Immer erreichbar: Vom ersten Telefon zum Handy
Es ist noch nicht so lange her, da schrieb man einen Brief oder eine Postkarte, wenn man jemandem außerhalb des eigenen Wohnortes oder Angehörigen und Freunden aus dem Urlaub eine Nachricht übermitteln wollte. Im Dorf selbst machte man sich auf den Weg zu seinem Gesprächspartner oder wartete darauf, dass man sich wieder einmal begegnete. Heute greift man dafür zum Telefonhörer oder – noch häufiger – spricht oder tippt ins Handy. Wo und wann man gerade Lust dazu verspürt.
Das erste Telefon
Rund 20 Jahre, nachdem in Deutschland der Aufbau von Telefonnetzen begonnen hatte, wurde auch Güntersleben angeschlossen. Zum 1. Februar 1900 wurde in der Poststelle das erste Telefon in Betrieb genommen. Die Poststelle war auch noch neu. Sie war erst wenige Monate vorher in der Ortsmitte im Haus des Bürgermeisters eingerichtet worden, der damit zugleich auch der Posthalter war.
Bei dem einen Telefon im Dorf blieb es für die nächsten Jahre erst einmal und es wurde auch wenig genutzt. Denn Telefongespräche waren teuer. Für ein 3-Minuten-Gespräch im Nahbereich bis 25 Kilometer zahlte man 20 Pfennige, also fast den Stundenlohn eines Bauhandwerkers. 1912 klagte der Gemeinderat, dass Güntersleben telefonisch immer noch kaum zu erreichen sei, weil das einzige Telefon in der Poststelle nur während der wenigen Postdienststunden besetzt sei.
Ein kostspieliger Luxus
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte dann auch der Hauptlehrer und Schulleiter Nikolaus Oswald ein Telefon, das ihm aber bald zu teuer wurde. Als bekannt wurde, dass er es deshalb wieder abmelden wollte, bewilligte ihm der Gemeinderat ab Juni 1920 einen jährlichen Zuschuss von 60 Mark. Begründung für den einstimmig gefassten Beschluss: „Das Telefon ist das einzige Privattelefon und ist unter Umständen von sehr großem Vorteil für die ganze Gemeinde.“
1931 waren in Güntersleben sieben Telefone installiert. Das waren der öffentliche Fernsprecher in der Poststelle, das Forsthaus und der staatliche Forstwart hatten jeweils einen Anschluss, außerdem das Lagerhaus, ein Fahrradhändler und zwei Gasthäuser. Die beiden anderen Gasthäuser und das Rathaus bekamen erst in den folgenden Jahren auch ein Telefon.
Mehr Autos als Telefone
1957 lehnte es der Gemeinderat im Einvernehmen mit dem Bürgermeister ab, für diesen einen Telefonanschluss einrichten zu lassen, damit er auch außerhalb der Dienststunden des Rathauses erreichbar sei. In unmittelbarer Nähe der Wohnung des Bürgermeisters gebe es schon „genug Telefone“. Tatsächlich konnte man diese wohl an den Fingern einer Hand abzählen. Denn auch noch 1962 waren im gesamten Ort, abgesehen von der Post, nur 27 Telefonanschlüsse installiert. Wichtiger als ein Telefon war vielen erst einmal ein eigenes Auto. So waren um diese Zeit in Güntersleben mehr als dreimal so viele Autos zugelassen als Telefonnummern vergeben.
Wenn man doch einmal einen Anruf tätigen musste, ging man aufs Rathaus, ins Lagerhaus oder in eines der Gasthäuser, wobei man bei letzteren ordentlich zahlen musste. Bei 50 Pfennig je Einheit hielt sich demgemäß die Nachfrage auch in Grenzen.
Das war aber immer noch günstiger als ein Telegramm, das man auf der Poststelle aufgeben konnte. Man diktierte dem Postbeamten den Text, der gab den mündlich über das Telefon weiter. Am Zielort schrieb ihn der dortige Postbeamte auf ein Formular, das der Postbote dann schnellstmöglich dem Empfänger aushändigte. Die Gebühr richtete sich nach der Anzahl der Wörter, die übermittelt werden sollten. Daraus entwickelte sich der sprichwörtliche Telegrammstil, wie ihn Reinhard Mey 1969 in einem Songtext treffend wiedergab: „Ankomme Freitag, den 13.“ Zum Jahresende 2022 stellte die Post diesen Dienst ein, weil er nur noch wenig gefragt war. Für die Weitergabe von Kurznachrichten muss man heute nicht mehr eigens zur Poststelle.
Fasse dich kurz – in der öffentlichen Telefonzelle
1965 bekam Güntersleben am Lagerhaus eine öffentliche Telefonzelle, die man rund um die Uhr nutzen konnte. Drei Jahre hatte es gedauert, bis die Post den wiederholten Anträgen des Gemeinderats stattgab und das „Telefonhäuschen“ aufstellte. „Fasse dich kurz“ stand an der Zugangstüre, was nur allzu berechtigt war, denn nicht selten fand man sich erst in einer Warteschlange, bis der Platz am Münzfernsprecher frei war.
Gleichwohl schien damit der Bedarf zunächst aber gedeckt. Denn auch noch 1970 hatten von den über 700 Haushalten in Güntersleben gerade einmal 54 einen eigenen Telefonanschluss. Vorherrschende Meinung war da immer noch, dass ein Telefon eigentlich nur für Geschäfte, Handwerker und Einrichtungen mit Publikumskontakten den Aufwand wert sei. Auf eine schnellere Entwicklung war auch die Post nicht eingestellt. Denn wer einen neuen Anschluss beantragte, musste oft viele Wochen warten, bis die Techniker der Post kamen und die Verbindung herstellten.
Auch mit der Aufstellung einer weiteren Telefonzelle ließ sich die Post viel Zeit. 1973 kündigte die Post an, dass sie die Möglichkeit prüfe, vertröstete dann aber die Gemeinde immer wieder unter Hinweis darauf, dass die Wirtschaftlichkeit nicht gesichert sei. Als dann 1986 ein zweites Telefonhäuschen endlich am Laurenziweg stand, hatten mittlerweile so viele Familien ihr eigenes Telefon, dass der Bedarf für einen öffentlichen Fernsprecher tatsächlich nur noch sehr überschaubar war.
Inzwischen haben die Telefonhäuschen nicht nur in Güntersleben längst ausgedient. Als sie entfernt wurden, hat das kaum jemand zur Kenntnis genommen. Nach den Ankündigungen der Post sollen die wenigen noch bestehenden Einrichtungen dieser Art im Laufe des Jahres 2023 außer Betrieb genommen werden.
Der Siegeszug der Mobiltelefone
Mehr als ein dreiviertel Jahrhundert dauerte es, bis das Telefon von der Aufstellung des ersten Apparates in der Poststelle den Weg in alle Haushalte in Güntersleben fand. Kaum dass es so weit war, kamen in den 1990er Jahren mit den Handys die mobilen Geräte auf den Markt. Wie in vielen anderen Bereichen ging auch hier die Entwicklung in ungleich schnellerem Tempo voran und beschleunigt sich, wie es scheint, immer noch weiter. In kaum mehr als zwei Jahrzehnten wurde das Handy mit seinen stetig und scheinbar unaufhaltsam erweiterten Funktionen zu einem zu jeder Zeit und an jedem Ort verfügbaren Gebrauchsgegenstand, den die meisten von uns für unverzichtbar halten.
Die Zeiten, zu denen es in Güntersleben mehr Autos als Telefone gab, sind lange vorbei. Statistisch auf alle Einwohner jeden Alters bezogen, hat heute etwa jeder zweite Günterslebener ein Auto. Die Zahl der Handys liegt sicher um einiges höher. Und vor allem: Das Handy gehört schon zur Grundausstattung der Heranwachsenden, bevor diese überhaupt an ein eigenes Auto denken können.
Und noch etwas ist anzumerken: Mit der Verbreitung der modernen Kommunikationsmittel kommt der schriftliche Nachrichtenaustausch, auch im privaten Bereich, immer mehr außer Mode. Alte Briefe und Postkarten, ob zufällig erhalten oder bewusst aufbewahrt, sind aber oft wahre Fundgruben der persönlichen Erinnerung und der Familiengeschichte. Ob die Flut der Bilder, die wir auf unseren Handys speichern und die flüchtigen Kurznachrichten das ersetzen können?
06/2023