Handwerker und Dienstleistungen, die es im Dorf nicht mehr gibt

18. Dezember 2023

Handwerker und Dienstleistungen, die es im Dorf nicht mehr gibt

Zum Jahresende 2023 hat die Gärtnerei Klos die Einstellung ihres Betriebs angekündigt. Vor mehr als 100 Jahren hatte 1921 Josef Klos, der Großvater der letzten Inhaber, mit dem Bau eines Wohnhauses unten am Deisenberg und der Herrichtung eines Ackers für den Anbau von Salat- und Gemüsepflanzen weiter oben am Berg den Grundstock für die erste Gärtnerei in Güntersleben gelegt. Es blieb die einzige und wird vorerst wohl auch die letzte gewesen sein. Damit verschwindet wieder ein Gewerbezweig aus dem Dorfleben, weil die Betriebsnachfolge nicht gewährleistet war oder die angebotenen Dienstleistungen nicht mehr gefragt waren. Beispiele dafür zu finden, fällt nicht schwer.

Die Kleber

Kaum jemand weiß heute noch, wie die bis dahin namenlose Klebergasse 1963 zu ihrem Namen kam. Mit der Entscheidung für diesen Namensvorschlag wollte der Gemeinderat daran erinnern, dass in der unscheinbaren Gasse ehemals mit Martin Kunzemann (1850-1929) einer der beiden Männer wohnte, die als letzte in Güntersleben den Beruf eines Klebers ausübten. Dass er und sein Berufskollege Adam Köhler (1868-1917) sich vorzeitig aus dieser Tätigkeit zurückzogen und keine Nachfolger fanden, war dem Umstand geschuldet, dass sich die Art des Bauens geändert hatte.

Kleber oder Kleiber, wie sie eigentlich hießen, wurden beim Fachwerkbau gebraucht. Sie fügten in die Zwischenräume der Balkenkonstruktion der Gebäude, die sogenannten Gefache, zunächst ein Geflecht aus gespaltenen Holzscheiten, Ästen und Zweigen ein. Diese Stakhölzer, auch Stickholz oder einfach Sticks geheißen, füllten sie dann mit einem Gemisch aus Lehm, Stroh und Wasser aus. Abschließend wurde die aufgetragene Masse, passend zur Balkenstärke des Fachwerks, glattgestrichen.

Eine Ausbildung für ihre Tätigkeit hatten die uns bekannten Günterslebener Kleber nicht. Kunzemann verdiente seinen Lebensunterhalt zunächst als Tagelöhner und Köhler als Maurer. Kleber waren beide nur für wenige Jahre, dann treten sie in den amtlichen Registern seit 1894 bzw. 1908 nur noch als Tagelöhner oder Hilfsarbeiter in Erscheinung.

Um 1850 waren in Güntersleben noch über ein Drittel aller Wohnhäuser und darüber hinaus viele Scheunen ganz oder teilweise Fachwerkbauten. Danach wurden fast nur noch Massivhäuser aus Stein gebaut. Allenfalls Reparaturarbeiten fielen noch an und auch die immer weniger. Damit erledigte sich auch das Geschäft der Kleber.

Die Büttner

Als, auch 1963, die Büttnergasse ihren Namen erhielt, gab es zwar noch Büttner im Dorf. Aber es war schon absehbar, dass ihre Zeit zu Ende gehen würde. Dabei gehörten die Büttner zu den gefragtesten Handwerkern am Ort, als noch Gefäße und Behältnisse jeder Art und Größe aus Holz gefertigt wurden. In einer Gemeinde mit Weinbau waren das vor allem anderen Fässer, Bottiche, Butten und anderes Lesegeschirr. Nicht weniger wichtig waren aber für den alltäglichen Gebrauch Eimer, Wannen, Krüge, Backtröge, Viehtränken, Jauchenfässer und vieles andere, das naturgemäß auch immer wieder einmal erneuert oder ersetzt werden musste.

Im 19. Jahrhundert hatten wir in Güntersleben zeitweise vier oder fünf Büttner, die ihre Dienste anboten. Nebenher betrieben sie wie die meisten anderen Handwerker noch eine kleine Landwirtschaft, wobei entweder das eine oder das andere Haupt- oder Nebenerwerb sein konnte.

Wie kein anderes Gewerbe verbindet man in Güntersleben das Büttnerhandwerk mit zwei Familiennamen, nämlich Keß und Öhrlein. Der Familienname Keß geht auf Nikolaus Keß zurück. Gebürtig aus Ramsthal heiratete er 1721 die Tochter eines Günterslebener Büttners und führte den Betrieb seines Schwiegervaters weiter. Im anderen Fall war es Peter Öhrlein aus Margetshöchheim, der 1702 nach Güntersleben heiratete und damit auch einen bis dahin hier nicht bekannten Familiennamen mitbrachte. Er selbst war Bauer, aber sein Sohn Sebastian Öhrlein befasste sich seit etwa 1730 mit der Büttnerei. Mehr als zwei Dutzend Büttner oder Fassbinder, wie man sie auch nannte, kamen in den nachfolgenden Generationen aus diesen beiden Familienstämmen. Büttner aus anderen Familien konnten nur in einigen wenigen Ausnahmefällen neben diesen in Güntersleben bestehen.

Seitdem immer weniger Gefäße, außer als Dekorationsstücke, aus Holz gefertigt wurden, gab es auch für die Büttner immer weniger zu tun. Georg Keß (1906-1996) war der letzte seiner Zunft mit einer eigenen Werkstatt in Güntersleben.

Die Daubholzmacher

Für die Versorgung der Büttner mit geeignetem Holz hatte sich mit den Daubholzmachern ein eigener Berufsstand entwickelt. Als Dauben oder Fassdauben bezeichnet man die Holzscheite, mit denen die Ummantelung von Fässern und anderen Holzgefäßen hergestellt wird. Überwiegend wurde dafür Eichenholz verwendet, für einfachere Behältnisse genügte auch Nadelholz. In Frage kam nur gut gewachsenes Stammholz von besonderer Güte.

Wenn die Holzfäller im Gemeinde- oder Staatswald am Werk waren, schauten sich die Daubholzmacher nach geeigneten Stämmen um. Was sie davon kaufen oder ersteigern konnten, ließen sie dann auf ihren Abrichtplatz im Dorf schaffen. Mit der Handsäge teilten sie die Stämme auf die Längen, die für die verschiedenen Fassgrößen gefragt waren. Mit Äxten und Keilen wurden die Abschnitte aufgespalten und mit dem Breitbeil die weiche äußere Schicht, der sogenannte Splint, abgeschlagen. Aus dem verbliebenen harten Kern wurden dann die Rohlinge für die Faßdauben, ihrer Form nach starken Brettern ähnlich, herausgearbeitet. Die Arbeit mit dem Beil war beschwerlich und erforderte großes Geschick, weil die Bearbeitung der Holzscheite exakt entlang der Faserung erfolgen musste. Die so hergestellten Rohlinge mussten anschließend noch mehrere Jahre zum Trocknen gelagert werden, bevor sie an die Büttner zur Weiterverarbeitung abgegeben werden konnten.

Der große Waldbestand auf der hiesigen Gemarkung mit den angrenzenden Staatswäldern bot gute Voraussetzungen, dass die Herstellung und der Handel mit Daubholz über längere Zeit ein florierendes Gewerbe in Güntersleben werden konnte. 1931 gab es hier sechs Daubholzhauer, auch sie alle Angehörige der Familien Keß und Öhrlein. Als Arbeitsstätte diente ihnen eine große offene Halle am Ziegelhüttenweg, in der sie das Daubholz bearbeiteten und lagerten. Abnehmer waren zum einen die ortsansässigen Büttner, aber auch – sogar zum größeren Teil – Handwerker in Würzburg und in der Umgebung. Die Holzabfälle, die beim Bearbeiten der Baumstämme anfielen, waren als Brennmaterial sehr gefragt und brachten den Daubholzhauern zusätzlich gute Erlöse.

Die Wagner

Während sich andere Holz verarbeitende Handwerker wie Schreiner oder Zimmerer zwar auch auf veränderte Arbeitstechniken und neuartige Werkstoffe umstellen, aber zu keiner Zeit um ihre Daseinsberechtigung bangen mussten, gehören die Wagner im Dorf der Vergangenheit an.

Ihr Betätigungsfeld war eng mit der Landwirtschaft verbunden. Für die Herstellung und Reparatur von Wägen aller Art und Größe, von Schubkarren, Futterkrippen, Leitern, Werkzeugstielen und was sonst auf den Höfen gebraucht wurde, waren sie in vielfältiger Weise gefragt. Und nicht nur das. Auch wer einen Schlitten oder einen Leierkasten für die Kinder suchte, ging zum Wagner.

Waren in früheren Jahrhunderten gleichzeitig drei, manchmal auch vier Wagner in Güntersleben ansässig, waren es zuletzt noch zwei, die ihrem Handwerk treu geblieben waren: Michael Schneider (1876-1961), dessen Sohn Vinzenz den Betrieb noch einige Jahre weiterführte, und Stefan Rüth (1899-1985). Wie ihren Vorgängern genügte ihnen als Werkstatt ein Raum in ihrem Wohnhaus, in beiden Fällen so klein, dass man treffender von einer Kammer reden müsste. Für größere Objekte verlagerten die Wagner ihren Betrieb vor die Türe auf die angrenzenden Straßen. Gestört hat das damals niemand.

Die Schuster

Wie eine Anzahl weiterer Dorfstraßen erhielt 1963 auch die bis dahin nur 3. Gasse genannte Schustergasse ihren seitdem geltenden amtlichen neuen Namen. Tatsächlich gab es zu der Zeit auch noch mehrere Schuster in Güntersleben, von denen zwei sogar in besagter Gasse wohnten, so dass die Namenswahl naheliegend war. Allerdings beschränkte sich die Tätigkeit der Schuster da schon weitgehend auf das Reparieren. Meist ging es um das neue Besohlen von abgetragenem Schuhwerk. Und auch das war zunehmend weniger gefragt. Statt Schuhe reparieren zu lassen, kaufte man immer öfter gleich neue Schuhe. So gab es nach 1990 nur noch drei Schuster in Güntersleben, die nebenher noch Schuhe reparierten, bevor auch sie bald darauf ihre Tätigkeit ganz einstellten.

Dabei gehörten die Schuster oder Schuhmacher, als sie das im Wortsinne noch waren, ehemals zu den meistbeanspruchten Handwerkern im Dorf. Schuhe brauchten alle und um diese herzustellen, benötigte man besondere Fachkenntnisse und Erfahrung. Und auch bei sorgfältigstem Gebrauch blieb es nicht aus, dass Schuhe immer wieder einmal ausgebessert und in Teilen erneuert werden mussten, wozu in den seltensten Fällen ihre Besitzer selbst in der Lage waren. So verwundert es nicht, dass um 1875 acht Schuhmacher in Güntersleben ihr Auskommen hatten.

Mit dem Aufkommen der industriellen Produktion lohnte sich aber die handwerkliche Einzelanfertigung von Schuhen immer weniger. Die verbliebenen Schuster – zeitweise immer noch drei bis fünf in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts – wechselten von der Eigenherstellung über auf den Schuhhandel. Ihr begrenztes Angebot wurde aber immer weniger konkurrenzfähig, je mehr die Dorfbewohner die Möglichkeiten der sehr viel größeren Auswahl in den Ladengeschäften der nahen Stadt nutzen konnten. Damit blieb nur noch die Reparaturarbeit, bis auch diese so zurückging, dass sie als Lebensgrundlage nicht mehr genug hergab.

Die Schneider

Aus Märchen und Erzählungen kennen wir das Bild vom tapferen oder armen Schneiderlein. Letzteres beschreibt auch treffend die Umstände, unter denen früher die Schneider in Güntersleben ihr Handwerk ausübten. Im Sozialgefüge des Dorfes gehörten sie traditionell zu den unteren Schichten und wurden von den Angehörigen besser gestellter Kreise eher von oben herab betrachtet. So stellte sich die Situation zumindest bis ins beginnende 20. Jahrhundert dar.

Obwohl Kleider genauso gebraucht wurden wie Schuhe, waren doch die Verdienstmöglichkeiten der Schneider weitaus bescheidener als die der Schuhmacher. Kleider hatten zumeist eine längere Lebensdauer als Schuhe. Einfache und oft auch aufwendigere Ausbesserungen konnten geschickte Hausfrauen selbst vornehmen und viele waren auch imstande, Kinder- oder Alltagskleider selbst zu nähen.

Wo andere Handwerksberufe noch lange den Männern vorbehalten blieben, gelang es zuletzt auch Frauen im Schneiderhandwerk Fuß zu fassen. 1954 waren in Güntersleben noch drei Schneider und ebenso viele Schneiderinnen im Gewerberegister erfasst, letztere allerdings nur als Damenschneiderinnen, 1983 als letzte Vertreterinnen ihrer Profession noch Magda Lother und Käthe Kuhn.

Die Leinenweber

Sehr viel früher endete die Zeit der Leinenweber in Güntersleben. Um 1750 lassen sich die ersten hierorts nachweisen. Aus den Fasern des Lein oder Flachs fertigten sie nach mehreren Arbeitsschritten auf dem Spinnrad das Garn, das sie auf ihren Handwebstühlen zu Stoffen verarbeiteten. Das Leintuch oder Linnen wurde vor allem für Bettwäsche und Handtücher, aber auch für Hemden und andere Kleidungsstücke verwendet.

Um 1850 arbeiteten in Güntersleben bis zu sechs Leinenweber. Allzu einträglich war ihr Gewerbe allerdings nicht. Das Aufkommen von Webmaschinen, die als Wegbereiter der industriellen Revolution und im Gefolge davon der sozialen Verelendung weiter Bevölkerungskreise gelten, hatte auch in Güntersleben einen ziemlich abrupten Niedergang der Leinenweberei zur Folge. 1892 starb mit Lorenz Öhrlein der letzte Leinenweber in Güntersleben.

… und noch manche andere

Die Reihe der Handwerksberufe, die ehedem im Dorf gebraucht wurden, über die aber mittlerweile die Zeit hinweggegangen ist, ließe sich fortsetzen. Ziegler, Kalkbrenner, Müller, Sattler, Hufschmiede und weitere könnte man noch nennen. Andere sind neu hinzugekommen, die man früher nicht kannte. Es wird nicht dabei bleiben. Denn „Nichts ist so beständig wie der Wandel“, wie der griechische Philosoph Heraklit schon vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden erkannte.

12/2023