Der Krieg ist vorbei – aber die Schule muss warten

7. September 2024

Der Krieg ist vorbei – aber die Schule muss warten

Ein halbes Jahr oder sogar mehr als ein ganzes Jahr Ferien. Ein Traum für Schülerinnen und Schüler? 1945 war es ein Alptraum wie so vieles andere, was das Ende des Zweiten Weltkrieges mit sich brachte.

Nach der Zerstörung Würzburgs keine Schule mehr in Güntersleben

Am Abend des 16. März 1945 wurde Würzburg durch einen 20-minütigen Luftangriff in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Tags darauf wurden die kleinen Patienten der Universitätskinderklinik, wie im Evakuierungsplan vorgesehen, nach Güntersleben verlegt, abgeholt bei Schneetreiben von Pferdegespannen mit offenen Leiterwägen. Untergebracht wurden die halberfrorenen Kinder in behelfsmäßig hergerichteten Krankenstationen in den Schulsälen im heutigen Kolpinghaus und in der Kinderbewahranstalt an der Langgasse sowie im Gasthaus zum Hirschen. Der Schulunterricht, der trotz der Ausfälle beim Lehrpersonal durch Fronteinsätze und dem zeitweiligen Mangel an Heizmaterial bis dahin leidlich aufrechterhalten werden konnte, musste bis auf Weiteres eingestellt werden.

Wiederaufnahme des Unterrichts für wenige Klassen, mit wenigen Lehrern und zu wenigen Klassenzimmern

Im Oktober 1945 wurde die Kinderklinik nach Würzburg zurückverlegt. Erst jetzt konnte überhaupt wieder an eine Aufnahme des Schulbetriebs gedacht werden, allerdings nur in eingeschränktem Umfang. Einer der beiden großen Lehrsäle im Kolpinghaus hatte im April, als Güntersleben mehrmals unter Artilleriebeschuss lag, einen Volltreffer bekommen und war vorerst nicht benutzbar. Ausweichmöglichkeiten gab es nicht, weil alle Räumlichkeiten durch Flüchtlinge, Evakuierte und Ausgebombte aus Würzburg und anderen Regionen ohnehin überbelegt waren. Außerdem fehlten die Lehrer. Der frühere Schulleiter war gefallen, andere Lehrkräfte waren als frühere NSDAP-Parteimitglieder dienstentlassen und mussten sich erst Entnazifizierungsverfahren unterziehen.

Am 22. Oktober 1945 begann für die Jahrgangsstufen 1 – 4 wieder der Unterricht. Mit 221 Kindern und zwei Lehrkräften, die beide erst durch die Kriegsereignisse nach Güntersleben gekommen waren: Betty Kaiser war schon im März vor den Fliegerangriffen auf Würzburg mit ihrer Familie zu ihrer Schwester Maria Dümler nach Güntersleben gezogen. Diese war ebenfalls Lehrerin und bis zur Einstellung des Unterrichts hier im Dienst gestanden. Ludwig Mainka war nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft mit seiner aus Oberschlesien geflüchteten Familie im Sommer 1945 auf Umwegen eher zufällig in Güntersleben untergekommen.

Nachdem der zweite Lehrsaal im Kolpinghaus wieder hergestellt war, konnte auch für die 5. Jahrgangsstufe am 1. Dezember 1945 der Unterricht wieder beginnen. Als weitere Lehrkraft wurde Elisabeth Mainka (später verh. Genzel), die Tochter von Ludwig Mainka, eingestellt. Sie hatte noch in den letzten Kriegsmonaten ihre Lehrerausbildung absolvieren können.

Endlich wieder Schule für alle

Erst im Mai 1946 war dann wieder für alle 8 Jahrgangsstufen Unterricht möglich. Zum gleichen Zeitpunkt war der Schule in Güntersleben acht Jahre nach dem 1938 angeordneten „Abbau der klösterlichen Lehrkräfte“, wie es in der Sprache der Nationalsozialisten hieß, mit M. Pilar Sträußl wieder eine Ordensfrau als Lehrerin zugewiesen worden. Sie blieb allerdings nur wenige Monate, bevor ihr für längere Zeit Schwester Elfriede Strümpfler folgte.

380 Schülerinnen und Schüler besuchten nach Wiederaufnahme des Vollbetriebs die Schule in Güntersleben und es sollten in der Folgezeit in der Spitze sogar 394 werden. Zu einem nicht geringen Teil kamen sie aus den Familien, die als Evakuierte, Flüchtlinge oder Vertriebene im Dorf Aufnahme gefunden hatten. Im Nachhinein lässt sich kaum ermessen, welche Belastung das für die zunächst nur vier Lehrkräfte gewesen sein muss. Als Unterrichtsräume hatten sie nur die vier gleichen Lehrsäle – drei im Kolpinghaus und einer über der Kinderbewahranstalt -, die schon vor dem Krieg für die damals 250 Schulkinder als unzureichend angesehen wurden. Für die nächsten Jahre war daher sogenannter Wechselunterricht angesagt, bei dem ein Teil der Schülerinnen und Schüler am Vormittag und der andere Teil am Nachmittag Unterricht hatte. Die Schulzimmer waren also von 7 Uhr bis 17 oder 18 Uhr, nur unterbrochen durch die Mittagspause, belegt und die gleiche Zeit standen der Lehrer und die Lehrerinnen vor ihren Klassen.

Acht Lehrkräfte und vier Klassenzimmer

Zumindest personell entspannte sich seit Anfang 1947 die Situation allmählich. Mit Maria Dümler im Februar 1947 und Alfons Mayer im Mai 1948 wurden zwei erfahrene Lehrer wieder in den Dienst an ihrer früheren Schule eingestellt, nachdem ihre Entnazifizierungsverfahren abgeschlossen waren. Mit häufiger wechselnden weiteren Lehrkräften waren seit Mai 1948 jetzt acht Lehrerinnen und Lehrer im Einsatz. Da diesen aber nach wie vor nur vier Lehrsäle zur Verfügung standen, musste weiterhin für die verschiedenen Klassen der Unterricht im Wechsel am Vormittag oder am Nachmittag abgehalten werden.

Zum Ende des Jahres 1948 schied die Lehrerin Betty Kaiser, die als Lehrerin der ersten Stunde 1945 den Schulbetrieb wieder in Gang gebracht hatte, aus dem Dienst aus. Sie ging nicht aus freien Stücken, denn für ihre Familie mit drei Kindern hätte sie das Einkommen aus ihrer beruflichen Tätigkeit nach wie vor gut gebrauchen können. Da es aber mittlerweile wieder genügend Lehrerinnen und Lehrer gab, machte die Ministerialbürokratie von einer noch bis 1951 geltenden Regelung im Beamtenrecht Gebrauch, wonach verheiratete Frauen entlassen werden konnten, wenn ihre wirtschaftliche Lage gesichert war. Ausnahmen wurden, wie auch in diesem Fall, nur geduldet, wenn „Not am Mann“ war.

Im Januar 1949 wurde der aus Güntersleben gebürtige Hauptlehrer Gottfried Beck nach seiner Entlassung aus einem amerikanischen Internierungslager an der Schule seiner Heimatgemeinde neu eingestellt. Zweieinhalb Jahre später wurde ihm im August 1951 das Amt des Schulleiters übertragen.

Seit 1948 war durch die mittlerweile einsetzende Rückkehr von evakuierten Familien in ihre Heimatstadt Würzburg oder in ihre Herkunftsorte in anderen Regionen Westdeutschlands auch stetig die Zahl der Schülerinnen und Schüler gesunken. Im September 1949 betrug deren Zahl noch 290, was die Schulaufsicht zum Anlass nahm, eine Lehrerin ersatzlos auf eine andere Stelle zu versetzen. Im September 1950 wurde eine weitere Stelle gestrichen, so dass von da an nur noch sechs Lehrer in Güntersleben unterrichteten.

Ein neues Schulhaus und wieder Normalität

Auch für die nach wie vor drückende Raumnot kam ein Ende in Sicht. Im Mai 1950 war der Grundstein für den Neubau eines Schulhauses (heute das Haus der Generationen) gelegt worden. Ein mutiges Unternehmen, kaum zwei Jahre, nachdem durch die Währungsreform auch die Geldbestände der Gemeinde weitgehend entwertet worden waren. Im September 1951 wurde das Schulhaus als erster Neubau einer Schule im Landkreis Würzburg nach Kriegsende eingeweiht. Im nachfolgenden Oktober konnten die sechs Lehrerinnen und Lehrer in den sechs neuen Klassenzimmern den Unterricht für die (durch weitere Wegzüge nur noch) 265 Schülerinnen und Schüler aufnehmen. Kein Wechselunterricht mehr und alle Schüler in einem Haus. Die Nachkriegszeit war für die Schule in Güntersleben zu Ende.

09/2024

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Bild zeigt das Lehrerkollegium nach der Schuleinweihung (v.l.): Alfons Mayer, Ludwig Mainka, Maria Dümler, Schulleiter Gottfried Beck, Hildegard Hammer (Kästner), Alfons Kiesel.