Nur keine Lehrerin

4. September 2024

 Nur keine Lehrerin

Wir haben uns seit langem daran gewöhnt, dass die Kinder an unserer Schule überwiegend von Lehrerinnen unterrichtet werden. Dabei war das Lehramt über Jahrhunderte den Männern vorbehalten. Schließlich erwartete man von den Schulmeistern, wie man sie früher nannte, nicht nur hin und wieder auch eine harte Hand. Und die traute man Frauen nicht zu. In der Verordnung über die Bildung der Schullehrer im Königreich Bayern von 1857 ist daher auch nur von männlichen Lehramtsanwärtern die Rede.

Eine Ordensschwester, weil sie weniger kostet

1888 ließ die Gemeinde Güntersleben unten an der Langgasse für die Kinderbewahranstalt, die vorher in einem stillgelegten Wirtshaus an gleicher Stelle eingerichtet war, ein neues Gebäude errichten. Seit ein paar Jahren steht dort das Ärztehaus. Die Anstalt, später Alte Anstalt, wie sie im Dorf genannt wurde, wurde ein für damalige Verhältnisse stattliches Gebäude. Denn im Obergeschoss wurde auch noch ein Lehrsaal für eine dritte Schulstelle eingerichtet. Die brauchte man, weil mit der Zunahme der Einwohnerzahl die zwei Schulsäle im heutigen Kolpinghaus nicht mehr reichten. Als bekannt wurde, dass zu den Klosterfrauen für die Kinderbewahranstalt nun auch eine Ordensfrau für die dritte Schulstelle kommen sollte, waren die Meinungen dazu in der Bevölkerung nach der Wahrnehmung der Gemeindeverwaltung durchaus „nicht gleichsinnig“, weshalb sie darüber eine Bürgerabstimmung anberaumte. Nach der Beschlussvorlage, die den zur Abstimmung gerufenen Bürgern vorgelesen wurde, hieß es, dass das Kloster für eine Schulschwester nur ein „Jahresgehalt von 500 Mark beanspruche, weil diese mit den Schwestern der Kinderbewahranstalt gemeinsame freie Beköstigung, Wohnung, Holz, Licht und häusliche Pflege genießt“. Da die Gemeinde für einen Lehrer zum höheren Gehalt auch noch eine Wohnung und das Brennholz für deren Beheizung aufbringen müsste, würde sich der Aufwand „beinahe als das Zweifache berechnen“. Der finanzielle Aspekt war dann wohl auch ausschlaggebend, dass die Mehrheit der Bürger – damals nur Männer – für eine Schulschwester und damit für die erste weibliche Lehrkraft an der Schule in Güntersleben stimmte.

Keine Wohnung für eine Lehrerin zu finden?

30 Jahre später, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, hatte die Schülerzahl erneut so zugenommen, dass von der Schulbehörde die Einrichtung einer vierten Schulstelle verlangt wurde. Der Gemeinderat stimmte ohne Einwände zu und machte sich auch gleich auf die Suche nach einem geeigneten Unterrichtsraum. Notfalls wollte man dafür den Rathaussaal verwenden. Die Wohnungen seien hier zwar „beschränkt“. Doch werde man die Kosten für die Wohnung eines 4. Lehrers in Höhe von 200 M auf die Gemeindekasse übernehmen. So beschlossen am 8. Februar 1920.

Doch dann meldete sich zwei Monate später am 6. April „abend um 7 Uhr“ eine Frau namens Josepha Strubel beim Bürgermeister. Sie stellte sich als eine vertriebene Lehrerin aus Lothringen (durch den Versailler Vertrag an Frankreich gefallen) vor, stehe im 36. Dienstjahr und ihr sei von der hohen Regierung die 4. Schulstelle in Güntersleben angeboten worden. Noch am gleichen Abend beschloss der Gemeinderat eine dringende Eingabe an die Regierung, wonach eine Wohnung für eine Lehrerin „hier nicht erhältlich“ sei. Um das drohende Unheil abzuwenden, beantragte er gleichzeitig, die Einrichtung der 4. Schulstelle zu verschieben, wenn schon eine Besetzung mit einer männlichen Lehrkraft nicht möglich sei. Bei der Regierung fand der Gemeinderat, damals noch eine reine Männerrunde, damit aber kein Gehör, auch nachdem er in einem weiteren Beschluss seinen entschiedenen Widerstand gegen eine Lehrerin bekräftigte, denn „die Beschaffung der Wohnung und Kost wird auf größte Schwierig­keiten stoßen“.

Am 1. Mai 1920 trat das Fräulein Strubel seinen Dienst in der Schule zu Güntersleben an. Und offenbar hatte die Gemeinde auch keine Mühe, eine geeignete Wohnung zu finden. Den Unterricht erteilte sie im Sitzungszimmer des Rathauses. Auch wenn der Bezirksbaumeister diesen Lehrsaal im heutigen Alten Rathaus nicht allein wegen seiner zu geringen Ausmaße als „in jeder Hinsicht ungenügend“ bezeichnete und eine andere Lösung verlangte, geschah seitens der Gemeinde außer einer halbherzigen Umfrage bei den Gastwirten im Dorf nichts.

Nach gerade einmal eineinhalb Jahren ging das Fräulein Strubel kurz vor Weihnachten 1922 vorzeitig in den Ruhestand – offiziell wegen Krankheit, vielleicht aber auch zermürbt von den Verhältnissen in Güntersleben.

Mobbing auf die rustikale Art

Umgehend beantragte die Gemeinde bei der Regierung, die frei gewordene Stelle auch mit einer Klosterschwester zu besetzen, weil die bei den hier bereits tätigen Ordensschwestern „untergebracht werden könnte.“ Der Hinweis auf den angeblichen Wohnungsmangel beeindruckte den Bezirksschulrat jedoch nicht. Schließlich sei doch die Mietwohnung der pensionierten Oberlehrerin Strubel frei geworden. Dem hielt wiederum die Gemeinde entgegen, dass der Hausbesitzer die Wohnung nicht mehr abgeben könne, weil er sie zur Unterbringung seines Dienstpersonals und als Krankenzimmer benötige. Weil den Herren Gemeinderäten – auch das noch eine reine Männerrunde – aber wohl selbst klar war, dass dieser Einwand nicht sehr überzeugend war, griffen sie zum letzten verbliebenen Strohhalm und beantragte bei der Regierung „die Aufhebung der betreffenden Schulstelle wegen zur geringer Schülerzahl.“

Spätestens jetzt dürfte die Regierung das Spiel der Gemeinde durchschaut haben, lehnte kurzerhand alle Anträge ab und schickte im April 1923 mit der 28-jährigen Anna Kornbrust wieder ein Fräulein auf die freie Stelle in Güntersleben. Und offenbar bereitete es auch dieses Mal keine Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden. Allerdings ließen die Gemeindevertreter keine Gelegenheit aus, der neuen Lehrerin zu zeigen, dass sie unerwünscht war. Immer wieder wurde ihr Unterricht im Sitzungszimmer des Rathauses aus dem benachbarten Geschäftsraum der Gemeindeverwaltung gestört, durch Tritte gegen die Türe oder derbe Zurufe wie „Hälts nit bald drüben es Maul“ und ähnlich unflätige Äußerungen. Die Lehrerin meldete die Vorfälle dem Schulleiter, der alles genau protokollieren ließ und in einer Beschwerde dem Bezirksamt zuleitete.

Vom Bezirksamt mit der Eingabe konfrontiert, wehrte sich der Gemeinderat mit einem Beschluss vom 10. März 1924 gegen die Vorwürfe. Einzig wurde eingeräumt, dass die Einhebung der Hundesteuer im Schulsaal während einer Unterrichtspause eine Viertelstunde länger als diese gedauert habe. Für die Reaktion der Lehrerin hatte man gleichwohl keinerlei Verständnis. Denn die „hatte nichts eiligeres zu tun als sich beim Obl. Oswald zu beschweren, weil der Unterricht nicht pünktlich beginnen konnte.“

Bei einer Sitzung der Schulpflegschaft in Anwesenheit der Lehrer und der Gemeindevertreter am 13. April 1924 eskalierte schließlich die Auseinandersetzung. Erst ließ der II. Bürgermeister verlauten, dass eine vierte Lehrkraft überhaupt nicht notwendig sei. Früher seien auch 90 und 120 Schüler in einer Schulklasse gewesen und hätten so viel gelernt wie heute auch. Der I. Bürgermeister setzte noch einen drauf: „Wenn die Strubel nicht gewesen wäre, hätten wir heute noch keine 4. Schulstelle. Diese Lehrerin hat, weil ihr Bruder in Würzburg Domvikar ist, nicht weit von Würzburg weggewollt und weil auch die Regierung nicht gewusst hat, wohin mit ihr, hat halt Güntersleben herhalten müssen.“ Was wiederum den II. Bürgermeister zu der weiteren Feststellung veranlasste: „Eine klösterliche Lehrerin hätte uns niemals solche Schikanen gemacht wie die weltliche.“ Da es keinen Zweifel gab, wer damit gemeint war, verließ das Fräulein Kornbrust die Sitzung.

Es geht auch anders

Über den weiteren Fortgang ist nur bekannt, dass im folgenden Monat für das Fräulein Kornbrust ein anderer Lehrer kam. Die Regierung hatte anscheinend genug von den Querelen in Güntersleben und beorderte dann – abgesehen von der klösterlichen Schulschwester – auch in den folgenden Jahren nur noch Männer nach Güntersleben. Ende 1924 wurde in Güntersleben ein Bürgermeister mit einer linken Mehrheit im Gemeinderat gewählt. Der Schulleiter wechselte. Und kurz darauf fand man dann auch eine bessere Lösung für den 4. Schulsaal. Der ebenfalls neue Lehrer für die II. Schulstelle wohnte nicht mehr im Schulhaus (dem heutigen Kolpinghaus), so dass man den Schulsaal aus dem Rathaus in eine der beiden bisherigen Lehrerwohnungen verlegen konnte.

Als 1930 zum ersten Mal wieder eine Lehrerin nach Güntersleben versetzt wurde, beschäftigte das den Gemeinderat nicht mehr.

09/2024