Wer war Ignatius Gropp?
Als 1963 eine Straße in Güntersleben nach Ignatius Gropp benannt wurde, wussten viele Ortsbewohner mit diesem Namen erst einmal wenig anzufangen. Auch dem Gemeinderat bedeutete diese Namenswahl erkennbar nicht sehr viel, hatte man aus der langen Liste von Straßen, die damals neue Namen erhielten, doch nur eine unscheinbare Seitengasse der Rimparer Straße für ihn ausgewählt. Mit gerade einmal zwei Hausnummern tritt die Ignatius-Gropp-Straße auch als Adresse nur wenig in Erscheinung.
In Fachkreisen genießt Gropp als einer der herausragenden fränkischen Historiker der Barockzeit seit jeher einen exzellenten Ruf. Auch in Güntersleben, wo er die letzten neun Jahre seines Lebens als Pfarrer wirkte, hat er bis heute unübersehbare Spuren hinterlassen. Mit gutem Grund wurde daher 1991 die bis dahin namenlose Schule nach ihm benannt. Spätestens seitdem ist Ignatius Gropp auch in Güntersleben kein Unbekannter mehr.
Gropp wurde am 12. November 1695 in Bad Kissingen geboren und auf den Namen Johann Michael getauft. Die Eltern hatten eine Bäckerei und eine kleine Landwirtschaft. Darauf bedacht, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen, schickten sie ihre beiden Söhne nicht nur auf die Stadtschule, sondern zum Erlernen der lateinischen Sprache auch regelmäßig zum Pfarrer.
Mit 13 Jahren wechselte Johann Michael Gropp auf das Gymnasium der Jesuiten nach Würzburg und mit knapp 18 Jahren begann er ein Studium der Philosophie an der Universität in Würzburg. Schon jetzt wollte er eigentlich ins Kloster eintreten, wurde aber abgewiesen, weil er zu klein von Gestalt war.
Aber vor Schwierigkeiten aufgeben und sich entmutigen lassen, kam für Gropp nicht in Frage, damals wie auch in seinem späteren Leben nicht. Er schrieb sich an der Universität ein, als gering bemittelter Student von den Gebühren befreit. Drei Jahre später schloss er mit einem hervorragenden Examen ab. Damit beeindruckte er auch die Klosteroberen, so dass er 1716, mit jetzt 21 Jahren, doch Aufnahme in das Benediktinerkloster St. Stephan fand.
Das Kloster St. Stephan hatte seinen Sitz am Peterplatz in Würzburg. Auf dem früheren Klostergelände stehen heute die Amtsgebäude der Regierung von Unterfranken. Wie viele andere Klöster wurde auch St. Stephan bei der Säkularisation 1803 aufgelöst. Die gleichnamige Kirche des Klosters wurde die erste evangelische Pfarrkirche in Würzburg. Bis zu seiner Auflösung besetzte das Kloster die Pfarrstelle in verschiedenen Dörfern, darunter auch in Güntersleben, mit Patres aus seinem Konvent. Als Gegenleistung beanspruchte es den Zehnt von den Äckern, Weinbergen und Gärten der betreuten Dörfer.
Fünf Jahre nach seinem Eintritt in das Kloster, bei dem er den Ordensnamen Ignatius annahm, wurde Gropp 1721 mit 26 Jahren zum Priester geweiht. Er war dann zunächst Novizenmeister, also Ausbilder und Lehrer für den Klosternachwuchs. Seine heimliche Leidenschaft aber war schon damals die Geschichtswissenschaft, und so kam es ihm sehr entgegen, dass er 1729 Klosterbibliothekar wurde. Denn da konnte er, wie ein Biograph es ausdrückte, „jetzt ungehindert Manuskripte und Altertümer durchforschen und seinem Geist Nahrung verschaffen“.
Seine historischen Arbeiten, die in den folgenden Jahren veröffentlicht wurden – darunter vier große Bände über die Würzburger Diözesangeschichte – begründeten seinen Ruhm als Kenner der fränkischen Geschichte.
1740 wurde Ignatius Gropp Prior, also Vorsteher, zunächst in einem anderen Würzburger Kloster, im Jahr danach auch in seinem Stammkloster St. Stephan, möglicherweise beides sogar gleichzeitig. Und das bewältigte er alles neben der Verantwortung für die Bibliothek und neben seinen Forschungsarbeiten. Er war also vielfältig tätig, war angesehenes Mitglied in internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften und in der Klosterhierarchie weit nach oben gestiegen.
Von all dem trennte er sich 1749, um mit knapp 54 Jahren als Dorfpfarrer nach Güntersleben zu gehen. Aus unserer heutigen Betrachtung überraschend und eigentlich unverständlich. Denn Güntersleben war ein abgelegenes kleines Dorf mit kaum 600 Einwohnern. Die Menschen mussten mit dem auskommen, was die Äcker und Weinberge an Erträgen brachten und das war auf den kargen Böden nicht viel. Für die Verbesserung der Lebensverhältnisse und das Erscheinungsbild des Dorfes blieb da nichts übrig. Und offenbar stand auch niemand der Sinn danach.
So fand Ignatius Gropp Straßen vor wie die Langgasse, auf der man – wie er es beschreibt – bei Regenwetter oder Schnee und Eis „im Kot stecken bleiben“ konnte. Den Aufgang zur Kirche und zur Schule versperrte seit Jahren ein hoher Erdhaufen mitten im Weg. Die hintere Eingangstüre der Kirche war vom Wasser und vom Schnee so verquollen, dass sie nicht mehr zu öffnen war. Die Wand der Kirche zum Friedhof war feucht und grün geschimmelt, durch das Dach regnete es und durch die Fenster pfiff der Wind. So stellte sich Güntersleben Ignatius Gropp nach seiner Schilderung bei seinem Amtsantritt dar.
Wollte er vom Schreibtisch weg und hinaus in die praktische Seelsorge? Oder in einer kleinen Pfarrei, fern vom Klosterbetrieb, mehr Zeit haben für seine wissenschaftlichen Arbeiten? Oder wollten seine Vorgesetzten angesichts der geschilderten Verhältnisse einen besonders tüchtigen und tatkräftigen Mitbruder nach Güntersleben schicken? Wir wissen es nicht.
Ignatius Gropp kam nach Güntersleben und weckte das Dorf schnell aus seiner beschaulichen Ruhe, was – nicht überraschend in solchen Situationen – keineswegs allfällige Begeisterung, sondern Unwillen und Widerstände auslöste. Umso mehr muss es uns heute Bewunderung und Respekt abnötigen, was er unter diesen Umständen zuwege brachte.
Nachdem er am 6. August 1749 die Pfarrstelle in Güntersleben angetreten hatte, sah er seine Aufgabe zuerst in der Seelsorge. Das nach seinem Eindruck allzu lasche religiöse Leben seiner Pfarrkinder neu zu beleben, darum ging es ihm vor allem anderen.
Wenn die Günterslebener damals immer zweimal im Jahr Kirchweih feierten, nämlich im Mai und wie heute zum Fest ihres Kirchenpatrons im September, dann war das Gropp zu viel des Guten. Und zwar wegen der Begleiterscheinungen. Zum einen störten ihn die doppelten Kosten für den „in diesen harten Zeiten sehr erarmten Ort“. Zum anderen gefiel ihm nicht, dass das Fest im Mai oft vor der damals üblichen Wallfahrtswoche stattfand und man beim Tanzen am Abend vorher „so lang anhalte, dass folgenden Tags wegen schweren Köpffen wenige von den jungen Leuten zur Prozession erscheinen.“ Also setzte er 1754 in einem umfangreichen Schriftverkehr mit dem Bischof durch, dass nur noch im September ein Kirchweih- und Patronatsfest stattfand – wie wir das auch heute kennen.
Trotz der von ihm so bezeichneten „harten Zeiten“ in dem „sehr erarmten Ort“ gelang es Gropp, wohltätige Familien und Einzelpersonen zur Stiftung von religiösen Kunstwerken und Bildstöcken zu veranlassen. Die sollten die Menschen im Dorf und in der Flur zu Gebet und Besinnung anhalten. Zu keiner Zeit wurde in Güntersleben eine größere Zahl dieser Zeugnisse der Volksfrömmigkeit geschaffen als unter Ignatius Gropp. Davon stehen heute noch z. B. die Bildstöcke gegenüber der Brücke an der Rimparer Straße und am Weinlehrpfad im Höhfeld, der Bildstock in der Mehle und die Pieta, ursprünglich hinter der Kirche auf der Mauer zum Friedhof, heute im Ölgarten unter dem Kirchturm.
Bei seinen historischen Neigungen überrascht es nicht, dass Ignatius Gropp auch die Günterslebener Dorf- und Pfarreigeschichte interessierte. Das Ergebnis dieses Forschungsdrangs ist sein „Protocollum“, das er uns hinterließ. Es ist ein eigenhändig geschriebenes Buch mit mehr als 100 Seiten, in dem er die Entstehung und Entwicklung des Dorfes und der Pfarrei bis in seine Zeit anhand der damals verfügbaren Unterlagen und Überlieferungen festgehalten hat. Als erste Ortschronik ist es ein Werk von unschätzbarem Wert, ohne das wir vieles über die damalige Zeit und die Zeit davor nicht wüssten.
Seine Schilderungen in diesem Buch zeigen auch, dass Gropp nicht nur Seelsorger und Wissenschaftler, sondern auch ein zupackender Praktiker war. Tatkräftig und mit scheinbar nimmermüder Energie ging er daran, die Missstände zu beseitigen, die er an seiner Pfarrkirche und deren Umgebung vorgefunden hatte.
Gleich in seinem ersten Jahr in Güntersleben ließ er 1750 das undichte Kirchendach reparieren und die feuchte Außenwand zum Friedhof trocken legen. Anschließend gab er dem Innenraum der Kirche durch eine neue Decke und einen frischen Anstrich wieder ein ansehnliches Gesicht. Er sorgte dafür, dass der schon vor seiner Zeit bei der Werkstatt des berühmten Würzburger Hofbildhauers Auwera bestellte Maternusaltar endlich geliefert wurde. Der Rokokoaltar in der Turmkapelle ist eines der wertvollsten Ausstattungsstücke unserer Kirche.
Rastlos wie er war, begann Gropp 1751 damit, den Berg abzugraben, in dem der hintere Eingang der Kirche steckte, um die Kirchentüre wieder begehbar zu machen. Und weil er bei der Gemeinde wegen der Unkosten „nicht wohl wäre angekommen“, führte er die Arbeiten „mit eigenen Unkosten und beigetragener Handanlegung“ aus. Ein wahrlich vielseitiger Mensch, der sich für nichts zu schade war.
1754 ließ er die unwegsame Langgasse begehbar machen, den Platz an ihrem oberen Ende einebnen und den dort abgelagerten Erdhaufen wegschaffen. Die Anlegung des großzügigen Treppenaufgangs, der zum Alten Rathaus und zur Kirche hinaufführt, stellt sich bis heute als krönender Abschluss seiner umfangreichen Bautätigkeit dar.
Dass er bei allem das Geld der Kirche zusammenhielt, wurde ihm auch von höherer Stelle bestätigt. So untersagte er 1755, dass „auf Verlangen etwelcher andächtiger Weiber“ alle Sonn- und Feiertage zwei Kerzen auf dem Maternusaltar angebrannt wurden, weil dadurch zu viel Wachs verzehrt werde. Das brachte ihm prompt eine Beschwerde bei der fürstbischöflichen Regierung in Würzburg ein. Die aber gab ihm Recht und stellte fest, dass der „Pfarrer ein guter Haushälter“ sei.
Bei aller Sparsamkeit reichten aber die Mittel seiner Pfarrei gleichwohl nicht, um seine vielen Vorhaben zu verwirklichen. Hier half dann seine offenbar große Überzeugungskraft, mit der er seine Pfarrkinder dazu brachte, mit kleinen Spenden oder auch größeren Stiftungen zur Verschönerung des Gotteshauses etwas für ihr Seelenheil zu tun. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und gab aus seiner privaten Schatulle manches dazu, wenn alle anderen Quellen erschöpft waren.
Am 19. November 1758 starb P. Ignatius Gropp mit erst 63 Jahren. In Güntersleben, wo er sein Leben vollendete, fand er – vermutlich in der Kirche – seine letzte Ruhestätte. Der Schlaganfall, der seinen plötzlichen Tod auslöste, mag seine Ursache auch in seinem rastlosen Einsatz gehabt haben. Neun Jahre waren es nur, die er in Güntersleben wirken konnte. Aber er hat in diesen wenigen Jahren vieles – um in seinen Worten zu sprechen – „in einen solchen Stand gesetzt, dass jedermann jetzt Gefallen daran hat.“
Die Beurkundung seines Todes in der Sterbematrikel des Pfarramtes endet mit dem Zusatz „vir pius ac doctus“. Ein frommer und gelehrter Mann, dazu zupackend und ohne Scheu vor Schwierigkeiten, das war er offenbar.
11/2021