Alles wird gebraucht – Schulkinder sammeln für den Krieg
Heute wie früher geht es in Krisenzeiten und noch mehr im Krieg darum, sich mit allem Notwendigen möglichst aus dem eigenen Land zu versorgen. Das war auch im Dritten Reich ein wichtiger Aspekt bei der Kriegsvorbereitung. Deswegen galt zum Beispiel auch der Landwirtschaft das besondere Interesse.
Manches, was man sich dabei einfallen ließ, wirkt aus heutiger Sicht eher skurril. So sollten die Bauern Maulbeerbäume für die Zucht von Seidenraupen anpflanzen, woraus aber in Güntersleben nichts wurde. Eine Kükenaufzuchtstation in staatlichem Auftrag wurde aber schon von einer Bauernfamilie ein paar Jahre betrieben.
Heilkräutersammlungen
Auch die Schule durfte nicht abseitsstehen. So erreichte im Mai 1939 den Schulleiter in Güntersleben ein Aufruf des Mainfränkischen Lehrerbundes, in dem es hieß: „Deutschland bezieht immer noch den größten Teil seines Bedarfs an Heilpflanzen aus dem Ausland. Devisen werden geopfert, die wir zur Stärkung der Wirtschaftskraft benötigen.“ Die Jugend solle daher zum Sammeln aufgefordert werden, mit dem Hinweis, dass es sich dabei um eine vaterländische Pflicht handle.
Weil totalitäre Regime nichts dem Zufall überlassen wollen, wurde auch gleich eine Handlungsanweisung mitgeliefert. Auf einer Liste war aufgeführt, was ein Schulkind in 2 Stunden sammeln, säubern und trocknen könne. Nämlich: 350 g Kamillenblüten oder 120 g Klatschmohnblüten oder 110 g Kornblumenblüten oder 6000 g Birkenblätter oder 1500 g Brombeerblätter oder 2000 g Huflattichblätter oder 120 g Ritterspornblüten oder 5000 g Schafgarbenblüten oder 1000 Walderdbeerblätter oder 1750 g Waldhimbeerblätter oder 2 kg Hagebutten oder 150 g Wacholderbeeren.
Ein paar Wochen später kam im August 1939 eine Anweisung des Bezirksschulrates, dass wöchentlich mindestens zwei Sammeltage anzusetzen seien. Wie die Volksschule Güntersleben berichten konnte, beteiligten sich von ihren 260 Schülerinnen und Schülern immerhin 195 an den Sammlungen. Was dabei zusammenkam, erfahren wir allerdings nicht.
Dafür haben wir aus dem Jahr 1941 die Quittungen der Sammelstelle in Würzburg. An die lieferte die Günterslebener Schule, was an vier Sammelterminen zwischen Juni und August von den Schülerinnen und Schülern mitgebracht wurde. In der Summe waren das: 8 kg Schlehdornenblüten – 1 kg Gänseblümchen – 900 gr Schlüsselblumen – 9 kg Brombeerblätter – 17 kg Taubnesselkraut – 26,4 kg Huflattich – 4,5 kg Stiefmütterchen – 4 kg Spitzwegerich – 3,5 kg Walderdbeerblätter – 48,2 kg Johanniskraut – 8,5 kg Breitwegerich – 9,5 kg Himbeerblätter. Für all das gab es eine Vergütung von 66,71 Mark, die in die Schulkasse floss.
1942 waren im Vergleichszeitraum wieder 4 Sammeltermine. Der Erlös für die Schule steigerte sich auf 75,48 Mark.
Besonders hervorgetan hat sich die Günterslebener Schule damit nicht. In einem Rundschreiben der Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzen im Gau Mainfranken vom August 1942 wurde als Vorbild eine namentlich nicht genannte Schule herausgestellt, bei der 120 Schüler Heilpflanzen für 324 Mark gesammelt hatten. Das war aber offenbar eine rühmliche Ausnahme. Insgesamt entspreche das Ergebnis im Gau „in keiner Weise den Anforderungen.“ In den kommenden Wochen sei deshalb noch einmal besonderer Einsatz notwendig, „damit wir nicht wie im letzten Jahr in der Reichswertung an letzter Stelle stehen.“
Auch die Schule in Güntersleben raffte sich daraufhin im Oktober noch einmal zu einer Sammlung auf. Allerdings mit mäßigem Ergebnis. Die abgelieferten Heilpflanzen erbrachten nur einen Erlös von 4 Mark und 12 Pfennigen.
Im folgenden Frühjahr 1943 sammelten die Schülerinnen und Schüler Bucheckern: 45 Kilogramm. Der 14-jährige Schüler Gottfried Mack musste mit weiteren Mitschülern den fast einen Zentner schweren Sack nach Würzburg schaffen. Ihre Auslagen für den Transport beliefen sich auf 7 Mark 50. Damit war schon wieder ein schöner Teil von den 22 Mark 40 weg, die dafür gezahlt wurden.
Ansonsten kam auch 1943 und 1944 kaum mehr als in den Jahren vorher zusammen. Neu war aber, dass jetzt einzeln für jede Schülerin und jeden Schüler aufgezeichnet wurde, was sie in die Schule mitbrachten. So sammelte zum Beispiel Wilfried Straus, damals in der 3. Klasse, 1943 das Jahr über 310 Gramm Breitwegerich, 375 Gramm Huflattich, 13 Gramm Taubnessel, 150 Gramm Gänserich und 900 Gramm Wiesensalbei.
Die letzten Aufzeichnungen über eine Sammlung sind vom Juli 1944. Vermutlich war es dann damit vorbei, weil man wohl gemerkt hatte, dass auch mit Heilkräutersammlungen das Vaterland nicht mehr zu retten war.
Sammlungen von Knochen, Altpapier, Metallfolien, Tuben, Flaschenkapseln
Nicht nur Heilkräuter musste die Schule sammeln. In einem Rundschreiben des Schulamtes vom April 1940 wurde bestimmt: „Die Schüler bringen folgende Alt- und Abfallstoffe aus der elterlichen und der benachbarten Haushaltung, in der ein schulpflichtiges Kind nicht vorhanden ist, in die Schule zur Ablieferung mit: a) täglich die Zeitung, b) Stoffreste, unbrauchbare Kleider, c) Eisen- und Metallteile, d) Flaschenkapseln, Folien und Tuben, e) Korken.“ Damit auch allen klar war, worum es ging, hieß es in dem Rundschreiben abschließend: „Die Sammlung ist Kriegsdienst!“
Alle 14 Tage wurden die gesammelten Gegenstände von einer Sammelstelle in Versbach abgeholt. Das waren zum Beispiel im Juni 1940: 125 kg Lumpen und Scheuerlappen – 60 kg Papier – 1 kg Blech – 25 kg Knochen – 5 kg Korken. Dafür bekam die Schule 9 Mark 62 vergütet.
Dem Schulamt war das zu wenig. Und so legte es im Juni 1941 Mindestmengen fest, die jede Schule abzuliefern hatte. Für Güntersleben waren das monatlich: 91 kg Knochen – 45 kg Lumpen – 546 kg Papier.
Um nicht den Eindruck mangelnden Einsatzes aufkommen zu lassen, erinnerte der Schulleiter im November 1941 seine Lehrkräfte in einer schriftlichen Anweisung noch einmal daran, dass in jeder Klasse Knochen gesammelt werden mussten und dass die Kinder anzuhalten waren, laufend anfallende Knochen mitzubringen, auch aus den Nachbarhäusern.
Der Landrat forderte in einem eigens dafür verteilten Rundschreiben dazu auf, auch leere Zigarettenschachteln zu sammeln. Altpapier jeder Art sei ein wichtiger Rohstoff, der zur Herstellung von Verpackungsmitteln für Munition, Waffen, Nahrungsmitteln usw. dringend gebraucht werde.
Schließlich wurden auch noch Schweineborsten für die Herstellung von Pinseln und Polstern gesammelt. Viel scheint dabei aber nicht zusammengekommen zu sein, denn im Juli 1943 zahlte der Abholer der Schule nur 1,80 RM für das magere Sammelergebnis. Nach dem „sehr kleinen Posten“ dieses Jahres hoffe er aber, nach der Schlachtsaison im kommenden Frühjahr einen „großen Posten“ für die dringend benötigten Heereslieferungen abholen zu können. So schrieb er im November, ließ dann aber im Frühjahr die Schule in Güntersleben auf den Schweineborsten sitzen. So blieb den Lehrern nichts anderes übrig, als diese im April 1944 zur nächsten Sammelstelle nach Veitshöchheim schaffen zu lassen. Damit beauftragten sie zwei Schüler, denen sie dafür 2 Mark aus der Schulkasse zukommen ließen. Ob da für die Schule vom Erlös noch etwas blieb?
11/2024