Alte Häuser – neue Häuser
Im Jahr 2013 feierte Güntersleben sein 900-jähriges Bestehen. Genauer gesagt markiert das Jahr 1113 nicht die Geburtsstunde des Dorfes, sondern das Jahr, aus dem der erste gesicherte Nachweis über seine Existenz stammt. Der Nachweis besteht darin, dass in einer Urkunde aus diesem Jahr der Ortsname in der damaligen Schreibweise „Gundresleibi“ erscheint. Andere Nachrichten über Güntersleben aus dieser oder früherer Zeit gibt es nicht oder wurden bisher noch nicht entdeckt.
Wir kennen zwar aus späteren Lagebeschreibungen den Standort der damals wohl schon vorhandenen Lorenzkapelle bei der heutigen Festhalle. Davon ausgehend darf man annehmen, dass dort um die Kirche auch die Bauern ihre Höfe hatten. Wie viele das aber außer der in der Urkunde genannten Hofstelle waren, wissen wir nicht. Von all dem wurden uns keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Der Blick auf das Dorf und in das Dorf von 1113 bleibt uns verschlossen.
Die ältesten erhaltenen Bauwerke
Am weitesten zurück an den Anfang der bekannten Geschichte von Güntersleben führt uns der Blick auf die Pfarrkirche. Allerdings nicht in der Ansicht, wie sie sich nach mehrfachen Anbauten und Erweiterungen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts heute dem Betrachter von weithin präsentiert. Man muss schon nahe hin, auf den Kirchplatz, um die beiden unteren Geschosse des Kirchturms zu sehen, die als ältestes erhaltenes Zeugnis der Baugeschichte von Güntersleben um 1150 entstanden sind.
In der Nachbarbarschaft der Kirche findet man dann auch die Bauwerke, die ihr – wenngleich mit beträchtlichem Abstand – nach ihrer Entstehungszeit am nächsten kommen: das Alte Rathaus, nach 1590 von der Gemeinde als Schulhaus gebaut. Das Pfarrhaus, 1688 vom Kloster St. Stephan für seine nach Güntersleben entsandten Pfarrherren gebaut. Gegenüber das 1731 gebaute erste Rathaus der Gemeinde, später viele Jahre im Besitz der Pfarrgemeinde und als Frühmessnerhaus bekannt, jüngst vom neuen Eigentümer denkmalgerecht restauriert. Wie das Kolpinghaus unmittelbar neben der Kirche, 1838 als Schule gebaut und damit etwas jüngeren Datums, hatten alle diese Bauwerke eine öffentliche Zweckbestimmung. Wenn sie länger als alle anderen Häuser in Güntersleben die Jahrhunderte überdauert haben, ist das kein Zufall. Waren doch die privaten Bauherren im Dorf, nach unseren heutigen Maßstäben durchwegs Kleinbauern, in fernerer Zeit kaum in der Lage, Gebäude zu erstellen, die eine vergleichbar lange Lebensdauer erwarten ließen.
Die Wohnhäuser der Dorfbewohner
Auch heute noch lässt sich unschwer an der engen und kleinteiligen Bebauung entlang der Gassen zur Kirche hinauf und an der Neubergstraße – ehemals der Kuhhaug – erkennen, dass diese Ortsbereiche früher als alle anderen bebaut wurden. An den teilweise recht steilen Hanglagen war das Bauen zwar schwieriger als in der Ebene, dafür war man aber sicher vor den Überschwemmungen des Dürrbachs und Hochwassereinbrüchen aus den Seitentälern bei Unwettern.
Wann die ältesten der heute 1280 Wohnhäuser in Güntersleben gebaut wurden, lässt sich mit genauen Jahresangaben nicht belegen. Nur so viel ist sicher: Sechs Häuser – sie stehen an der Schönbrunnenstraße, an der Gramschatzer Straße, in der Büttnergasse, in der Schustergasse, in der Zehntgasse und in der Engelsgasse – sind älter als 250 Jahre. Sie sind bereits im ersten erhaltenen Brandversicherungsregister von 1763 verzeichnet. Die anderen 162 Häuser, die dort aufgeführt sind, mussten in neuerer Zeit Neubauten weichen.
Zu den erwähnten sechs ältesten Wohnhäusern gehört auch das sehenswerte, weil in den letzten Jahren überaus gelungen restaurierte, Fachwerkhaus am Ende der Schönbrunnenstraße. Es ist nahezu das letzte der 50 Häuser, die um 1860 in Güntersleben noch ganz oder zu großen Teilen mit Holzfachwerk gebaut waren. Die meisten von ihnen stehen nicht mehr. Bei fast allen anderen verbirgt sich das ehemals sichtbare Fachwerk hinter einer später aufgebrachten Putzfassade.
Nach den sechs ältesten Häusern gibt es weitere 95, die deutlich älter sind als 100 Jahre. Sie wurden zwischen 1800 und 1914 gebaut, bevor der Ausbruch des Ersten Weltkriegs jede weitere Bautätigkeit in Güntersleben für die Dauer der Kriegsjahre zum Erliegen brachte. Nach den älteren durchwegs eingeschossigen Häusern mit niedrigen Raumhöhen findet man darunter jetzt auch die ersten zweigeschossigen Häuser, die seit etwa 1850 von denen gebaut wurden, die es sich leisten konnten (und das auch zeigen wollten).
Bald nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kam in Güntersleben wieder eine rege Bautätigkeit in Gang, der auch die Inflation von 1923 keinen erkennbaren Abbruch tat. Von den Wohnhäusern, die zwischen 1921 und 1939 gebaut wurden, werden rund 70 heute noch genutzt, viele in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur modernisiert, sondern auch angebaut, aufgestockt oder in anderer Weise den heutigen Wohnbedürfnissen angepasst.
Wo danach neun von zehn Häusern erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, erinnert beim Gang durch die Straßen von Güntersleben nur noch wenig an das Dorf der Vergangenheit.
10/2023