In die Erden geloffen und vertragen
Der Pfarrer als Herr über den größten Weinkeller in Güntersleben? Es ist lange her, aber es gab die Zeit, wo das so war. Von Pater Ignatius Gropp, von 1749 bis 1758 Pfarrer in Güntersleben, der uns mit seinem „Procollum“ eine umfangreiche Ortsbeschreibung hinterließ, wissen wir, dass in diesem Keller nach heutigen Maßeinheiten über 250 Hektoliter eingelagert werden konnten. Das größte der 10 Fässer, die dort aufgereiht waren, fasste allein fast 50 Hektoliter. Der Keller war am Kirchplatz, in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche, wo heute das Kolpinghaus steht, und gehörte der Pfarrei.
Wozu dieser riesige Weinkeller? Angehörige des geistlichen Standes werden zwar manchmal, einem Gleichnis der Bibel folgend, als Arbeiter im Weinberg des Herrn bezeichnet. In der Wirklichkeit hatte aber die Kirchengemeinde in Güntersleben zu keiner Zeit nennenswerten Weinbergsbesitz. Auch weiß man von keinem Pfarrer, der sich als Winzer hervorgetan hätte.
Der Keller wurde also nicht eigene Erzeugnisse, sondern für die Einlagerung sogenannter Schuldnerweine benötigt. Dabei handelte es sich um Wein bzw. Most, den die Bauern im Herbst aus ihren Ernteerträgen ablieferten, um damit ihre Schulden zu tilgen, die sie bei der Kirche aufgenommen hatten. Denn eine Bank, bei der man Geld leihen konnte, gab es zu der Zeit im Dorf noch nicht. Die Kirchengemeinde hatte aber aus Spenden und Gottesdienststiftungen immer einiges an flüssigen Mitteln, die sie als Darlehen ausleihen konnte. Wenn die Kreditnehmer, was wohl häufiger vorkam, dann nicht in der Lage waren, das Geld zurückzuzahlen, konnten sie stattdessen im Herbst auch mit der Abgabe von Traubenmost ihren Verpflichtungen nachkommen. Und damit war ihnen sehr geholfen. Denn am Geld mangelte es vielen Dorfbewohnern, aber Weinberge hatte nahezu jeder Haushalt in Güntersleben.
Durch den Verkauf der eingelagerten Bestände an Weinhändler kam die Kirchengemeinde dann auch wieder an ihr Geld – wenn alles gut lief. Das war aber nicht immer der Fall. Zwar verkaufte sich die größere Menge besser als die Kleinmengen der einzelnen Bauern. Die Marktpreise freilich entwickelten sich nicht immer so, wie man es vor der Erntesaison erwartet hatte.
Wie Gropp beklagt, habe die Kirchengemeinde deshalb „vielmahlen an dem für Schulden angenommenen Mösten schaden gelitten. Denn indem gemeiniglich die Schuldner mit diesen hoch hinaus wollen, oder der Herrschaftliche Anschlag hoch heraus kommet, daß man den Wein um den Preys nicht wieder kann anbringen, wie er, sambt beygerechneten Unkösten angenommen worden, kann anderst nicht als ein unvermeidlicher Schaden dem Gotteshaus zuwachsen.“
Dass die Qualität der abgelieferten Weine sehr unterschiedlich war und man auf der Hut sein musste, dass dabei nicht auch noch geschummelt wurde, liegt auf der Hand. 1757 sah sich die fürstbischöfliche Obrigkeit daher auch veranlasst, die Pfarrer davor zu warnen, dass sie nicht anstelle des schuldigen Weins unbemerkt mit minderwertigerem Äpfel- oder Birnenmost bedient werden.
Diesbezüglich sah Pfarrer Gropp zwar keinen Grund zu Klagen, dafür wusste er aber von anderem Ungemach im Keller zu berichten. So seien von dem Wein des Jahrgangs 1745, umgerechnet auf heutige Maßeinheiten, über 8 Hektoliter „durch anbrechung des Fasses in die Erden geloffen.“ Noch größer war 1755 der Verlust, nachdem von dem größten Fass vier Reifen „in einer Wochen abgesprungen“ und „eh man solches gewahr“, vom 1753er Wein rund 13 Hektoliter „ausgeloffen“.
Es gab aber auch noch Verluste ganz anderer Art. Als 1750 der eingelagerte Jahrgang 1748 verkauft werden sollte, fehlten man „nach allem gebräuchlichen und möglichen Abzug und verrechneten Auffgang“ mehr als 3 Hektoliter, von deren Verbleib angeblich niemand wusste. Gropp hatte keine andere Erklärung für den Schwund, „als daß er vertragen worden“. Er ging also davon aus, dass sich ein Langfinger an den Weinvorräten der Kirche bedient haben musste. Nachdem er auch zu wissen glaubte, wer das nur gewesen sein konnte, wurde nicht lange gefackelt, denn „hirauff hat man neue schlösser an den Keller gehenckt, und auf Geheis Höheren Geistl. Obrigkeit dem Büttner Abschied gegeben.“ Der Büttner – wir würden heute sagen der Kellermeister – wurde also kurzerhand gefeuert. Gropps augenzwinkernder Kommentar zu dem Vorgang: „Fide, cui vide“. Auf gut deutsch: Vertraue, aber schau, wem du vertraust. Oder kürzer, wie man auch heute sagt: Trau, schau, wem.
Als 1803 die Fürstbischöfe ihre weltliche Macht an das Kurfürstentum und spätere Königreich Bayern abgeben mussten, war es auch mit dieser speziellen Form des Weinhandels in Güntersleben vorbei. Die neue Herrschaft untersagte die weitere Annahme von Schuldnerweinen durch die Kirchengemeinde. Bald 20 Jahre lagen die leeren Fässer „ohne Einbrennung, verdorben und gleichsam stinkend“, im Keller, wie einem späteren Nachtrag in Gropps „Protocollum“ zu entnehmen ist. Trotzdem fanden sich bei einer öffentlichen Versteigerung am 15. September 1819 für alle zehn Fässer Kaufinteressenten, die meisten aus Güntersleben. Aber auch aus Unterdürrbach und Veitshöchheim kamen Winzer, die erfolgreich mitboten. Mit dem Gesamterlös von 158 Gulden und 25 Kreuzern – was dem Wert von zwei bis drei Ochsen entsprach – erzielt man sogar noch einen ansehnlichen Erlös.
Den „nächst der Kirche liegenden nutzlos und schadhaft gewordenen Keller“, wie er im Protokollbuch der Gemeindeverwaltung beschrieben wird, verkaufte die Kirchenverwaltung 1835 an die Gemeinde, die den Platz für den Neubau einer Schule, das heutige Kolpinghaus, benötigte.
02/2022