Wem gehört der Kirchturm und wem obliegt die Erhaltung?
Eigentümerin ist die Kirchengemeinde
Wie alle Bauwerke gehört der Kirchturm dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem er steht. Und das ist in diesem Fall die Katholische Kirchenstiftung Güntersleben, vereinfachend auch Pfarrei oder Kirchengemeinde genannt. Anders als bei den meisten Gebäuden ist aber beim Kirchturm nicht die Eigentümerin, sondern die Gemeinde Güntersleben für dessen Erhaltung und den Betrieb seiner Anlagen, also der Glocken und der Turmuhr, zuständig. Wenn man ergründen will, warum das so ist, muss man weit zurück in die Vergangenheit.
Keine Folge der Säkularisation
Naheliegend ist der Gedanke an die Säkularisation von 1803, als sich der Staat das Besitztum der aufgelösten Klöster und der geistlichen Fürsten aneignete und dafür zum großen Teil bis heute bestehende Verpflichtungen übernahm. In Güntersleben gingen in diesem Zusammenhang der Pfarrhof, die Zehntscheune sowie die Zehnt- und Grundrechte des aufgelösten Klosters St. Stephan auf den Staat über. Nachdem der Naturalzehnt abgeschafft war, musste 1831 die Gemeinde die Zehntscheune dem Staat abkaufen, um sie 1854, da auch sie keine Verwendung dafür hatte, an einen Bauern im Dorf weiterzuveräußern. Seit 1978 befindet sich dort, wo sie einst stand, eine Zweigstelle der Sparkasse Mainfranken, die aber inzwischen auch geschlossen ist. Den Pfarrhof, mit dem er auf Dauer auch nichts anfangen konnte, überließ der Staat 1867 der Kirchenstiftung, deren Eigentum er bis heute ist.
Der Kirchturm blieb ebenso wie die Kirche von den Auswirkungen der Säkularisation unberührt. Was hätte der Staat damit auch anfangen sollen? Dass er von der politischen Gemeinde zu unterhalten ist, hat weiter zurückreichende historische Gründe und hängt mit seiner Entstehungsgeschichte und ursprünglichen Zweckbestimmung zusammen.
Die Baugeschichte
Die Baugeschichte unseres Kirchturms beginnt mutmaßlich um das Jahr 1150. Aus dieser Zeit stammen seine ältesten Teile, die unteren Geschosse im romanischen Baustil. Gebaut wurden sie wohl als Wehr- und Wachturm innerhalb der Kirchenburg, die der damalige Dorfherr Lutold I. sich als Herrschaftssitz anlegen ließ. Vom Turm aus hatte man einen weiten Blick über das Dorf und seine Umgebung und konnte daher drohende Gefahren zeitig erkennen. Der Turm wurde früher gebaut als die Kirche. Vermutlich gab es zunächst nur den älteren Teil der Maternuskapelle unter dem Turm als Gebetsraum.
Die nächste größere Baumaßnahme am Kirchturm erfolgte 1602, als dieser um zwei Geschosse aufgestockt wurde und mit dem für die damalige Zeit typischen Spitzhelm seine heutige Gestalt erhielt. Die Planung und die Vergabe der Arbeiten lag in den Händen des fürstbischöflichen Amtes Arnstein, dem Güntersleben verwaltungsmäßig unterstellt war. Die Kosten sollten demnach zu zwei Dritteln die Gemeinde und zu einem Drittel das Kloster St. Stephan als Patronatsherr über Güntersleben tragen.
Allein aus der Verwendung des Begriffs Gemeinde lässt sich noch nicht ohne weiteres entnehmen, ob damit die Kirchengemeinde oder die politische Gemeinde gemeint war. Die entsprechende Abgrenzung und Unterscheidung kamen erst später. Als es aber nach Abschluss der Bauarbeiten zum Streit mit dem Kloster über die Verteilung der Kosten ging, traten als Verhandlungsführer für die Gemeinde nur die weltlichen Repräsentanten, der Schultheiß und das Dorfgericht, auf. Der Kirchenpfleger als Verwalter des Pfarreivermögens oder weitere Vertreter der Pfarrei traten nicht in Erscheinung. Daraus folgt schlüssig, dass die Pfarrgemeinde an der Aufstockung des Kirchturms nicht beteiligt war. Ignatius Gropp, von 1749 bis 1758 Pfarrer in Güntersleben und in Fachkreisen anerkannter Historiker, konnte daher in seinem „Protocollum“ zur Pfarrei- und Ortsgeschichte Güntersleben feststellen: Turm, Glocken und Uhr „gehen einzig die Gemeinde oder das Bürgermeister-Ambt an.“ So seien auch als letzte größere Maßnahme vor seiner Amtszeit 1738 die Kugel und das Kreuz auf der Turmspitze sowie der Uhrzeiger erneuert worden – „auf der gemeind Kösten allein.“
Auch bei allen seitherigen Arbeiten am Kirchturm bestand immer Einvernehmen darüber, dass diese in die Zuständigkeit der politischen Gemeinde fallen. So war das auch 1956, als zur Beseitigung von Kriegsschäden ein neuer Außenputz und eine Ausbesserung der Schiefereindeckung notwendig wurden, und 1967, als wiederum die Turmkugel und das Kreuz auf der Spitze erneuert werden mussten. Das zwei Meter hohe und 1,50 Meter breite Kreuz, das seitdem den Turm ziert, fertigte übrigens der viele Jahre dem Gemeinderat angehörende Schmiedemeister Rudolf Amthor.
Die Glocken
Schon bevor der Kirchturm 1602 aufgestockt wurde, war er mit drei Glocken ausgestattet. Die Glocken laden nach unserer heutigen Wahrnehmung zu Gottesdiensten ein oder erinnern an die herkömmlichen Gebetszeiten im Tagesverlauf. Lange Zeit dienten sie vorrangig und bis in die jüngere Vergangenheit auch profanen Zwecken. Solange die Menschen im Dorf noch keine Uhren im Haus und die Bauern auf den Feldern noch keine Taschen- oder Armbanduhren mit sich trugen, zeigten ihnen die Glocken an, wann es Zeit zum Aufstehen, zur Mittagspause oder für den Feierabend war. Mit den Glocken wurde zu Gemeindeversammlungen, zu Wahlen, zu Verpachtungs- und Versteigerungsterminen gerufen. Auch der Schulunterricht begann und endete mit dem Glockenzeichen vom Kirchturm.
War eine Person aus dem Ort spätabends oder in der Nacht noch nicht aus der Flur oder dem Wald zurückgekehrt und man musste fürchten, dass sie sich verlaufen hatte, setzte man die weithin hörbaren Glocken als Orientierungshilfe ein. Besonders wichtig waren sie zur Warnung vor Gefahren. Zog ein schweres Unwetter auf oder brach ein Brand aus, wurde „Sturm geläutet.“ Der Günterslebener Ortsvorsteher Michael Christ gab dazu in seiner Feuerlöschordnung von 1845 die näheren Anweisungen: „Den Brand verkündet das Läuten, wenn die Glocken einzeln, und abwechselnd, nur unter einzelnen Schlägen Laut geben. Die dazu bestimmten Ortsnachbarn haben sich dabei auf den Turm zu begeben, den Brand und die etwaige weitere Gefahr einzusehen, darauf nach ihrem Wahrnehmen so lange noch Gefahr drohet, mit dem Stürmen der Glocken fortzusetzen, und zwar je stärker der Brand, desto heftiger der Laut der Glocken, um dadurch die Einwohnerschaft zu tätigerem Löschen aufzumuntern.“ Dabei blieb es, bis 1959 die ersten Sirenen am Ort in Betrieb gesetzt wurden.
Die älteste Glocke im heute vierstimmigen Geläut ist die Maternusglocke. Sie wurde 1642 in Eußenheim gegossen und ist nach einer 1991 erfolgten Restaurierung nach wie vor uneingeschränkt funktionstüchtig. Alle anderen Glocken sind jüngeren Datums, beschafft als Ersatz oder Ergänzung zu Vorgängerinnen, die den harten Schlägen der Klöppel auf Dauer nicht gewachsen waren und zersprangen oder zum Einschmelzen für die Munitionsproduktion abgeliefert werden mussten. Im Ersten Weltkrieg musste dafür die größte Glocke vom Turm genommen werden; die Ersatzbeschaffung belastete die Gemeindekasse 1923 kurz vor dem Höhepunkt der Inflation mit fast 500.000 Mark. Zwanzig Jahre später endete im Zweiten Weltkrieg auch deren Weg in einer Munitionsfabrik. Die Maternusglocke, der das gleiche Schicksal drohte, wurde wenige Wochen nach Kriegsende unversehrt auf dem Würzburger Südbahnhof entdeckt und zurückgeholt. Als Ersatz für die verlorene große Glocke ließ man 1949 in Erding zwei neue gießen.
Für die Vertreter der Gemeinde war ihre Zuständigkeit für die Beschaffung und Erhaltung der Glocken so selbstverständlich, dass sie es verschiedentlich gar nicht für nötig erachteten, sich mit dem Pfarrer darüber abzustimmen. Als 1754 die Gemeinde den Umguss der zersprungenen kleinsten Glocke in Auftrag gab, beklagte sich P. Ignatius Gropp, die Gemeinde habe „dem Pfarrer nur Anzeige gemacht, aber nicht um Rat gefragt.“ Auch bei der Namensbestimmung als Andreasglocke setzte man sich über seine Vorstellungen hinweg.
Nicht viel anders war es 1949. Als der Bürgermeister bekundete, Ersatz für die im Krieg verlustig gegangen Glocke zu beschaffen, stieß dies auf den entschiedenen Widerstand des Pfarrers und der Kirchenverwaltung. Diese waren – verständlicherweise in Anbetracht der Kriegsschäden – der Meinung, es gäbe zum gegenwärtigen Zeitpunkt wichtigere Aufgaben als neue Glocken. Trotz des handfesten Streits, der sich daran entzündete, setzte sich der Bürgermeister über die Einwände hinweg, organisierte mit dem Gemeinderat eine Sammlung unter der Bevölkerung und bestellte statt einer gleich zwei neue Glocken. Als die jetzt vier Glocken an Ostern 1949 zum ersten Mal läuteten, hatte der Pfarrer, nicht zuletzt wegen des Glockenstreits, schon seinen Abschied genommen und sein Nachfolger war im Amt.
Bis zum Einbau elektrischer Antriebe im Jahr 1938 sorgte die Gemeinde auch für das Läuten, wählte die Bewerber für diesen Dienst aus und übernahm auch deren Entlohnung. Die letzten größeren Maßnahmen waren 1991 der Einbau eines neuen Glockenstuhls und eines neuen Treppenaufgangs im Turm.
Die Turmuhr
Die erste Nachricht über eine Uhr am Kirchturm von Güntersleben stammt aus dem Jahr 1730. Nachdem es dabei um eine Reparatur ging, gab es die Uhr offenbar schon länger. Bis 1747 wurden nur die vollen Stunden durch eine entsprechende Anzahl von Glockenschlägen angezeigt. Dann erfolgte die Umstellung auf den Viertel-Stunden-Schlag, wie wir ihn heute – inzwischen jedoch begrenzt auf die Tageszeit – noch kennen. P. Ignatius Gropp berichtet, dass er als Pfarrer von der durch die Gemeinde veranlassten Umstellung nur vom Hörensagen erfahren habe, um mit unverhohlener Schadenfreude anzuschließen, dass die Umstellung sehr viel mehr kostete als geplant und „mehr ein geflickter Handel als dauerhaftes werck“ gewesen sei und daher schon wenige Jahre mit großem Aufwand nachgebessert werden musste.
1914 ließ die Gemeinde die altersschwache Turmuhr durch eine neue ersetzen. Nach wie vor musste diese aber täglich von Hand aufgezogen werden, indem die schweren Gewichte mittels einer Kurbel hochgehievt wurden. Der letzte Uhraufzieher war Leo Schömig, der neben seinem Beruf als Fabrikarbeiter auch das Pumpwerk der gemeindlichen Wasserversorgung betreute. Für 10 Mark im Monat stieg er seit 1959 jeden Abend die vielen Stufen auf den morschen Treppen im Kirchturm hoch, um die Uhr aufzuziehen. Auch nach der längst überfälligen Erhöhung durch den Gemeinderat auf 50 Mark im Jahr 1980 war das immer noch ein mehr als bescheidenes Salär, mit dem sich nur ein großer Idealist zufriedengeben konnte. 1985 ließ die Gemeinde die mechanische Uhr durch ein elektrisches Uhrwerk ersetzen. Damit hatte sich auch dieser Dienst erledigt.
Nicht ungewöhnlich
Der Trennung der Bau- und Unterhaltslast vom Eigentum begegnet man gerade bei Kultusgebäuden häufig. Bei vielen Kirchen, Kirchtürmen oder Pfarrhäusern gibt es sie. Sie sind durchwegs durch die historische Entwicklung bedingt. Unterschiedlich im Umfang und in der Ausgestaltung sind die Verhältnisse aufgrund lückenhafter und mancherorts auch widersprüchlicher Quellenlage nicht überall so eindeutig und abschließend geklärt wie in Güntersleben. Auch wenn sich die Funktion der Gebäude und Anlagen mittlerweile von ihrer ehedem ausschließlich oder überwiegend profanen Zweckbestimmung auf den kultischen Bereich verlagert hat, behalten die über Jahrhunderte gefestigten Rechtsverhältnisse ihre Gültigkeit.
01/2025