Die Mühle, der man das Wasser genommen
Gäbe es nicht gesicherte historische Belege, möchte man kaum glauben, dass weitab unterhalb vom Dorf einst eine Mühle stand, in der das Korn von den Feldern der Bauern gemahlen wurde. Fragt man sich doch, woher das Wasser kam, das die Mühlräder in Gang brachte.
Einziges Fließgewässer weit und breit ist der Dürrbach, der seinem Namen wahrlich Ehre macht, weil er einen Großteil des Jahres nur als kleines Rinnsal in Erscheinung tritt oder ganz trocken liegt. Und wenn schon Wasser fließt, dann ein ganzes Stück entfernt von der früheren Mühle, die bei der kleinen Häusergruppe hinter dem heutigen Bauhof der Gemeinde stand.
In der ersten Ortsbeschreibung von Güntersleben, die 1594 das vorgesetzte fürstbischöfliche Amt Arnstein erstellte, wird im Kapitel über „Gemeine Häuser“ neben der Schenkstatt, dem Schulhaus, der Schmiede und dem Hirtenhaus auch die Mühle aufgeführt. Sie war demnach eine Einrichtung der Gemeinde, was ihre Bedeutung für das Dorf unterstreicht. Sie wird zwar damals als „so ziemlich verfallen“ beschrieben, muss aber danach wieder so hergerichtet worden sein, dass sie nahezu 300 Jahre weiter ihren Dienst tun konnte.
Die Gemeinde vergab den Betrieb der Mühle in der Regel für jeweils drei Jahre, später auch länger, an einen Müller. Meistens handelte es sich dabei um Bewerber von auswärts, die nach dem Ende der Pachtzeit das Dorf wieder verließen, um anderswo anzuheuern.
Wie groß auch die Rendite für die Müller auf der Günterslebener Mühle gewesen sein mag, so fanden sich doch immer Interessenten, die auch in der Lage waren, die jährliche Mühlgült, also die Pacht für die Überlassung der Mühle, an die Gemeinde zu zahlen. Die betrug zuerst ein halbes Malter Korn und wurde später auf 3 Malter und 4 Metzen erhöht. Umgerechnet waren das etwa 450 kg oder 9 Zentner Korn und damit eine nicht gerade geringe Jahrespacht für die damalige Zeit. Außerdem musste der jeweilige Müller die Anlage selbst gebrauchsfähig erhalten. Von Aufwendungen der Gemeinde für Reparaturen findet sich in den Gemeinderechnungen nichts.
Zwischen 1749 und 1813 wurde die Mühle über mehrere Generationen von einer Familie betrieben. Das spricht dafür, dass sie in dieser Zeit in deren dauerhaften Besitz oder Eigentum überging. Mit nachfolgenden Besitzwechseln hatte die Gemeinde nichts mehr zu tun.
Und wie kam das Wasser vom Dürrbach auf die Mühlräder? Möglich war das nur, weil der Bach ursprünglich im Süden der Ortschaft einen anderen Weg nahm als heute. Er querte die Rossstraße auf Höhe des Bachwegs, floss dann entlang dem heutigen Wiesenweg und weiter am Fuß des Kräuterbergs zur Mühle. Von dort mäanderte er weiter durch die Wiesen bis zum Ende der Gemarkung.
Damit die Mühle halbwegs rentabel betrieben werden konnte, muss der Dürrbach ehemals auch mehr Wasser geführt haben als heute. Das war vermutlich so lange der Fall, bis sein Bett im Ochsengrund, wo er ehemals mitten durch die Wiesen floss, an den angrenzenden Waldrand verlegt wurde. Ohne den störenden Bachlauf inmitten konnte man die Wiesen besser nutzen. Vermutlich geschah das um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als man von der Weidewirtschaft zur Stallhaltung mit größeren Viehbeständen überging und damit mehr Gras für die Anlegung von Heuvorräten brauchte. Bis heute erweist sich allerdings das künstlich angelegte Bachbett im Ochsengrund als so durchlässig, dass das meiste Wasser auf dieser Strecke im Boden versiegt und der Dürrbach bei trockener Witterung bei seinem Eintritt in die Günterslebener Gemarkung kaum noch Wasser führt.
Für die Mühle hatte das zur Folge, dass ihre Räder jetzt einen großen Teil des Jahres stillstanden. So heißt es dann auch in einem Gemeinderatsbeschluss von 1913, dass „auf dieser Mühle die Besitzer oft verarmten“. Gemeint waren damit wohl die letzten Besitzer, die sich nacheinander nur für kurze Zeit auf der Mühle versuchten. Dagegen gehörte der Müller, der bis 1854 die Mühle betrieb, noch zu den größeren Gewerbesteuerzahlern im Dorf. Er scheint der Letzte gewesen zu sein, der noch rentabel wirtschaften konnte.
Nach mehreren Besitzerwechseln kaufte 1881 der Bauer Michael Ziegler die Mühle, nahm sie noch gelegentlich in Betrieb, um sie 1884 für immer stillzulegen. Als er 1909 das Anwesen an die Gemeinde verkaufte, war von der Mühleinrichtung schon längere Zeit nichts mehr vorhanden. Die Gemeinde trennte sich noch im gleichen Jahr wieder von dem früheren Mühlanwesen. Unter den nachfolgenden Eigentümern wurden die heruntergekommenen Gebäude durch Neubauten ersetzt, so dass dort, wo sie einstens stand, nichts mehr an die frühere Mühle erinnert.
Der Dürrbach behielt zunächst noch weiter seinen gewohnten Lauf über das frühere Mühlenanwesen. Wie im Ochsengrund wurde aber auch hier sein natürlicher Lauf zunehmend als störend für die Bewirtschaftung der Wiesengrundstücke wahrgenommen. Und wie dort löste man das Problem dadurch, dass man den Dürrbach in ein neues Bett an den Rand der Wiesen verlegte. Man nutzte dazu den alten Dorfgraben.
Dieser Dorfgraben nahm seinen Anfang vor dem heutigen Lagerhaus und führte auf der Trasse der heutigen Gartenstraße direkt hinter den Häusern an der Rimparer und der Würzburger Straße und nach der Querung der Roßstraße geradewegs in Richtung der heutigen Kläranlage. In alten Katastereinträgen wird er auf dem Abschnitt zwischen Lagerhaus und Roßstraße als Bachgassengraben und im weiteren Verlauf als Wiesengraben bezeichnet. Er diente als Flutgraben, um bei stärkeren Regenfällen das Wasser aufzunehmen, das aus den westlichen Ortsbereichen, namentlich aus der Thüngersheimer Straße und den angrenzenden Flurlagen, zufloss. Brücken über diesen Graben gab es nicht. Er wurde von den Fuhrwerken durchfahren oder zu Fuß überquert und war nach heftigeren Regenereignissen zeitweise auch unpassierbar.
Etwas unterhalb vom heutigen Rathaus gab es zwischen dem Dorfgraben und dem weiter östlich verlaufenden Dürrbach eine Verbindung mit einer Stauvorrichtung, Wasserfange genannt. Damit wurde der Graben aufgestaut, um einen Teil seines Wassers in den Dürrbach überzuleiten und damit der Mühle eine größere Wassermenge zuzuführen.
Nachdem man den Dürrbach schon lange nicht mehr als Mühlbach brauchte, leitete man ihn 1947 kurz vor der Querung der Rossstraße in den Dorfgraben um, der seitdem von da ab das neue Bett des Dürrbachs bildet. Das alte Bett durch die Wiesen verlandete und war bald nur noch an einzelnen Geländevertiefungen erkennbar.
Mit dem Ausbau der Kanalisation um 1960 wurde der Dorfgraben auch auf seiner Strecke im Ortsbereich entbehrlich und verschwand mit der Anlegung der Gartenstraße.
04/2022