Strom im Haus

2. Juni 2023

Strom im Haus

Der Bau der Wasserleitung im Jahr 1909 war für Güntersleben ein Riesenschritt zu mehr Wohnqualität. Statt das Wasser mit Butten und Eimern aus den Dorfbrunnen mühselig herbeizutragen, konnte man sich jetzt ganz bequem aus der Leitung im Haus oder auf dem Hof bedienen.

Strom aus der Steckdose gab es zu der Zeit noch nicht. Wollte man nach Einbruch der Dämmerung nicht im Dunkeln sitzen, musste man Kerzen oder Petroleumlampen anzünden. Viel mehr als ein schummeriges Licht gaben die nicht von sich, dafür aber oft unangenehme Ausdünstungen und sie waren bei Unachtsamkeit auch eine ständige Gefahrenquelle. So kann es nicht verwundern, dass bald nach der Wasserleitung auch die Stromversorgung zum Thema wurde. Aber wie dort sollte es auch hier geraume Zeit dauern, bis der Wunsch zur Wirklichkeit wurde.

Ein früher, aber erfolgloser Anlauf

In Deutschland wurden seit etwa 1900 die ersten Haushalte, vornehmlich in den städtischen Ballungsgebieten, mit elektrischem Strom versorgt. Ein Jahrzehnt später war es dann so weit, dass sich auch verschiedene Gemeinden in unserer Region mit der Frage einer Stromversorgung befassten, sei es durch Eigenerzeugung oder durch den Anschluss an eines der regionalen Versorgungsunternehmen, die damals entstanden.

Im März 1911 stimmten auf einer Gemeindeversammlung in Güntersleben alle 85 anwesenden Bürger für einen Anschluss an das Stromnetz der Fränkischen Überlandzentrale Lülsfeld. Die Verträge wurden von der Gemeindeverwaltung auch sogleich unterschrieben und zwei Tage später an das Kgl. Bezirksamt geschickt. Weil aber noch nicht alle Bedingungen klar seien, sollte dieses die Verträge vorerst allerdings nicht weiterleiten. Die Sache zog sich hin. Die Gemeinde verlangte genauere Informationen, „weil die Einwohner noch viel zu wenig über den Kostenpunkt u.s.w. unterrichtet sind.“ Es wurde November 1912, bis die Gemeindeverwaltung ihre hinhaltende Taktik aufgab und den Vertrag schließlich freigab, wie es im Sitzungsprotokoll heißt, „aufgrund der Ausführungen des Vertreters der genannten Gesellschaft“. Entscheidender war aber wohl, dass das Bezirksamt drängte und auch die Bevölkerung nicht länger warten wollte.

Als es dann aber um die Finanzierung ging, zeigte sich, dass die Meinungen der Bürger durchaus geteilt waren. Weil die Gemeinde noch für viele Jahre mit dem Schuldendienst für die erst neu gebaute Wasserleitung belastet war und damit die Mittel für ein weiteres größeres Projekt fehlten, sollte auf den Bierverkauf eine Sonderabgabe von 60 Pfennig je Hektoliter erhoben werden. Als darüber in der Gemeindeversammlung abgestimmt wurde, kam die erforderliche Mehrheit unter den stimmberechtigten Bürgern nicht zustande. Unter denen, die dagegen stimmten, waren die drei Günterslebener Gastwirte. Auf sie bezog sich wohl auch der Vermerk, den der darob verärgerte Gemeindekassier der Gemeinderechnung beifügte: „Hetze verursacht“.

Von weiteren Bemühungen, das Vorhaben doch noch zu verwirklichen, liest man dann erst einmal nichts mehr. Der Kriegsausbruch im August 1914 stoppte dann endgültig alle Pläne, so diese noch aktuell waren. Die dunklen Jahre, die folgten, wurden in den Wohnungen der Dorfbewohner noch dunkler, als gegen Ende des Krieges und in der Nachkriegszeit auch noch die Leuchtmittel wie Petroleum, Karbid, aber auch Kerzen knapp wurden und nur noch in begrenzten Rationen zugeteilt wurden.

Auch der zweite Anlauf war holprig

Zwei Jahre nach dem Kriegsende beschäftigte sich der Gemeinderat im Herbst 1920 wieder mit der Frage der Stromversorgung, und jetzt sollte es ganz schnell gehen. Und siehe da, nach wenigen Tagen war schon ein Vertrag abgeschlossen, den der Gemeinderat dann aber nicht akzeptierte. Wenn man in den Sitzungsprotollen nachliest, wie dieser Vertrag zustande kam, kann man das auch gut verstehen. Demnach lud der Gemeindediener auf Veranlassung eines Firmenvertreters mit der Ortsschelle gerade einmal anderthalb Stunden vor Beginn zu einer „Gemeindeversammlung bei Joßberger betreffend Einführung des elektrischen Lichtes“ ein. Die Anzahl der Besucher scheint nach der kurzfristigen Einladung nicht allzu groß gewesen zu sein. Auch vom Gemeinderat waren nicht einmal alle Mitglieder des Ausschusses dabei, der eigens zur Vorbereitung der mit dem Stromanschluss zusammenhängenden Fragen gebildet worden war. Ihre Kollegen wollten von der Einladung nichts mitbekommen haben. Was bei der Werbeveranstaltung zu hören war, hat die drei anwesenden Gemeinderatsmitglieder offenbar so beeindruckt, dass sie noch am gleichen Abend im Wirtshaus die Verträge über den Kauf einer Maschine zur Eigenerzeugung von Strom und die Installation des Ortsnetzes über rund 250.000 Mark unterschrieben. Die Eile schien ihnen wohl deshalb geboten, weil für die allernächste Zeit drastische Preiserhöhungen angekündigt wurden.

Gleich in der nächsten Sitzung erklärte der Gemeinderat, auch mit den Stimmen der Unterzeichner, die Verträge „für null und nichtig“. Der Hersteller der Stromerzeugungsmaschine, die Fa. Benz, wollte das nicht hinnehmen und schickte ihre Anwälte ins Gefecht. Für die Gemeinde legte sich der Hauptlehrer Oswald in seiner Funktion als Gemeindeschreiber mächtig ins Zeug. Ein dreiviertel Jahr lang gingen Schriftsätze hin und her. Dann erklärte sich im November 1921 die Installationsfirma, die den Handel vermittelt hatte, bereit, die Maschine zu übernehmen und die Gemeinde von allen Kosten freizustellen. Dafür durfte sie dann auch den Auftrag für den Aufbau des Ortsnetzes und die Einrichtung der Hausanschlüsse behalten.

Inzwischen hatte sich der Gemeinderat dafür entschieden, den Strom nicht selbst zu erzeugen, sondern von der Kreis-Elektra zu beziehen, wie das bis heute der Fall ist, auch wenn die Lieferanten inzwischen mehrfach gewechselt haben.

Mit der Inbetriebnahme der Anlage im Frühsommer 1922 wurde es in den Wohnstuben der Günterslebener hell. Gleichzeitig wurden 17 Straßenlampen mit elektrischen Glühbirnen aufgestellt, die alten Petroleumlaternen hatten damit ausgedient. Über die einzelnen Standorte sollte der Bürgermeister im Einvernehmen mit der Installationsfirma und zwei Gemeinderatsmitgliedern entscheiden. Bei der Ausstattung der öffentlichen Gebäude wie Schule und Rathaus wollte es der Gemeinderat aber genau wissen. Über die Anzahl der Lampen und der Lichtschalter sowie „die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der einzelnen Brennstellen“ wollte er erst nach einer Besichtigung der Gebäude entscheiden.

Stromausfälle und Gewitterkerzen

Sehr zuverlässig war die Stromversorgung lange Zeit nicht. Solange die Zuleitung nur aus einer Richtung erfolgte, führte jede Störung an der Leitung gleich immer zu mehr oder weniger langen Unterbrechungen. Vorsichtshalber hatte man daher auch nach der Elektrifizierung der Orgel in der Kirche den bis dahin mit Muskelkraft bewegten Blasbalg nicht ausgebaut. Und der musste bis weit in die 1960er Jahre immer wieder einmal betätigt werden, wenn just während des Gottesdienstes der Strom wegblieb.

In den meisten Haushalten hatte man für solche Fälle ein paar Kerzen in Reichweite, die man anzünden konnte, wenn das Licht ausging. Oft waren das sogenannte Gewitterkerzen, die schwarz eingefärbt waren und ihren Namen davon hatten, weil sie vorsorglich bei Gewittern angezündet wurden, weil in deren Verlauf häufig der Strom ausfiel.

Größere Unannehmlichkeiten als dass es dunkel im Haus wurde, löste ein Stromausfall in früherer Zeit allerdings im Allgemeinen nicht aus. Heute, wo unsere Häuser mit einer Vielzahl technischer Geräte ausgestattet sind, die am Strom hängen, stehen wir bei einem – glücklicherweise höchst seltenen – Stromausfall ziemlich hilflos und verlassen da, weil vieles, auf das wir uns angewiesen glauben oder auch wirklich sind, nicht mehr funktioniert. Vernetzung schafft eben, in der großen wie in unserer kleinen Welt, auch Abhängigkeiten, denen wir ausgeliefert sind.

06/2023