Dieser Zustand kann nicht mehr so weitergehen

6. Februar 2023

Dieser Zustand kann nicht mehr so weitergehen

Anders als heute hat früher die Obrigkeit im Dorf – also Schultheiß, Bürgermeister, Ortsvorstand oder Gemeinderat – auch darüber gewacht, dass sich die Ortsbewohner auch in ihrem privaten Umgang ordentlich und gesittet verhalten und anderen kein Ärgernis geben. Wo etwas nicht so war, wie es sich gehörte, wurde rigoros eingeschritten.

In einem Protokoll vom 27. Januar 1793 ist das recht drastisch beschrieben: Da ging es um eine „wegen schlechter Sitten aus ihrem Dienst als Magd verjagte“ junge Frau aus dem Dorf. Die hatte sich „dahier ärgerlich und auffallend betragen“, indem sie „verdächtigen Umgang mit einem verehelichten Zimmermann“ pflegte. Sie wurde deshalb von der Dorfobrigkeit ultimativ aufgefordert, „daß sie sich außer unserem Ort verdingen solle, mit der ernstlichen Bedrohung, daß sie widrigenfalls mit Gewalt aus dem Ort geführt und wenn sie sich widersetzlich zeigen würde, durch die Husaren hinausgepeitscht werden solle.“

Man darf annehmen, dass es am Ende doch nicht so weit gekommen ist. Die Aufforderung, sich außerhalb des Orts zu verdingen, wurde aber auch in anderen Fällen als probates Mittel angesehen, dass man das Ärgernis zumindest nicht mehr im Dorf mitansehen musste. Als 1843 eine 32-Jährige, die schon mehrere Jahre unverheiratet mit einem jungen Mann verkehrte, ein Haus kaufen wollte, erreichte die Gemeinde beim Landgericht, dass der Kauf rückgängig gemacht und der Frau aufgegeben wurde, sich außerhalb des Orts in Dienste zu begeben. Als sie der Weisung nach acht Wochen noch nicht nachgekommen war, vielmehr „ihren ärgerlichen Umgang“ mit ihrem Liebhaber „fortsetzt und öfter in das Haus desselben läuft“, wird sie vom Armenpflegschaftsrat der Gemeinde neuerlich aufgefordert, „binnen acht Tagen sich einen Dienst zu suchen, ansonst man ohne weiteres Königl. Landgericht von ihrer Widersetzlichkeit und Unfolgsamkeit in Kenntnis setzen werde.“ Die Frau trat auch tatsächlich eine Stelle als Dienstmagd an, wenn auch bei einem Bauern im Dorf. Sie und ihr Liebhaber setzten derweil „ihren Ärgernis gebenden Wandel fort und halten wie Eheleute miteinander Haus.“ Schließlich heirateten sie 1848 und damit hatte das Ärgernis ein Ende.

Aus – wie man meinte – guten Gründen duldete man nicht, dass junge Frauen von daheim auszogen und sich eine eigene Wohnung suchten. So wurde ausweislich eines Protokolls des Armenpflegschaftsrats vom 8. Januar 1843 einer jungen Frau, „welche bisher als Eigenzimmerin gehauset und ein lasterhaftes Leben geführet hat, heute aufgegeben, binnen acht Tagen das elterliche Haus zu beziehen.“ Unter dem 28. November 1847 ist protokolliert, dass man einer jungen Frau, die sich ein Zimmer gemietet hatte, „die Auflage gemacht, binnen 8 Tagen sich wieder ins Hause ihrer Mutter zu begeben.“ Noch ein Fall aus dem gleichen Jahr: Da wurde eine 23-Jährige, die sich mit ihrem Freund und späteren Ehemann „eine Wohnung gemietet und hergerichtet hatte“, mit diesem zur öffentlichen Sitzung des Armenpflegschaftsrates geladen und „wegen ihres Ärgernis gebenden Wandels verwarnt“. Zudem wurde sie aufgefordert, „binnen 8 Tagen diese Wohnung zu verlassen und sich zum Vater zu begeben.“ Der Freund „wurde gleichfalls gewarnt, seine nächtlichen Besuche zu unterlassen, ansonsten im Betretungsfalle er dem Kgl. Landgerichte überliefert werde.“ Im Jahr darauf heirateten die beiden, womit sich auch dieses Ärgernis erledigte.

Auch die Eltern wurden in die Pflicht genommen. 1850 wurden Vater und Mutter einer 23-jährigen, die bei ihrem Freund eingezogen war, mit dieser vorgeladen und aufgefordert, ihre Tochter wieder in ihre Wohnung aufzunehmen, „widrigenfalls man die Hilfe des kgl. Landgerichtes ansprechen werde.“

Bevor nun jemand denkt, solches gab es nur in ganz alten Zeiten, zwei Fälle aus den 1920er Jahren. Auch damals noch befasste sich der Gemeinderat mit dem Liebesleben seiner Dorfbewohner, sofern dieses nicht den herkömmlichen Konventionen entsprach. 1922 lud er die aus Würzburg stammende Witwe H. vor, die mit einem hiesigen Taglöhner „in Konkubinat“ lebte und nach eigener Aussage in Würzburg keine Wohnung mehr hatte, in die sie zurückkehren konnte. Das ließ der Gemeinderat aber nicht gelten. Kategorisch entschied er: „Dieser Zustand kann nicht mehr so weitergehen, und ist mit allen Mitteln darauf zu dringen, daß die H. die Gemeinde verläßt.“ Es wurde „ihr nahegelegt, sich auswärts oder auch in Würzburg einen Dienst zu suchen, dann hat sie ein Unterkommen.“ Vierzehn Tage gab ihr der Gemeinderat Zeit, die Gemeinde zu verlassen. Das Protokoll schließt mit der Feststellung: „H. erklärt, daß sie sich eine Stelle  auswärts suchen will.“

Weniger Erfolg hatte der Gemeinderat im Dezember des folgenden Jahres. Dem Sitzungsprotokoll ist der einstimmig gefasste Beschluss zu entnehmen: „Dem K. soll mitgeteilt werden, daß vom Gemeinderat ein Beisammenleben des K. mit der W. namentlich des Nachts unter keinen Umständen weiter geduldet wird. Im Falle, dieser gesetzwidrige Zustand nicht sofort aufhört, haben beide Strafanzeige zu gewärtigen.“ Die beiden Adressaten beeindruckte das nicht. Sie blieben zusammen und zwei Jahre darauf heirateten sie. Der Ehemann war später selbst viele Jahre Mitglied des Gemeinderats in Güntersleben. Beschlüsse dieser Art wurden da aber keine mehr gefasst.

02/2023