Vertrauensposten für eine Frau? – Unmöglich!

28. Mai 2022

Vertrauensposten für eine Frau? – Unmöglich!

„Ich glaube, dass sich die Herrschaften einen falschen Begriff von dem Umfange und der Art der Arbeit eines heutigen Amtsdieners machen, ganz abgesehen davon, daß es doch unmöglich ist, einer Frau einen solchen Vertrauensposten – wenn auch nur zeitweise – zu übertragen.“ Mit dieser klaren Ansage wischte der Bürgermeister von Güntersleben 1937 das Ansinnen eines Fürsorgeverbandes vom Tisch, er solle als Amtsdiener oder Polizeidiener nach Günterslebener Sprachgebrauch einen Kriegsgeschädigten einstellen; für den Fall, dass dieser aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme hin und wieder ausfalle, habe sich seine Frau als Vertretung angeboten. Selbstverständlich stellte er einen anderen Bewerber ein, bei dem nicht zu befürchten war, dass hin und wieder seine Frau für ihn einspringen musste.

Mit seiner Überzeugung stand der Bürgermeister damals sicher nicht allein. Frauen in der Öffentlichkeit, in welcher Rolle auch immer – das konnte man sich auch in Güntersleben lange nicht vorstellen.

In den Jahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts starben in Güntersleben noch ungewöhnlich viele Kleinkinder. 1909 regte das Bezirksamt 1909 an, in den Armenpflegschaftsrat, dem vor Ort auch die Gesundheitsvorsorge oblag, doch auch Frauen aufzunehmen. Über diese Zumutung mochte das ausschließlich mit Männern, darunter dem Pfarrer und dem Bürgermeister, besetzte Gremium nicht einmal diskutieren. Kurz und bündig wurde einstimmig beschlossen, dass man „prinzipiell hier gegen Beiziehung der Frauen“ sei. Mehr fiel den Herren dazu nicht ein.

Seit 1902 brannten in Güntersleben die ersten fünf Straßenlaternen. Die Petroleumfunzeln mussten jeden Abend mit dem notwendigen Quantum Öl befüllt und angezündet werden. Mehrere Jahre besorgte das der gemeindliche Straßenwärter Johann Geißler. Als dieser krankheitshalber dazu nicht mehr in der Lage war, übernahm seine Ehefrau ab 1908 das Geschäft, das ihr von der Gemeinde auch für die folgenden Jahre übertragen wurde. Wie üblich wurde zum Jahreswechsel 1910/11 die Betreuung der Straßenlampen neu ausgeschrieben. Dieses Mal aber ausdrücklich mit dem Zusatz: „Frauenspersonen wird das Anzünden der Laternen untersagt.“ Wollte man auf diese Weise die seitherige Lampenwartin scheinbar elegant ausmanövrieren? Oder dachte man an den Struwwelpeter? Ist es doch in dem seinerzeit so beliebten Kinderbuch auch ein Frauenzimmer in der Person des einfältigen Paulinchen, das mit dem Feuerzeug Unheil anrichtet. Das Protokollbuch der Gemeindeverwaltung schweigt sich über die Gründe aus, warum das Anzünden der Straßenlaternen wieder in Männerhand kommen sollte, wo es dann auch blieb, bis sich mit der Einführung des elektrischen Stroms 1921 die Sache erledigte.

Gegen eine Lehrerin für die Schulanfänger hatte man in Güntersleben nichts einzuwenden – solange das eine Klosterschwester war. Denn „der Gehalt einer Lehrerin ist an und für sich geringer als der eines Lehrers“, wie der Pfarrer als Lokalschulinspektor 1896 den Wunsch nach einer zweiten klösterlichen Lehrerin begründete, dem allerdings von der Schulbehörde nicht stattgegeben wurde.

Am 6. April 1920 kreuzte vor dem darob völlig verdutzten Bürgermeister von Güntersleben eine nicht klösterliche Lehrerin auf, um ihm mitzuteilen, dass ihr von der Regierung eine Schulstelle in seiner Gemeinde angeboten worden sei. Noch am gleichen Tag trat der Gemeinderat zusammen, um einen schon früher gefassten Beschluss zu beschließen, dass die Regierung die Stelle mit einer männlichen Lehrkraft besetzen möge. Für eine Lehrerin sei hier kaum eine Wohnung aufzufinden.

Bei der Regierung dürfte dieser Einwand weniger Kopfzerbrechen als Kopfschütteln ausgelöst haben, denn schon wenige Tage später übertrug sie der Lehrerin die Stelle in Güntersleben. Postwendend ließ der Gemeinderat die Regierung noch einmal wissen: „Die Beschaffung der Wohnung und Kost wird auf größte Schwierigkeiten stoßen.“ Es findet sich allerdings kein Hinweis in den Akten, dass die Lehrerin während ihres Einsatzes in Güntersleben auf der Straße nächtigen und um Brot betteln musste.

Knapp drei Jahre blieb die Lehrerin, dann war die Stelle erneut zu besetzen. Und wieder sah sich der Gemeinderat im Januar 1923 bemüßigt, die Regierung darauf hinzuweisen, dass „die Beschaffung einer geeigneten Wohnung für eine weltliche Lehrerin sehr schwer, überhaupt unmöglich“ sei. Die Wohnung der ausgeschiedenen Lehrerin könne nicht mehr zur Verfügung gestellt werden, „weil sie vom Besitzer zur Unterbringung seines Dienstpersonals und als Krankenzimmer verwendet wird.“ Die Regierung hatte auch dieses Mal kein Einsehen und beorderte erneut eine Lehrerin nach Güntersleben. Nur gut, dass die heute hier eingesetzten Lehrerinnen, seit langem im Kollegium in der Überzahl, so mobil sind, dass sie nicht mehr unbedingt auf eine Wohnung in Güntersleben angewiesen sind.

Auch in der Politik dauerte es in Güntersleben erst, bis man auch Frauen zutraute, mitzureden und Verantwortung zu übernehmen. Obwohl das schon seit 1919 möglich gewesen wäre, schafften es erst 1978 die ersten Frauen, in den Gemeinderat einzuziehen. Und wie wären wohl unsere Altvorderen erst damit klargekommen, dass seit 2017 mit Klara Schömig sogar eine Frau auf dem Bürgermeisterstuhl sitzt?

Noch etwas ist nachzutragen: Der gleiche Bürgermeister, der 1937 den Frauen nicht einmal vertretungsweise die Übernahme des verantwortungsvollen Postens eines Amtsboten zutraute, war wenige Jahre später, als wegen ihres Einsatzes an der Kriegsfront die Männer fehlten, nicht mehr so wählerisch. Im März 1942 teilte er dem Arbeitsamt mit: „Ich habe am 1. März 1942 die Margareta Stieber, geb. 3. Februar 1918 zu Güntersleben, als Aushilfe eingestellt. Sie ist für Botengänge gut geeignet.“ Es war die Frau, die viele noch aus späterer Zeit als die Post-Gretl kennen, auch hier die erste Frau, der diese Tätigkeit übertragen wurde.

05/2022