Die Orgeln der Maternuskirche

19. November 2022

Die Orgeln der Maternuskirche

 Am 14. November 2022 jährte sich zum 50. Mal der Tag, an dem zum ersten Mal die Orgel der St. Maternus-Pfarrkirche erklang. Als „Königin aller Musikinstrumente“, wie Orgeln in Anlehnung an ein Zitat von Wolfgang Amadeus Mozart gerne bezeichnet werden, versieht sie seit 1972 ihren Dienst in vielfältiger Weise: bei der Begleitung des gottesdienstlichen Gesangs, bei kirchlichen Feiern und Festen, bei wichtigen Wegmarken im Leben vom Willkommen bei der Taufe bis zum Abschied beim Trauergottesdienst. Soweit unsere Erkenntnisse reichen, ist sie in der zeitlichen Abfolge die vierte Orgel unserer Pfarrkirche.

Die Vorgängerorgeln

Orgeln in Kirchen kennt man in Deutschland etwa seit dem 13. Jahrhundert. Spätestens um 1700 gehörten sie wohl zur allgemein üblichen Ausstattung der meisten Gotteshäuser. Um diese Zeit dürfte auch Güntersleben schon dabei gewesen sein, denn aus dem Jahr 1724 erfahren wir, dass die – möglicherweise erste – Orgel der Maternuskirche abgebaut und nach Mühlhausen verkauft wurde.

Im gleichen Jahr 1724 erhielt die Kirche eine neue und wohl auch größere Orgel. Sie war ein Werk des Würzburger Hoforgelbauers Johann Philipp Seuffert. Finanziert wurde sie zum überwiegenden Teil von einem Mitglied des Günterslebener Dorfgerichts, der als Bauer einen größeren Hof, aber keine Nachkommen hatte. Die 200 Gulden, die er dafür stiftete, entsprachen dem Wert eines Anwesens mittlerer Größe und waren wohl die größte Einzelspende in der Geschichte Günterslebens. Die Pfarrei musste noch zwei Hektoliter Wein vom Jahrgang 1722 draufgeben, dann war das gute Stück bezahlt. Nahezu 180 Jahre erfüllte sie ihre Aufgabe.

Als 1902 die Pfarrkirche in großen Teilen neu gebaut und erweitert wurde, sollte auch eine größere Orgel her. Der Auftrag ging wieder an die bekannte Würzburger Orgelbauwerkstatt, die aber inzwischen mit einem neuen Inhaber unter dem Namen Schlimbach firmierte. Dieses Mal bezahlte die Gemeinde die Orgel, was herkömmlich eigentlich auch ihre Aufgabe war. Gleichwohl monierte die Aufsichtsbehörde, „dass es sehr wünschenswert wäre, wenn die Gemeinde bei anderen gleichwichtigen Projekten, z.B. Durchführung einer dringend nötigen Wasserleitung die gleiche Bereitwilligkeit an den Tag legen würde, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen.“ Den Herren Ratsmitgliedern war aber offenbar eine erbauliche Musik beim sonntäglichen Gottesdienst wichtiger. Ihre Frauen durften derweil noch weitere Jahre das Wasser aus den Dorfbrunnen nach Hause schleppen, bevor dann 1909 endlich auch die Wasserleitung in Betrieb ging.

Bis 1938 wurde der Luftstrom für die Orgelpfeifen durch einen Blasbalg erzeugt. Um dessen Hebel auf und ab zu bewegen, brauchte es das Körpergewicht eines ganzen Mannes. Der Blasbalgtreter, im amtlichen Sprachgebrauch als Kalkant bezeichnet, wurde von der Gemeinde angestellt und bezahlt. Mit der Elektrifizierung wurde dieser Dienst an der Orgel entbehrlich. Wenn allerdings unerwartet während eines Gottesdienstes der Strom ausfiel, was auch in den Jahrzehnten nach dem Krieg noch öfter vorkam, musste kurzfristig einer der Kirchenbesucher auf der Empore einspringen und den Hebel des Blasbalgs in Bewegung setzen, was mangels Übung nicht immer ohne störende Nebengeräusche gelang.

Die Steinmeyer-Orgel von 1972

Auch die heutige Orgel kommt aus einer ehemals bedeutenden Orgelbauerwerkstatt. Die Firma Steinmeyer im nordschwäbischen Oettingen baute in den 154 Jahren ihres Bestehens bis zu ihrer Betriebseinstellung im Jahr 2001 nahezu 2400 Orgeln, darunter die größte Kirchenorgel der Welt in Passau. Die 1972 für Güntersleben gebaute Orgel ist wie jede Orgel eine Einzelanfertigung, die in Abstimmung auf die Raumgröße, die akustischen Besonderheiten und die baulichen Gegebenheiten der Kirche eigens für diese konzipiert wurde. Sie verfügt über zwei Manuale und Pedal. Die 1326 Pfeifen, die von da bespielt werden können, verteilen sich auf 20 Register unterschiedlicher Bauart, die einzeln oder in Kombination miteinander für die Klangfülle und Klangvielfalt stehen, die Orgeln zu eigen ist. Die größte Orgelpfeife ist stattliche 2,70 Meter hoch, die kleinste misst nur 12 Millimeter.

104.000 DM kosteten 1972 die Anfertigung und der Einbau der Orgel. Für die Finanzierung kam dieses Mal die Pfarrgemeinde auf. Unterstützt wurde sie dabei von vielen großherzigen Spendern. 2004 wurde die Orgel für 23.000 Euro, also fast die halbe Summe der Anschaffungskosten, von Grund auf überholt.

Die Orgel schlagen war Lehrersache

Es war wohl ein Lehrer, dem man auf einem Dorf in Tirol die Grabinschrift widmete: „Hier liegt Martin Krug, der Kinder, Weib und Orgel schlug.“ Wie überall in den Dörfern waren es auch bei uns die Lehrer, die beim Gottesdienst die Orgel spielten oder schlugen, wie man früher zu sagen pflegte.

Schon bevor es eine geregelte Lehrerausbildung gab, wurde von den Schulmeistern erwartet, dass sie mit der Orgel umgehen konnten, wie geschickt auch immer. Als dann 1771 in Würzburg ein Schullehrerseminar eingerichtet wurde, mussten die Lehramtsbewerber schon für die Aufnahme „Kenntnisse im Orgelschlagen“ nachweisen, wie es in den Zulassungsbestimmungen hieß. Und sie mussten zum Abschluss ihrer Ausbildung eine Prüfung im Orgelspiel absolvieren.

Das Orgelspiel zu den Gottesdiensten, sonntags wie werktags und auch in den Ferien, gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu den Dienstpflichten des Schulleiters in Güntersleben. Ein Teil seines Gehalts bezog sich ausdrücklich auf diese Dienstleistung. Als dann 1919 die Lehrer in den Staatsdienst übernommen wurden, entfiel diese Verpflichtung. Man achtete aber weiterhin darauf, dass wenigstens ein Lehrer, meist der Schulleiter, in der Lage war, die Orgel zu spielen. Und die Gemeinde bezahlte auch weiterhin jeden Einsatz an der Orgel. Erst unter den Nationalsozialisten wurde diese Vergütung durch die Gemeinde auf höhere Weisung gekürzt und dann ganz gestrichen.

Als im Zweiten Weltkrieg die Lehrer zum Wehrdienst eingezogen wurden, durften schließlich auch Frauen an die Orgel. Besser gesagt, man war froh, dass man Frauen hatte, die dazu willens und in der Lage waren. Nach der Rückkehr aus dem Krieg übernahmen dann wieder die Lehrer ihren angestammten Platz an der Orgel. Bis 1953 war das der Lehrer Mayer, eine Lehrerpersönlichkeit vom alten Schlag, auf den das oben angeführte Zitat jedenfalls soweit zutraf, dass er in der Schule die Kinder und in der Kirche die Orgel schlug. Nach ihm kam der Lehrer Kiesel, hier wie dort doch um einiges feinfühliger.

Der letzte Lehrer in Güntersleben, der zugleich den Dienst als Lehrer und Organist versah, war seit 1961 der spätere Schulleiter Rektor Karl Lother, der auch nach seinem Ruhestand noch viele Jahre bis kurz vor Vollendung seines 85. Lebensjahres die Gottesdienste an der Orgel begleitete.

Ganz zu Ende ist auch nach seinem Abschied die Zeit der Lehrer-Organisten in Güntersleben noch nicht. Sein Sohn Werner Lother, auch er Lehrer, wenn auch nicht an der hiesigen Schule und inzwischen auch im Ruhestand, führt die Familien- und Lehrertradition fort als einer von den drei Organisten, die wir in Güntersleben glücklicherweise noch haben.

11/2022