Der Wald, ein Schatz für das Dorf und die Dorfbewohner

29. August 2023

Der Wald, ein Schatz für das Dorf und die Dorfbewohner

Große Gemarkung und viel Wald

Rund 1605 Hektar ist die Gemarkung von Güntersleben groß. Damit war Güntersleben bis zur Zusammenlegung vieler Gemeinden durch die Gebietsreform von 1978 nach ihrer Ausdehnung die drittgrößte unter den vordem 42 Gemeinden des Landkreises Würzburg. Nahezu ein Viertel der gesamten Gemeindefläche ist bewaldet. Mit 390 Hektar Waldfläche gehört Güntersleben damit früher wie heute zu den – abgesehen von Rimpar – waldreichsten Gemeinden im Umkreis. In der Vergangenheit als Wirtschaftsfaktor für das Dorf von überragender Bedeutung, steht heute sein Wert als Teil unserer natürlichen Lebensgrundlagen mit seinen vielfältigen Funktionen im Vordergrund.

Gemeindewald – Kirchenwald – Privatwälder

Die ersten Auskünfte über den Wald in Güntersleben gibt uns ein Salbuch des Amtes Arnstein von 1594. In solchen Salbüchern oder Urbaren erfassten die Schreiber der fürstbischöflichen Ämter die Besitzrechte und Abgabenpflichten in den ihnen unterstellten Amtsorten.

Bei der Aufstellung der Waldungen im Gemeindebesitz finden sich unter weitestgehend gleichen Namen alle Walddistrikte, die auch heute der Gemeinde gehören: Buchloh, Eichenloh, Mehlen, Heeßloch (Häslach), Stöckig, Rothenloch, Faß, Gräbenroth. Es werden auch jeweils die Flächen angegeben, allerdings mit dem Hinweis, es könne „mehr oder weniger sein, ist nicht gemessen, sondern auf unge­fährlich geschätzt worden“. Auch wenn eine genaue Umrechnung der damaligen Maßeinheiten schwierig ist, entsprechen die Größenangaben tendenziell den heutigen Verhältnissen. Mit den Baumarten hat sich der Schreiber von damals nicht befasst. Heute bestehen rund drei Viertel des Gemeindewaldes aus Laubholz, davon zur Hälfte Eichenbestände; bei den Nadelhölzern hat die Kiefer den größten Anteil.

Als weitere Waldbesitzerin wird 1594 die Pfarrei genannt. Deren Wald am Rennweg sei aber „vor 6 Jahren abgehauen worden“. Wie Ignatius Gropp 150 Jahre später in seinem Protokollum bestätigt, wurde ein solcher Kahlschlag immer wieder vorgenommen, „wann das Holtz zum Abhauen genug gewachsen“ und als Brennholz „feil gebotten und verkauft“. Damit beschreibt er die sogenannte Mittelwaldbewirtschaftung, wie sie früher in einem Großteil der Günterslebener Wälder üblich war. Bei Gropp findet man für die „40 Morgen Busch-Gehöltz“ auch zum ersten Mal die Bezeichnung „das Heilige Holtz“ für den Kirchenwald, im heutigen Sprachgebrauch das Heiligenhölzlein. Es wurde 2016 mit dem Bayerischen Staatspreis für vorbildliche Waldpflege ausgezeichnet.

Den Waldbesitz der „Nachbarn“, also die privaten Waldparzellen der Ortsbewohner, führt der Amtsschreiber nicht im Einzelnen auf. Er rechtfertigt das mit den ständigen Veränderungen, denn die Besitzer „reuten täglich solches aus“, wohingegen auf anderen „bösen“ Äckern, die wüst liegen, wieder Holz wächst, das aber auch „nicht beständig verbleibt“, also auch als Brennholz genutzt wurde, sobald es hiebsreif war.

Diese Besitzverteilung ist bis heute im Wesentlichen gleichgeblieben. 268 Hektar sind Gemeindewald, 10 Hektar Kirchenwald und 112 Hektar gehören privaten Eigentümern. Letztere sind in über 500 überwiegend kleine und zum Teil kleinste Parzellen mit weniger als 100 qm zersplittert, hervorgerufen durch immer weitere Teilungen im Wege der Erbfolge. Denn auf ein „Hölzle“, wie man diese Kleinparzellen hier nennt, legten die Nachkommen, auch wenn sie den elterlichen Hof nicht übernehmen konnten, bis in die jüngste Vergangenheit in aller Regel größten Wert.

Bauholz und Brennholz

Bei der Beschreibung der Gemeindewälder von 1594  wird unterschieden zwischen dem Bauholz im Buchloh, im Eichenloh und in der Mehlen, also Beständen, die unserem heutigen Hochwald ähneln, und dem Brennholz, das in den viermal so großen anderen Walddistrikten wuchs.

Während man dem Bauholz 80, 100 und mehr Jahre Zeit ließ, damit mächtige Stämme heranwachsen konnten, wurden Teile der Brennholzbestände im turnusgemäßen Wechsel etwa alle 25 Jahre, wie beim Heiligenhölzlein beschrieben, komplett abgeholzt, um Heizmaterial für die Wohnungen zu haben. Wenn nach einem Vierteljahrhundert aus den Stockausschlägen der Baumstümpfe wieder Bäume nachgewachsen waren, wiederholte sich der Vorgang.

Bürgerrecht und Holzrechte

Die überragende Bedeutung des Gemeindewaldes und seiner Nutzungen für die Dorfbewohner zeigte sich in der Verknüpfung mit dem Bürgerrecht. Wer Gemeindebürger war – früher nur Männer mit Familie, eigenem Hof oder einem selbständigen Gewerbe – hatte herkömmlich Anspruch auf Holzzuweisungen aus dem Gemeindewald.

Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnten sich die Gemeindebürger alljährlich im Winter oder zeitigen Frühjahr in dem Waldstück, das zur Abholzung bestimmt war, mit Brennholz versorgen. Jeder bekam dabei einen genau abgegrenzten Bereich, eine sogenannte Lach oder Lage, zugewiesen. Die Holzmenge sollte für alle möglichst gleich sein und damit sich niemand benachteiligt fühlen musste, wurden die einzelnen Lachen unter den Gemeindebürgern verlost. Der von daher rührende Begriff Holzlos für die Zuweisung eines Kontingents zur eigenen Aufarbeitung hat sich bis heute erhalten, auch wenn schon lange nicht mehr mit dem Los entschieden wird.

Wer ein Haus, eine Scheune oder einen Stall baute, dem stand je nach Größe des Bauwerks eine Anzahl von Eichenstämmen für den Dachstuhl zu. Mit der Zunahme der Bautätigkeit war die Gemeinde jedoch immer weniger in der Lage, die benötigten Stämme bereitzustellen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es daher notgedrungen zu immer weiteren Einschränkungen, bevor dieses althergebrachte Recht auf Weisung der Staatsaufsicht schließlich ganz beseitigt wurde.

Besoldungsholz

Amtsträger und Bedienstete der Gemeinde – Pfarrer, Lehrer, Schultheiß, Gemeindediener u.a. – wurden für ihre Dienste außer mit Geld und anderen Naturalien in Güntersleben früher auch mit Brennholz entlohnt, das in jedem Einzelfall nach Art und Menge genau bestimmt war. Damit war beiden Seiten gedient. Brennholz brauchte jeder, der einen Hausstand hatte, und auch der Gemeinde dürfte es leichter gefallen sein, ihren Verpflichtungen mit den reichlich vorhandenen Vorräten aus ihrem Wald als aus ihrer oft klammen Gemeindekasse nachzukommen. Besoldungsholz wurde in vielen Fällen noch bis in die 1930er Jahre in natura bereitgestellt oder geliefert. Gegenüber der Pfarreistiftung bestanden solche noch bis vor wenigen Jahren, wurden seit längerem aber schon in Geld umgerechnet, bevor sie schließlich einvernehmlich abgelöst wurden.

Stütze des Gemeindehaushalts

Mindestens ebenso wichtig wie für die Familien im Dorf waren die Nutzungen aus dem Gemeindewald für die Wirtschaftsführung der Gemeinde. Die seit 1718 erhaltenen Gemeinderechnungen weisen aus, dass die Erlöse aus dem Holz­­verkauf bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs in den meisten Jahren den mit Abstand größ­ten Ein­nah­meposten der Gemeindekasse bildeten. In manchen Jahren wurde über die Hälfte des Ge­mein­dehaushalts mit den Erträgen des Waldes bestritten. Alle größeren Vorhaben frühe­rer Zeit wurden in Güntersleben vorrangig mit Holzverkäufen finanziert. Das war so, als 1838 das Schulhaus an der Kirche – das heutige Kolpinghaus – gebaut wurde. Nur auf diese Weise konnten 1908 die zentrale Wasserversorgung und 1922 die Elektrifizierung der Gemeinde bezahlt wer­den. Auch die Folgen der Inflation des Jahres 1923 konnte Güntersleben mit seinem Wald bes­ser verkraf­ten als an­dere Gemeinden. Von den 44.359 Mark Gemeindeeinnahmen des Jahres 1924 stammten 23.745 Mark aus Holzverkäufen.

Seit etwa 1930 ging die wirtschaftliche Bedeutung des Gemeindewaldes beständig zurück. Doch wären auch noch der Schulbau von 1950/51 und der Kindergartenbau von 1954 ohne den Holzeinschlag, damals vornehmlich im Stöckig, jedenfalls um diese Zeit kaum möglich ge­wesen. Damals konnten aus dem Gemeindewald noch ansehnliche Überschüsse erwirtschaftet werden. Heute liegen die Kosten für die Waldpflege und die Holzgewinnung höher als der Er­lös, der aus dem Holzverkauf zu erzielen ist. Zum jährlichen Haushaltsvolumen von mehreren Millionen Euro trägt der Gemeindewald allenfalls noch 100.000 Euro bei.

Arbeitsplatz Wald

Zur wirtschaftlichen Seite gehören auch die Beschäftigungsmöglichkeiten, die der Gemeinde­wald den Dorfbewohnern in der Vergangenheit bot. Den Holzeinschlag nutzen die Bauern nach dem Abschluss ihrer herbstlichen Feldarbeit ebenso als Zuerwerb wie die im Winter meist aus­gestellten Bauarbeiter. Vor allem in den Jahren der hohen Arbeitslosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg und um 1930 waren vie­le dringend darauf angewiesen, zumindest vorübergehend im Wald etwas zu verdienen. Die Ge­meinde beschäftigte damals oft mehrere Dutzend Holzmacher gleichzeitig. Zuletzt wurde 1934 im Rahmen einer Notstandsmaßnahme sogar ein größeres Waldstück am Zwerlach ausschließlich zur Arbeitsbeschaffung gerodet.

Vom Mittelwald zum Hochwald

Dass es im 19. Jahrhundert immer schwieriger wurde, das herkömmliche Recht der Bürger auf Bauholzzuweisungen zu befriedigen, hatte zum einen mit der verstärkten Bautätigkeit, zum anderen aber auch mit der bis dahin üblichen Form der Waldbewirtschaftung zu tun.

Verständlicherweise ging es vorrangig darum, dass regelmäßig genügend Brennholz bereitgestellt werden konnte. Wenn dafür reihum alle 25 Jahre ein größeres Waldstück abgeholzt wurde, dann wuchsen aus den Wurzelstöcken zwar wieder neue Bäume nach. Je mehr solcher Umtriebe aber stattgefunden hatten, desto schwächer wurden die Wurzelausschläge und immer weniger von diesen hatten die Kraft, sich zu größeren, zur Gewinnung von Bauholz brauchbaren, Bäumen zu entwickeln. Auch die Masse an nachwachsendem Brennholz wurde im Laufe der Zeit weniger. Das Staatliche Forst­amt Rimpar, dem die Gemeinde mit ihrem Wald wohl seit 1720 unterstand, bezeichnete dem­ge­mäß in einem Bericht von 1890 den Wald in Günters­leben als „bedeutend herabgekommen“.

Um bessere und mengenmäßig größere Erträge zu erhalten, ging man daher seit der Mitte des 19. Jahrhunderts dazu über, die seitherigen Mittelwaldbestände in Hochwald umzuwandeln, bei denen die neuen Bäume nicht aus den alten Wurzelstöcken kamen, sondern der Nachwuchs aus Sämlingen herangezogen wurde. Daraus wuchsen dann die kräftigen Bäume heran, wie wir sie aus unseren heutigen Wäldern kennen. Die Umstellung war jedoch ein langwieriger Prozess, der viel Geduld erforderte, die nicht immer vorhanden war. So zog sich auch in Güntersleben der Umbau vom Mittelwald zum Hochwald lange hin. Erst 1938 wurde der Mittelwaldbetrieb hier endgültig aufgegeben.

Die Förster und die Forstdienststelle in Güntersleben

Dass diese Veränderungen im Sinne einer nachhaltigeren Waldbewirtschaftung überhaupt in Gang kamen und dann auch durchgesetzt wurden, ist auf das Einwirken der staatlichen Forstaufsicht zurückzuführen. Wie über fast alles wachte der Staat auch schon in der fürstbischöflichen Zeit darüber, wie die Gemeinden mit ihrem Wald umgingen. So findet man in den Kirchenbüchern bereits nach 1600 immer wieder Personen mit der Berufsbezeichnung Förster, die am Ort wohnten. Durch die Beifügung sonst nicht gebräuchlicher Ehrenbezeichnungen (z.B. spectabilis dominus = wohlgeborener Herr) wird erkennbar, dass es sich offenbar um Beamte der fürstbischöflichen Verwaltung handelte. In welcher Weise und inwieweit diese in der Lage waren, auf die Bewirtschaftung des Waldes durch die Gemeinde einzuwirken, lässt sich nicht feststellen.

Um 1840 wurde für den Königlichen Forstwart, wie er sich jetzt nannte, mit dem Bau des Forsthauses beim heutigen Rathaus in der Würzburger Straße ein fester Dienstsitz eingerichtet. Zu dieser Zeit wurde auch der erste Forstwirtschaftsplan aufgestellt, wie er seither von der Forstbehörde alle 10, 15 oder 20 Jahre erneuert wird. Neben einem Rechenschaftsbericht über die zurückliegende Periode enthält er eine aktuelle Zustandsbeschreibung des Gemeindewaldes und Vorgaben für die bevorstehenden Jahre. Die Gemeinde muss sich also bei der Bewirtschaftung ihres Waldes an die vorgegebenen Rahmenbedingungen der staatlichen Fachbehörde halten.

1962 baute der Staat ein neues Forstdienstgebäude an der Tannenstraße und verkaufte das alte Gebäude an die Gemeinde, die es 1976 beseitigte, um den Platz für den Rathausneubau zu nutzen. Mit dem Ende des 20. Jahrhunderts endete dann auch die Zeit der Forstdienststelle Güntersleben. Seit der Forstreform in Bayern ist für die fachliche Betreuung die Forstdienststelle Waldbüttelbrunn zuständig. Der frühere Vorteil der räumlichen Nähe ist dadurch allerdings verloren gegangen. Und wo früher Saisonarbeiter die Fällarbeiten und sogenannte Kulturfrauen die Pflanz- und Pflegearbeiten im Gemeindewald vornahmen, erledigt das heute unter Maschineneinsatz ein gemeinsamer Arbeitstrupp der Gemeinden Güntersleben und Veitshöchheim für beide Gemeindewälder.

Rätselhaftes Lutziholz

Nicht nur in der Märchenwelt begegnet uns das Bild vom geheimnisvollen Wald. In Güntersleben gab es das Lutziholz, ein Waldstück aus vielen kleinen Parzellen und insgesamt etwa 2,5 Hektar groß, das heute zum Walddistrikt Faß gehört. Schon der eigentümliche Name gibt Rätsel auf. Obwohl räumlich weit davon entfernt, fällt die Ähnlichkeit mit der früheren Bezeichnung des Gartengebiets am Heimgartenweg auf, das „am Lutzi“ genannt wurde. Das wiederum liegt nahe beim Laurenzibrunnen im heutigen Dürrbachpark, der seinen Namen nach der Laurentius- oder Lorenzkapelle hat, die seit mindestens 1100 und – zuletzt als Ruine – bis 1685 dort stand. Lutzi ist also mutmaßlich eine Ableitung von Laurentius.

Das Lutziholz war eine Waldkörperschaft, in älteren Schriftstücken auch Güterwald genannt. Mitglieder der Körperschaft und damit Anteilseigner an dem Waldgrundstück waren die Besitzer der Hofstellen in Güntersleben zu der Zeit, als die Körperschaft gebildet wurde. Wann das war, lässt sich nicht mehr feststellen. Wenn man aber annimmt, dass der Name des Gemeinschaftsgrundstücks von Laurentius abgeleitet wurde, muss das zu einer Zeit gewesen sein, als Laurentius als Kirchenpatron noch präsent war, mithin vor vielen Jahrhunderten. Wie bei derartigen Güterwäldern üblich, war der Besitzanteil an den Hof gebunden und ging bei der Übergabe auf den Hoferben über. Durch Teilungen und Zusammenlegungen konnten sich die anfangs wohl gleichen Anteile vergrößern oder verkleinern. Wenn Holz verkauft wurde, wurde der Erlös nach den Anteilen verteilt, ebenso verfuhr mit den Aufwendungen. Um 1900 zählte die Körperschaft nahezu 100 Mitglieder, manche davon nur mit 40 oder 50, einzelne auch mit über 1000 Quadratmetern beteiligt.

1907 verkauften die Anteilseigner ihre Rechte an die Gemeinde, der auch einige mittlerweile herrenlos gewordene Anteile zugeschlagen wurden. Seitdem ist das frühere Lutziholz Teil des Gemeindewaldes im Faß.

Bedeutungswandel des Gemeindewaldes

Unter rein betriebswirtschaftlicher Betrachtung ist der Wald schon längst keine sprudelnde Einnahmequelle mehr für den Gemeindehaushalt. Dagegen steht aber das in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsene Bewusstsein über die Bedeutung des Waldes für den Klimahaushalt und als Erholungsraum für die Menschen. Die Investitionen der Gemeinde in die laufende Pflege ihres Waldes sind daher allemal lohnend, befindet dieser sich dadurch heute doch auch auf einem Stand, dass ihn kein Kundiger mehr als „herabgekommen“ bezeichnen würde.

08/2023