Vier Wirtshäuser für 1200 Einwohner
„Da ein Bedürfnis nach einer fünften Wirtschaft nicht gegeben ist, wird das Gesuch abgewiesen.“ Nach diesem Bescheid vom Januar 1903 aus dem Günterslebener Rathaus musste sich der 23-jährige Bauernsohn Sebastian Stieber von seinem Traum von einer Karriere als Gastwirt verabschieden. Unter der heute geltenden Gewerbefreiheit wäre eine solche Ablehnung jetzt zwar nicht mehr möglich. Im Blick auf die damaligen Gegebenheiten erscheint sie aber durchaus verständlich und bewahrte den Antragsteller möglicherweise vor einer teuren Fehlinvestition.
Denn mit vier Wirtshäusern für die knapp 1200 Einwohner war Güntersleben, vor allem auch im Vergleich zu heute, gastronomisch außerordentlich gut versorgt. Die Gasthäuser „Zum Hirschen“ in der Ortsmitte, „Zur Krone“ an der Rimparer Straße, „Zum Engel“ in der Würzburger Straße und „Zum Schönbrunnen“ bei der Kirche waren schon vom äußeren Anblick das Ortsbild prägende Gebäude. Alle hatten sie über den Gasträumen im Obergeschoss einen für damalige Verhältnisse großen Saal für Veranstaltungen aller Art.
Auffällig ist, dass fast alle Wirte, die früher hier im Gastgewerbe erfolgreich waren, aus Nachbarorten stammten: Aus Rimpar, Gramschatz, Margetshöchheim, Leinach und anderen. Sie zeigten den Günterslebenern, wie man mit unternehmerischem Mut und Geschick zu Wohlstand kommen konnte. Trotz der großen Konkurrenz für vergleichsweise wenige Einwohner verdienten die Wirte in ihren Glanzzeiten gut und scheuten sich auch nicht, das nach außen zu zeigen.
Die Hirschenwirtschaft
In der ältesten Ortsbeschreibung von 1594 ist als eine von fünf öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde noch vor der Schule, der Gemeindeschmiede, dem Hirtenhaus und der Mühle die „Gemeindeschenkstatt unten im Dorf“ aufgeführt. Es gab sie also schon lange, bevor 1731 die Gemeinde ihr erstes Rathaus baute. „Unten im Dorf“ bedeutete im heutigen Altort beim Kettenbrunnen. Die Schänke brauchte die Gemeinde, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, den fürstbischöflichen Beamten bei ihren Visiten oder auf dem Weg zur Jagd im Gramschatzer Wald „Atzung und Lager“ zu geben, also diese unterzubringen und zu verpflegen. Zudem war die Schänke der einzige Versammlungsraum außer der Kirche im Dorf.
Die Gemeinde „verlieh“ ihre Schenkstatt oder Schänke in der Regel immer für drei Jahre an wechselnde Wirte, die meist von auswärts kamen. In unserem heutigen Sinne handelte es sich um eine Verpachtung, für die eine am Ertrag orientierte Abgabe an die Gemeinde zu zahlen war. Nach Ablauf seiner Vertragszeit zog der Wirt meist weiter, um anderswo sein Glück zu versuchen, es sei denn die Gemeinde verlängerte, weil sie mit der Höhe der Abgabe zufrieden war.
So war es auch bei Johann Mack aus Burgebrach, dem Stammvater der heutigen Träger des Namens Mack. Er übernahm seit 1701 immer wieder für mehrere Jahre die Gemeindeschänke und arbeitete 1710 für einige Zeit gleichzeitig auch als Gemeindeschmied. Wenig später verkaufte ihm die Gemeinde ihre Schänke, die damit zum ersten privat betriebenen Wirtshaus in Güntersleben wurde. Seit 1722 führte es den Namen „Gasthaus zum Hirschen“.
1769 kaufte Valentin Schömig, Sohn des Schultheißen von Rimpar, das Gasthaus, das nachfolgend über fünf Generationen im Besitz der Familie blieb. 1902 wurde es bei einem Großbrand völlig eingeäschert, aber 1907 an gleicher Stelle wieder so neu aufgebaut, wie wir es bis heute kennen. 1969 schloss der letzte Wirt aus der Familie Schömig das Gasthaus. Zehn Jahre später öffnete es nochmals unter einem neuen Eigentümer. Unter dessen Nachfolger wurden 1995 aus dem Hirschen die Frankenstuben, bevor im Jahr 2000 endgültig Schluss war.
Seit 2001 befinden sich in dem geschichtsträchtigen Bauwerk die Arztpraxen Dres. Schrenker. An die jahrhundertelange Tradition als Gemeindeschänke und Gasthaus erinnert noch der golden glänzende Ausleger mit dem Hirschen hoch über der Straße-
Die Engelwirtschaft an der Langgasse
1795 bekam der Hirschen Konkurrenz. Schräg gegenüber eröffnete Johann Höfer auf seinem Anwesen an der Langgasse ein Wirtshaus, das er aber nur wenige Jahre selbst betrieb und 1802 an Johann Fritz aus Gramschatz verkaufte. Nach einem Neubau an gleicher Stelle führte es den Namen Gasthaus zum Engel oder kurz Engelwirtschaft. Der Inhaber Johann Fritz war im Dorf der Engelwirt.
Ein paar Jahre nach dem Tod von Johann Fritz und offenbar wenig erfolgreichen Versuchen seiner Nachkommen, in seine Fußstapfen zu treten, übernahm 1835 der Besitzer des benachbarten Bauernhofes Michael Christ das Wirtshaus und gab ihm als Zeichen für den Neuanfang den neuen Namen „Gasthaus zum Schönbrunnen“. Doch der Erfolg war auch hier nicht von Dauer. Nach seiner Wahl zum Ortsvorsteher verkaufte Christ das Wirtshaus an einen Lehrersohn, der damit aber auch nicht glücklich wurde. Die Besitzer wechselten in rascher Folge und nachdem einer der letzten Wirte 1868 vor seinen Schulden nach Amerika geflohen war, fiel das Anwesen an einen Würzburger Brauereibesitzer, vermutlich verpfändet wegen nicht bezahlter Bierlieferungen.
Nachdem der neue Eigentümer vergeblich versucht hatte, für die Fortführung des abgewirtschafteten Hauses einen Interessenten zu finden, schenkte er es 1873 dem Pfarrer von Güntersleben, der darin die erste Kinderbewahranstalt im Dorf einrichtete. 1887 übernahm die Gemeinde das Haus und ersetzte es durch ein größeres Gebäude für eine Kinderbewahranstalt und dazu einem Schulsaal für die unteren Klassen. 2018 wurde das im dörflichen Sprachgebrauch als „Alte Anstalt“ bekannte Gebäude abgebrochen und an seine Stelle das Ärztehaus gebaut.
Die Krone in der Rimparer Straße
Der Schönbrunnen an der Langgasse stand kurz vor dem Aus und auch ein „Gasthaus zum Weißen Lamm“, 1829 von dem Lehrersohn Simon Faulhaber eröffnet und ein beliebtes Tanzlokal, war nach 20 Jahren schon wieder verschwunden, da startete 1867 das „Gasthaus zur Krone“ seine Erfolgsgeschichte. In dem stattlichen Neubau, ebenfalls nahe der Ortsmitte an der heutigen Rimparer Straße, stand die ersten Jahre der Wirt und Metzger Adam Kuhn, gebürtig aus Burggrumbach, hinter der Theke. Er schaffte es, das neue Gasthaus in kurzer Zeit zum „ersten Haus am Platz“ zu machen. In der Krone tagten Jagdgesellschaften, gab es Tanzveranstaltungen mit renommierten Kapellen und kehrten zu Maternus oder zur Kirchweih Gäste aus der vornehmeren Würzburger Gesellschaft ein.
Doch der schnelle Erfolg und die Nähe zum Zapfhahn taten Adam Kuhn nicht gut. 1876 musste er das wegen seiner „Trunkenheit und in Folge dessen Liederlichkeit“ überschuldete Gasthaus verkaufen. Ein paar Jahre darauf setzte auch er sich nach Amerika ab.
Nacheinander versuchten sich mehrere Wirte, darunter ein ehemaliger Militärtrompeter und wieder ein Schömig aus Rimpar, bevor 1892 Christian Warmuth aus Oberleinach die Krone kaufte. Er werde bestrebt sein, seine „werthen Gäste nur gut zu bedienen und führe dementsprechend ganz vorzügliche Speisen und Getränke“, kündigte er in einer Zeitungsannonce zu seinem Einstand an. Und so war es dann wohl auch. Er baute ein neues Schlachthaus und legte angrenzend an das Gasthaus einen Wirtschaftsgarten an, unter dessen mächtigen Kastanienbäumen noch bis in die 1960er Jahre Besucher gerne verweilten. Auch nachdem sein Schwiegersohn Oskar Joßberger 1937 die Krone übernommen hatte, blieb das Gasthaus für die Dorfbevölkerung „der Warmuth“.
Als nur zwei Jahre nach Christian Warmuth 1954 auch Oskar Joßberger verstarb, verpachtete seine Witwe das Haus an Hermann Ansorge. Nach zehn erfolgreichen Jahren als Gastronom gab dieser die Wirtschaft samt dem Biergarten auf und führte nur noch die Metzgerei weiter, die sich auch heute noch, längst unter neuer Leitung, eines besten Rufes erfreut.
Das Gasthaus zum Engel in der Würzburger Straße
Am 3. Januar 1877 „beehrte“ sich der 65-jährige Büttner Peter Öhrlein aus Güntersleben, wohnhaft in der Würzburger Straße Hausnummer 5 (heute 8), per Zeitungsanzeige bekannt zu geben, dass er „seine mit allem Comfort neu eingerichtete Wirtschaft zum schwarzen Raben, vulgo schwarzer Peter, eröffnet habe“. Eigentlich lieh er dem neuen Lokal nur seinen Vornamen, denn die Konzession „zur Beherbergung von Fremden, Verabreichung von Speisen und zum Ausschank von geistigen Getränken, Kaffee und anderen warmen Getränken und Erfrischungen“ hatte sein Sohn Georg erhalten. Doch der verlor anscheinend schon nach wenigen Jahren die Lust und so erhielt das Wirtshaus 1884 einen neuen Besitzer und war spätestens jetzt das „Gasthaus zum Engel“. Es übernahm damit den Namen des früheren Wirtshauses an der Langgasse, hatte ansonsten zu diesem aber keinen Bezug.
Die Wirte wechselten auch hier in kurzer Folge und auch hier wanderte einer 1891 nach Amerika aus. Erst mit Jakob Merz, der 1904 aus Leinach zuzog, kam das Wirtshaus auf Dauer in feste Hände. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde 1939 der Betrieb eingestellt und im Saal ein Gefangenenlager eingerichtet. Nach Kriegsende öffnete es wieder, jetzt unter der Leitung von Ottilie Kuhn, der Tochter von Jakob Merz. Obwohl es seinen Namen behielt, sprach kein Günterslebener vom Gasthaus zum Engel, sondern trank sein Bier „bei der Tilli“. Fast bis zu ihrem 80. Lebensjahr bediente Ottilie, meist alleine, ihre Gäste, und hatte mit ihrer resoluten Art auch keine Mühe, sich Respekt zu verschaffen, wenn es nötig war. Als sie sich 1987 zurückzog, wurden auch die Türen ihres Gasthauses für immer geschlossen, das unter neuen Eigentümern und anderer Nutzung heute ein recht trauriges Erscheinungsbild abgibt.
Der Schönbrunnen bei der Kirche
Seit 1877 gab es am oberen Ausgang der Langgasse nach der Einmündung der Kirchgasse, ein Gasthaus, heute würde man es eher als Kneipe bezeichnen, geführt von wechselnden Wirten und dann von einem eigens dafür gegründeten Bierverein. Dessen Vorstand konnte 1891 das Schank- und Schildrecht, also auch den Namen, des nicht mehr bestehenden Gasthauses unten an der Langgasse ersteigern. So gab es jetzt das Gasthaus zum Schönbrunnen oben an der Langgasse.
Kurz vor der Jahrhundertwende kaufte Heinrich Joßberger aus Margetshöchheim den Schönbrunnen, um als Gastwirt und Bäcker seine Dienste anzubieten. Das kleine Lokal war ihm aber nicht genug und so richtete er 1902 an der Gramschatzer Straße auf einer Wiese, auf die später der TSV seine Turnhalle baute, einen Wirtschaftsgarten mit Kegelbahn ein. Schließlich ließ er 1910, angrenzend an Gasthaus und Bäckerei einen weitaus größeren Neubau für ein neues Gasthaus erstellen. Bei der Übertragung der Konzession auf den neuen Schönbrunnen bezifferte er seinen jährlichen Umsatz mit 450 hl Bier, 25 hl Wein und einen halben hl Branntwein. Die Gemeinde erhob „keine Erinnerung“ gegen den Betrieb der Schankwirtschaft, nachdem nicht zu befürchten sei, dass der Antragsteller und seine Ehefrau das Gewerbe „zur Förderung der Völlerei, des verbotenen Spieles, der Hehlerei oder der Unsittlichkeit mißbrauchen“ würden. Außerdem sei das Plakat: „Ausspucken auf den Boden, Mitnehmen von Hunden, Betasten der Lebensmittel ist verboten“ vorhanden, desgleichen Spucknäpfe.
Abgesehen von einer kurzzeitigen Verpachtung um 1960 wurde das Gasthaus mit angeschlossener Metzgerei auch über die nächsten Generationen von der Familie weitergeführt. 1990 stellten die letzten Wirtsleute Manfred und Magda Joßberger dann aber den öffentlichen Gaststättenbetrieb ein. Nach dem Verkauf des Anwesens im Jahr 2012 ist heute in dem Haus ein Friseursalon eingerichtet.
Neue Generation von Gaststätten
Mit der Schließung des Schönbrunnen endete die Geschichte der vier großen und traditionsreichen Gasthäuser, die Güntersleben seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hatte.
An eine Neugründung hatte sich über einen Zeitraum von fast 100 Jahren niemand herangewagt. Erst 1968 öffnete mit dem Gasthof Altenberg wieder ein neues Haus. Es folgten 1972 die Jahngaststätte, 1983 das Backstüble und 1999 der Korkenzieher.
Die früheren Gasthäuser waren noch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg auch gesellschaftliche Mittelpunkte des Dorfes als Vereinslokale und Versammlungsorte, mit Theatervorstellungen und Tanzveranstaltungen. Diese Aktivitäten haben sich mittlerweile auf andere Zentren wie die Festhalle, das Lagerhaus, das Kolpinghaus und Vereinsheime verlagert. Die neu entstandenen Gasthäuser beschränken sich daher weitestgehend auf ihr gastronomisches Angebot.
04/2025