Die Anfänge der Pfarrei Güntersleben
Zwei Kirchen und kein Pfarrer
Bevor Güntersleben eine eigenständige Pfarrei wurde, gehörte es als Filialort zu Veitshöchheim, das seinerseits seit 1096 ein Pfarrort des Würzburger Benediktinerklosters St. Stephan war. Die Patres, mit denen das Kloster die Pfarrstelle in Veitshöchheim besetzte, betreuten von dort aus auch Güntersleben, was bei den damaligen Straßenverhältnissen bei schlechter Witterung nicht immer ganz einfach war.
Güntersleben hatte da schon eine kleine Kirche, die Laurentius- oder Lorenzkapelle. Sie stand dort, wo heute die Festhalle steht. Der Laurenziweg erinnert an sie. In der Nachbarschaft der Kapelle befanden sich die ersten Häuser und Höfe von Güntersleben.
Es war wohl um das Jahr 1140, als der Abt des Klosters einen Mann mit Namen Lutold als Verwalter von Güntersleben einsetzte. Möglicherweise war es sein Schwager, dem er den Posten verschaffte, was für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich wäre. Lutold oder sein ihm nachfolgender gleichnamiger Sohn machte sich bald darauf an den Bau eines Herrschaftssitzes. Als strategisch günstigen Standort wählte er dafür einen Platz auf der nahe gelegenen Anhöhe, von wo man das Dorf und seine Umgebung gut überblicken konnte. Wo die heutige Pfarrkirche steht, ließ er eine Kirche bauen und mit einem geschlossenen Ring aus Mauern und aneinander gereihten Gebäuden, sogenannten Gaden umgeben. Die Anlage hatte damit den Charakter einer Kirchenburg, wie man sie in Franken häufiger findet. Außer den unteren Geschossen des Kirchturms ist davon heute allerdings nichts mehr erhalten.
Der Kirchenpatron Maternus und die Wallfahrt
Nach kaum einem Jahrhundert war es mit der Herrschaft von Lutold und seinen Nachkommen über Güntersleben vorbei. Über alle Zeiten geblieben ist aber bis heute der Kirchenpatron Maternus, den ihre Erbauer für die Kirche oder Kapelle, die es erst wohl eher war, im Zentrum der Kirchenburg vor rund 850 Jahren wählten. Es entzieht sich unserer Kenntnis, wie man in Güntersleben auf den Namen dieses oder der beiden namensgleichen und hierzulande kaum bekannten Bischöfe von Köln und Trier kam. Wir wissen auch nicht, was dazu führte, dass St. Maternus in Güntersleben über mehrere Jahrhunderte zu einem vielbesuchten Wallfahrtsziel wurde. Wenn die Ratschronik der Stadt Würzburg berichtet, dass am 15. September 1490 ungefähr 2500 Städter nach Güntersleben wallten, so muss diese Wallfahrt zu St. Maternus bei aller Skepsis gegenüber früheren Zahlenangaben doch eine gewisse Bedeutung gehabt haben.
Dass die Zahl der Pilger, die im Laufe des Jahres nach Güntersleben kamen, alles andere als klein gewesen sein kann und durch ihre Opfergaben auch einiges Geld im Dorf blieb, davon zeugt nicht zuletzt die Tatsache, dass man im Zeitalter der Gotik wohl um 1400 oder etwas früher an den Neubau einer größeren Kirche ging. Fertiggestellt und bis heute erhalten ist davon zwar nur der hohe Chor. In seiner mächtigen Erscheinung zeigt er aber, dass eine Kirche in einer Größe geplant war, die nie und nimmer allein für ein Dorf von damals wenigen Hunderten Einwohnern gedacht sein konnte.
Güntersleben wird eine eigenständige Pfarrei
Der wirtschaftliche Aufschwung durch die Wallfahrt mag auch dazu beigetragen haben, dass die Günterslebener sich ermutigt fühlten, an den Bischof wegen eines eigenen Pfarrers heranzutreten. Bischof Otto zeigte sich aufgeschlossen für das Anliegen. Mit Urkunde vom 16. Juli 1345 beendete er die Angliederung an Veitshöchheim und errichtete die Pfarrei Güntersleben. Für den weiteren Weg des Dorfes kann man diesen Vorgang in seiner Bedeutung kaum überschätzen, denn jetzt war Güntersleben in der Lage, seine Entwicklung in weit größerem Umfang als bisher selbst zu gestalten.
Wer einen eigenen Pfarrer haben wollte, musste für den eine Wohnung bereithalten und für ein hinreichendes Auskommen sorgen. Die Kirchenpfleger von Güntersleben sahen sich dazu in der Lage. Zu einem gewissen Teil sollten dazu auch die Opfergaben der Pilger dienen. Für den Einkommensverlust, den der Pfarrer von Veitshöchheim und seine Pfarrei durch den Wegfall ihres Filialortes hatten, mussten die Günterslebener einen Ausgleichsbetrag zahlen. Weil der vom Bischof festgesetzte Betrag dem Pfarrer von Veitshöchheim im Nachhinein zu niedrig erschien, musste in diesem Punkt später noch einmal nachgebessert werden. Auch damit hatte man in Güntersleben bei der damaligen wirtschaftlichen Lage kein Problem.
Wie für Veitshöchheim erhielt das Kloster St. Stephan auch für die neue Pfarrei Güntersleben das Recht, die Pfarrstelle jeweils mit einem Ordensangehörigen zu besetzen. Für das Kloster war das vor allem deshalb von Interesse, weil ihm als Gegenleistung der Zehnt von den Erträgen der Äcker, Weinberge und Gärten auf der Günterslebener Flur zustand.
Zur Pfarrkirche bestimmte der Bischof die Maternuskirche oben auf dem Berg. Der Pfarrer war aber gehalten, einmal in der Woche in der Lorenzkapelle hinten am Bach einen Gottesdienst zu halten.
Die Pilgerströme versiegen
An Aschermittwoch 1510 wandte sich der Schultheiß von Güntersleben mit einem inständigen Bittbrief an den Abt von St. Stephan und bat um eine Überbrückungshilfe, weil das Dorf durch ein großes Feuer zu „merklichem und verderblichem Schaden kommen.“ Näheres über das Ausmaß des Brandes ist nicht überliefert. Etwa um die Zeit kamen aber auch die Wallfahrten zu St. Maternus zum Erliegen, aus Gründen, die wir auch nicht kennen. Wahrscheinlich besteht zwischen beiden Vorgängen nur zeitlich ein Zusammenhang. Dass aber die Pfarrei durch das Ausbleiben der Pilger in große finanzielle Nöte kam, ist unübersehbar.
Der Weiterbau der Kirche wurde nach der Fertigstellung des hohen Chores gestoppt und durch ein im Verhältnis zu diesem viel zu kleines und schlecht gebautes Langhaus abgeschlossen. Für die einheimische Bevölkerung war das geringere Platzangebot noch jahrhundertelang ausreichend. Wegen der schlechten Bausubstanz mussten aber immer wieder Schäden am Langhaus repariert und ausgebessert werden. Erst 1902 wurde ein solideres Langhaus angebaut, das auch in seiner Größe zum Chor passte.
Die Lorenzkapelle wurde ungeachtet der fortgeltenden Verpflichtung aus der Gründungsurkunde der Pfarrei wohl wegen fehlender Mittel mehr und mehr vernachlässigt. Sie verfiel und war schließlich nur noch eine Ruine, deren Steine 1688 beim Neubau des Pfarrhofes verwendet wurden.
Unglücklicherweise kam hinzu, dass das Kloster 1503 mit Berthold Olhoff für die nächsten Jahrzehnte einen Pfarrer nach Güntersleben schickte, dem wenig am Erhalt des Kirchenvermögens gelegen war oder der damit schlicht überfordert war. Nach zeitgenössischen Berichten sei von ihm am Pfarrhaus, das nördlich von der Kirche stand, wo heute der Friedhof beginnt, „nichts gebessert, sondern zugesehen worden, dass das Pfarrhaus eingefallen und er im Keller hausgehalten“ habe. Die Bauern hätten „die Weingärten, Äcker und Wiesen, Gärten der Pfarrei um geringen Zins an sich gebracht, gebraucht und genossen, die Weingärten in Ellern geraten lassen und die Felder ausgesogen“. So wörtlich die Klagen, die beim Bischof eingingen.
Als Pfarrer Olhoff 1546 starb, schickte das Kloster nur für kurze Zeit nochmals einen Pfarrer. Dann fand sich niemand mehr, der bereit war, unter diesen Verhältnissen vor Ort die Pfarrstelle zu übernehmen. Die Dorfbewohner mussten sich damit begnügen, dass nur noch sporadisch ein Geistlicher zu akuten seelsorglichen Verrichtungen nach Güntersleben kam.
Der Bischof muss schlichten
Es war nicht das erste und blieb nicht das einzige Mal, dass die Günterslebener mit dem Kloster über Kreuz lagen. Doch dieses Mal war es besonders heftig. Als das Kloster 1565 endlich den Wiederaufbau des baufälligen und nicht mehr bewohnbaren Pfarrhauses in Angriff nahm, sollten die Bauern von Güntersleben dazu Frondienste leisten. Nachdem sie diese aber nicht im erwarteten Umfang leisteten, stellte das Kloster die Bauarbeiten ein, bevor das Dach gedeckt war. Vier Jahre ging nichts mehr voran und es war zu befürchten, dass das Haus „wiederum verfaulen und verfallen würde“.
Schließlich schickte der Bischof 1569 eine hochkarätig besetzte Vermittlungskommission nach Güntersleben, die eine Lösung herbeiführen sollte. Nach langwierigen mühsamen Verhandlungen gelang es, ein Einvernehmen herzustellen, das von beiden Seiten anscheinend aber nur widerwillig akzeptiert wurde. Den Günterslebenern blieb am Ende keine andere Wahl, als größere Beiträge zur Fertigstellung des Pfarrhauses zu leisten. Sie sollten „dazu bedenken, daß sie einen eigenen Pfarrherrn stets bei ihnen haben können, daß ihnen viel Gutes erfolge, deswegen sie demnach auch etwas dabei zu tun schuldig.“ So steht es im Vergleichsprotokoll.
Wie es scheint, haben sich alle Beteiligten an den ausgehandelten Kompromiss gehalten, so dass Güntersleben fortan wieder einen Geistlichen vom Kloster zugewiesen bekam, der als Pfarrer ständig am Ort war.
Von dem damals gebauten Pfarrhaus, um das so heftig gestritten wurde, ist nichts mehr zu sehen. Der heutige Pfarrhof wurde 1688 gebaut und zwar unter alleiniger Verantwortung des Klosters St. Stephan und offenbar auch ohne die unschönen Begleiterscheinungen wie beim Vorgängerbau.
09/2022