Zum Lehramte und zu der Gemeindeschreiberei unbrauchbar
Nachdem der Fürstbischof 1770 das Lehrerseminar in Würzburg gegründet hatte, kamen auch nach Güntersleben nur noch Lehrer, die eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung und Prüfung vorweisen konnten. Wie sich zeigte, waren damit aber noch lange keine stabilen Schulverhältnisse garantiert. Der Reihe nach waren in Güntersleben die Schulmeister, die einen von Anfang an, die anderen mit fortschreitender Dienstzeit, den Anforderungen ihres Amtes nicht gewachsen.
Kaspar Seyffert – wegen Untätigkeit und dgl. seines Dienstes entsetzt
Kaspar Seyffert aus Stockheim an der Rhön übernahm 1785 die Schulleitung in Güntersleben, um schon nach wenigen Jahren „wegen seinem unsittlichen Betragen sowohl als wegen seiner Untätigkeit und dgl. seines Dienstes unwürdig erachtet und entsetzt“ zu werden. Erst 54 Jahre alt und schon nicht mehr im Dienst, fand er 1796 ein tragisches Ende. Französische Soldaten, die auf dem Rückzug plündernd und mordend durch das Dorf zogen, erschossen ihn in seinem Haus.
Die Nachricht vom unrühmlichen Dienstabgang Seyfferts wie die für heutige Gepflogenheiten recht drastische Darstellung der Gründe findet sich erst 20 Jahre später im Protokollbuch der Ortsarmenkommission. Die hatte sich damals mit einem Gesuch von Seyfferts Tochter um Unterstützung zu befassen. Die hatte im Jahr zuvor ein Kind geboren, nachdem sie nach ihren Angaben von einem russischen Soldaten in einem Nachbarort vergewaltigt worden war. Sie gab an, dass sie „gar kein Vermögen besitze und nicht einmal die Blöße meines Leibs bedecken kann.“ Die Günterslebener Räte beeindruckte das nicht. Sie hielten ihr entgegen, dass ihr Unglück nur „ihrem Ungehorsam, Eigensinn und Freiheitsgefühle zuzumessen“ sei, weil sie Güntersleben, wo sie in Dienst hätte gehen können, verlassen habe. Sie verdiene „weder hinsichtlich ihres Vaters noch hinsichtlich ihres unmoralischen Betragens bemitleidet zu werden“. Würde die Gemeinde verpflichtet, „zur Erziehung ihres Kindes nur den geringsten Beitrag zu tun, so würden derlei Gesuche nie zu Ende kommen und Hurerei gleichsam begünstiget und befördert.“ Damit war der Fall abgehandelt.
Valentin Faulhaber – dem Trunke ergeben
Der Nachfolger von Seyffert war der Lehrer Valentin Faulhaber. Als einziger Lehrer, nur unterstützt durch einen Kantor, hatte er über 100 Kinder zu unterrichten. Mit seinen weiteren Aufgaben als Gemeindeschreiber und Kirchendiener war das ein großes Pensum, das er aber viele Jahre offenbar ohne Beanstandungen bewältigte. 1818 heiratete sein ältester Sohn Simon eine Tochter des Engelwirts Johann Fritz und pachtete dessen Wirtshaus unten an der Langgasse, wo jetzt das Ärztehaus steht. Wie es scheint, fand der Vater neben seinen vielfältigen Aufgaben auch noch Zeit, zur Umsatzsteigerung im Wirtshaus seines Sohnes persönlich beizutragen. Vielleicht war es auch der Stress, der ihn zum Glase greifen ließ.
Die Folge war, dass auch die Schullaufbahn des Lehrers Faulhaber vorzeitig endete. Mit Verfügung vom 18. Dezember 1820 versetzte ihn die Kgl. Regierung „als Lehrer, Gemeindeschreiber und Kirchendiener gegen Bezug einer jährlichen Pension von 150 Gulden mit Entfernung aus dem Schulhause“ mit 56 Jahren in den Ruhestand. Zur Begründung heißt es in der Verfügung, dass „der Lehrer Faulhaber dem Trunke ergeben, zum Lehramte und zu der Gemeindeschreiberei unbrauchbar“ sei.
Karl Joseph Roth – wegen sittlicher Verfehlungen dienstenthoben und flüchtig
Um die Pension zu finanzieren, kürzte die Gemeinde dem Nachfolger Karl Joseph Roth die nächsten 20 Jahre, die Faulhaber noch lebte, das Gehalt entsprechend. Roth war jahrzehntelang ein überaus geschätzter Lehrer und Kirchenmusiker. „Als Sänger ein tüchtiger Tenorist, ein gewandter Orgelspieler und ein sehr guter Violinist“, ist in seinem Personalbogen zu lesen. Er war wohl auch eine selbstbewusste Persönlichkeit, so dass ihm der Pfarrer 1842 bescheinigte, er folge „den Anordnungen seiner Vorgesetzten nur, wenn es ihm gefällig ist.“ Auch als Gemeindeschreiber hatte er schon mal Ärger mit dem Prüfer der vorgesetzten Behörde. Als er den Verdacht äußerte, dass es diesem bei seinen Beanstandungen nur darum gehe, die Schreibarbeiten selbst zu übernehmen, und – für damals reichlich mutig – hinzusetzte, dass der Prüfer „mit diesem einem armen Schullehrer entziehenden Verdienst doch nicht selig werde“, brachte ihm das einen Verweis „wegen seiner ungebührlichen Sprache“ ein.
Nach mehr als 30 Jahren ansonsten untadeliger Dienstführung kamen 1854 Gerüchte in Umlauf, wonach der – seit einem Jahr verwitwete – Lehrer Roth „sich der Verführung schulpflichtiger Mädchen schuldig gemacht habe“. Roth stellte zwar die Anschuldigungen mit Nachdruck als Verleumdung in Abrede. Nachdem sich der Verdacht aber erhärtete, wurde er unter Aberkennung jeglicher Versorgungsbezüge aus dem Schuldienst entlassen. Wie es ihm danach erging, schildert er in einem Bittgesuch an die Regierung vom 28. September 1856 selbst: „Wie einer Höchsten Kreisstelle bekannt, wurde ich wegen eines sittlichen Vergehens, das ich nicht ganz entschuldigen kann, in Folge disciplinarer Einschreitung von meiner Stelle als Schullehrer, Kirchner und Gemeindeschreiber zu Güntersleben entlassen. Ich entsetzte mich über den plötzlichen Verlust meiner Stelle und entfloh in geistiger Verwirrung und niedergedrückt von Scham im Juli 1854 nach New York. Ohne alles Vermögen, ohne Kenntnis der Sprache konnte ich daselbst kein Unterkommen finden; auch trieb mich die Sorge und der Kummer um meine zurückgelassenen Kinder am 3. Juni 1855 wieder in mein Vaterland…“ Seine trostlose Lage fasste er so zusammen: „Ich besitze zur Zeit nicht das Mindeste an Vermögen.“
Die Regierung fühlte sich nicht zuständig und verwies Roth an die Gemeinde Güntersleben. Dort landete sein Gesuch beim Armenpflegschaftsrat, der gleichermaßen eine finanzielle Unterstützung versagte, sich aber seiner gesetzlichen Verpflichtung doch nicht ganz entziehen konnte: „In Rücksicht auf die Alimentationspflicht, welche der Gemeinde zusteht, wird demselben jedoch eine Materialunterstützung durch Kosttage nicht versagt werden, wenn sich derselbe vorschriftsgemäß bei dem Armenpflegschaftsrate stellen und sein Gesuch vorbringen wird.“ Welch eine Demütigung für ihren langjährigen Schulleiter, dass er sich jeden Tag reihum einem anderen Haushalt zur Verköstigung zuweisen lassen sollte! Dass er diesem Angebot nicht nachkommen würde, war wohl auch für die Mitglieder des Armenpflegschaftsrates – darunter der Pfarrer und der Ortsvorsteher – abzusehen.
August Hummel – ein lügenhafter und arroganter Schuldenmacher
Angesichts des Desasters, das der Lehrer Roth hinterlassen hatte, legte der Distriktsschulinspektor, nach unserem heutigen Verständnis der Schulrat, der Regierung ein klares Anforderungsprofil als Entscheidungshilfe für die Auswahl des nächsten Lehrers vor. Demnach „wäre nur ein Mann geeignet für Güntersleben, der mit Begeisterung und Liebe seinem Berufe obliegt, ohne Fehler und Tadel ist und Ansehen wegen seiner Rechtschaffenheit genießt.“ Doch müsse der „auch seinen Worten Nachdruck geben, darf bei Hindernissen und Kränkungen, die wegen der Derbheit der Günterslebener nicht selten vorkommen, nicht den Mut verlieren, sonst ist es um ihn geschehen.“
Mit August Hummel glaubte die Regierung den richtigen Mann gefunden zu haben, musste aber schon zwei Jahre nach dessen Dienstantritt hören, „dass überall bekannt ist, daß er Schulden über Schulden hat und immerfort von den Gläubigern verfolgt wird.“ Nochmals zwei Jahre später berichtete der Distriktsschulinspektor 1858 über den Schulmeister Hummel: „Derselbe steht im 54. Lebensjahr, sein Hauswesen ist zerrüttet; die Gläubiger plagen ihn fort und fort; Kummer und Sorge, Hochmut und Zorn nagen in ihm. Wirte, Bäcker, Metzger wollen nicht gerne mit ihm zu tun haben; überdies ist er stolzen Charakters, voll Dünkel, so dass andere Schullehrer mit ihm nicht verkehren wollen.“ Man mag kaum glauben, dass dieses Zeugnis einem Lehrer galt, der die Schule in Güntersleben leitete. Wenig erfreulich auch seine Familienverhältnisse: „Hummels Frau ist am meisten zu beklagen. Diese plagt sich, arbeitet, ist bescheiden, duldet… Sein Sohn Otto, der Gehilfe, zeigt Spuren, er werde das väterliche Geleise nicht ganz verlassen. Ein zweiter Sohn ist Brauer. Der jüngste besucht die Gewerbsschule zu Würzburg. Die zwei ledigen Töchter sitzen zu Hause und gerieren sich als Fräulein.“
Die Schulbehörden wussten also Bescheid und es änderte sich – nichts. Im Jahresbericht von 1859 konnte der Pfarrer daher nur neuerlich feststellen: „I. Schullehrer August Hummel hat wenig Religion, ist lügenhaft, arrogant, hochfahrend, überspannt, schlechter Haushälter und Familienvater, benimmt sich verächtlich gegen den II. Schullehrer, vergißt seine Stellung gegenüber dem Lokalschulvorstand und ist demselben ungehorsam und widerspenstig, wenn er nicht von höherer Stelle in Schach gehalten wird.“
Der Lehrer Hummel wurde zwar immer wieder an die höhere Schulbehörde vorgeladen, zusammen mit seinem Sohn und Gehilfen Otto. Es gab Ermahnungen und Verweise. Beeindruckt hat das keinen der beiden. Erst sein früher Tod mit 56 Jahren machte 1861 den Weg frei für einen Neuanfang an der Schule in Güntersleben.
Konrad Reeg – der rohen Jugend nicht gewachsen
Als nächster folgte auf die I. Schulstelle in Güntersleben mit Konrad Reeg zwar endlich wieder jemand, der persönlich „ohne Fehl und Tadel“ war, wie vom Distriktsschulinspektor schon bei der vorangehenden Stellenbesetzung gefordert. Der „rohen Jugend“ und der „Derbheit der Günterslebener“, die er auch beobachtet haben wollte, war der gute Mann aber anscheinend weniger gewachsen. Mit der Schulpflicht nahmen es viele Schüler und auch manche Eltern nicht so genau. Die Liste mit den Schulversäumnissen, die der Lehrer allmonatlich der Lokalschulinspektion vorzulegen hatte, wurde immer länger. Dass im Durchschnitt fünf oder sechs, manchmal auch mehr Schüler einfach nicht zum Unterricht kamen und sich dafür auch nicht entschuldigten, war bei ihm ganz normal. Da halfen auch alle Bestrafungen bis hin zum Arrest für unbelehrbare Väter oder Mütter nichts. Nach zehn Jahren wurde Reeg 1872 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Die Gründe sind nicht bekannt, vielleicht war er schlicht überfordert.
Nach fast 90 Jahren und fünf Schulmeistern, die von Anfang an oder mit fortgeschrittener Dienstzeit den Anforderungen an ihr Amt nicht gewachsen waren, konnte es nur noch besser werden. Und mit dem nächsten Lehrer wurde es auch wirklich besser.
01/2022