dürfen Frauen nach einer entsprechenden Gesetzesänderung erst seit 1966. In Güntersleben traten 1998 die ersten Frauen in die neu eingeführte Ersthelfergruppe der First Responder und werden seit 2016 auch für die Brandbekämpfung ausgebildet.
Noch länger brauchte der Gesetzgeber, um dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes bei den Feldgeschworenen nachzukommen. Erst seit 1981 dürfen Frauen dieses Ehrenamt ausüben. Ob es an der mitunter auch kräftezehrenden Tätigkeit oder dem Beharren auf der jahrhundertealten Tradition liegt, dass man unter den etwa 25.000 Feldgeschworenen in ganz Bayern immer noch erst etwa 50 Frauen findet? In Güntersleben sind es wie eh und je Männer, die als Siebener über die Grundstücksgrenzen wachen. Von Frauen, die in ihre Fußstapfen treten möchten, hat man hier noch nichts gehört.
In der Kirche, genauer gesagt in der Kath. Kirche, sind der Verwirklichung der vollen Gleichberechtigung durch zentrale Vorgaben aus Rom nach wie vor enge Grenzen gesetzt. Zwar sind, in Güntersleben seit Mitte der 1990er Jahre, inzwischen auch Ministrantinnen und noch etwas länger schon Lektorinnen, Kommunionhelferinnen und Frauen in anderen Funktionen zugelassen. Engagierten Kirchenmitgliedern reicht das aber noch lange nicht.
Es gibt noch Nachholbedarf
Auf dem langen Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe der Frauen am gesellschaftlichen Leben im Dorf hat es fraglos große Fortschritte gegeben, gerade auch in den letzten 50 bis 60 Jahren. Niemand wird heute mehr ernstlich behaupten wollen, dass das Auftreten in der Öffentlichkeit vorrangig den Männern gebührt. Aber es gibt auch noch Nachholbedarf, wie schon der Blick in die allmonatlich ins Haus gelieferte Dorfzeitung zeigt. So manche Beiträge und die darin verwendeten Formulierungen verraten, dass sich die alten Denkmuster noch nicht so ganz aus allen Köpfen verabschiedet haben.
Zufällig herausgegriffene Beispiele aus verschiedenen Ausgaben von 2024 belegen das. Einem Bericht über den Adventsnachmittag der Gemeinde zufolge waren nur Senioren anwesend, obwohl erfahrungsgemäß regelmäßig mehr Frauen die Veranstaltung besuchen. Auch zur Gemeinderatssitzung kommen, wenn man dem Berichterstatter glaubt, nur Gemeinderäte und Besucher. Die Landesanstalt bietet ihre Kurse nur für Gästeführer an. Sind Frauen auf den Wertstoffhöfen nicht so gern gesehen, weil nur Bürgern die Öffnungszeiten mitgeteilt werden? Werden für einen Wahlsonntag deshalb nur Wahlhelfer gesucht, weil sich Helferinnen auch unaufgefordert melden? Für eine längere Wanderung wurde vorsorglich ein Shuttleservice geordert, aber nur für nicht so starke Läufer – weil Frauen bekanntlich stark sind und solches nicht brauchen? So könnte man diese Blütenlese noch eine Weile fortsetzen.
Wer es – was man verstehen kann – nicht so hat mit Gendersternchen oder anderen Formen geschlechtsneutraler Bezeichnungen wie MitarbeiterInnen, Teilnehmer/innen, Senior*innen oder Läufer:innen, der sei darauf hingewiesen: Es gibt viele andere Möglichkeiten, die doch inzwischen aus der Zeit gefallene Einengung auf die männliche Form zu vermeiden. Auch dafür findet man gute Beispiele in der Dorfzeitung. Und wer gleich gar nichts von dem ganzen „überspannten Getue“ hält, der übersieht eines: Wie wir reden und schreiben, so denken wir – und Sprache bildet Bewusstsein.
09/2024