Die Günterslebener Kriegerdenkmäler im Wandel der Erinnerungskultur
Über 100.000 Kriegerdenkmäler soll es in Deutschland geben. Vier sind es auch in Güntersleben: Die Gedenktafel für die Kriegsteilnehmer 1866 und 1870/71 hinter der Kirche, das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs am Alten Rathaus, der Gedenkstein mit den Gefallenen des Zweiten Weltkriegs in der Leichenhalle und seit 1970 die zentrale Gedenkstätte am Haupteingang zum Friedhof. Diese ist im Vergleich zu anderen Kriegerdenkmälern, aus denen noch der Geist des früheren Heldengedenkens spricht, in ihrem Erscheinungsbild wohltuend zurückhaltend und schlicht: Auf einer Muschelkalkstele eine stilisierte Dornenkrone und auf der Mauer dahinter die Jahreszahlen der drei letzten Kriege, an denen Soldaten aus Güntersleben teilnehmen mussten. Auf ihre Namen hat man an dieser Stelle verzichtet. Im eigentlichen Sinne handelt es sich daher nicht um ein Kriegerdenkmal, sondern eher um ein Mahnmal.
Die drei Zahlenkombinationen 1870/71, 1914/18 und 1939/45 machen allen Vorübergehenden sofort klar, wofür dieses Mahnmal steht. Den Zweiten Weltkrieg von 1939 bis 1945 und seine Auswirkungen auf Güntersleben kennen viele noch aus eigenem Erleben oder aus der jüngeren Familiengeschichte. Das gilt schon weniger für den Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918, den man allenfalls noch aus den Erzählungen lang verstorbener Vorfahren kennt. Davon, was der Krieg von 1870/71 für Güntersleben bedeutete, hatte schon bei der Errichtung des Denkmals 100 Jahre später niemand mehr im Dorf eine rechte Vorstellung.
Der deutsch-französische Krieg 1870/71
Aus einem eher nichtigen und vom preußischen Ministerpräsidenten Bismarck provozierten Anlass erklärte Frankreich im Juli 1970 dem Königreich Preußen den Krieg, an dem auch Bayern als Verbündeter Preußens beteiligt war. Frankreich hoffte auf einen schnellen Sieg, stand aber im Januar darauf als Verlierer da. Bismarck nutzte die nationale Hochstimmung, die der Sieg über den „Erbfeind“ auslöste, zur Einigung Deutschlands unter preußischer Führung. Am 18. Januar 1871 wurde der preußische König Wilhelm I. im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum Kaiser des Deutschen Reiches ausgerufen.
Eigentlich wurde der Krieg schon am 2. September 1870 durch den Sieg der verbündeten deutschen Truppen beim Kampf um die Stadt Sedan entschieden. Der Name der Stadt wurde danach zum Inbegriff des Stolzes auf die Überlegenheit der deutschen Soldaten. Jedes Jahr im September wurde der Sedantag als inoffizieller Nationalfeiertag zelebriert. Denkmäler wurden errichtet und Straßen, wie in Würzburg die Sedanstraße, sollten die Erinnerung an den großen Sieg wachhalten. „Fern bei Sedan wohl auf der Höhe“ wurde nicht nur bei Veteranentreffen gesungen. Was dabei zur Nebensache wurde: Neben einer noch weitaus höheren Zahl französischer Kriegsopfer verloren auch auf deutscher Seite 50.000 Soldaten ihr Leben.
Aus Güntersleben waren 38 Soldaten bei den Gefechten in Frankreich dabei. Ein 26-Jähriger erkrankte während des Einsatzes und starb in einem Feldlazarett. Alle anderen kamen wieder zurück. Abgesehen von der vorübergehenden Abwesenheit der jungen Männer war das Dorf von weiteren Auswirkungen des Krieges nicht betroffen. Lebensmittel und Futter, das man in Erwartung möglicher Einquartierungen und für etwaige Heeresdurchzüge vorsorglich bevorratet hatte, wurden nicht gebraucht und nach dem Krieg an Interessenten versteigert.
Die Kriegsheimkehrer wurden auch in Güntersleben als Helden gefeiert. „Als Anerkennung und Belohnung für ihre diesfalls erlittenen Strapazen“ sicherte ihnen die Gemeinde den unentgeltlichen Erwerb des Bürgerrechts zu, für den die jungen Männer im Dorf, in der Regel bei ihrer Eheschließung, ansonsten eine nicht unerhebliche Gebühr zu zahlen hatten. Einem Teilnehmer, der das Bürgerrecht schon vor dem Krieg erworben hatte, wurde die Gebühr erstattet. Der Betrag sollte aber nicht ihm, sondern seiner Frau übergeben werden, „da er keinen guten Gebrauch mit demselben machen wird.“
Die Kriegsteilnehmer waren auch selbst darum besorgt, ihren Nachruhm zu sichern. Drei Jahre nach Kriegsende gründeten sie im Januar 1874 den Kampfgenossenverein. Er war der erste und für einige Zeit einzige Verein in Güntersleben. Mit dem Beitritt vieler Sympathisanten wurde er im Lauf der Jahre zum angesehensten und mit 187 Mitgliedern im Jahr 1927 größten Verein im Dorf, bis er sich im Dritten Reich auf Weisung von oben auflösen musste.
1895 erhielten alle noch lebenden Kriegsteilnehmer je 2 Mark aus der Gemeindekasse „behufs Abhaltung einer 25-jährigen Gedenkfeier“. 1903 wurde neben dem Mittelportal der Kirche ein ziemlich monströses Denkmal mit den Namen der siegreichen Soldaten aufgestellt, darunter auch jener, die schon am vorangehenden Krieg Preußens gegen Österreich und den Deutschen Bund von 1866 teilgenommen hatten. Die Botschaft, die es weitertragen sollte, war nicht Mahnung und Gedenken an Kriegsopfer, sondern die Verherrlichung der Leistungen der Kriegshelden.
Nach zwei verlustreichen Weltkriegen hatte man genug von dem lorbeerbekränzten Siegesdenkmal und beseitigte es. Erhalten blieb nur die Tafel mit den Namen der Kriegsteilnehmer, die man noch heute in der Mauer gegenüber dem hinteren Eingang der Kirche sehen kann.
Der Erste Weltkrieg 1914 – 1918
Mit einer spontanen Kundgebung wurde im August 1914 in Güntersleben – wie im ganzen Land – die Mobilmachung gegen Frankreich gefeiert. Diesmal waren es die Deutschen, die einen kurzen Waffengang und einen schnellen Sieg erwarteten.
Aus dem Traum von einem schnellen Sieg wurde der Alptraum eines weltweiten Flächenbrandes, ein Weltkrieg, der in die Geschichtsbücher als Erster Weltkrieg einging. 25 Staaten befanden sich im Kriegszustand. 17 Millionen Soldaten und Zivilpersonen verloren ihr Leben. Nach vier mörderischen Jahren mussten im November 1918 die Vertreter der deutschen Regierung einen Waffenstillstand unterzeichnen, der einer bedingungslosen Kapitulation gleichkam.
Auch Güntersleben hatte dieses Mal massiv unter dem Kriegsgeschehen zu leiden. Bei nicht einmal 1300 Einwohnern wurden im Verlauf des Krieges 240 Männer eingezogen. 60 kehrten nicht zurück, die meisten gefallen in Frankreich. Die Soldaten fehlten in dem Bauerndorf als Arbeitskräfte auf den Höfen. Französische Kriegsgefangene mussten mithelfen, zumindest die dringendsten Arbeiten zu erledigen. Lebensmittel, Heiz- und Beleuchtungsmaterial und andere Güter des täglichen Bedarfs wurden immer knapper und rationiert. Zugleich mussten immer größere Kontingente der landwirtschaftlichen Erzeugnisse für die Truppen und für die Aufrechterhaltung der Versorgung im Land abgeliefert werden. Für die Munitionsherstellung musste 1917 sogar eine Glocke vom Kirchturm geholt und ein Register mit Orgelpfeifen aus Metall ausgebaut und abgegeben werden.
Es war wieder der Kampfgenossenverein, der 1922 die Initiative für ein Kriegerdenkmal ergriff. In einer Haussammlung trug er 8.000 Mark dafür zusammen. Doch dann kam die Inflation dazwischen, so dass es am Ende 150.000 Mark kostete. Es wurde in einer eigens dafür angelegten Grünanlage am Aufgang zur Kirche aufgestellt und am 1. November 1923 eingeweiht. Auf der Schauseite waren unter der Widmung „Die dankbare Gemeinde Güntersleben“ die Namen der 60 Gefallenen mit ihren militärischen Einheiten eingemeißelt. 1956 wurde das Denkmal bei der Neugestaltung des Treppenaufgangs an die Südwand des alten Rathauses versetzt. Dem Stein aus Kirchheimer Muschelkalk haben die Jahre inzwischen so zugesetzt, dass nur noch wenige Namen mit einiger Mühe zu entziffern sind.
Der Zweite Weltkrieg 1939 – 1945
Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Von Kriegsbegeisterung wie 1914 war dieses Mal auch in Güntersleben nichts zu spüren. Nach sechs Jahren mit 60 Millionen Toten weltweit endete der Krieg am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, großen Gebietsverlusten, jahrelanger Besetzung und jahrzehntelanger Teilung Deutschlands.
Aus Güntersleben wurden nahezu 300 Männer in die Gefechte geschickt, die jüngsten gerade 17 und die ältesten bald 50 Jahre alt. 89 Soldaten kamen nicht zurück, die meisten im Osten gefallen. Zwei Jahre nach dem Ende des Krieges befanden sich noch über 60 Soldaten in Gefangenschaft. Der letzte Heimkehrer kam im Mai 1950 zurück.
Neben den Versorgungsengpässen und den Ablieferungspflichten, wie man sie aus dem Ersten Weltkrieg kannte, war Güntersleben in den letzten Kriegswochen auch direkt von Kampfhandlungen betroffen. Im April 1945 verloren bei einem wiederholten Artilleriebeschuss über mehrere Tage elf Personen, darunter vier Einheimische, ihr Leben.
Das Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs hält eine schlichte Steintafel ohne den früher üblichen Zierrat in der Vorhalle des Leichenhauses fest. Die Namen wurden wiederholt ergänzt, wenn Vermisste später für tot erklärt wurde. Die Aufzählung ist aber gleichwohl nicht vollständig.
Das lange Ringen um eine zentrale Gedenkstätte
„In der Gemeinde sind viele nicht zufrieden mit den unterschiedlichen Standorten für die Kriegsopfer.“ So schrieb die MainPost im November 1957. Der Gemeinderat befasste sich deshalb mit der Neuerrichtung einer „Heldengedenkstätte“, wie der Protokollführer sich ausdrückte. Obwohl schon die Bekanntgabe des Vorhabens dazu führte, dass „ganz ansehnliche Beiträge an Spenden aus der Bevölkerung eingingen“, sollte es noch 13 Jahre dauern, bis man sich auf einen geeigneten Ort und die Gestaltung geeignet hatte.
Nach ersten schnell eingeholten Entwürfen sollte das Mahnmal bei der Kirche oder im sogenannten Ölgarten unter dem Kirchturm seinen Platz haben. Alle maßgeblichen amtlichen Stellen und die beteiligten örtlichen Organisationen waren einverstanden. Nur im Gemeinderat fand man nicht zusammen. Auch ein neuer Anlauf Ende 1961 brachte keine Einigung und so stellte man die Angelegenheit kurzerhand bis zu einer möglichen Friedhofserweiterung zurück.
Als die im Frühjahr 1970 kam, war mit dem freien Platz neben dem neuen Haupteingang zumindest die Frage des Standorts entschieden. Unklar war aber immer noch, wie das Denkmal aussehen sollte.
Ein erster Entwurf, vorgelegt vom Bildhauer Karl Hornung aus Estenfeld, wurde als zu abstrakt empfunden. Die Diskussion im Gemeinderat ließ den Wunsch nach einer realistischeren Darstellung erkennen. Bezeichnend dafür, dass auch an einer Stelle der Niederschrift wieder der überholte Begriff einer Heldengedenkstätte erscheint. Nachdem aber mehrere daraufhin eingeholte Vorschläge anderer Bildhauer auch nicht überzeugten, wollte man die Sache zu Ende zu bringen und entschied sich mehrheitlich – aus heutiger Sicht glücklicherweise – für den ersten Entwurf, der dann auch ausgeführt wurde. In der Öffentlichkeit hat das am Volkstrauertag 1970 eingeweihte Denkmal schneller als im Gemeinderat allgemeine Akzeptanz gefunden.
Dass die Jahreszahlen hinter dem Denkmal nicht nur auf die beiden Weltkriege, sondern auch noch auf den Krieg von 1870/71 hinweisen, beruht eigentlich auf einem Missverständnis. Nicht nur, dass in der Vorlage für den Gemeinderat von drei Weltkriegen die Rede war, der die zeitlich und regional begrenzte Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Preußen von 1870/71 gewiss nicht war. 100 Jahre nach diesem Ereignis hatte sich die Erinnerung – wie man das häufiger erlebt – auch so weit von der Realität entfernt, dass man annahm, auf der Schrifttafel des früheren Denkmals seien die Gefallenen aus Güntersleben aufgeführt, die es aber tatsächlich nicht gab.
Mit der Aufnahme in das 1970 errichtete zentrale Mahnmal der Gemeinde Güntersleben hat man, ohne sich dessen bewusst zu sein, die ursprüngliche Verherrlichung des siegreichen Feldzugs gegen die ungeliebten französischen Nachbarn in das Gedenken an die Opfer aller Kriege integriert. So verstanden hat auch 1870/71 als immerwährende Mahnung an diesem Ort seinen berechtigten Platz.
11/2024