Radweltmeister im Langsamfahren

12. Dezember 2025

Radweltmeister im Langsamfahren

Güntersleben hat außergewöhnliche Sportanlagen. Und es hat auch außergewöhnliche Sportler hervorgebracht. Unter ihnen sogar zwei Weltmeister.

Es ist noch nicht so lange her, dass Michael Mack 1997 Weltmeister in Karate wurde. Schon um einiges länger zurück liegt der Weltmeistertitel, den Valentin Stieber 1925 im Langsamradfahren erringen konnte. Kaum jemand wird schon davon gehört haben. Nur die Wenigsten werden auch etwas mit dieser sportlichen Disziplin anfangen und sich vorstellen können, dass sie zum Programm einer Weltmeisterschaft gehörte.

Der Arbeiterradsportverein Solidarität

Kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs gründeten im Juni 1913 in Güntersleben eine Anzahl junger Männer den Radsportverein Solidarität. Der Besitz eines Fahrrades bedeutete für sie eine enorme Erweiterung ihres Bewegungsraumes. Gab es zu der Zeit doch als öffentliches Verkehrsmittel nur die Postkutsche, die zweimal täglich nach Veitshöchheim fuhr. Eine Pferdekutsche hatten nur wenige besser gestellte Bauern im Dorf.

Die Solidarität grenzte sich als Arbeitersportverein bewusst von den bürgerschaftlichen Kräften ab, die mit den Bauern und Gewerbetreibenden damals im Dorf noch allein das Sagen hatten. Dem großen Zuspruch als zeitweise größter Verein tat es auch keinen Abbruch, als 1923 mit der Concordia ein zweiter Fahrradverein gegründet wurde, in dem sich vor allem die heimisch fühlten, die sich dem gehobenen Bürgertum zurechneten. Unter der NS-Herrschaft wurden beide Vereine zwangsaufgelöst. Die Concordia wurde 1953 neu gegründet. Die Solidarität entstand nicht mehr als eigener Verein, sondern ging 1947 im ebenfalls neu gegründeten TSV auf.

Die Internationale Arbeiter-Olympiade in Frankfurt

Im Juli 1925 fand in Frankfurt/Main die I. Internationale Arbeiter-Olympiade statt. Mit über 3.000 Aktiven aus elf Nationen war sie bis dahin das größte Sportfest der Welt, größer als die klassischen Olympischen Spiele. Mit Disziplinen wie dem Langsamradfahren wollte man sich bewusst von deren Rekordsucht des „Höher. Schneller. Weiter“ absetzen.

Beim Langsamradfahren mussten die Teilnehmer eine 100 Meter lange Strecke auf einer etwa einen Meter breiten Bahn möglichst langsam zurücklegen. Absteigen, Berühren des Bodens mit den Füßen oder auch die kleinste Rückwärtsbewegung oder Überfahren der seitlichen Begrenzung hatten die sofortige Disqualifikation zur Folge. Gewinner war, wer die längste Zeit vom Start bis zum Ziel benötigte.

Am 25. Juli 1925 begann früh um 8 Uhr vor 37.000 Zuschauern im Frankfurter Waldstadion und vielbeachtet durch zahlreiche Pressevertreter der Wettbewerb im Langsamradfahren. Wie viele Teilnehmer nacheinander auf die 100-Meter-Strecke gingen, ist nicht festgehalten, bei der großen Zuschauerkulisse aber vermutlich nicht wenige.

Gewinner und Weltmeister Valentin Stieber aus Güntersleben

Als nach dem Ende des Wettkampfs die Zeiten verglichen wurden, stand fest: Die längste Zeit hatte der 18-Jährige Valentin Stieber aus Güntersleben benötigt und sich damit den Weltmeistertitel gesichert. Ein Zufallserfolg war das offenbar nicht, denn Stieber war schon vorher auf einer Reihe von regionalen Wettbewerben erfolgreich. Als frischgebackener Titelträger nach Hause zurückgekehrt, bereitete ihm seine Heimatgemeinde einen begeisterten Empfang.

1929 zog Valentin Stieber, wohl der besseren beruflichen Chancen halber, nach Nürnberg. Von weiteren sportlichen Aktivitäten oder vergleichbaren Erfolgen seiner Radsportfreunde in Güntersleben ist nichts bekannt.

Für alle, die einen Selbsttest unternehmen wollen: Die Siegerzeit von Valentin Stieber für die 100 Meter, mit der er Weltmeister wurde, betrug 10 Minuten und 22 Sekunden.

12/2025