Schullehrer wie Viehhirten?

28. Dezember 2021

 

Schullehrer wie Viehhirten?

Wie ihre Viehhirten habe die Gemeinde alljährlich ihren Schullehrer gedingt, bevor sich der Landesherr dieser Sache angenommen habe. So schrieben die „Würzburger wöchentliche Anzeigen von gelehrten und gemeinnützigen Gegenständen“ in ihrer Ausgabe vom 15. Mai 1798 über die Anfänge des Schulunterrichts in Güntersleben – und man kann sich gut vorstellen, wie der Verfasser beim Schreiben dieser Zeilen die Nase rümpfte.

Richtig daran ist, dass es erst seit 1770 mit der Einrichtung des Lehrerbildungsseminars in Würzburg eine geregelte Lehrerausbildung gab und erst seit dieser Zeit nach einer entsprechenden Weisung des Fürstbischofs als Lehrer nur noch die „hierzu besonders abgerichteten und befähigten Candidaten des Schulseminars“ angestellt werden durften.

 

Vom Pfarrer und vom Abt für tauglich befunden

Aber auch vorher mussten der Schultheiß und die Mitglieder des Dorfgerichts schon etwas genauer hinschauen als beim Viehhirten, wen sie als Schulmeister anstellten. Denn auch ohne förmliche Ausbildung und einen Prüfungsnachweis sollten diese „nit allein die Kinder in lesen, schreiben und singen unterrichten, sondern auch solche dahin anweisen, dass sie den Catechismum lernen und begreifen mögen,“ wie das die Kirchenordnung für das Hochstift Würzburg von 1693 verlangte. Überdies sollten die Bewerber vor einer Anstellung auch bezüglich ihres „Verhaltens und Wandels“, also ihrer charakterlichen Eignung, überprüft werden. Damit waren freilich der Schultheiß und die Mitglieder des Gerichts, allesamt Bauern aus dem Dorf und selbst, wenn überhaupt, kaum des Lesens und Schreibens kundig, heillos überfordert. Das übernahmen daher der Pfarrer und der Abt seines Klosters. Erst wenn die den Kandidaten für hinreichend geeignet hielten, konnte ihn die Gemeinde anstellen.

Der Pfarrer hatte nicht nur deshalb ein entscheidendes Wort bei der Auswahl eines Lehrerkandidaten mitzureden, weil er vor Ort die fachliche Aufsicht über den Unterricht und den Lehrer wahrzunehmen hatte. Zudem war der Lehrer nicht nur im Unterricht der verlängerte Arm des Pfarrers, er war diesem auch darüber hinaus als Kirchendiener, Mesner und Kantor zu vielerlei Diensten verpflichtet.

Anders als uns der eingangs zitierte Chronist weismachen will, wurde der Schulmeister auch nicht – wie die Viehhirten – immer nur für ein Jahr eingestellt, obwohl auch die Schule erst einmal nur eine saisonale Einrichtung war. Bis nach 1700 fand Unterricht nur im Winter statt. Erst dann gelang es mit viel Mühe, die Bauern allmählich dazu zu bewegen, ihre Kinder auch in der Jahreszeit, wo sie auf den Feldern für die Arbeit gebraucht wurden, für den Schulbesuch freizugeben.

 

Schulmeister und Gemeindeschreiber

Konrad Henfling, der erste uns bekannte Lehrer, hatte laut seinem Sterbeeintrag mehr als 16 Jahre in Güntersleben unterrichtet, als er 1606 starb. Ihm folgte Johann Hartmann aus Schwarzach, der bald nach seinem Dienstantritt die Witwe seines Vorgängers heiratete. Damit blieb dieser erspart, dass sie mit ihren Kindern die Lehrerwohnung im Schulhaus verlassen musste.

Von Johann Hartmann stammt auch das erste schriftliche Zeugnis, aus dem hervorgeht, dass schon damals die Schulmeister auch als Gemeindeschreiber in Anspruch genommen wurden. Denn wenn schon die Gemeinde einen Lehrer für die ungeliebte Schule anstellen und für Wohnung und Lohn aufkommen musste, wollte sie auch etwas von dessen Fähigkeiten haben. Im Gemeindearchiv findet sich als ältestes Originaldokument ein Buch, dessen ausgreifender Titel beginnt mit „Libellus actorum diurnorum…“, was so viel bedeutet wie „Buch der täglichen Verwaltungsgeschäfte“. Es wurde nach dessen eigenen Angaben auf dem Titelblatt 1610 angelegt von „Johann Hartmann, zu dieser Zeit Schulmeister in Güntersleben“. In das Buch wurden die Personen eingetragen, denen das Bürgerrecht verliehen wurde. Außerdem finden sich darin Vereinbarungen über die Anstellung von Gemeindeschmieden, Wirten, Müllern oder auch Viehhirten. Die Ausgestaltung der Titelseite lässt zum einen die große Sorgfalt erkennen, die Hartmann darauf verwendete, zum anderen aber auch, dass er das Schreiben ebenso beherrschte wie er der lateinischen Sprache kundig war.

Libellus

Titelseite des „Libellus actorum diurnorum“ von 1610.

Der erste Schulmeister aus Güntersleben

Johann Stock war der erste Schulmeister, der aus Güntersleben stammte. Er folgte Jakob Hölderlein, der nach erst zwei Jahren auf der Stelle 1632 mitten im Dreißigjährigen Krieg und wohl auch an den Folgen des damals in Güntersleben grassierenden Hungertyphus gestorben war. Stocks Taufpate war der alte Schulmeister Johann Hartmann, der ihn möglicherweise auch auf den Lehrerberuf vorbereitet hat. Denn so ähnlich, wie das Erlernen eines Handwerks bei einem Meister, muss man sich zur damaligen Zeit wohl auch die Ausbildung zum Lehrer vorstellen. Als 1632 mit dem Schulmeister und vielen anderen im Dorf auch der Schultheiß ein Opfer der Seuche geworden war, wurde vorübergehend Johann Hartmann als Schultheiß berufen. In dieser Funktion wird er dann auch die Bestellung seines Patensohnes Johann Stock auf die Stelle des Schulmeisters befördert haben. Vermutlich war es in diesen wirren Kriegszeiten auch schwierig, einen Bewerber von auswärts zu gewinnen. Stock war wohl mindestens bis zum Ende des Krieges, also mehr als ein Jahrzehnt, Schulmeister in Güntersleben.

Nach Stock kamen dann erst wieder einmal Auswärtige an die Reihe. Über Balthasar Reußner, der 1685 als Schulmeister in Güntersleben angenommen wurde und das bis ins hohe Alter von 77 Jahren blieb, heißt es in der Sterbematrikel des Pfarramtes von 1729, dass er 44 Jahre hier und etwa 12 Jahre vorher anderswo ein frommer und fideler Schulmeister gewesen sei.

Zwei Jahre, nachdem Balthasar Reußner in das Schulhaus in Güntersleben eingezogen war, wurde sein Sohn Burkard geboren und der wurde nach seinem Tod für die folgenden 21 Jahre auch sein Nachfolger. 65 Jahre blieb damit das Amt des Schulmeisters, Mesners und Gemeindeschreibers in der Familie.

Auch der nächste Schulmeister, der 1750 berufen wurde, hatte mit mehr als 25 Jahren eine sehr lange Amtszeit. Peter Reißweber entstammte einer alteingesessenen Familie und war damit für lange Zeit, nämlich bis nach dem 1. Weltkrieg, der letzte Lehrer in Güntersleben, der hier auch geboren war. Er war auch der letzte Schulmeister, der seinen Dienst verrichtete, ohne vorher eine Ausbildung und Prüfung auf einer öffentlichen Lehranstalt absolviert zu haben.

12/2021