Alt werden in Güntersleben – früher und heute
Die Älteren werden mehr
1970 hatte Güntersleben 2400 Einwohner. Davon 120 waren 70 Jahre und älter. Seither hat sich die Zahl der Einwohner auf heute fast 4600 annähernd verdoppelt. 70 Jahre und älter sind über 600, mithin mehr als fünfmal so viele wie damals. Ganz anders stellt sich die Entwicklung bei der jüngeren Generation dar. 1970 gab es in Güntersleben etwa 800 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, zur Jahrtausendwende über 1000 und heute sind wir wieder beim Stand von 1970 oder sogar knapp darunter angekommen. Bei gleicher Zahl waren das 1970 etwa ein Drittel der Einwohner, heute kommt man auf kaum noch ein Fünftel.
Schon diese wenigen Zahlen zeigen überdeutlich: Die Entwicklung, die man unter dem Schlagwort des demografischen Wandels kennt, hat auch Güntersleben voll erfasst. Dass eine älter werdende Gesellschaft das Verhältnis der Generationen zueinander verändert, zusätzliche Anforderungen an die Gesundheitsvorsorge, die Renten- und Pensionskassen mit sich bringt und wohl auch ein Nachdenken über eine zukunftsorientiertere Migrationspolitik erfordert, liegt auf der Hand. Viele dieser Problemfelder harren aber noch einer zukunftssicheren Lösung. Dazu bräuchte es den politischen Willen und vor allem auch den Mut zu kurzfristig unpopulären Entscheidungen.
Die statistische Lebenserwartung
Wie sich unsere Chancen auf ein längeres Leben verbessert haben, lässt sich auch aus der statistischen Lebenserwartung ableiten. Sie wird aus dem Durchschnitt des erreichten Lebensalters aller in einem oder mehreren Jahren Verstorbener errechnet. Aktuell liegt sie in Deutschland bei 78 Jahren für Männer und 83 Jahren für Frauen. 1970 lauteten die entsprechenden Vergleichswerte noch 67 und 73 Jahre. Als 1875 zum ersten Mal mit statistischen Methoden die Lebenserwartung für die deutsche Bevölkerung ermittelt wurde, kam man auf etwa 38 Jahre. Weiter zurück gibt es nur Schätzwerte, die von etwa 30 Jahren um 1700 ausgehen. Ein Blick in die Kirchenbücher bestätigt, dass diese Werte auch für Güntersleben zutreffen.
Allerdings muss man beachten, dass es sich bei der statistischen Lebenserwartung um Durchschnittswerte handelt, die in früherer Zeit ganz erheblich durch die hohe Kindersterblichkeit beeinflusst waren. Auch in Güntersleben starben um 1870 und auch noch im beginnenden 20. Jahrhundert vier von zehn Neugeborenen bei der Geburt oder vor dem fünften Lebensjahr. Lässt man diese bei der Berechnung der statistischen Lebenserwartung außer Betracht, kommt man auch für vergangene Jahrhunderte auf deutlich höhere Werte als die genannten.
Es wäre daher ein Fehlschluss, wollte man annehmen, dass die ältesten Menschen wie heute nur wenige Jahre mehr als die durchschnittliche Lebenserwartung erhoffen durften. Auch in früheren Jahrhunderten konnte man mit etwas Glück 70 oder 80 Jahre und in allerdings seltenen Fällen noch älter werden.
Nur wenige über 70
Anhand der Günterslebener Kirchenbücher, in denen seit 1592 die Lebensdaten aller Ortsbewohner erfasst wurden, lässt sich auch für frühere Jahrhunderte ziemlich exakt ermitteln, wie alt die Menschen hier am Ort wurden. Für die Zeit ab 1750 mit damals etwa 630 Einwohnern, findet man in den meisten Jahren zwischen 15 und 20 Personen, die 70 Jahre und älter waren. Selten waren es mehr, in manchen Jahren aber auch deutlich weniger. Bei diesen Zahlen blieb es im Wesentlichen die folgenden eineinhalb Jahrhunderte, auch wenn die Einwohnerzahl stieg. Mit der Entwicklung der Einwohnerzahl hielt der Anteil der Älteren im Dorf nicht Schritt. Im Gegenteil. Wenn um 1880 bei fast verdoppelter Einwohnerzahl immer noch erst um 20 Personen im Alter von 70 und darüber im Dorf lebten, bedeutet das, dass ihr Anteil an der Gesamtzahl der Einwohner sogar deutlich zurückgefallen war. Erst kurz vor dem Eintritt in das 20. Jahrhundert zeichnet sich eine deutlich positivere Entwicklung mit jetzt 30 und mehr Angehörigen dieser Altersgruppe ab. Die Lebensbedingungen auf dem Land hatten sich eben über lange Zeit kaum entscheidend verbessert und der medizinische Fortschritt, so es ihn gab, kam erst mit Verzögerung in den Dörfern an. Immer wieder zogen auch Epidemien durch das Land, wie die Typhusepidemie von 1860, durch die binnen weniger Monaten über 20 Erwachsene in Güntersleben starben.
Selten über 80
Das Glück, 80 Jahre und älter zu werden, war bis hinein in das beginnende 20. Jahrhundert nur ganz Wenigen vergönnt. Nur selten findet man in diesem Zeitraum mehr als drei Personen dieses Alters gleichzeitig im Dorf. Es gab Jahre, zuletzt 1868 und 1869, in denen die Dorfältesten keine 80 Jahre alt waren. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg mit jetzt 2000 Einwohnern blieben 80 und mehr Lebensjahre die absolute Ausnahme und waren mit zehn bis zwölf Personen unter den jetzt 2000 Einwohnern bis 1950 eine kaum wahrnehmbare Minderheit. Erst danach stieg die Anzahl der Einwohner ab 80 Jahren. Zunächst langsam, dann aber immer schneller und damit auch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. 1970 waren 25 Personen oder je einer von 100 Einwohnern 80 und älter. Bis zum Jahr 2000 verdoppelte sich dieser Anteil auf zwei von 100 bei jetzt 80 Angehörigen dieser Altersgruppe. Und heute? Bei nahezu unveränderter Einwohnerzahl sind mittlerweile fünf von 100 Einwohnern 80 Jahre und älter. In absoluten Zahlen liest sich das so: Annähernd 4600 Einwohner, darunter 240 im Lebensalter von 80 und darüber. Und deren Anteil wird weiter zunehmen. Was sich über die Jahrhunderte nicht geändert hat: Es waren und sind mehr Frauen als Männer, die ein höheres Alter erreichen.
In 400 Jahren nur fünf Dorfbewohner über 90
Den Altersrekord aller Günterslebener hielt bis 1990 ein Mann, der vor 400 Jahren lebte. Maternus Stieber wurde 1604 geboren und starb 1701 mit 97 Jahren. Älter als er wurde erst 1991 wieder ein Günterslebener. Maternus Stieber stammte offenbar aus einer im Dorf sehr angesehenen Familie. Denn bei seiner Taufe übernahm Pfarrer Vitus Fenn auch das Amt des Taufpaten, was höchst ungewöhnlich und wohl als besondere Auszeichnung zu verstehen war. Auch abweichend von der gewohnten Übung erhielt der Täufling nicht den Vornamen seines Paten, sondern wurde nach dem Kirchenpatron Maternus genannt. Auch bei seiner Heirat im Jahr 1647 erhielt er hochrangigen Beistand in der Person des damaligen Schultheißen Johann Rothenhöfer als Trauzeugen. Stieber verehelichte sich bei seiner späten Heirat mit einer 20 Jahre jüngeren Frau, die er dann aber um 26 Jahre überlebte. Die Eheleute hatten neun Kinder, die alle das Erwachsenenalter erreichten. Auch das war für damals alles andere als selbstverständlich.
Nach Maternus Stieber gab es mit Eva Reißweber (1691-1782), Katharina Kuhn (1692-1784), Michael Schubert (1723-1814) und Elisabeth Röder (1735-1829) in den folgenden Jahrhunderten in Güntersleben nur drei Frauen und einen Mann, die über 90 Jahre alt wurden.
Es dauerte bis 1906, ehe dann hin und wieder jemand hier älter als 90 Jahre wurde. Erst seit 1970 begegnet man in Güntersleben durchgehend auch 90-Jährigen. Zuletzt auch da der beschleunigte Zuwachs. Nach dem Stand zum Jahresende 2024 hatten 24 Personen das neunte Lebensjahrzehnt vollendet.
Die ersten 100-Jährigen
Auguste Genzel war mit ihrer Familie nach Güntersleben gezogen, nachdem beim Angriff auf Würzburg am 16. März 1945 ihre Wohnung und das Fotogeschäft ihres Mannes zerstört worden waren. Im Juni 1994 konnte sie, seit wenigen Wochen wieder in Würzburg in einem Altenheim, ihren 100. Geburtstag feiern. Erst in sehr viel höherem Alter, aber auch als späte Folge des Krieges, kam Ferdinand Münster nach Güntersleben, wo er die letzten Lebensjahre bei seinen Angehörigen verbrachte und 2009 noch seinen 100. Geburtstag erleben dürfte.
Als erstes Günterslebener „Urgestein“ wurde 2015 Theresia Krämer 100 Jahre alt. Ebenfalls ihr gesamtes Leben von Geburt an in Güntersleben zuhause konnte Margarete Issing 2018 auf 100 Jahre zurückblicken. Gleiches gilt für Eugenie Schömig, die 2022 die nächste 100-Jährige war.
Margarete Issing, als frühere Briefträgerin auch als „Post-Gretl“ bekannt und bis zuletzt am Dorfleben interessiert, erreichte dabei von allen das höchste Lebensalter. Sie starb im Oktober 2019 im Alter von 101 Jahren und neun Monaten.
06/2025