Archive in Güntersleben – noch lange nicht ausgeschöpfte Fundgruben

29. Dezember 2021

Archive in Güntersleben – noch lange nicht ausgeschöpfte Fundgruben

 

Wenn jemand mehr darüber erfahren will, wer seine ferneren Vorfahren waren, woher sie stammten, wie sie lebten und was sie erlebten, dann endet das überlieferte Wissen in den meisten Familien bei den Großeltern oder spätestens bei den Urgroßeltern. Manchmal findet sich noch ein Ahnenpass, wie er in unseliger Zeit gefordert wurde, der einen noch ein Stück weiter zurückführt. Ähnlich geht es dem, der ein älteres Haus sein Eigen nennt. Er hat vielleicht davon gehört und findet da und dort noch Spuren, die darauf hindeuten, dass es schon eine sehr lange Geschichte hat. Verlässliche Unterlagen über die Vergangenheit, sofern man sie je besessen hat, wurden aber spätestens beim Übergang auf eine nächste Generation immer spärlicher.

Wer mehr früherer Zeit ausgraben will, muss in die Archive hinunter oder hinauf steigen, ins Gemeindearchiv unten im Keller des Rathauses oder ins Pfarrarchiv oben unter dem Dach des Pfarrhauses. Wem das noch nicht genügt, für den kann sich auch der etwas weitere Weg in das Staatsarchiv oder das Diözesanarchiv in Würzburg lohnen.

 

Das Archiv der Gemeinde

Im Oktober 1610 schrieb der Günterslebener Schulmeister Johann Hartmann den ersten Eintrag in ein Buch, dem er den Titel „libellus actorum diurnorum“ (in deutscher Übersetzung: Buch der täglichen Verwaltungsgeschäfte) gab. Es ist das älteste der 130 Amtsbücher im Archiv, in denen früher die Lehrer als Gemeindeschreiber alle wichtigen Vorgänge der Gemeindeverwaltung protokolliert haben.

Gemeindearchiv 2

Das Archiv der Gemeinde

Aus dem Jahr 1698 stammt ein über 1200 Seiten starker voluminöser Band, in dem alle damals 105 Häuser und Hofstellen mit den Namen der Besitzer und dem dazu gehörenden Vermögen an Äckern, Wiesen, Weinbergen und Vieh aufgeführt sind. Solche Schatzungsbücher zum Zwecke der Steuerveranlagung wurden in mehrjährigem Abstand immer wieder angelegt und aktualisiert. Anhand dieser Bücher lässt sich nachvollziehen, wie groß das Dorf war und wie es gewachsen ist. Geometrisch genau wurde Güntersleben mit allen Grundstücken und Gebäuden zum ersten Mal 1832 vermessen. Auch diesen und die nachfolgend erstellten Ortspläne, auf denen die Entwicklung bis zu den heute fast 1300 Anwesen festgehalten ist, kann man im Gemeindearchiv einsehen.

Seit 1718 sind nahezu lückenlos alle Jahresrechnungen der Gemeinde erhalten. Rund 2000 Bände mit Rechnungsbelegen und Zahlungsvorgängen geben Auskunft darüber, was die Gemeinde wann gebaut hat, welches Personal sie beschäftigt hat, wie der Wald in früherer Zeit den Gemeindehaushalt finanziert hat und vieles andere mehr.

Wieder 100 Jahre später beginnen 1818 die Niederschriften über die Sitzungen der Gemeindeverwaltung, die ihre Fortsetzung in den Protokollen des heutigen Gemeinderats finden. Über 50 Protokollbücher enthalten mehr als 4000 Sitzungsniederschriften, in denen man nachlesen kann, was in Güntersleben zu den verschiedenen Zeiten gerade aktuell war.

Es sind das nur Beispiele für das viele, das sich in den langen Regalreihen, nicht zuletzt auch zur Geschichte vieler Familien, die schon länger im Dorf ansässig sind, im Laufe von über vier Jahrhunderten angesammelt hat.

 

Das Archiv der Pfarrei

Am 16. Juli 1345 trennte Bischof Otto von Würzburg den vormaligen Filialort Güntersleben von seiner Mutterpfarrei Veitshöchheim und verlieh ihm den Status einer eigenen Pfarrei. Eine Kopie dieser Gründungsurkunde ist das älteste Dokument im Günterslebener Pfarrarchiv. Es enthält darüber hinaus noch weitere Dokumente, die älter sind als die Bestände im Gemeindearchiv.

Zu den besonders wertvollen Stücken im Pfarrarchiv gehört das Original des „Protocollum des Löblichen Gotteshauses und Pfarrey zu Gündersleben“. Es handelt sich dabei um die erste Ortschronik, verfasst von Pfarrer P. Ignatius Gropp um 1750.

Zins- und Lehensbücher, das älteste beginnend 1602, geben Aufschluss über die Grundbesitzverhältnisse im Dorf. Seit 1732 sind die Jahresrechnungen der örtlichen Kirchenstiftung mit den Einnahmen und Ausgaben für kirchliche Gebäude und Seelsorge nahezu lückenlos erhalten.

Die Bestände im Pfarrarchiv beschränken sich nicht auf kirchliche Angelegenheiten im heutigen Sinne. Da die Pfarrer bis 1919 die Aufsicht über das Schulwesen und die Lehrer führten, für die Armenfürsorge und auch für Ordnungsangelegenheiten im Dorf verantwortlich waren, sind die älteren schriftlichen Zeugnisse auch aus diesen Bereichen überwiegend im Pfarrarchiv zu finden.

Für Familienforscher eine besondere Fundgrube sind die Matrikelbücher mit den Einträgen der Geburten bzw. Taufen, Eheschließungen und Sterbefälle am Ort. Sie wurden von den Pfarrern in Güntersleben 1592 begonnen und damit fast 300 Jahre bevor 1872 die Standesämter der Gemeinden eingerichtet wurden. Die Matrikelbücher, für die Zeit davor die einzige Informationsquelle über persönliche Daten, haben in Güntersleben alle Wirrnisse der Zeiten unbeschadet überstanden. Um sie auch fernerhin bestmöglich zu sichern, werden sie seit Mitte der 1990er im Diözesanarchiv in Würzburg verwahrt. Dort können sie in digitalisierter Form von jedermann eingesehen werden.

 

Zwar geordnet, aber längst nicht alles erschlossen

Die örtlichen Archive der Gemeinde und der Pfarrei wurden in den vergangenen Jahren zeitlich und thematisch so geordnet, dass die Bestände vor Verlusten geschützt und gut zugänglich sind. Gerade die älteren, handschriftlich und unterschiedlich gut lesbar abgefassten Bücher enthalten aber nach wie vor einiges, das bisher noch nicht erschlossen und ausgewertet werden konnte. Wer sich auf die Suche begibt, wird immer wieder Neues entdecken, das unser Wissen und das Verständnis über die Geschichte von Güntersleben ergänzt und erweitert. Unabhängig davon, ob und wann jemals alles zutage gefördert wird, als „Gedächtnis des Dorfes“, wie sie durchaus treffend auch genannt werden, bieten die örtlichen Archive die Gewähr, dass nichts von dem, was aufgezeichnet wurde, endgültig dem Vergessen anheimfällt.

12/2021