Die Festhalle und ihre rekordverdächtige Baugeschichte

14. Juni 2024

Die Festhalle und ihre rekordverdächtige Baugeschichte

Nach mehr als 50 Jahren intensiver Nutzung wurde im Frühjahr 2024 die schon länger als notwendig angesehene Renovierung der Festhalle in Angriff genommen. Beim Maternusfest im September sollte die Halle wieder genutzt werden können. Wie es scheint, kann dieses bei der Beschlussfassung im Gemeinderat vorgegebene Ziel auch eingehalten werden, was nach aller Erfahrung bei öffentlichen Bauvorhaben heutzutage eher selten gelingt. Da lohnt ein Blick zurück auf den Bau der Festhalle im Jahr 1971. Vom Aushub der Fundamente bis zum ersten Fest in der Halle benötigte man damals nur 32 Arbeitstage.

Die Dreschhalle – sturmerprobt und plötzlich baufällig?

Wo heute die Festhalle steht, stand vorher eine Dreschhalle. Sie war 1938 von einer Dreschgenossenschaft gebaut worden, zu der sich vier ortsansässige Bauern zusammengetan hatten. 1948 kaufte die Gemeinde den Landwirten die Halle ab. Nach der Ernte im Sommer waren in der Halle immer mindestens eine und oft auch zwei Dreschmaschinen in Betrieb. Kleinbauern und Grundbesitzer, die nebenbei ein paar Äcker anbauten – und das waren die meisten Familien im Dorf – fuhren ihr abgeerntetes Getreide zur Halle, um es dreschen zu lassen. Anschließend kamen die Dreschmaschinen reihum auf den Höfen der Bauern zum Einsatz, die eine eigene Scheune zum Einlagern der Ernte hatten.

Im Frühsommer und nach der Dreschsaison wurde die Dreschhalle auch für Vereinsfeste genutzt. Die offene Halle, ein Holzständerbau mit einem Ziegeldach, wurde dabei oftmals mit Zeltplanen für größere Besucherzahlen erweitert. Dass sich unmittelbar daneben im heutigen Dürrbachpark die Trinkwasserquellen für den Ort befanden, wurde in Kauf genommen. Der Dreschbetrieb und die Festveranstaltungen ohne Sanitäreinrichtungen haben sicher dazu beigetragen, dass die Trinkwasserqualität bei den behördlichen Untersuchungen nahezu regelmäßig beanstandet wurde.

Die Dreschhalle selbst zeigte sich jeglichen Stürmen, welcher Art auch immer, gewachsen. Dazu gehörten groß gefeierte Vereinsjubiläen und Feuerwehrfeste. Verbürgt ist, dass einmal bei einem solchen über ein Festwochenende heute unvorstellbare 68 Hektoliter Bier durch die offenbar ausgedörrten Kehlen rannen. Im Wortsinne stürmisch war es auch, als 1968 während eines Feuerwehrfestes über die vollbesetzte Halle ein heftiges Unwetter niederging. Das verwässerte zwar das Bier in den Krügen mancher Gäste unter den angebauten Zeltdächern, richtete aber an der Halle selbst keinen erkennbaren Schaden an.

1968 war auch das Jahr, in dem zum letzten Mal in der Halle gedroschen wurde. Danach war die Zeit der Dreschmaschinen vorbei. Sie wurden abgelöst von den Mähdreschern, bei denen die Körner gleich auf dem Feld von den Halmen getrennt werden.

Keine drei Jahre, nachdem die Dreschhalle dem heftigen Unwetter getrotzt hatte, sollte sie auf einmal baufällig sein. Und das kam so.

Wie aus einem angekündigten Umbau ein Neubau wurde

Am Ende einer Gemeinderatssitzung am 21. Januar 1971 lud Bürgermeister Alfons Müller zu einer Besprechung wegen der „Herrichtung des Festplatzes und der Festhalle im Hinblick auf die bevorstehenden Vereinsfeste der Kolpingsfamilie und des TSV“ ein, wie im Sitzungsprotokoll zu lesen ist. Gemeint war das bevorstehende 20-jährige Stiftungsfest der Kolpingfamilie, das über ein Wochenende um den 12. Juni unter zahlreicher Beteiligung auswärtiger Vereine am Dreschplatz gefeiert werden sollte, und nachfolgend das Sommerfest des Sportvereins.

Bei der Besprechung am Sonntag nach der Gemeinderatssitzung verkündete der Bürgermeister zur nicht geringen Überraschung der Teilnehmer: Die Halle ist baufällig und kann für Feste so nicht mehr genutzt werden. Um nicht allzu sehr zu verschrecken, sprach er davon, dass ein „Umbau“ nötig sei. Nach einem statischen Gutachten über den Zustand der Halle fragte niemand. Es gab auch keines.

Am 19. April – weniger als zwei Monate vor dem ersten der beiden Feste – stand das Thema wieder auf der Tagesordnung des Gemeinderats. Laut Einladung sollte es erneut nur um einen „Um- und Erweiterungsbau der Dreschhalle“ gehen. Tatsächlich legte der Bürgermeister dem Gemeinderat einen Bauplan für einen kompletten Neubau vor. Noch in der gleichen Sitzung wurde darüber abgestimmt und der Neubau der Halle war beschlossen. So schnell ging das damals.

Der Bau beginnt

Gleich am nächsten Tag, am 20. April, steckte der Bürgermeister höchstpersönlich mit einigen Gemeinderäten und Helfern die Umrisse der Halle ab. Zwei Tage später rückte der ortsansässige Tiefbauunternehmer Reißer mit seinem Schieber an und legte die Dreschhalle ein, was ihm nach einer handschriftlichen Notiz des Bürgermeisters „großes Vergnügen bereitete“.

Am Samstag darauf – am 24. April und gerade noch sieben Wochen vor dem Kolpingfest – begannen die Bauarbeiten. Ohne eine Baufirma und ausschließlich mit freiwilligen Helfern. Die Gemeinde und die Vereine riefen zur Mitarbeit auf. Wenn der Bürgermeister darauf gesetzt hatte, dass der Termindruck viele Helfer mobilisieren würde, dann ging seine Rechnung voll auf. Abends und am Samstag wimmelte es auf der Baustelle von Maurern, Verputzern, Zimmerleuten und anderen Bauhandwerkern sowie Hilfskräften. Mancher wurde auch vom Bürgermeister persönlich am Samstag in der Früh aus dem Haus geklingelt. Denn Handys gab es noch keine und Telefone nur in wenigen Haushalten.

In der Funktion des Oberbauleiters sah sich der Bürgermeister. Die Bauleitung vor Ort übertrug er dem Gemeindediener Anton Öhrlein, besser bekannt als Polizeidiener.

Kaum dass begonnen war, beschloss der Gemeinderat, die Halle noch um ein paar Anbauten zu vergrößern. Als der Statiker, dem man die Pläne ohne ausdrücklichen Prüfauftrag vorher gezeigt hatte, davon erfuhr, teilte er schriftlich mit, dass er wegen der geänderten Ausführung jede Verantwortung für die Standsicherheit ablehne. Die Halle wurde ohne seine Freigabe gebaut – und steht heute noch. Auch dem Polizeidiener war der wilde Betrieb auf der Baustelle bald zu bunt geworden und so gab auch er dem Bürgermeister schriftlich, dass er nicht mehr gewillt sei, auf dieser Baustelle Verantwortung zu übernehmen.

Es passierte trotzdem kein ernsthafter Unfall. Überliefert ist nur ein größeres Malheur mit Unterhaltungswert: Als man den Türsturz über dem Haupteingang, der ein paar Tage vorher betoniert worden war, ausschalte, brach der schneller, als die Akteure schauen konnten, in sich zusammen. Die Ursache war schnell ermittelt: Der Sturz war spätabends betoniert worden, und da hatten die Helfer beim Herstellen des Betons – aus Unkenntnis oder wegen der schlechten Sicht – Kalk statt Zement in die Mischmaschine gefüllt.

Bauen ohne Baugenehmigung

In der Gemeinderatssitzung am 16. Mai, als die Außenmauern schon hochgezogen waren, teilte der Bürgermeister mit, dass es immer noch keine Baugenehmigung gab. Das Wasserwirtschaftsamt stelle sich quer wegen der Trinkwasserquellen direkt nebenan. Es verlangte eine verbindliche Erklärung, dass sich die Gemeinde ehestmöglich an die Fernwasserversorgung anschließen werde. Im Gemeinderat stieß diese eigentlich nachvollziehbare Forderung auf wenig Verständnis, was zu dem schon recht mutigen Beschluss führte: Auch ohne Baugenehmigung „muss unbedingt weitergebaut werden, um die Bauvollendung bis zum Kolpingfest zu gewährleisten.“

Das war dem Landratsamt dann doch zu viel. Mit Bescheid vom 21. Mai ordnete es schriftlich die Baueinstellung an. In Güntersleben interessierte das niemand. Es wurde ohne Unterbrechung weitergebaut. Und dann passierte das Gegenteil von dem, was man eigentlich erwarten musste. Am 27. Mai erteilte das Landratsamt, ohne besondere Auflagen, die Baugenehmigung. Das war zwei Tage, bevor der Dachstuhl aufgesetzt wurde. Immerhin war der dann kein Schwarzbau mehr.

Punktgenauer Zieleinlauf

Am 9. Juni war das Dach gedeckt und damit der Rohbau abgeschlossen. Es war der 32. Arbeitstag seit dem ersten Spatenstich (wenn es einen solchen gegeben hätte), ein Mittwoch. Am Donnerstag war Fronleichnam. Am Freitagabend wurde in der neuen Halle das erste Fass Bier angestochen und das Festwochenende zum Kolpingjubiläum eröffnet.

In den nächsten Wochen ging die Arbeit weiter, aber jetzt in etwas langsamerem Tempo. Die Wände und die Fassade wurden verputzt, die Türen eingebaut und einiges andere, was noch fehlte.

Als die Halle eine Woche nach dem Maternusfest im September 1971 eingeweiht wurde, konnte der Bürgermeister eine stolze und in vielerlei Hinsicht rekordverdächtige Bilanz vorlegen: 8.000 unentgeltliche Arbeitsstunden. 400 freiwillige Helfer und damit über die Hälfte aller arbeitsfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren im Dorf. Nur 100.000 DM Baukosten.

Auch der Landrat fand bei der Einweihung lobende Worte. Bei der festlichen Stimmung versagte er sich einen Hinweis darauf, wie schwer sich sein Amt damit tat, dem anfänglichen Schwarzbau doch noch den behördlichen Segen zu geben. Jeder verstand aber, was er meinte, als er „den spontanen Entschluss des Gemeinderats“ erwähnte.

06/2024