Bildstöcke erzählen Geschichte(n)

29. März 2023

Bildstöcke erzählen Geschichte(n)

Bildstöcke gehören zum Bild der Dörfer und Fluren in Franken. Auch in Güntersleben haben die Menschen in der ferneren Vergangenheit ebenso wie in allerjüngster Zeit Bildstöcke vor ihren Häusern oder Grundstücken, an Straßen und Wegrainen aufgestellt. Der älteste von 1529 steht bei der Bushltestelle in der Thüngersheimer Straße. Der jüngste wurde 2002 am Ende der Roßstraße errichtet. Nicht alle haben die Jahrhunderte überdauert. Immerhin 25 Bildstöcke aus verschiedenen Epochen sind heute, zumeist in gutem Zustand, noch erhalten. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Die Pestsäule an der Deisenbergstraße

Der Bildstock an der Einmündung der Deisenbergstraße in die Würzburger Straße trägt die Jahreszahl 1608. In seiner Form unterscheidet er sich von den anderen Bildstöcken am Ort. Es ist eine Säule mit einem kaum über deren Konturen hinausreichenden vierseitigem Aufsatz mit kleinen Nischen auf drei Seiten. Solange man weiß, waren diese Nischen leer. Die Medaillons, die sie jetzt wieder ausfüllen, wurden erst 1986 bei einer Restaurierung eingefügt. Auf der vierten Seite ist eine Inschrift. Sie lautet: 0 HEILIGER VATER SIHE VON DEINEM HOHEN HIMMEL VND SCHAUW AUF DIS HEILIG BLVTIG OPFER DAS DIR DEIN GELIEBTER SOHN UNSER HERR JESUS CHRISTUS FÜR DIE SÜND DER GANTZE WELT HAT GETAN. Weiter findet sich nur noch ein Namenskürzel, das wohl auf den Bildhauer hinweist. Ein Stifter ist nicht genannt.

Die Form, die Beschriftung, das Fehlen eines Stifternamens und der Zeitpunkt der Errichtung legen nahe, dass es sich um eine Pestsäule handelt. Pestsäulen findet man in Wien oder Prag und einer Reihe anderer Städte und Gemeinden. Zumeist sehr viel aufwändiger gestaltet als die Säule, die sich ein kleines Dorf wie Güntersleben leisten konnte, wurden sie aufgestellt als Ausdruck des Dankes, dass die Pest überstanden war, und zugleich der Fürbitte, fernerhin von solchem Unheil verschont zu bleiben.

Tatsächlich wütete um die Jahreswende 1607/08 in Güntersleben die Pest. Den Kirchenbüchern lässt sich entnehmen, dass in wenig mehr als drei Monaten 45 Ortsbewohner starben, wo ansonsten damals das ganze Jahr über nur etwa 10 Todesfälle registriert sind. Was sollte die Menschen so unmittelbar nach diesen schrecklichen Monaten sonst zum Aufstellen eines Bildstocks bewegt haben als die Betroffenheit über diese Heimsuchung? Wenn damit aber die Hoffnung verbunden war, dass sich solches nicht wiederholen solle, wurde diese auf unvorstellbare Weise enttäuscht. Nur drei Jahre später starben 1611 bei einem erneuten Durchzug der Pest 141 Personen und damit etwa ein Viertel der Einwohner von Güntersleben.

Im dörflichen Sprachgebrauch war der Bildstock in der Vergangenheit das „Stoodbillele“, weil es am Weg stand, der zur Stadt nach Würzburg führte.

Die Bildstöcke beim Kettenbrunnen

Der frei stehende Bildstock, dessen Vorderseite das Relief einer Kreuzigungsgruppe bildet, war einer von dreien, die ehemals allein an der Langgasse den Weg hinauf zur Kirche säumten. Sein ursprünglicher Standort an der Einmündung in die Thüngersheimer Straße lässt sich einer Skizze in einem Lehensbuch des Klosters St. Stephan von 1733 entnehmen.

Als 1888 dort, wo jetzt das Ärztehaus steht, die Kinderbewahranstalt gebaut wurde, war für diesen und einen weiteren Bildstock, der 1833 nicht weit davon entfernt errichtet worden war, kein Platz mehr. Um sie doch noch, soweit möglich, zu erhalten, fügte man ihre beiden Kopfstücke in die Fassade der Kinderbewahranstalt ein.

2019 wurde die „Alte Anstalt“, wie die frühere Kinderbewahranstalt mittlerweile genannt wurde, abgebrochen. Dabei wurden die eingemauerten Bildstöcke freigelegt und von der Gemeinde restauriert. Der Bildstock von 1833 wurde in die Mauer vor dem neu angelegten Parkplatz eingebaut. Der ältere Bildstock erhielt einen neuen, der mutmaßlich früheren Form nachgebildeten Aufbau mit Sockel und Schaft und wurde vor der Mauer neu aufgestellt.

Bei der Freilegung dieses Bildstocks wurde mit „Kilianus Lauer“ ein bis dahin hinter dem Fassadenputz verdeckter Namenszug sichtbar. Zweifellos ist es der Name des Stifters. Kilian Lauer lebte von 1627 bis 1685. Er war Bauer und hatte seinen Hof ganz in der Nähe in der Langgasse. Er war zweimal verheiratet, hatte 14 Kinder, von denen aber keines den Hof übernahm. Seine zweite Ehefrau führte den Hof als Witwe noch ein paar Jahre weiter. Dann übernahm ihn ein neuer Besitzer.

Nach den Lebensdaten von Kilian Lauer kann man auch die Entstehungszeit des Bildstocks annähernd einordnen, wobei man davon ausgehen kann, dass er die Stiftung wie üblich erst im fortgeschrittenen Alter, also etwa um 1680, vornahm.

Bildstock im Höhfeld

Der Marienbildstock am Weinwanderweg trägt die Inschrift: „Gelobt sey Jesus Christus. Zur größeren Ehr Gottes und ter schmerzhafften Mutter Gottes Maria had ter ehrsame Andreas Köhler und seine Hausfrau Anna tiesen Biltstock hieher sezen lassen im Jahr 1753“. Er ist damit einer von neun Bildstöcken, die während des Wirkens von P. Ignatius Gropp als Pfarrer in Güntersleben aufgestellt wurden. Zu keiner anderen Zeit wurden hier in einer vergleichbar kurzen Zeitspanne von nur neun Jahren so viele Bildstöcke gestiftet. Allerdings sind die meisten nicht mehr erhalten.

Der Stifter des Bildstocks im Höhfeld Andreas Köhler lebte von 1679 bis 1757. Sein Bruder Kaspar Köhler tat sich gleichfalls als Stifter hervor. 1731 hatte er bereits einen unserer künstlerisch bedeutsamsten Bildstöcke in der Langgasse aufstellen lassen, der heute auf dem Kirchplatz steht und Christi Fall unter dem Kreuz darstellt. 1754 war er dann nochmals an einem weiteren Bildstock beteiligt, der heute im Baugebiet Mehle steht.

Den Bildstock im Höhfeld ließ die Gemeinde 2017 restaurieren. Die Kosten wurden zu einem ansehnlichen Teil mit den Spenden finanziert, die bei der Abschlussveranstaltung zum Ortsjubiläum 2013 zu diesem Zweck gesammelt wurden.

Bildstock in der Mehle

Ebenfalls in der Zeit, zu der P. Ignatius Gropp Pfarrer in Güntersleben war, ließen „Johann Linhart Rotenhöfer, Caspar Köhler, Peter Formkeler et Consorten“ 1754 einen Bildstock hinter dem Lohwald aufstellen. Sie widmeten ihm dem Kirchenpatron Maternus, dessen Verehrung Gropp ein besonderes Anliegen war, wie auch weitere Maternus-Bildstöcke aus seiner Zeit bezeugen.

Die drei auf dem Bildstock namentlich genannten „Consorten“ – Beteiligte würde man heute sagen – waren miteinander verschwägert. Die Ehefrauen von Rothenhöfer und Köhler waren Schwestern von Peter Formkeller.

Der Bildstock wurde um 1965 bei der damals laufenden Flurbereinigung wie verschiedene andere auf der Gemarkung als störend für die Bewirtschaftung der neu zugeschnittenen Flurstücke beseitigt. Immerhin scheute man sich aber, die alten Stücke ganz zu entsorgen, sondern lagerte sie, wenig sachgerecht, in einer leerstehenden Scheune ein. Vier Bildstöcke konnten dann Jahrzehnte später wieder restauriert und neu aufgestellt werden.

Der Bildstock, der hinter dem Lohwald stand, wurde nach einer Restaurierung 1996 im Baugebiet Mehle neu aufgestellt. Das neu geschaffene Maternusbild stammt – wie die Bildtafel im Bildstock in der Schönbrunnenstraße – von dem Würzburger Künstler Wolfgang Mahlke. Finanziert wurde die Restaurierung von Johanna Kuhn, einer Nachfahrin von Peter Formkeller in der 6. Generation.

Bildstock auf der Platte

1859 ließ die Witwe Anna Maria Schömig einen Bildstock auf der Platte errichten, der ihrer Namenspatronin Anna gewidmet ist. Ihr zwei Jahre vorher verstorbener Ehemann Michael war der einzige Nachkomme von Valentin Schömig aus Rimpar, der 1769 die frühere Gemeindeschenke in Güntersleben gekauft hatte. Als Gasthaus zum Hirschen wurde diese von seinem Sohn Michael und Nachkommen der folgenden Generationen bis 1968 in der Familie weiterbetrieben.

Die Widmung in nicht so ganz geglückter Reimform, die Anna Maria Schömig auf dem Bildstock anbringen ließ, lautet: „Anna sei gegrüßt Gottesmutter Jesu Christ wer dich alle Dienstag ehrt der wird von Gott erhöht“. Der für uns heute nicht sofort verständliche Bezug auf den Dienstag erklärt sich damit, dass die hl. Anna, die Mutter Marias, der Legende nach an einem Dienstag gestorben sein soll und dieser Wochentag daher als Tag ihrer besonderen Verehrung galt.

Der Bildstock wurde schon einmal 1985 von der Kolpingsfamilie restauriert, die sich um diese Zeit um die Erhaltung einer Reihe von Bildstöcken verdient machte. Als 2016 eine neuerliche Restaurierung anstand, beteiligten sich nach einem Aufruf der Gemeinde viele Angehörige der zahlreichen Nachkommenschaft von Anna Maria Schömig mit Spenden an den Kosten.

Bildstock am Weg zur Steinhöhe

Auf dem Weg zur Steinhöhe kommt man kurz vor dem Ziel an einem Bildstock vorbei, auf dessen Sockel der Anlass seiner Errichtung anschaulich beschrieben ist: „Hier starb am Weg eines plötzlichen Todes infolge Schlagflusses am St. Markustag 1887 früh 7 Uhr der hochwürdige Herr Andreas Freund, Pfarrer von Retzstadt, 69 Jahre alt, als er die Bittprozession seiner Gemeinde nach Güntersleben führte.“

Bei Bittprozessionen, wie sie herkömmlich am Markustag, 25. April, und in den Tagen vor Christi Himmelfahrt, der sogenannten Bittwoche, stattfanden, wurde um eine gute Ernte gebetet. Sie führten in die Flur oder in die Nachbargemeinden. Eine Bittprozession nach Retzstadt und in umgekehrter Richtung von dort nach Güntersleben ist seit Jahrhunderten bezeugt. Im dritten Reich wurden Bittprozessionen nach auswärts verboten. Die zwischen Retzstadt und Güntersleben ist nach dem Krieg auch nicht mehr aufgelebt.

1985 ließen die Kolpingsfamilien von Güntersleben und Retzstadt den stark verwitterten Bildstock restaurieren. Das Relief mit der Darstellung von Christi Fall unter dem Kreuz, das nicht mehr dauerhaft erneuert werden konnte, wurde dabei durch einen originalgetreuen Abguss ersetzt.

Erhaltenswerte Kulturgüter

In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als es vorrangig um die Sicherung der elementaren Lebensgrundlagen ging, wurde historischen Kulturgütern wie Bildstöcken wenig Beachtung geschenkt. Pflege und Erhaltung wurden vernachlässigt, manche auch achtlos beseitigt. Erst in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts kam ein Umdenken. Initiativen zur Wiederherstellung und Erhaltung der heimischen Bildstöcke stießen durchwegs auf eine große Bereitschaft bei der Bevölkerung, auch einen persönlichen Beitrag mit größeren oder auch kleineren Spenden zu leisten.

So befinden sich heute nahezu alle Bildstöcke in Güntersleben in einem gepflegten Stand. Sie weiter zu erhalten, sollte auch künftig ein wichtiges Anliegen sein. Nicht nur die großherzigen Stifter haben es verdient, dass ihr Einsatz nicht in Vergessenheit gerät. Bildstöcke eröffnen auch in vielen Fällen einen Zugang zur Ortsgeschichte und halten die Erinnerung an Personen und Ereignisse wach.

02/2023