Ab in die Tonne
Gefühlt fast täglich fahren die Entsorgungsfahrzeuge durch die Straßen von Güntersleben, um die schwarzen, braunen, gelben oder blauen Tonnen am Straßenrand zu leeren. Wieder andere fahren die Containerplätze an, um aus den meist gut gefüllten, manchmal auch überquellenden Glasbehältern das Altglas abzuholen. Mehrmals im Jahr werden Altpapier und Altkleider gesammelt. Und nicht nur an den Samstagen sind Autos, vollgepackt oder mit Anhänger, unterwegs zu einem der Wertstoffhöfe, um das loszuwerden, was nicht in die Tonne gehört. Wenn es um Wachstum geht, das Zauberwort aller Konjunkturpropheten, dann ist die Abfallwirtschaft ganz vorne dabei.
Eine öffentliche Abfallentsorgung gibt es in Güntersleben erst seit 1960. Bis dahin musste jeder Haushalt selbst schauen, wohin mit dem, was ausgedient hatte. Probleme hatten damit die wenigsten.
Wenig Abfall und einfache Entsorgung
Warum die Abfallentsorgung in ländlichen Gemeinden wie Güntersleben kaum Kopfzerbrechen bereitete, hat viele und vielerlei Gründe, von denen hier nur einige angeführt seien.
Was man für den täglichen Lebensunterhalt brauchte, kam oft vom eigenen Hof oder aus dem Garten. Alles Weitere kaufte man im Laden am Ort, nicht in Fertigpackungen aus den Regalen, sondern von der Verkäuferin in eine Papiertüte abgewogen oder abgezählt und über die Theke gereicht. Auch der bei Männern so beliebte Schnupftabak wurde nicht in Einwegbehältnissen gekauft, sondern in die mitgebrachte immer gleiche Dose abgefüllt. Milch gabs nicht in Tetrapaks, sondern wurde täglich frisch mit der mehr oder weniger verbeulten Kanne beim Bauern geholt. Wer Wein oder Most im Keller hatte, füllte seinen Krug am Fass. Damit konnten sich auch keine leeren Flaschen ansammeln. Keine Rede von Stapeln von Versandkartons, Kunststoffverpackungen und Füllstoffen für jedes Einzelteil, wie wir sie heute bald täglich nach Hause schaffen oder geliefert bekommen.
Wo heute selbst Möbel und Einrichtungen oft nur eine begrenzte Lebensdauer haben, bevor sie im Sperrmüll landen, wurden Kleider getragen und über die Generationen in der Familie weitergegeben, bis sie schließlich nur noch als Putzlappen zu gebrauchen waren. Waren Schuhe durchgelaufen, wurden sie vom Schuster neu besohlt, und das so oft, bis auch das Oberleder so zerschlissen war, dass auch er nicht mehr helfen konnte. Entsorgt wurden die Latschen dann als Brennmaterial im Küchenherd. Was dann aus dem Kamin kam, stank manchmal nicht nur den unmittelbaren Nachbarn gehörig. Solange aber der schwarze Rauch aus dem Kamin geradewegs nach oben zog und in den Wolken verschwand, war oder schien die Welt noch in Ordnung.
Obst und Konfitüren in Dosen oder Gläsern, aufwendig verpackte Süßigkeiten, Fertigprodukte, Gefriertruhen, Unterhaltungselektronik und vieles andere gab es nicht oder konnte und wollte man sich nicht leisten. Was kaputt ging, wurde nicht gleich weggeworfen, sondern repariert. Mit etwas Geschick konnte man das oft selbst.
Für Zeitungen brauchte es keine Sammlungen. Die fanden ihre Zweitverwertung auf dem Plumpsklo im Hof, fein säuberlich in handliche Quadrate geschnitten. Wo man sich diese Mühe nicht machte, hatte man erst noch Lesestoff, bevor das Blatt nach einem letzten Gebrauch in der Grube versank. Küchenabfälle und Essensreste, die bei sparsamer Haushaltung ohnehin nur in geringer Menge anfielen, landeten im Schweinetrog, an Knochen durfte der Hund seine Zähne erproben. Für andere organische Reste hatte man im Hof die Mistgrube.
Metall und andere verwertbare Reststoffe hob man für den „Lumpenmann“ auf, der regelmäßig mit seinem klapprigen Gefährt durch die Straßen zog und mit einer Schelle auf sich aufmerksam machte. Was der nicht mitnahm, das entsorgte man auf einer der versteckten Abfallhalden, die es rings um das Dorf hinter einer Hecke oder an einem Feldrain gab.
Das erste Müllauto
Der wirtschaftliche Aufschwung seit den 1950er Jahren mit einem reichhaltigeren Angebot an Waren und Gütern beflügelte auch den Konsum der Verbraucher. Altes wurde immer schneller ausgetauscht. Nicht zu Unrecht sprach man von der Wegwerfgesellschaft, die immer mehr Abfall produzierte, während gleichzeitig auch auf den Dörfern die Möglichkeiten zur eigenen Verwertung schwanden.
Damit nicht länger „an sämtlichen Wegrainen, Hecken und Waldrändern diese unschönen Unrathaufen abgelagert werden“, ließ die Gemeinde im August 1960 erst einmal zur Probe und danach jeden Monat ein Fahrzeug durch das Dorf fahren, um die häuslichen Abfälle einzusammeln. Nicht ein Müllauto mit geschlossenem Aufbau, wie wir es heute kennen, sondern den Lastwagen eines ortsansässigen Unternehmers, der sonst Baustoffe beförderte. Begleitet wurde er von zwei Gemeindearbeitern, die den Unrat auf die Ladefläche hievten. Keine Sache für empfindliche Nasen und mitunter auch eine staubige Angelegenheit, nachdem die offenen Sammelbehälter am Straßenrand so gut wie alles bis zu Ofenruß und Asche enthielten. Die Bevölkerung nahm den neuen Service gerne an, waren dafür doch nur 2 DM im Jahr von jeder Familie zu zahlen.
Die Gebühr konnte auch deshalb zunächst so niedrig gehalten werden, weil das Sammelgut nicht weit gefahren werden musste. Der unsortierte Abfall landete erst auf den vorhandenen Kippen, später dann in einer Grube auf dem Rimparer Berg, die beim Neubau der Kreisstraße entstanden war.
Die staubfreie Müllabfuhr
Bis 1968 wurde die Abfallentsorgung auf diese Weise gehandhabt, dann kam die staubfreie Müllabfuhr, wie man das damals nannte. Gemeint war, dass seitdem Mülltonnen, damals noch aus Blech, verpflichtend wurden und zweimal im Monat jetzt auch ein richtiges Müllauto kam, um die Tonnen zu leeren. Dazu war viermal im Jahr Sperrgutabfuhr für Gegenstände, die nicht in die Tonne passten. Mitgenommen wurde weiterhin alles ohne Sortierung. Und das für 16,20 DM im Jahr, die ein Haushalt beliebiger Größe jetzt zahlen musste.
Derweil füllte sich die Müllgrube am Rimparer Berg immer weiter und wäre schon viel eher übergequollen, wenn nicht angeblich Unbekannte hin und wieder ein Feuer gelegt hätten. Das wurde zwar regelmäßig von der Gemeinde mit scharfen Drohungen gerügt. In Wirklichkeit war man aber nicht ganz unglücklich darüber, dass auf diese Weise wieder Füllraum geschaffen wurde. Das ging so, bis der Müllplatz auf Weisung der Regierung 1977 geschlossen werden musste.
Abfall vermeiden und Müll trennen
Im gleichen Jahr ging die Zuständigkeit für die Abfallbeseitigung auf den Landkreis über. Die Gemeinden waren den gestiegenen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Nicht zuletzt, weil der Müll jetzt über weitere Strecken auf ordnungsgemäß hergerichtete und betriebene Deponien gebracht wurde, stiegen damit auch die Kosten von zuletzt 27 auf 48 DM im Jahr.
1984 ging das Würzburger Müllheizkraftwerk in Betrieb. Damit brachen neue Zeiten für die Müllentsorgung an. Nicht alles ließ sich verbrennen und vieles durfte nicht verbrannt werden. Vor allem Schadstoffe und Metalle hatten daher in der Mülltonne nichts mehr verloren. Der Übergang von der Abfallbeseitigung zur Abfallwirtschaft mit Müllvermeidung, Mülltrennung und steigenden Müllgebühren wurde zum Dauerthema im Gemeinderat und auf den Bürgerversammlungen.
Um der Bevölkerung das neue Thema Mülltrennung nahezubringen, beschäftigte der Landkreis für mehrere Jahre eine eigene Abfallberaterin, die landauf, landab für ihr Anliegen warb. Sie hatte es nicht immer leicht, Gehör zu finden, und machte es auch sich und ihrem Publikum Zuhörern nicht immer einfach. Als sie auf einer Bürgerversammlung in Güntersleben die Abfalltrennung bei Briefumschlägen erläuterte, aus deren Adressfeldern man die durchsichtigen Plastikfensterchen herauslösen und getrennt sammeln sollte, war die Heiterkeit im Saal nur noch mit Mühe zu unterbinden.
Es wirkte vieles zusammen, das zu einem veränderten Umgang mit dem Thema führte, das nicht allzu lange vorher noch keines war. Ein zunehmendes Umweltbewusstsein ebenso wie die Sorge, dass die Gebührenbelastung ins Uferlose steigen könnte. Innerhalb nur eines Jahrzehnts stieg die Jahresgebühr für eine 120 l-Tonne von 84 DM im Jahr 1990 auf über 400 DM im Jahr 2000 und im folgenden Jahr 2001 sogar auf 450 DM oder umgerechnet etwa 230 Euro, verursacht nicht zuletzt durch die Verbrennungskosten.
Wichtige Schritte, den Abfall, der zur Verbrennung kommt, zu verringern, und Wiederverwertbares gesondert zu erfassen, waren: 1990 die Aufstellung von Sammelcontainern – 1993 die Verteilung von gelben und blauen Säcken für Plastik und Verbundmaterial, mit dem Problem, dass diese an Sammeltagen mit stürmischem Wetter oft nicht mehr dort lagen, wo sie abgeholt werden sollten – 1994 die Einführung der Biotonnen – 1996 die Wertstoffsammelstelle am Fahrental, inzwischen abgelöst durch das flächendeckende Netz von Wertstoffhöfen im Landkreis – 2007 die Einführung der Blauen Tonne für Papier – 2020 die Ersetzung der gelben und blauen Säcke durch die Gelbe Tonne.
Mit der Übernahme der Abfallbeseitigung durch das Kommunalunternehmen im Jahr 2004 blieben die Gebühren über längere Zeit stabil oder waren sogar rückläufig. Nach der letzten Erhöhung liegen sie 2025 bei 358 Euro für die 120 l-Tonne und damit nahezu beim Zehnfachen des Jahres 1990.
Alles gut?
Nach einer phasenweise turbulenten Zeit mit ständigen Neuerungen, von denen manche schon vergessen sind, ist im Abfallgeschäft – heute tatsächlich ein auch wirtschaftlich bedeutendes Geschäftsfeld – auf der örtlichen Ebene Ruhe eingekehrt. Die Abläufe haben sich eingespielt. Vor jedem Haus oder in der Garage steht eine bunte Serie mit schwarzen, braunen, blauen und gelben Mülltonnen, die zuverlässig geleert werden. Dazu gibt es die Wertstoffhöfe in erreichbarer Nähe, die Containerstandplätze und die regelmäßigen Papier- und Altkleidersammlungen.
Wo alles so wohlgeordnet ist, ist das Thema Abfallvermeidung in den letzten Jahren erkennbar in den Hintergrund getreten. Gegen die Flut von Verpackungsmüll durch den Internethandel anzureden, wäre auch ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. In einer auf Konsum getrimmten Gesellschaft, in der stetes Wachstum für die Wirtschaft oberste Priorität hat, scheint das nicht in die Zeit zu passen.
12/2024