Von Rimpar, Retzstadt, Thüngersheim

22. Februar 2022

Von Rimpar, Retzstadt, Thüngersheim

„Früher ist man im Dorf geblieben, auch beim Heiraten.“ Ein gängiges Klischee, das aber in dieser Allgemeinheit nicht stimmt. Beim Blick auf die Gepflogenheiten in Güntersleben ergibt sich ein anderes Bild.

1910 Ziegler Maternus Und Katharina

Günterslebener Brautpaar 1910

Auf Brautschau oder Partnersuche in den Nachbardörfern

Bei allen Ehen, die zwischen 1592 – als mit den Aufzeichnungen in den Kirchenbüchern begonnen wurde – und 1914 in Güntersleben geschlossen wurden, stammte in zwei von fünf Fällen der Bräutigam oder die Braut nicht aus dem Dorf. Bis 1700 war das sogar noch deutlich häufiger der Fall, was wohl auf die katastrophalen Einwohnerverluste durch die Pest und den Dreißigjährigen Krieg zurückzuführen ist.

Die auswärtigen Ehepartner kamen, was angesichts der fehlenden Verkehrsmittel nicht über­rascht, zuallermeist aus den naheliegenden Nachbargemeinden. Unter diesen wiederum nimmt Rimpar eine herausragende Stellung ein. Von den rund 800 Männern und Frauen, die zwischen 1592 und 1914 von auswärts nach Güntersleben einheirateten, kamen allein 95 aus Rimpar. Erst mit großem Abstand folgen die weiteren direkten Nachbarn Retzstadt mit 41, Thüngersheim mit 30, Oberdürrbach mit 20, Veitshöchheim mit 19 und Gramschatz mit 18 Heiratswilligen, die in Güntersleben ihr Glück versuchten. Zwischen diesen reiht sich als nicht unmittelbar angrenzende Nachbargemeinde nur Versbach mit 29 Zuzügen ein, was im Vergleich erstaunlich und kaum erklärbar ist. Unter den Herkunftsorten sind weiterhin so gut wie alle Dörfer der Umgebung vertreten, wobei die Anzahl der Einheiraten nach Güntersleben erwartungsgemäß mit der Entfernung abnimmt.

Zuzüge ins Dorf mit dem Ziel, hier dauerhaft zu wohnen, waren bis zum Ersten Weltkrieg in aller Regel nur zum Zwecke der Verheiratung mit Einheimischen möglich. Die Kirchenbücher mit den Heiratseinträgen in dem bis ins 20. Jahrhundert rein katholischen Dorf vermitteln daher ein recht genaues Bild darüber, wie viele Personen von außerhalb jedes Jahr neu hinzukamen. Allein die Absicht zu heiraten, reichte aber dafür noch nicht. Ohne die Zustimmung der Gemeinde kam niemand ins Dorf. Und die bekam man nur, wenn man einen untadeligen Ruf, Leumund genannt, und ein hinreichendes Vermögen nachweisen konnte, das eine gesicherte Existenz für die künftige Familie garantierte.

Herüber und hinüber – Rimpar ganz vorne

Anders als die Eheschließungen und damit die Zuzüge wurden in den Kirchenbüchern die Wegzüge nicht registriert. Aus den teilweise gefertigten und aufbewahrten Abschriften von Vermögens- und Leumundszeugnissen für die Wegziehenden lässt sich aber immerhin schließen, dass es mindestens ebenso viele oder – vor allem im 19. Jahrhundert – sogar mehr Wegzüge als Zuzüge gab. Auch dabei kann man feststellen, dass Rimpar ein bevorzugtes Ziel war.

Zwischen Güntersleben und Rimpar gab es also schon immer einen engeren nachbarschaftlichen Austausch als mit anderen angrenzenden Dörfern. Ob es an der ähnlichen Struktur der beiden Nachbardörfer lag oder daran, dass Rimpar als Markt eine besondere Ausstrahlung auf die Umgebung hatte? Auch heute ist es noch so, dass es zwischen den beiden Gemeinden viele persönliche Beziehungen und familiäre Verbindungen gibt. Dass man hüben wie drüben gelegentlich nicht immer freundlich klingende, aber auch nicht wirklich böse gemeinte Kommentare über die jeweils anderen hören kann, darf man daher getrost in die Rubrik einordnen: Was sich liebt, das neckt sich.

Dagegen fällt auf, dass es aus dem schon immer gut erreichbaren Nachbarort Veitshöchheim kaum mehr Heiratswillige nach Güntersleben zog als aus dem sehr viel kleineren Gramschatz. Vielleicht scheuten sich die hiesigen jungen Männer, in dem vornehmeren Residenzort und Behördenstandort Veitshöchheim auf Brautschau zu gehen. Und umgekehrt zog man von einem solchermaßen privilegierten Ort vielleicht auch nicht so gerne hinaus in ein einfaches Bauerndorf wie Güntersleben.

 

Mehr Frauen von auswärts als Männer

Generell lässt sich feststellen, dass über den gesamten betrachteten Zeitabschnitt fast durchgängig deutlich mehr Frauen als Männer durch Heirat nach Güntersleben kamen. Erklären lässt sich das damit, dass Männer den Nachweis einer gesicherten Existenz im Allgemeinen nur dann erbringen konnten, wenn sie einen Hof übernehmen konnten oder zur selbstständigen Ausübung eines Handwerks befähigt waren, das im Dorf gebraucht wurde. Die Möglichkeit, einen Hof zu übernehmen, ergab sich aber nur, wenn auf diesem kein männlicher Nachkomme vorhanden war oder der Hoferbe früh verstorben war. Vor allem im 19. Jahrhundert, als die Einwohnerzahl stärker als bis dahin wuchs, kam es immer seltener vor, dass ein Hof für einen Außenstehenden frei wurde. Andere Arbeitsplätze gab es im Dorf kaum, die Zahl der Familienmitglieder, die als Tagelöhner kein festes Auskommen hatten, wurde immer größer. Folgerichtig war es für junge Männer aus dem Umkreis immer weniger möglich und auch kaum erstrebenswert, nach Güntersleben zu heiraten. In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg kam bei den Ehen zwischen Einheimischen und Auswärtigen in zwei von drei Fällen die Frau und nur bei jeder dritten Ehe der Mann von auswärts.

 

Aus weiter Ferne

Nur höchst selten kam es früher vor, dass jemand aus einer entfernteren Gegend in Güntersleben ansässig wurde. Wenn doch, dann waren es Männer, genauer gesagt junge Männer, die ihre Lehrjahre mit der vorgeschriebenen Wanderschaft abschlossen und auf ihrer Walz in Güntersleben Station machten. Und dabei kam es auch vor, dass man sich in ein Mädchen am Ort verliebte oder – wie im Lied von der schönen Müllerin besungen – am besten gleich die Tochter des Meisters für sich entflammen konnte. Auf diese Weise blieb 1721 der Maurergeselle Franz Ittenson aus St. Margarethen in der Schweiz in Güntersleben „hängen“, heiratete eine Maurerstochter und übte hier sein Handwerk aus, das nach ihm sein Sohn und nach diesem auch noch sein Enkel fortführte. 1783 heiratete der Bäckergeselle Joseph Kettemann aus Gräfelfing bei München die Tochter des ortsansässigen Bäckers Nikolaus Keupp und übernahm später dessen Geschäft oben an der Langgasse. Auch dieses Geschäft wurde über mehrere Generationen von seinen Nachkommen weitergeführt, die es überdies zu beträchtlichem Wohlstand brachten.

Wenn manchen Dörfern auch in unserer Gegend nicht immer zu Unrecht nachgesagt wird, dass sie sich in der Vergangenheit mehr als notwendig abgegrenzt und alles, was von außen kam, nach Möglichkeit ferngehalten haben, dann trifft das auf Güntersleben gewiss nicht zu. Die Offenheit und die Bereitschaft, sich auf Neue(s) einzulassen – früher unter dem Vorbehalt, dass das Auskommen der Neuankömmlinge gesichert war und sie nicht der Allgemeinheit zur Last fallen würden – hat hier eine lange Tradition.

02/2022