Bagasch und Botschamber

25. August 2024

Bagasch und Botschamber

Sprache verrät die Herkunft

Wer bei Personen aus dem näheren Umkreis genau hinhört, kann schon – früher häufiger als heute –  an der Sprache erkennen, ob jemand aus Güntersleben, Rimpar oder Thüngersheim stammt. Denn es gibt nicht nur die eine fränkische oder mainfränkische Mundart. Vielmehr unterscheiden sich auch schon zwischen Nachbardörfern die Sprachbilder und Ausdrucksformen so sehr, dass eine genaue Zuordnung möglich ist. Erklären lässt sich das damit, dass die Dörfer in der Vergangenheit nur wenig Verbindung zur Außenwelt hatten und neben ihren örtlichen Traditionen und Bräuchen auch ihre Mundart weitgehend eigenbestimmt ausformten und fortentwickelten. Umso mehr überrascht es, dass sich auch in der Günterslebener Mundart nicht wenige Ausdrücke finden, die ihren Ursprung in der französischen Sprache haben.

Der Weg des Französischen in den deutschen Wortschatz…

Begriffe französischer Herkunft, sogenannte Gallizismen, findet man in der deutschen Sprache zuhauf. Wir verwenden sie im alltäglichen Gebrauch, ohne uns noch bewusst zu sein, dass sie ursprünglich nicht unserer Sprache angehörten. Für die zahllosen Beispiele, die man nennen könnte, seien nur der Friseur, der Amateur und der Experte oder auch massieren, motivieren und sabotieren genannt.

Als Ausgangspunkt für das Eindringen der vielen Gallizismen in die deutsche Sprache wird allgemein die Zuwanderung der Hugenotten in den deutschen Sprachraum gegen Ende des 17. Jahrhunderts gesehen. Im damals katholischen Frankreich als Anhänger der reformatorischen Lehre Calvins verfolgt, flohen viele von ihnen in deutsche Länder, in denen sie unter protestantischen Herrschern Aufnahme und Schutz fanden. Mit ihrer Religion brachten sie auch ihre Sprache mit.

Hinzu kam die Ausstrahlung des französischen Hofes. Die unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. und seinen absolutistisch herrschenden Nachfolgern zur Schau gestellte höfische Prachtentfaltung wurde zum Vorbild für die deutschen Landesfürsten. Mitglieder des Hofadels und der gebildeten Stände oder solche, die sich dazugehörig fühlten, pflegten bei gehobener Konversation französisch zu parlieren, um sich dadurch auch vom gewöhnlichen Volk abzugrenzen. Französisch wurde dann auch mehr und mehr zur Sprache der internationalen Diplomatie.

… und in die hiesige Dorfsprache

Von all dem war man in Güntersleben weit entfernt. Am ehesten erklären lässt sich daher das Einfließen französischer Begriffe in den dörflichen Sprachgebrauch damit, dass während der Kriege mit den französischen Revolutionstruppen und dann unter Napoleon vor und nach 1800 immer wieder einmal auch für längere Zeit französische Soldaten in Güntersleben einquartiert waren. Sie logierten im Pfarrhaus, in einem der beiden Wirtshäuser und auf den größeren Bauernhöfen im Dorf. Im täglichen Umgang mit der einheimischen Bevölkerung könnten die ersten französischen Begriffe in die Dorfsprache Eingang gefunden haben. Viele sind aber wohl auch erst später dazugekommen, wobei sich im Einzelnen nicht mehr nachvollziehen lässt, zu welcher Zeit und in welchem Zusammenhang das jeweils geschah.

Gewiss gab es aber auch immer schon Dorfbewohner, denen daran gelegen war, sich von ihrer Umgebung etwas herauszuheben. Französische Ausdrücke, wo immer man die aufgeschnappt hatte, in die Alltagssprache einfließen zu lassen, hörte sich vornehm und gebildet an. So wurde das gute alte Hemd zum Schmies, abgeleitet von chemise, dem französischen Wort für dieses Kleidungsstück. War selbiges etwas luftiger und leichter, wurde es zum Schmiesla. Auch Lehnwörter aus fremden Sprachen blieben also von der Verkleinerung auf fränkische Art mit -la und -le nicht verschont. Heute, wo der Einfluss des Englischen auf unsere Sprache den des Französischen längst abgelöst hat, würde man dazu wohl T Shirt sagen. Als réticule bezeichnete man in Frankreich die kleinen Handtaschen, die bei Damen vornehmeren Standes mit einem Band am Handgelenk baumelten. Als Ridikül gelangten sie in den deutschen Sprachraum und in der weiteren mundartlichen Abwandlung als Ridigil fanden auch die Frauen in Güntersleben Gefallen daran.

Die chaise longue, in der wörtlichen Übersetzung der lange Stuhl, lebt bis heute fast unverändert als Chaiselongue in der Möbelbranche fort. In der Mundart wurde daraus der oder das Scheslon. Während der Gebrauch dieser Bezeichnung selten geworden ist, begegnet man dem Kanabee noch häufiger, in der doppelten Bedeutung als Sitzmöbel oder – unter der edler klingenden Bezeichnung canabé – als Appetithäppchen.

In doppelter und zudem näherliegender Bedeutung, wurde auch das mundartliche Schese gebraucht, abgeleitet ebenfalls vom französischen chaise für Stuhl. Eine Schese konnte hierorts eine Pferdekutsche oder ein Kinderwagen sein. Handelte es sich bei letzterem um eine kleinere Ausführung oder einen Puppenwagen, wurde es zum fränkisch verkleinerten Schesla. Sogar noch eine dritte, weniger schmeichelhafte, Anwendung war gar nicht so selten. Als Schesa bezeichnete man hier auch ein etwas ungeschicktes oder ungestümes Frauenzimmer. Auf eine besondere Ästimierung – auch das französischer Herkunft von éstimer=wertschätzen – konnten diese nicht hoffen.

Erst französisch und später deutsch

Regenschirme kamen erst nach 1800 (und damit sehr viel später als Sonnenschirme) in Gebrauch, dem Zeitgeist entsprechend mit dem französischen Namen Paraplue. Es mag wohl noch 100 Jahre und mehr gedauert haben, bis dieses nützliche Requisit auch bei der Landbevölkerung ankam. Und da wurde aus dem Paraplue oder Paraplü in der Alltagssprache, jedenfalls in Güntersleben, das Barbla.

Das Paraplü oder Barbla ist nicht das einzige Objekt, das erst einmal nur unter einem aus dem Französischen abgeleiteten und danach mundartlich gefärbten Namen bekannt war, bevor oft sehr viel später die uns heute geläufige deutsche Bezeichnung üblich wurde. In manchen Fällen in der NS-Zeit bei der damals gepflogenen Deutschtümelei.

Auf einer Ansichtskarte, die nach dem Bau der Wasserleitungsanlage im Jahr 1909 in Umlauf gebracht wurde, ist unter dieser Bezeichnung das neue Hochreservoir auf der Platte abgebildet. Solange es in Betrieb war und auch danach noch blieb es für die Günterslebener in Anlehnung an den französischen Begriff für Vorratsbehältnisse das Reserwar. Erst die später gebauten größeren Anlagen kennt man hier als Hochbehälter.

Der französischen Sprache entlehnt war auch die Bezeichnung für die neuartigen Gefährte, auf denen sich 1908 die ersten mutigen (und bei den stolzen Anschaffungskosten auch gut betuchten) Ortsbürger dem staunenden Publikum präsentierten. Aus den vélocipèdes wurden in der Ortssprache die Felizebees und blieben es auch noch lange, nachdem die bald darauf entstehenden Radsportvereine das Fahrrad unter dieser deutschen Bezeichnung populär machten.

1913 wurde die Langgasse hinauf der erste und für lange Zeit einzige Gehsteig in Güntersleben gebaut. Niemand im Dorf bezeichnete ihn aber so. Für die Dorfbewohner war er das Trottwar und damit nahezu gleichlautend der französischen Bezeichnung trottoir für Fußgängerwege. Im damaligen Beschluss der Gemeindeverwaltung heißt es im Übrigen, wie in anderen Fällen um diese Zeit, dass die Langgasse chaussiert wird. Auch das eine unverkennbar aus dem Französischen hergeleitete Bezeichnung, die man immer dann gebrauchte, wenn eine Straße mit einer festen Oberfläche ausgebaut wurde. Solche Straßen bezeichnete man dann folgerichtig, jedenfalls im gemeindeamtlichen Sprachgebrauch, auch als Chausseen. So kann man schon in einem Vertrag von 1874 über die Verpachtung der Schafweide in Güntersleben lesen, dass die „Böschungen an den Chausseen“ nicht beweidet werden dürfen. Heute eine Straße in Güntersleben als Chaussee zu bezeichnen, würde schon etwas Verwunderung auslösen.

Sprache und Bedeutung wandeln sich

Wäre der Beitrag an dieser Stelle zu Ende, würde mancher Leser oder die eine oder andere Leserin möglicherweise etwas vermissen: das Bagasch oder den Botschamber. Beide dem Französischen (bagage und pot de chambre) entlehnten Begriffe kennt man nicht nur in der Günterslebener Mundart sondern eigentlich im gesamten deutschen Sprachraum. Bagasch hat dabei gegenüber dem französischen Ursprungswort einen Bedeutungswandel erfahren. Während dort bagage für das mitgeführte Reisegepäck steht, meint man hier mit Bagasch oder der ortstypischen Ausformung Bagäschie wenig angesehene oder auffällige Zeitgenossen, manchmal auch den mitgeführten Familienanhang. Botschamber hat zwar noch die gleiche Bedeutung wie der französische pot de chambre (Nachttopf), hat aber im Lauf der Zeit einen Wandel in der Wahrnehmung erfahren. Ursprünglich als vornehme und diskrete Umschreibung eines zu Zeiten ohne Haustoilette unverzichtbaren Utensils verstanden, mutierte der Botschamber in der mundartlichen Ausformung zu einem eher derben und ordinären Begriff, Naserümpfen inbegriffen.

Die meisten der hier angeführten und viele weitere Entlehnungen aus dem Französischen sind mit dem Rückgang der Mundart verschwunden. Noch mindestens bis in die späten 1970er Jahre waren sie älteren Ortsbewohnern geläufig und gehörten zu ihrem Alltagswortschatz.

Wer heute beklagt, dass zu viel Englisch in die deutschen Sprachgewohnheiten einfließt, der sollte im Blick auf die geschilderte Entwicklung bedenken: Sprache bleibt nicht auf dem Stand, den wir einmal gelernt haben, sie hat sich schon immer verändert und wird sich weiter verändern. Allenfalls geht es, wie bei vielem anderen, schneller als in der Vergangenheit.

08/2024